WDR5, Scala, Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte, 28.3.2011

Redaktion: Nora Schattauer /Vorstellung des Buches

Leonardo Padura: „Der Mann, der Hunde liebte“. Unionsverlag. Erstverkaufstag laut Verlagsangabe 7.3.2011. ISBN 978-3-293-00425-2, Ü. aus kubanischem Spanisch Hans-Joachim Hartstein, 28,90 Euro

Autorin: An einem Frühlingsnachmittag des Jahres 1977 sitzt der erfolglose  kubanische Schriftsteller Ivàn in Santa Maria del Mar am Strand und will nichts weiter, als die heraufziehende Abenddämmerung genießen. In der Hand hält er einen Erzählband seines Lieblingsschriftstellers Raymond Chandler mit dem Titel „Der Mann, der Hunde liebte“. Dies alles wird sein Leben verändern, was Ivàn allerdings noch nicht ahnt.

Sprecher: Hätte auch nur einer dieser Umstände gefehlt, wäre wahrscheinlich das Treffen mit dem Mann niemals zustande gekommen, der etwa zwanzig Meter von mir entfernt stehen geblieben war und nach seinen Hunden rief, von denen ich sofort fasziniert war.

Autorin: Ivàn schlägt seinen Chandler zu und bewundert die außergewöhnlichen Tiere. Wobei er sich fragt,

Sprecher: wer wohl dieser Typ sein könne, der im Kuba der 70er Jahre zwei reinrassige russische Windhunde besaß.

Autorin: Schon bald wird er erfahren, dass dieser Fremde durch einen hinterhältigen Mord im Jahr 1940 Weltgeschichte schrieb. Denn bei dem beleibten, fast schon plump wirkenden alten Mann, der in der Hand zwei lederne Hundeleinen hält, handelt es sich um Roman Mercader, den Mörder von Leo Trotzki. Und  Ivàn, der zunächst nur von den Hunden faszinierte Strandbesucher, ist die Schlüsselfigur in dem soeben auf Deutsch erschienen Roman „Der Mann, der Hunde liebte“ des derzeit international bekanntesten kubanischen Autors.

O-Ton Padura: (Sprecher Thomas Hauschild) Mein Name ist Leonardo Padura Fuentes. Ich bin Schriftsteller und lebe in Mantilla, einem Vorort von Havanna.

Autorin: Leonardo Padura lebt in Mantilla, einem Vorort von Havanna. Deutschen Lesern ist er längst ein Begriff. Zuletzt durch seinen Krimi „Der Nebel von gestern“, einer schonungslosen Geschichte über die in Kuba zerplatzten Träume von einem funktionierenden Sozialismus. Diesmal hat Padura sich wieder weit vor gewagt, hat ein Tabu zum Mittelpunkt seines neuen Romans gemacht, das er bis vor kurzem sicherlich nicht schadlos hätte angreifen dürfen: „Der Mann, der Hunde liebte“ ist eine kritisch, wenn auch literarisch ausgeschmückte Auseinandersetzung mit der Geschichte des Stalinismus im vergangenen Jahrhundert. Es spielt zu einer Zeit, als allein die Erwähnung des Namens Trotzki in dem auf strammem Sowjetkurs getrimmten Kuba Panik ausgelöst hätte. Trotzki, Stalins Widersacher, der Sowjetdissident! Doch Padura ist es gewohnt, sein Land kritisch anzugehen – und dennoch dort weiter zu leben. Wohlwissend, dass in Kuba Regimekritiker schon für weniger deutliche Worte ins Gefängnis kamen.

O-Ton-Padura: ( O-Ton und Overvoice liegt vor, von Thomas Hauschild gesprochen) Das hat überhaupt nichts mit Mut zu tun. Wenn ich ein Buch fertig habe, dann bin ich immer sehr ängstlich, denn man weiß ja nie, welche Reaktionen es hervorruft. Aber als Schriftsteller, Intellektueller, Bürger, der all diese Jahre hindurch in Kuba gelebt hat, habe ich die Verantwortung, so zu schreiben. Außerdem habe ich das Recht dazu. Ich habe alle Entbehrungen und Beschränkungen in Kuba erlebt. Und das gibt mir irgendwie das Recht dazu, eine kritische Version von meinen Lebensbedingungen zu verbreiten. Denn nur wenn wir uns dieser Probleme bewusst sind, sind wir auch in der Lage, sie zu lösen.

Autorin: „Der Mann, der Hunde liebte“ ist eigentlich eine konsequente Fortsetzung seiner vorherigen, als Krimi angelegten Geschichten. Nur diesmal geht es nicht um das Scheitern sozialistischer Ideen auf Kuba. Diesmal geht es um das Europa des 20. Jahrhunderts, um die von Moskau ausgehenden revolutionären Ideen eines Lenin, Stalin oder Trotzkis. Und darüber, wie sie im Sande verliefen. Dabei baut Padura eine einem Krimi entsprechende Spannung auf, nimmt den Leser mit ins Spanien des Bürgerkrieges, nach Moskau unter Stalins Knute mitsamt der von ihm betriebenen Schauprozesse gegen frühere Kampfgefährten, aber auch mit ins Mexiko von Frida Kahlo, der Malerin und Diego Rivera, ihrem Lebensgefährten,  später dann zum Prager Frühling und ins heutige Kuba. Zentraler Punkt, auf den sämtliche Handlungsstränge seines Romans hinsteuern, ist der 20. August 1940, der Tag, an dem Ramon Mercader Leo Davidowitsch Trotzki in seinem mexikanischen Exil tötete:

Sprecher: Er hob den rechten Arm hoch über seinen Kopf, umklammerte den abgesägten Stiel des Eispickels und schloss die Augen. Er konnte nicht sehen, dass der Verurteilte genau in diesem Moment den Kopf wandte und Ramòn Mercader vor sich sah, der mit aller Kraft einen Eispickel auf seinen Schädel niedersausen ließ. Der Schrei des Entsetzens und des Schmerzes erschütterte die Fundamente der nutzlosen Festung der Calle Viena.

Autorin: Ramon Mercader war von Stalins Mordgehilfen auf dieses Attentat minutiös vorbereitet worden. Mit einer neuen Identität hatte er sich Trotzki genähert, sich in die festungsartige Hausanlage des seit Jahren schon von Exil zu Exil flüchtenden Revolutionärs unter falscher Identität eingeschlichen. Dort rammte er Stalins Kontrahenten einen Eispickel in den Kopf, an dem Trotzki einen Tag später verstarb. Um das Leben seines Mörders ranken sich seitdem unzählige Legenden. Paduras Roman hat dies aufgegriffen, die blanken Stellen im Leben von Ramon Mercader mit schriftstellerischer Fantasie ausgefüllt. Ihn Sätze sagen lassen wie den:

Sprecher: „Ihr könnt euch auf mich verlassen. Ich bin Kommunist und Revolutionär, und ich bin bereit, jedes Opfer für die Sache zu bringen“.

Autorin: Doch Padura ist viel zu feinsinnig, um nicht vor allem die Brüche dieser einmal getroffenen Entscheidung darzustellen. Den langen Weg, von einem feurigen Kämpfer für die Revolution zu einem eiskalten Mörder bis hin zu dem enttäuschten Strandspaziergänger, der Ivàn sein Leben erzählt.  Am Ende geht es dem Leser so wie Ivàn, der für dem einsamen kranken Mörder Trotzkis, der am kubanischen Strand mit seinen beiden russischen Windhunden spazieren geht, tatsächlich so etwas wie Mitgefühl, ja sogar ein wenig Sympathie empfindet.

E N D E