Totsaniert, Frankfurter Rundschau Panorama 1.6.2010

Totsaniert

Der Modeschöpfer Pierre Cardin hat das halbe Dorf Lacoste im französischen Luberon gekauft und aufwendig renoviert. Doch wohnen will dort niemand. Die angestammten Bürger sind empört.

 

Im Haus von Geneviève Recubert krachte es im Gebälk. Und das nicht zu knapp. Jahrelang wurden in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Hausfassaden neu verputzt, Wände rausgerissen, Dächer abgedeckt und Anwohner genervt. Die sich verwinkelt durch den Ort schlängelnde Rue Basse mit ihrem grob-mittelalterlichen Straßenpflaster, mit blühendem Oleander vor schamhaft in putzige Ecken geschmiegte Haustüren ist längst nicht mehr die Idylle, deretwegen sich die Lehrerin vor 40 Jahren in dieses  provenzalische Dorf verliebte. Statt des mittäglichen Balzgesangs der Zikaden begleitete Baulärm die herumschlendernden Touristen. wohl. „In den vergangenen zwei Sommern konnte ich nachmittags keine Siesta mehr halten. Und eines Tages waren die vier Etagen meines Hauses vier Zentimeter dick mit weißem Staub bedeckt.“ Der Dreck war so dominierend, dass sie für einige Tage in ein Hotel flüchtete.

 

Nun ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Handwerker sind abgezogen. Doch die seit kurzem eingetretene Stille lastet schwer auf Geneviève Recubert. Sie verheißt nichts gutes, weiß die Lehrerin inzwischen aus Erfahrung.  Seitdem  der französische Modeschöpfer Pierre Cardin vor etwa acht Jahren Lacoste zum Alterssitz für sich und seine ehrgeizigen Pläne erkor, das oberhalb des Ortes liegende ehemalige Schloss des Marquis de Sade und immer mehr Häuser im Dorfzentrum erwarb, hat sich hier einiges verändert.  Cardin habe – so erzählen es Dorfbewohner – nur so mit den Geldscheinen gewedelt. Manch einem Hausbesitzer habe er dreifach mehr als den üblichen Marktpreis gezahlt. Da konnte kaum einer wiederstehen. Nur wenige zeigten sich so stur wie die Eigentümerinnen  des Café de France, die sich strikt weigerten, ihr gutgehendes Restaurant  an Cardin zu verkaufen.

 

Hier sitzt Bruno Pierret bei einem café noir.  Er ist Rentner, war einst Jurist bei der Banque de France, ein Mann, der sich zu wehren weiß. Außerdem ist er ein entschiedener Gegner Cardins.  Über die Dorfhauptgasse, die Rue Basse, sagt er, „sie wurde von einigen Immobilienhändlern als Champs Elysées von Lacoste bezeichnet, gehört inzwischen fast komplett Monsieur Cardin, wirkt ausgestorben und hässlich.“  Die inzwischen aufs edelste renovierten Häuser in dem gerade mal 480 Einwohner zählenden Dorf „die sind Cardins Werk. Cardin soll an die 42 Gebäude in der unmittelbaren Umgebung gekauft haben. In Lacoste sind es sicher um die 20.“

 

Auch die in Lacoste seit 25 Jahren lebende Schriftstellerin Anne Denois trifft man häufig im Café de France an. Sie hat mitbekommen, „wie sich das alles hier durch Pierre Cardin  verändert hat.“ Eines Tages ist er ihr auf der Straße begegnet. Da hat sie ihn gefragt, „Monsieur Cardin, warum kaufen sie eigentlich all diese Häuser? Pour mon plaisir“,  antwortete er ihr.  „Das heißt, er kauft wie beim Monopoly-Spiel Straßen, Häuser, Hotels.“

 

Lacoste ist eines der schönsten „villages perchés“ des Luberon. So heißen die Dörfer, die wie angeklammert am Nordhang dieses Bergzuges liegen. Dem inzwischen 87jährigen Pariser Modeschöpfer hatte es vor allem der  Panoramablick  vom Schloss aus angetan: über das Tal des Calavon mit Weinfeldern und Kirschbaumplantagen, linker Hand  der Bergzug der Alpilles, schräg dahinter die Silhouette des Mont Ventoux, rechts die Konturen von Bonnieux.  In früheren Gesprächen mit Journalisten erklärte Cardin gerne, er habe vor, aus Lacoste ein Saint-Tropez der Kultur zu machen. Ich habe hier mehr als 22 Millionen Euro investiert, ein halbes Dutzend Firmen eingespannt, Arbeitsplätze geschaffen.“

Mehr will er derzeit zu dem Thema nicht sagen.

 

Gabriel Sobin’s Eltern gehörten zu jenen Künstlern, die in den 60er Jahren nach Lacoste kamen, weil man hier billig wohnen kann, weil hier die Sonne scheint, das Licht an Cézanne und Van Gogh erinnert. Sobin  ist Bildhauer und hat sich in einem verschwiegenen Eckchen von Lacoste, mit Blick auf den Mont Ventoux, eine japanisch angehauchte Gartenenklave angelegt, eine Idylle, wie geschaffen für  seine Skulpturen und Objekte.  Der Künstler ist heilfroh, etwas außerhalb des Dorfes zu wohnen. „Daher musste ich nicht den Lärm der Umbauarbeiten ertragen. Aber auch die schrecklichen und schwierigen Konflikte bekomme ich nicht hautnah mit.“

 

 

Inge Boesken-Kanold, eine Künstlerin, die mit aus Schnecken gewonnenem Purpur arbeitet, lebt seit fast 30 Jahren in Lacoste. Ein Teil ihres Gartens gehört zu den Steinbrüchen, in denen der Modeschöpfer seit einigen Jahren im Sommer vier Wochen lang sein Festival abhält, über das er im französischen Fernsehen schwärmte: „Wir haben dieses Festival vor acht Jahren ins Leben gerufen. Haben große Opernaufführungen gehabt, große Stars hierhingeholt. In dieser Richtung wollen wir weiter machen, auch mit anderen Musikarten, mit Theater und Tanz.“

 

Im Juli, während des Festivals,  boomt es in Lacoste, findet man keinen Parkplatz, nirgendwo, kommen Gäste aus aller Welt. Einige von ihnen werden von Cardin in den aufgekauften Dorfhäusern untergebracht. Für kurze Zeit. Danach, ab Anfang August kehrt wieder Ruhe ein. In diesem Winter war  Lacoste gespenstig leer, denn die vielen Cardin-Häuser blieben unbewohnt.  Seit Herbst ist das von ihm betriebene Café geschlossen.

 

Cardins Galerien motzen die Rue Basse zwar auf, wirken aber  dennoch wie Fremdkörper, stellten bislang kein einziges Werk der hier so zahlreich lebenden Künstler aus.  Dabei gibt es seit 30 Jahren in dem Ort eine amerikanische Kunstschule. Der gehört zwar auch ein großer Teil der Häuser, doch mit den Studenten kommen die Dorfbewohner gut aus. Sie haben sich in das Dorfleben integriert, es gibt einen regen Austausch, man feiert zusammen. Mit Pierre Cardin ist das anders.  Offenbar hat er bislang kaum Kontakt mit den Dorfbewohnern gesucht. Und was die meisten wirklich ärgert ist, dass er in einem Interview die Lacoster als „petits gens“ bezeichnete, als Kleingeister, die sein Kunstverständnis wegen ihres begrenzten Hintergrundes einfach nicht teilen.

 

 

Als Reaktion auf Cardins Verhalten, das viele Lacoster als eine regelrechte Kulturinvasion empfinden, haben die ortsansässigen Künstler nun schon mehrfach Ausstellungen mit eigenen Werken organisiert. Erst auf ihr Drängen ließ sich Pierre Cardin einmal blicken und zeigte sich verwundert. „Ich hab ja gar nicht gewusst, dass hier soviel Künstler leben“, sagte er zu Inge Boesken-Kanold. Das kränkt, das verletzt.

 

Olivier Mazel, Hotelier und Abgeordneter im hiesigen Gemeinderat, erinnert sich noch genau, wie Pierre Cardin nach  Lacoste kam.  „Es hieß nur immer, dieser Herr kauft das Schloss und wird tolle Konzerte organisieren.“ Mazels Cousin André Brouer, der ehemalige Schlossbesitzer, war Englischlehrer in Apt und hatte vergeblich versucht , mit seiner Hände Arbeit das Bauwerk vor dem Verfall zu retten. Seine Schüler lernten auf englisch vor allem so Begriffe wie Schlosszinnen, Turmfenster oder Ritterrüstungen. Und wer sich daneben benahm, musste Brouer zur Strafe  nachmittags auf der Baustelle helfen. Genevieve Recubert  half damals in den Schulferien mit. „Morgens haben wir mit Schaufel und Schubkarren den Schutt abgetragen. Abends wurde häufig gefeiert, bis spät in die Nacht hinein.“

 

Als André Brouer 1994 starb, bot seine Witwe das Schloss regionalen Verbänden zum Kauf an. Doch die wollten oder konnten den gewünschten Preis nicht zahlen. Da sie um das kulturelle Engagement Pierre Cardins als Mäzen wusste, fragte sie in einem Brief an,  ob er nicht Lust habe, das Schloss zu erwerben. „Ich wollte nicht, dass die Arbeit meines Mannes einfach verkommt“, begründete sie dies kurz vor ihrem Tod. Pierre Cardin kam damals tatsächlich  angereist. In Begleitung der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau wurden die Vertragsverhandlungen auf der Terrasse der Witwe Brouer geführt. In dem Haus unten im Tal, das Pierre Cardin inzwischen bewohnt und in dessen Garten er einen Skulpturpark errichtet hat. Gerne erinnerte sich die alte Dame später an die  locker leichte Atmosphäre. Doch von Leichtigkeit ist in Lacoste seitdem nichts mehr zu spüren, nur von Wut, von Zwist und gegenseitigen Vorwürfen.

 

 

„Cardin ist übers Dorf hergefallen. Zunächst einmal hier oben mit dem Bau ohne Erlaubnis. Er wollte einen Parkplatz vor dem Schloss für 515 Autos errichten,“ schimpft Inge Boesken-Kanold. Sie und weitere Anwohner des Chemin du Chateau  gründeten den „Verein für eine harmonische Entwicklung von Lacoste“, verhinderten den Mammutparkplatz und ein Riesenopenairtheater. Bruno Pierret, einer der Initiatoren dieses Vereins, ärgert sich, mit welcher Selbstverständlichkeit Pierre Cardin Bauarbeiten begann, für die er erst nachträglich die Genehmigung bekam „Damit dies aufhört, haben wir uns zusammengetan“, erläutert Pierret.

 

Einer derjenigen, die den ganzen Ärger um Cardins überbordendes Engagement in Lacoste überhaupt nicht verstehen, ist Hotelier und Gemeinderat Olivier Mazel.  Seit  Cardins Einstieg in Lacoste gehen die Geschäfte für ihn gut. „Ich bin nun schon seit 25 Jahren Hotelier. Bis vor kurzem wussten die Leute nicht, wo Lacoste eigentlich liegt. Inzwischen rufen Gäste hier an und sagen, das ist doch das Lacoste, in dem Monsieur Cardin das Schloss gekauft hat.“

 

Mazel ärgert sich am meisten über das schlechte Benehmen seiner Nachbarn dem neuen Schlossherrn gegenüber. Wie anläßlich eines von der Gemeindeverwaltung ausgerichteten Aperitifs. Da stand das Dorf beisammen, plauderte und lachte, und außen vor ging der alte einsame Mäzen an seinem Stock. „Ganz alleine. Und niemand hat ihn gebeten, mit anzustoßen.“

 

Wer wissen will, was Cardin nach Lacoste geführt hat, braucht derzeit  nur das Hochglanzmagazin eines großen Immobilienunternehmens aufzuschlagen. Dort wirbt Cardin für den Kauf von Häusern in der Provence und spricht von der Magie, die diese Gegend auf ihn ausgeübt habe. Eine Magie die, so sagen seine Gegner, dazu führt, dass Vermögende wie er sich die schönsten Stücke aus dem Kuchen des Luberon herausschneiden. Für die Ortsansässigen bleibe dann nichts mehr übrig, junge Leute könnten sich zum Beispiel in Lacoste keinen Wohnraum mehr leisten.  Doch, so meint Hotelier Mazel, „wenn Cardin diese Häuser nicht aufgekauft hätte, dann hätten es andere getan. Monsieur Schweiz, Monsieur Deutschland, Monsieur England.  So ist das nunmal hier in der Gegend.“

Der Ausverkauf des Luberon findet schon seit geraumer Zeit statt. Wie es hierzu kommen konnte, und was letztlich dann aus den verkauften Gehöften oder Häusern wird, weiß Oliven- und Weinbauer Dédé Devaux unten aus dem Tal zwischen Lacoste und Bonnieux aus eigener Erfahrung ganz genau. Er hat, um nach dem Tod der Eltern seine Schwester ausbezahlen zu können, seinen Hof an reiche Amerikaner verkauft. Als erstes haben damals die neuen Besitzer alle Oberleitungen, die ihnen den Blick auf das Marquis de Sade Schloss von Lacoste versperrten, unterirdisch verlegen lassen. Sie ließen das Haus aufwendig renovieren, jedes Zimmer mit antiken Kaminen ausstatten, einen Zypressenhain  anpflanzen. Elf Monate im Jahr steht das Haus nun leer.  „Hin und wieder kommen zwei Angestellte der neuen Eigentümer. Damit alles parat ist, wenn  die Herrschaften selbst  anreisen.“ Überall in Dédés Umgebung  gibt es inzwischen solche Zweit-, Dritt- oder Viertwohnsitze der Hautevolée aus aller Herren Länder.

 

Doch trotzalledem: Dass ein Großteil eines ganzen Dorfes von nur einer Person aufgekauft wird, ist auch im Luberon etwas Besonderes.  Dass sich die Bewohner ängstigen, dass sie sich fragen, was wird aus all dem nach dem Tod ihres inzwischen 87jährigen Mäzen, ist nur allzu verständlich.  Werden die vielen Cardin-Häuser dann in den Besitz ausschließlich an Rendite orientierter Investoren übergehen? Gerüchte darüber, die Witwe Brouer habe seinerzeit im Kaufvertrag festlegen lassen, dass nach Cardins Tod zumindest das Schloss einer Kulturstiftung  übertragen werden soll, halten sich zwar. Doch Genevieve Recubert, die diesen Vertrag eingesehen hat, sagt klar und deutlich: „Davon steht da nichts drin.“

 

 

Inzwischen weitet sich die Bürgerfront gegen den Investor aus der Modebranche aus. Vor kurzem erst demonstrierten Bewohner aus Lacoste in trauter Harmonie mit ihren Nachbarn aus Bonnieux vor Pierre Cardins provenzalischem Wohnsitz. Aus gutem Grund, denn  dessen Expansionsdrang scheint offenbar noch immer nicht gestillt zu sein. Der Pariser Mäzen will nun –  und das bringt vor allem die Bauern gegen ihn auf – in der Gemeinde Bonnieux genau dort einen Golfplatz anlegen lassen, wo sonst  Wein angebaut wird und Olivenhaine stehen. „Das würde die Gegend endgültig komplett verändern“, wettern die Bürger aus Bonnieux. Während die Lacoster sich freuen, mit ihrem Protest nicht mehr alleine da zu stehen.