Krimischreiben in Partnerschaft

Im Kulturmagazin Scala auf WDR 5 wurde mein Feature über die Schwierigkeiten gesendet, Krimis im Zweierpack zu schreiben. Dazu habe ich einige der Autoren und Autorinnen, die zu Zweit gerade Neuerscheinungen veröffentlichten, interviewt.

 

Ein Feature von Ingrid Müller-Münch für Scala, 20.12.2017
Krimis schreiben im Doppelpack

Musik evtl CD 5486146 Track 28 =0,27 Sek.

Autorin: Ein lauer Sommerabend in Malmö. Im Speisesaal des berühmten Hotels Savoy hat sich eine kleine Gesellschaft zu einem Geschäftsessen zusammengefunden. Der Gastgeber hält gerade eine Rede, als ein Mann das Hotel betritt. Niemand scheint ihn zu bemerken, und auch der Mann sieht sich nicht um, sondern steuert auf die Gesellschaft zu. Plötzlich hält er einen stahlblauen Gegenstand in der Hand und zielt:
Unterlegt schon Hintergrundgeräusche und Vortrag
O-Ton 94001 USB-Stick WDR :1:46 Hört mehr im Hintergrund die Rede eines Mannes. Plötzlich fällt ein Schuss. Die Kugel drang dicht hinter dem linken Ohr in den Kopf. Der Schütze steckte die Waffe ein, war mit wenigen Schritten am nächstliegenden Fenster, schwang sich hinaus, sprang auf den Bürgersteig und verschwand.

auslaufen der Hörspielmusik.

Autorin: Ein Fall für Kommissar Martin Beck, mittlerweile auch durch eine Fernsehserie bekannt. Ein Typ, in den 1960er und 1970er Jahren ausgedacht und entwickelt nicht von einem Autor, sondern gleich von zweien: dem Ehepaar Sjöwall / Wahlöö. Gemeinsam haben die beiden Schweden zehn Krimis um diesen Kommissar geschrieben – und prägten mit ihrer scharfen Sozialkritik und ihren gesellschaftskritischen Plots entscheidend das Krimigenre. Nur, wie gingen sie vor? Wie sah ihr Schreiballtag aus?

Sprecherin: Wir haben unsere Kinder auf den Bauernhof geschickt und zwei Monate lang nur geschrieben.
Tippgeräusche einer Schreibmaschine, unterlegt, danach hochgezogen USB 000181001

Autorin: Praktisch sah das so aus: Beide saßen sich an einem Tisch gegenüber und notierten ihre kriminellen Ideen auf Papier, ihre Entwürfe für den Handlungsablauf, ihre Szenarien und Charaktere. Dabei redeten sie kaum miteinander. Am nächsten Tag dann tauschten sie ihre Manuskripte aus, tippten sie in die Schreibmaschine. Und zwar jeder das Skript des anderen.
Tippgeräusche der Schreibmaschine hochgezogen

Autorin: So machte man das Anfang der 1970er Jahre, wenn man gemeinsam einen Krimi schreiben wollte. Wichtig waren damals Bleistift, Papier und räumliche Nähe. Knapp 50 Jahre später tun sich immer noch Krimiautoren zusammen. Die Vorgehensweise hat sich offenbar bewährt. Nur: Wie schaffen sie es, Spannungsromane zu schreiben, die wie aus einem Guss erscheinen? Wo liegen die Probleme, wo die Krisen, wo beginnt die Harmonie in der Zusammenarbeit?
Ein Autorenpaar, dem dies bestens gelingt, sind der in Berlin lebende Christian Schünemann und Jelena Volic, eine Serbin, die in Belgrad wohnt. Doch im Zeitalter von Computer, Emails und WhatsApp ist die räumliche Distanz offenbar kein Problem mehr.
WhatsApp Eingangsgeräusch

O-Ton Schünemann 8:09 Im ersten Fall für Milena Lukin in „Kornblumenblau“ geht es um den Mord an zwei Gardisten, zwei junge Männer, die in der Kaserne ermordet aufgefunden werden. Im zweiten Fall, dem „Pfingstrosenrot“, geht es um ein altes serbisches Ehepaar, die im Kosovo gelebt haben, geflüchtet sind und jetzt in die alte Heimat im Kosovo zurückkehren und dort ermordet in ihrem Haus aufgefunden werden. Und in „Maiglöckenweiß“ geht es um den Mord an einem kleinen Romajungen. Zwei serbische Jugendliche haben den Romajungen ermordet.

Autorin: Der Beginn des eigentlichen Schreibprozesses ist oft mühsam. Christian Schünemann über die Geburtswehen ihrer Krimiserie und die räumliche Distanz zwischen ihm und Jelena Volic. Eine Schilderung, bei der überraschenderweise auch wieder ein Tisch eine Rolle spielt.

O-Ton: Schünemann 9:48 Wir müssen wirklich am Küchentisch zusammensitzen und überlegen, was könnte passiert sein. Und irgendwann sag ich zu Jelena, jetzt hau mal in die Tasten. Das macht sie dann, das nennt sie selber „Salat“. Und aus diesem „Salat“ bedien‘ ich mich. Wenn ich dann das Gefühl hab, die ersten hundert Seiten diesind gut, dann schick ich es Jelena. Und das ist für Jelena immer so‘n bisschen die Stunde der Wahrheit. Oder auch, wo sie vielleicht mal schlucken muss. Da bin ich aber nicht dabei. Das krieg ich so direkt nicht mit wo sie eigentlich sieht, was von ihrem „Salat“ übriggeblieben ist.

Musikeinspieler, nur ein paar Takte CD 5434740 – 19

O-Ton-Schünemann 4:50 Jelena ist die slawische, temperamentvolle, ausufernde, viel erzählende, ausschweifende – und ich bin wie Jelena immer sagt, evangelisch und norddeutsch. Und aus allem was sie macht, mach ich erstmal die Hälfte.

Autorin: Ihre Zusammenarbeit klappt trotz dieser Unterschiede. Ebenso wie bei den beiden Schweizer Autorinnen Mitra Devi und Petra Ivanov. Beide sind schon lange erfolgreich im Krimibusiness tätig. Mit „Schockfrost“ haben sie in dieser Saison ihren ersten gemeinsamen Krimi geschrieben.

O-Ton Devi 32:33 Im Thriller „Schockfrost“ geht es um die Psychiaterin Sarah Marten, deren Leben eigentlich ganz normal verläuft, bis sie die Treppe herunterfällt und plötzlich unter Gedächtnislücken und Sehstörungen leidet. Und da passieren immer mehr unheimliche und komische Dinge. Und ihr Sohn wird krank und es spitzt sich alles zu. Man weiß nicht: fängt sie an, den Verstand zu verlieren, oder will ihr jemand böse.

Autorin: Die Idee hierzu reifte lange, nahm ebenfalls an einem Tisch Gestalt an.

O-Ton Devi 3:28 In der Praxis ist es tatsächlich so, dass wir in einem Café sitzen und einen Tee trinken, ein paar Stichworte machen, manchmal auch uns gegenseitig besuchen. Zuhause. Und dann nimmt das so langsam Form an. Einerseits die Figuren, andererseits die Handlung der Geschichte.

O-Ton Ivanov 5:00 Was uns eindeutig trennt, ist unsere Vorgehensweise. Wir schreiben ganz anders. Wir packen Geschichten ganz anders an. Und das zeigt sich vor Allem beim planen. Ich bin eine absolute Nicht-Planerin. Ich lasse meine Figuren einfach auftreten, schaue, was sie machen, beobachte sie und lass mich überraschen. Und Mitra Devi ist da ganz anders.

Musik Elvis USB 181001

Autorin: Autorenduos wie die Geburtshelfer des gemütlichen Allgäuers Kommissars Kluftinger, Michael Kobr und Volker Klüpfel, kennen sich seit der Schulzeit. Vieles haben sie gemeinsam, so auch ihre Liebe zu dem Elvissong „I just can help believing“, den sie gerne auf ihren Lesereisen gemeinsam auf der Fahrt trällern
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Musik Elvis I just can help believing unterlegt und anschließend hochziehen

O-Ton Volker Klüpfel WDR Stick 3. WAV 6999923946: 1:54: Ich glaube, das funktioniert ziemlich genauso, wie es sich die Leute vorstellen. Dass einfach einer schreibt ein Kapitel, der andere das nächste. Also wir besprechen und plotten und entwickeln zusammen im Gespräch und dann schreibt jeder für sich. Dann tauschen wir die Texte aus, dann redigiert jeder den Text vom anderen. Das geht solange hin und her, bis einer aufgibt.

Elvis nochmal hochziehen

Autorin: Ab und zu, das versteht sich bei einer solchen Zusammenarbeit von selbst, kracht es. Bei den Bayern Kobr/Klüpfel, dem serbisch-deutschen Duo Schünemann/Volic ebenso wie bei den Schweizerinnen Devi/Ivanov.

O-Ton-Schünemann 12:46 Ja, aber auch da ist es oft nicht schlecht, dass wir räumlich getrennt sind, weil wir diese ersten Reaktionen nicht mitkriegen. Also wenn Jelena mir den Text zurückschickt, da denk ich da manchmal, also, was bildet sie sich ein, diesen Lieblingssatz von mir zu streichen. Und ehrlich gesagt, mit ein bisschen Abstand, staune ich dann, wie Jelena genau die richtigen Sätze gefunden hat, die tatsächlich überflüssig sind. Wo man am Anfang denkt, das ist das Tollste, braucht man am Ende oft gar nicht mehr.

Musikeinspieler

0-Ton Schünemann 5:16: Man kann nicht immer alles genau vorher absprechen. Dann bin ich beim Schreiben an einer bestimmten Stelle und merke, ich brauch ein Detail oder ne kleine Idee. Zum Beispiel in „Kornblumenblau“, im ersten Fall für Milena Lukin, war das so, dass ich sagte, Du, die Milena geht zu den hinterbliebenen Eltern der beiden toten Gardisten. Da kommt sie ja nicht mit leeren Händen. Was bringt sie denn da mit? Jelena erwisch ich dann immer irgendwann an der UNI in Belgrad telefonisch oder per SMS. 21:40 Jelena antwortet nur so ganz kurz: sie bringt zwei Pfunde Kaffee mit. Und dann sitz ich an meinem Kapitelanfang und denke, na ja, ok, dann knallt sie zwei Pfund Kaffee auf den Tisch, das ist ein bisschen blöd. Und ich schreib ne SMS zurück, vielleicht sonst noch was? Und Jelena sagt, na gut Bajadera-Nougat. Und ich sag, was ist, um Gottes willen, Bajadera-Nougat. Sagt sie: Ja das ist beste Schokolade der Firma Kras. Warte, ich schreib Dir Email. Und dann warte ich auf diese Email. Und da ist dann dieser Anhang, Und da ist ein riesiger Text. Und da steht eben alles über diese Schokolade der Firma Kras. Genannt nach Jossip Kras, dem Partisanenführer im 2. Weltkrieg. Ich erfahre alles über das Schokoladensortiment. So. Und ich hab‘ höchsten einen Absatz, um da ein bisschen drüber zu erzählen. Und das ist natürlich für Jelena dann manchmal ein bisschen bitter zu sehen, wie wenig von den Informationen dann im Text ist. Weil ich denn da den Daumen drauf hab.

Musik track 5 dead man walking oder 5463241 20

Autorin: Der Krimi ist ein Literaturgenre, das von ganz klaren Strukturen lebt. Macht das ein gemeinsames Schreiben einfacher?

O-Ton-Schünemann 13:50 Ich glaube ja, weil der Roman seinen eigenen Gesetzen gehorcht. Man hat am Anfang den Kriminalfall, den Mord. Und man hat am Ende die Aufklärung. Und der Weg dahin ist vorgezeichnet.

O-Ton Ivanov 19:15: Ein anderer Grund könnte sein, dass doch sehr viele Krimiautoren und Autorinnen planen. Ich nicht, aber ich weiß, dass sehr viele das tun. Und ich denke, wenn man plant, ist es einfacher zu zweit. Weil man sieht ja dann, was auf einen zukommt.

O-Ton Devi 16:40 Also für mich eignet sich ein Krimi gut, um zu zweit zu arbeiten. Weil gewisse Personen aufgeteilt werden in Gut und Böse. Und da gibt es die Möglichkeit, in unserem Falle, Petra Ivanov sich mit der guten Figur zusammentut und ich mich mit den anderen. Ich nehme eine andere Haltung ein. Und das ergänzt sich eigentlich gut.

Musik police 9 oder dead man walking 7

O-Ton Schünemann 19:55 Das Schreiben zu zweit hat schon ne große Qualität, weil sie ja in dem Sinne nie alleine sind. Es gibt zum Beispiel. die Situation, wo ich zum Teil. wirklich monatelang an den Seiten brüte. Und ich geb‘ sie nur dann aus der Hand, wenn ich selber auch wirklich davon überzeugt bin. Und Jelena in Belgrad denkt, was macht der Blödmann eigentlich, ich hör nix von dem. Und dann schreibt sie SMS oder ruft an. Und ich fall dann immer ein bisschen aus allen Wolken, weil Jelena für mich imaginär eigentlich immer mit am Schreibtisch sitzt. Ich bin eigentlich jeden Tag mit ihr zugange, weil ich immer denke, ob sie das nachvollziehbar findet? Ob das so stimmt?

Autorin: Doch es gibt eine Voraussetzung, ohne die es nicht ginge, da sind sich alle einig.

O-Ton Devi 33:35 Was sehr wichtig ist, dass so etwas funktioniert, ist eine große gegenseitige Wertschätzung. Für die unterschiedliche Art des Vorgehens und für den Menschen überhaupt. Ich könnte das nicht mit jemandem tun, der mir nicht sympathisch wäre.

Musik dead man 7
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