WDR5 – Politikum 8-12-2012, Heimerziehung

Redakteur:  Björn Blaschke /Kommentar Politikum zu Runder Tisch Heimerziehung/ Viel Lärm um Nichts

 

Für Paul Brune war der Januar 2003 ein ganz besonderer Monat. Nach jahrzehntelangem Kampf hatte er etwas erreicht, um das am Runden Tisch zur Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren seit zwei Jahren vergeblich gerungen wird: Bei ihm, dem als Kind  misshandelten und gedemütigten Heimzögling, entschuldigte sich der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe hochoffiziell. Und zwar für das dem sehr geehrten Herrn Brune  widerfahrene schlimme Unrecht. Außerdem wurde Brune eine monatliche Zusatzrente von 260 Euro für sein in bundesrepublikanischen Heimen zerstörtes Leben zugebilligt.

Das, was Paul Brune vor sieben Jahren widerfuhr, wäre heute kaum vorstellbar. Mittlerweile würde sich jede Landesregierung mit Entschuldigung und Entschädigung zurückhalten. Aus Angst davor, einen Präzedenzfall zu schaffen. Damals, im Jahr 2003, konnte man Brune noch gut und gerne für einen Einzelfall halten. Seitdem ist das nicht mehr möglich. Denn seitdem haben sich Tausende ehemaliger Heimkinder zu Wort gemeldet und dafür gesorgt, dass vor zwei Jahren ein Runder Tisch in Berlin einberufen wurde, der morgen und übermorgen zum letzten Mal tagen soll und sich mit der sogenannten Wiedergutmachung für Heimkinder befasst. 800.000 inzwischen größtenteils verstorbene Menschen wurden zwischen 1949 und 1975 in ehemaligen Heimen der Bundesrepublik, unter kirchlicher, kommunaler oder privater Trägerschaft misshandelt, gedemütigt und ausgebeutet. 30.000 von ihnen leben noch – und um sie geht es an dem Runden Tisch in Berlin. Denn viele von ihnen wurden durch die Misshandlungen in den Heimen schwer geschädigt und größtenteils um ihre Ausbildung gebracht. Ihre am Runden Tisch versammelten Sprecher fordern deshalb eine Zusatzrente. Ein Betrag, für den die ehemaligen Träger dieser Heime,  Kirchen,  Landesregierungen und Kommunen, aber auch Privatunternehmen, die von der Arbeitskraft der Kinder profitierten, etwa 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro aufbringen müssten.

Dazu ist man nicht bereit. Das steht fest. Vor allem unionsregierte Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg lehnen dies entschieden ab.  Erste Insiderblicke in die Rohfassung des Ergebnisberichtes, den die Moderatorin des Runden Tisches, die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, am kommenden Montag vorlegen will, zeigen: Den Opfern einer grausamen Heimerziehung wird zwar attestiert, dass ihnen damals Unrecht getan wurde. Dazu ist man vollmundig bereit, kann auch nicht anders, angesichts der zahlreichen Erlebnisberichte Betroffener. Aber ins Portemonnaie lässt man sich deshalb aus lauter schlechtem Gewissen noch lange nicht greifen.  

 Alles deutet daraufhin, dass dieser Runde Tisch kreiste und bürokratischen Unfug gebären wird. Mehr nicht. So sollen Gelder in eine kompliziert arbeitende Stiftung einfließen. Entschädigungen nur dann ausbezahlt werden, nachdem  die Opfer umständliche, zeitraubende und zermürbende Wege einschlugen. Den Beweis antraten, dass ihnen Unrecht geschah. Die hieraus resultierenden Prüfverfahren werden die Betroffenen kränken,  sie werden sie nur schwerlich  verkraften, sie als  weiteres Unrecht empfinden, befürchtete kürzlich schon Antje Vollmer.

 Die Heimkinder selbst, in diverse Interessengruppen gespalten, sind sich darin einig,  dass die öffentliche Anerkennung ihrer leidvollen Kindheit zwar wichtig ist. Dass dies alleine jedoch nicht ausreicht.  Dieses eine Mal wollen sie nicht billig abgespeist werden – wie schon ihr Leben lang. Wenn es – wie abzusehen ist – zu keiner unbürokratischen Entschädigungsregelung  kommen wird, dann werden sie sich über den Tisch gezogen fühlen. Auf Gesten, die nichts weiter sind als ein warmer Händedruck, können sie verzichten.  Am Montag müsste der Runde Tisch deshalb in seinem Abschlussbericht sein Scheitern eingestehen – wenn nicht noch ein Wunder geschieht.