Essen in Krimis, Scala, WDR5, 28.4.2010, 12 Minuten

Warum wird in schwedischen Krimis nie gegessen, in italienischen aber täglich zwei Stunden Mittags vorzüglich gespeist? Wieso kann ein chinesischer Ermittler einen Mörder alleine durch die Zusammenstellung einer Mahlzeit überführen? Und wie nur hätte Kommissar Maigret  ohne seine Brasserie Dauphine überlebt?

 Ingrid Müller-Münch hat die Kochtopfdeckel in Krimis gelüftet. Sie werden staunen, wie sehr sich die Spannungsliteratur zwischen Reykjavik  und Gibraltar, Los Angeles und Shanghai kulinarisch voneinander unterscheidet. Und wie zum Beispiel Jean-Claude Izzo, der vor zehn Jahren verstorbene französische Spannungs- und Bestsellerautor, seinen Helden zwischen blutgetränkten Ermittlungen und saucenhaltigen Speisen hin und her schwanken lässt.  Seine ab heute als Taschenbuch in den Buchhandlungen erhältliche Sammlung von Essays und Romanausschnitten lässt den Leser noch einmal nachspüren, wie Izzo in seinem dreiteiligen Krimizyklus die Marseiller Spezialitäten  unter der Zunge seines Helden Fabio Montale vibrieren ließ.

 

Atmo Schräge Marseiller Musik

 Autorin: Fabio Montale, Serienheld in Jean-Claude Izzo’s Krimitrilogie, spielt mit seinem Leben. In Marseille geht er auf die Jagd nach den Mördern seines Freundes Manu und begibt er sich dabei derart in Gefahr, dass er etwas tut, was ihn als Südfranzosen charakterisiert: Er überlegt sich,  was er vorher noch essen würde, sollte er demnächst sterben.

 Sprecher: Eine Fischsuppe vielleicht, geht ihm durch den Kopf. Mit einer guten Rouille, einer mit Peperoni angerührten Knoblauchsauce, verfeinert mit Seeigelfleisch und Safran.

 Autorin: Und wo genau gibt es eine solch wunderbare Köstlichkeit? Natürlich bei Céleste, der Köchin, über die es bei Izzo heißt:

 Atmo Küchengeräusche

 Sprecher: Kaum sah man sie, bekam man schon Appetit. Céleste kam aus der Küche und wischte sich die Hände an ihrer schwarzen Schürze ab, die sie erst auszog, wenn das Restaurant schloss. Ihre Bouillabaisse war eine der besten in Marseille. Drachenkopf, Rotbarsch, Meeraal, Petersfisch, Seeteufel, Petermännchen, Meerbarbe, Rotbrasse, Knurrhahn, Wolfsbarsch…Dazu ein paar Krebse und gelegentlich eine Languste. Nur Felsenfische. Nicht wie bei so vielen anderen.

 Autorin:  Kaltblütiger Mord und heiße Bouillabaisse? Passt das zusammen? In Krimis rund ums Mittelmeer auf jeden Fall. Die Pariser Tageszeitung „Le Monde“ war von Fabio Montales  Appetit und seinen Insiderkenntnissen der Marseiller Gastronomie  so begeistert, dass sie eine Seite lang all seine Lieblingskneipen vorstellte. 

 Sprecher: Das Péano zum Beispiel, wo er Teigtaschen mit gekochtem Schinken und Mozarella gefüllt isst. In den Bistros, in denen die Mios verkehren, die Aufschneider, Sprücheklopfer, Schönlinge. Oder auf der Terrasse bei Francis unter den Platanen der Allée Meilhan. Oder bei Chez Felix, wo die Alten saßen, Karten spielten und Pfefferminzlimonade tranken.

 Autorin: Fabio Montale, der schräge Bulle aus Marseille, ist nicht der einzige südeuropäische Ermittler, der pünktlich zur Mittagszeit erst einmal ausgiebig speist.  Auch Commissario Montalbano aus Sizilien, Serienheld des italienischen Autors Andrea Camilleri,  folgt am liebsten seiner Nase. Die führt ihn  zielsicher auf die Fährte von Räubern und Mördern, und so gegen Mittag unweigerlich  auf die Spur paradiesisch duftender Speisen.

 Sprecher: Wenn schon der Pasta ‘ncasciata nach ihrem Verschwinden lange nachgetrauert wurde, hatten die Auberginen mit Parmesankruste, als nichts mehr von ihnen übrig war, eine wahre Totenklage verdient.

 Autorin:  Abends, kaum zu Hause, reißt Montalbano gleich die Kühlschranktür auf. Er kann sicher sein, dass seine Haushälterin Adelina ihm dort mal wieder etwas Leckeres kaltgestellt hat.  

 Sprecher: Das Herz ging ihm auf beim Anblick der vier traumhaften Meerbarben, die er nur noch braten musste.

Atmo sizilianische Töne

 Autorin: Dabei spielt es für Montalbano keine Rolle, ob seine Ermittlungen sich gerade um  Menschenhandel, Missbrauch oder Mord drehen – der Appetit vergeht ihm selten. Und auch den Lesern scheinen seine Mahlzeiten zu schmecken, sonst hätten seine Bücher  nicht diese chartstürmenden Verkaufszahlen vorzuweisen.  Warum aber muss in Krimis überhaupt gegessen werden? Spielt es für den Spannungsbogen eine Rolle, ob der Ermittler eine Mittagspause macht oder nicht? Ist es nicht eher unappetitlich, wenn sich  Auberginen mit Parmesankruste zwischen Leichen und Pathologen drängen? Donna Leon, Krimiautorin aus Venedig, sagt: Nein. Sie findet: Essen gehört einfach dazu und hat soeben ein Kochbuch mit dem Titel „Bei den Brunettis zu Gast“ herausgegeben. Ihr ist es unerklärlich,  wieso es Leser häufig erstaunt, dass ihr Kommissar tagtäglich ausgiebig tafelt.  Hierzu  schreibt sie im Vorwort zu ihrem Kochbuch:

 Atmo venezianische Musik

 Sprecherin: Anfangs überraschte mich diese Reaktion, denn die Mahlzeiten waren wie von allein in meine Bücher geraten. Da diese auch vom venezianischen Familienleben handeln, schilderte ich die Essgewohnheiten der Venezianer, wie ich sie in rund vierzig Jahren beobachtet habe. Bald stellte sich heraus, dass die Kommentare zum Essen meistens, ja man könnte fast sagen, ausschließlich aus Ländern mit einer – wie lässt sich das taktvoll formulieren? – also mit einer anderen kulinarischen Kultur als der italienischen kamen.

 Atmo venezianische Musik

  Autorin: Wie eine Art Demarkationslinie zieht sich in der Krimiliteratur eine klare Grenze: Im Süden, vor allem in den romanischen Ländern , wird genussvoll gegessen. Donna Leon, Andrea Camilleri, Manuel Vasquez Montalban, ja selbst George Simenon mit seinem Kommissar Maigret – sie alle ernähren ihre Ermittler gut und qualitätvoll. Und weil das Publikum dies offenbar ebenfalls goutiert, sind von all diesen Helden inzwischen auch Kochbücher auf dem Markt. Mithilfe der klassischen  Bistrorezepte von Madame Maigret können  Krimifans  nun  zum Beispiel nachkochen, was die biedere Pariserin ihrem Jules vorsetzte. Während  manch ein Autor seine Krimis gleich dermaßen mit Menufolgen würzt, dass sie vom Genre her zwischen Kochbuch und Krimi hin- und herschwanken.

 Sprecher: Sagen sie Carvalho, dass ich ihm die Qualen nicht nachtrage, die mir die Lektüre seiner feinschmeckerischen, kriminalistischen und Liebesabenteuer während meiner ersten Jahre in den Bergen verursacht hat.

 Autorin:  Dies schrieb eines Tages der in den mexikanischen Bergen versteckt lebende Rebellenführer Subcommandante Marcos an den spanischen Krimiautor Manuel Vazquez Montalban. Der ließ den Koch seines Helden Pepe Carvalho tagtäglich die Köstlichkeiten Spaniens brutzeln – so zum Beispiel Goldbrasse im Salzmantel, Seezunge mit Brombeeren oder Kohlrouladen mit Langustenfüllung. Währenddessen lief  am anderen Ende der Welt, im Dschungel von Mexiko, dem Rebellenführer  Marcos das Wasser im Munde zusammen.   Was Montalban daraufhin dem Subcommandante schrieb, belegt der vom Autor veröffentliche Briefwechsel und seine Folgen.

 Sprecher: Ich bedaure, dass Pepe Carvalho Euch wirkliche  oder phantasierte Heißhungeranfälle verursacht hat, halte es aber für schwierig, die vorhandenen Hürden und Hindernisse mit chorizos zu überwinden.

 Autorin: Schwierig ja, aber nicht unüberwindlich. Denn eines Tages packte Montalban eine Tasche voller Tschorissos, den scharfen spanischen Schweinefleischwürstchen, vier Kilo sollen es gewesen sein, und besuchte Subcommandante Marcos in seinem mexikanischen Versteck.

Atmo spanische / mexikanische Klänge

                                                                 

Autorin: Auf der nördlichen Seite der kulinarischen Krimi-Demarkationslinie finden  Nebensächlichkeiten wie ausgiebige Mahlzeiten  gar nicht erst statt. So sucht man vergebens bei Henning Mankell, Jo Nesbo, ja kurzum bei jedem beliebigen skandinavischen Krimiautor  nach irgendeinem  ausführlich beschriebenen köstlichen Mahl. Warum  das so ist, erklärt der schwedische Schriftsteller Arne Dahl am Beispiel seines soeben erschienen Krimis „Dunkelziffer“. Darin suchen Sonderermittler nach einem verschwundenen Mädchen.

O-Ton Dahl 1/3:33  Lacht. Halve of the group ….Sprecher: Die Hälfte des Teams ermittelt im Norden von Schweden. Und die haben da überhaupt keine Zeit, irgendetwas zu essen. Da im Norden gibt es nunmal nichts zu essen.

Autorin: Auch im Norden Schwedens wird sicherlich irgendetwas gegessen. Nur ist das offenbar so wenig erwähnenswert, dass Autoren auf diesen Aspekt keine Zeit verschwenden. Arne Dahl jedenfalls gibt unumwunden zu, sich über die Verpflegung seiner Krimifiguren bisher keinerlei Gedanken gemacht zu haben.  

 

O-Ton Dahl 1/6:35 I think they …Sprecher: Ich glaube, sie nehmen irgendwelches Zeug zu sich. Essen ist eine Sache, die man erledigen muss. Darum wird kein Theater gemacht. Man könnte genauso gut eine Pille einwerfen, die satt macht. 

Autorin: Wo also Essen im Alltag keine Rolle spielt, schlägt es sich auch nicht im Krimi nieder. So einfach ist das. Erklärt sich mit dieser fehlenden Genussfähigkeit vielleicht, warum fiktive skandinavische Kommissare wie Harry Hole oder Van Veeteren so depressiv und mundfaul sind, so wenig überschwenglich und sinnlich?

 O-Ton Arne Dahl 1:12 I think it belongs…..Sprecher: Das gehört glaube ich schon zusammen. Es gibt in diesem Land eine Form von Depression, die einhergeht mit schlechten Trink- und schlechten Essgewohnheiten. Man hat hier keine rechte Genussfähigkeit. Vor ihnen steht ein gutes Essen, aber sie können es nicht so richtig genießen. Aus melancholischen Gründen, die sehr schwer zu erklären sind. 

Autorin: An hungerstreikähnliche Essgewohnheiten in nordeuropäischen Krimis haben die  Leser sich längst gewöhnt.  Aber auch in US-Thrillern wird meist nur  etwas Undefinierbares zwischendurch gegessen. Etwas, das einem beim Verzehr erlaubt,  seine Akten zu studieren.

Sprecherin: Iss schnell. Du hast heute einen dicht gedrängten Terminplan,

Autorin: So herrscht Lorna ihren Ex an, als der mit ihr in Michael Connelly’s aktuellem Justizthriller „So wahr mir Gott helfe“ zum Pacific Dining Car frühstücken fährt. Der Ex ist Anwalt in Los Angeles, heißt  Michael Haller,  hat  kein eigenes Büro sondern betreut seine Mandanten immer vom Rücksitz seines schnittigen Lincolns aus.

Sprecher:  Ich kam mit der ersten und zweiten Gästewelle in das Restaurant und musste keine fünf Minuten auf einen Tisch warten. Weil ich mich sofort an die Arbeit machen wollte, bestellte ich einfach eine Portion gebratenes Schweinefleisch. Ich wusste, es wäre perfekt. Es war hauchfein geschnitten und köstlich, und ich konnte es mit den Fingern essen, ohne den Blick von Wyms-Dokumenten abwenden zu müssen.

Atmo passende US-Musik

Autorin: Krimileser wissen längst, dass sie mehr an kulinarischer Raffinesse von einem US-Thriller nicht erwarten dürfen. Dass Essen indes nicht nur zum Alltag von Krimifiguren dazugehört, sondern gelegentlich auch zum Dreh- und Angelpunkt von Ermittlungen werden kann,  zeigt der  im US-Exil lebende chinesische Krimiautor Qiu Xiaolong. In seinem neuesten Krimi „Blut und rote Seide“ hat  Oberinspektor Chen  irgendwann den Serienmörder ermittelt, der Shanghai unsicher macht. Mit perfider Raffinesse entwickelt Chen darauf den Plan, diesen Täter durch eine besonders abstoßende Mahlzeit zu einem Geständnis zu bewegen. Man trifft sich in einem Restaurant, die Speisenfolge wird von Chens Mitarbeiterin Weißer Wolke serviert und beginnt folgendermaßen:

Atmo chinesische Klänge

Sprecher:  Eine Schlange, die Weiße Wolke mit einer raschen Bewegung  aus dem Käfig holte, das Tier wie eine Peitsche auf den Boden knallte und  ihm dann mit einem scharfen Messer den Bauch aufschlitzte. Mit einem Ruck riss sie die Gallenblase heraus, die sie in ein Glas mit Schnaps gleiten ließ. Ihre Arme und Beine waren anschließend mit Schlangenblut bespritzt. „Das hier gebührt dem Ehrengast,“ sagte sie und reichte Chens Gast das Schnapsglas mit der grünlichen Gallenblase. Der spülte sie mit einem Schluck runter. Und während der immer stärker ins Schwitzen geratene Mörder noch um sein letztes Quentchen Würde und Schweigen kämpfte, zappelte sich für den Hauptgang vor den Augen der beiden Männer eine Schildkröte zu Tode, die in einem immer stärker erhitzten Glasgefäß schwamm.

Autorin:  Ein einzigartiges Menu, das jedoch mit Sicherheit nicht zur Veröffentlichung eines Kochbuches führen wird.  So, wie es bei Krimiautoren südeuropäischer Länder inzwischen üblich ist. Als Arne Dahl in dem Interview mit Scala darauf aufmerksam gemacht wurde,  wie wenig er doch mit seinen ständig nichtessenden Protagonisten im Trend liege, gelobte er Besserung und schrieb  folgende Widmung  in sein neues Buch „Dunkelziffer“:

Sprecher: I promise to write a little more about food in the future.

E N D E