Überlebende des Fährunglücks berichten

WDR5, Neugier genügt und die Frankfurter Rundschau haben heute, am 8.1.2015, das Interview mit Irma Dohn und Timo Berndt veröffentlich. Beide waren auf der Norman Atlantic, die Ende Dezember 2014 in Brand geriet. Und beide berichteten folgendes:


Ein Bonner Paar überlebt das Fährunglück in der Adria.

Zusammengebrochen sind sie erst, als alles vorbei war. Als Timo Berndt und Irma Dohn zurück in Bonn waren, sie nur noch schlafen wollten, jede Kleinigkeit sie irritierte, aus der Fassung brachte. So, als hätten sie all ihre Energie aufgebraucht während der Tage und Nächte bei Regen und Wind, klatschnass, auf Deck der brennenden Fähre, die sie eigentlich von Patras nach Ancona bringen sollte. Mitsamt ihrem Auto, vollbeladen mit selbstgeerntetem, frischgepresstem Olivenöl. Wie jedes Jahr. Ihr Ferienhaus in der Nähe von Githio hatten sie winterfest gemacht. Nun freuten sie sich auf ihr Zuhause in Bonn. Nach einem Zwischenstopp in Igoumenitsa, wo die Fähre immer voller wurde, aßen sie noch zu Abend, tranken gemeinsam eine Flasche Wein, kuschelten sich in ihre Schlafsäcke auf den gebuchten Pullmann-Chairs im mittleren Deck und schliefen ein. Dann plötzlich zwischen drei und vier Uhr morgens in der Nacht von Samstag, dem 27. Dezember auf Sonntag:

Irma D.: Ich bin wachgeworden, weil ich zwei so Rammblöcke hörte, ziemlich laut. Und ich dachte, das ist jetzt das Schiff, das die Maschinen irgendwie stoppt oder drosselt. So richtig laut Krrrh. Und dann merkte ich auch schon, wie es nach Rauch roch. Und wie die Leute wild durch die Gänge liefen. Ich hab gedacht, das ist vielleicht ein Brand in der Küche, wo mal ein Spiegelei anbrennt oder so. Die Angst kam, als wir dann nach draußen gingen und das ganze Seitendeck voller Menschen war. Es war knallevoll. Es regnete und es windete. Und binnen einer halben Stunde waren wir klatschnass.

Timo B.: Es hat keinen Alarm gegeben. Es hat keine Durchsage gegeben. Wir standen dann draußen auf Deck 5, wo die Rettungsboote sind. Da sind zwei Boxen mit Livejacketts. Aus einer holten schon Leute die Schwimmwesten. Wir wussten nicht, wie man die anlegt. Irgendwann nach zwei oder drei Stunden hat eine Deutsche zu meiner Frau gesagt, „Wie trägst du das denn?“. Und hat ihr erstmal geholfen, die Schwimmweste richtig anzuziehen. Dann habe ich irgendwann die beiden großen Rettungsboote im Wasser gesehen, und gedacht, oh verdammt, die Möglichkeit haben wir jetzt verpasst, die gibt es nicht mehr für uns. Ich habe dann einen Menschen gesehen, der ist hinterher gesprungen, um das Rettungsboot zu erreichen. Nur, zu dem Zeitpunkt war der Sturm schon aufgezogen und wir hatten Wellenhöhen von 8 / 9 Meter. Und der ist zwar gesprungen, als das Rettungsboot gerade für einen Moment am Schiff war, aber als er ins Wasser kam war das Schiff 15 Meter weggezogen von einer großen Welle. Ich habe dann nicht weiter hingeguckt. Ich hätte ja auch nichts machen können.

Irma D.: Wir standen da. Es hat wahnsinnig geregnet. Es hat wahnsinnig gewindet. Und vielleicht kennst Du ja das Bild dieser Pinguine, die so total aneinander stehen und sich nicht bewegen. Und diese Wärme in so einer Masse dann auf einen übergeht. Ich hatte das Gefühl, unser Körper hat sich unheimlich runter gepegelt. So also standby mäßig auf 15 % Energie. Ich habe einfach gar nichts gemacht. 24 Stunden lang musste ich nicht einmal auf die Toilette.

Timo B.: Das waren nicht nur wir Beide. Sondern da war einfach eine Traube von 60 / 70 / 80 Menschen, die so eng zusammenstanden, wie es irgend ging. Im Inneren des Schiffes war nur Rauch. Es mussten alle draußen sein. Das Schiff hatte aber draußen keine Möglichkeit gehabt, sich irgendwo unterzustellen. Wir konnten uns auch nirgends festhalten. Alle standen in der gleichen Situation. Und man spürte eine große Gemeinsamkeit.

Es war eine junge Frau dabei, mit ihrem Mann, die hatten drei Kinder. Ein kleines Kind hatte sie auf einer Trage vor dem Bauch. Das war zu dem Zeitpunkt, als man schon fünf Stunden, sechs Stunden gestanden hatte. Und die fing dann irgendwann an zu schluchzen, sackte zusammen, und wir haben versucht, ihr irgendwie zu helfen, dieses Kind zu halten. Aber sie ist irgendwann zusammengesackt und hat unten zwischen diesen ganzen Menschen gehockt. Dabei schrecklich geweint.

Irma D.: Es war ein Fernfahrer, der die Frau und die drei Kinder genommen hat und auf die Brücke gegangen ist, wo der Kapitän stand, damit die wenigstens irgendwie im Trockenen stehen.

Timo B.: Ich war davon überzeugt, dass wir da rauskommen. Ich habe mich auch geweigert, irgendwelche Gedanken zuzulassen, die bei mir Angst hätten hervorrufen können. Irgendwann haben wir plötzlich gesehen, dass das ganze Schiff umringt war von großen anderen Fährschiffen, Frachtschiffen, kleinen Schiffen, albanischen kleinen Booten. Und meine Frau hat gesagt, warum kommen die denn nicht und holen uns ab? Doch dafür waren die Wellen zu hoch. Der Sturm ließ dann ein wenig nach. Und plötzlich tauchten wirklich drei / vier Personen von der Mannschaft auf. Die paar habe ich dann immer wieder gesehen. Aber sonst von den 56 weiteren Crewmitgliedern so gut wie niemanden. Dann hieß es, dass die Kinder jetzt mit Hubschraubern ausgeflogen werden. Und tatsächlich, irgendwann gegen Mittag, kam ein Hubschrauber. Die Kinder wurden dann in Körben in diesen Hubschrauber gehieft. Der flog dann weg. Danach geschah erstmal nichts weiter.

Irma D.: Später dann kamen weitere Hubschrauber, die sind immer auf so einer Plattform ganz oben auf dem Schiff gelandet. Uns wurde gesagt, es dürften immer nur vier Personen die Treppe hochgehen und oben auf den Hubschrauber warten. Aber anstatt, dass da vier Leute geordnet hochgeklettert sind, standen nachher 60 / 70 Leute oben auf dieser kleinen Plattform, sodass der Hubschrauber kaum mehr landen konnte. Und die Parole wurde ausgegeben, Kranke zuerst und dann die Frauen. Doch als es zu den Frauen kam, brach das totale Chaos aus. Männer versuchten, in diese Hubschrauber zu stürzen, haben alle Leute irgendwie weggestoßen, die nicht männlichen Geschlechts waren. Unter den Männern gab es Schlägereien. Und es gab auch Frauen, die angegriffen wurden von denen, die in den Hubschrauber wollten. Das Recht des Stärkeren. Also da gab es richtig Streit und richtig Krach. Das war das absolute Chaos. Und man sah in der Situation, hinten auf dem Hinterdeck, wie die Flammen immer größer wurden. Man sah ja diese riesenroten Flammen.

Timo B.: Es waren sehr sehr viele Fernfahrer an Bord. Griechen, Italiener und auch türkische Fernfahrer. Viele davon sind sehr vollleibige Männer, die auch ein ziemliches Verdrängungsvolumen haben, wenn die loslegen. Seit dem Zwischenstopp in Igoumenitsa war die Fähre brechend voll mit Lastwagen. Ich habe später mit einem Lastwagenfahrer gesprochen, einem Griechen, der mir beschrieb, wie eng in Igoumenitsa die Lastwagen eingeparkt wurden. So eng, dass er zwei Truckdriver gesehen hat, die ihre Türen nicht mehr aufkriegten, um rauszusteigen. Und die dann signalisiert haben, ist in Ordnung, wir schlafen im Auto.

Wir haben uns die ganze Zeit weiter an der Hand gehalten. Und ich habe immer geguckt, dass ich die Hand von meiner Frau, die genauso eiskalt war wie meine, in eine Jackentasche gestopft habe, sodass wir uns da gegenseitig wärmen konnten.

Irma D.: Es gab zwei Möglichkeiten zu retten. Es gab diese Plattform ganz oben. Und dann gab es hinten noch einen weiteren Helikopter-Landeplatz. Und ab einem bestimmten Punkt haben die gesagt, da oben geht es nicht mehr. Ist zu viel Chaos. Das ist auch zu windig. Und jetzt fangen wir an, hier hinten richtig mit Marinehubschraubern zu retten. Es war ein bisschen schräg das Schiff und es war unheimlich nass. Man ist von einer Seite auf die andere gerutscht und konnte sich grad mal festhalten, dass du nicht über die Reling gegangen bist. Auch da ging das Motto: Frauen zuerst. Kinder waren ja alle schon von Bord. Und da habe ich das Glück gehabt, dass neben mir ein Türke war, der sehr gut deutsch sprach, und der gesagt hat, ich kümmere mich um dich. Der hat sich hingestellt, hat mich festgehalten, richtig so whow, hat gesagt, so wir halten dich jetzt fest. Und dann ist das Seil gekommen und dann haben die mich festgebunden und da hochgeschleppt. Das war ungefähr nach 24 Stunden.

Timo B.: Da funktionierte es, mit Frauen zuerst. Weil das Militär die Organisation inzwischen übernommen hatte. Und die brüllten alle an, die nach vorne stürzten. Quasi im Minutentakt haben die gebrüllt und die Leute zurückgetrieben. Und die haben sich dann Leute geschnappt, die zu oft nach vorne kamen, und haben die ganz nach hinten gestellt. Das machten die mit großer Härte, was in dem Moment Vertrauen gegeben hat.

Irma D.: Für mich war das eine sehr schwere Entscheidung, mich vor Timo ausfliegen zu lassen. Ich habe zum Beispiel vorher immer gesagt, nein, ich lass dich hier nicht alleine. Aber als dann hinten die Rettungsaktionen waren, da hat der Timo ganz klipp und klar gesagt, Du wirst ausgeflogen. Kommt gar nicht anders in die Tüte.

Timo B.: Dieses kurze Gespräch, das hat offensichtlich der Yassir, dieser Deutsch-Türke aus München, mitgehört. Und der hat dann gesagt, sie fliegt jetzt und hat meine Frau genommen und hat sie einfach in die Reihe geschoben. Und hat sich dann dahin gestellt und gewartet, bis sie dran war, und dann ist die auch hochgeflogen worden.
Es dauerte noch mehrere Tage, bis Irma Dohn und Timo Berndt zurück nach Bonn kamen. Doch eine Stunde vor Silvester dann endlich standen sie vor ihrer Haustüre. Ihren Schlüssel holten sie sich bei Nachbarn. Und schafften es gerade noch, bis in ihre Wohnung.

Timo B.: Der Körper ist richtig kollabiert. Er hat durchgehalten irgendwie viereinhalb Tage. Und als es dann nicht mehr nötig war, hat er einfach Schluss gemacht. Es liefen nur noch die Nasen. Wir hatten Schüttelfrost. Ich konnte nicht gerade stehen, weil der Boden immer schwankte. Und dann ist auch die Rauchvergiftung langsam hochgekommen. Wir haben also nur noch gehustet. Und jetzt in den letzten Tagen, ich weiß es nicht, wir haben bestimmt irgendwie 36 Stunden geschlafen.

Irma D. Ich spüre seitdem eine Leere, die immer mehr zunimmt. Es ist sehr merkwürdig. Am nächsten Tag war das so, dass ich mich kaum mehr bewegen konnte. Ich hatte totale Gliederschmerzen. Aber auch mental ging‘s mir sehr schlecht. Ich habe mich ins Bett gelegt und habe dann meinen Tag im Bett verbracht. Bis jetzt eigentlich, verbringen wir unsere Tage im Bett.

Ende