Am 11.2.2014 wurde auf WDR5, Neugier genügt, mein Feature über die Bestrebungen des Anwaltvereins ausgestrahlt, der den § 211, Mord, aus dem Strafgesetzbuch streichen will. Unterstützt wird ein Entwurf der Strafverteidiger vom Bundesjustizminister, der ebenfalls eine Neuregelung des Mordparagraphen anstrebt.

Wann ist ein Mord ein Mord?

Anwälte wollen den Mordparagraphen aus dem Strafgesetzbuch streichen – aus gutem Grund

 

O-Ton Bachmeier 51306591-11:46 Ich kann mir vorstellen, dass ich nicht hätte schießen können, wenn dieser Mensch sich umgedreht hätte und gesagt hätte, ich bitte sie um Entschuldigung.

Autorin: 6. März 1981. Dritter Verhandlungstag im Prozess gegen Klaus Grabowski. Der 35-jährige Fleischer, ein bereits vorbestrafter Sexualstraftäter, ist angeklagt, die siebenjährige Anne erwürgt zu haben. Doch bevor weiter über ihn geurteilt werden kann, ertönen acht Schüsse. Annas Mutter, Marianne Bachmeier, näherte sich beim Betreten des Gerichtssaales dem Angeklagten, zog eine Beretta, Kaliber 22, aus ihrer Manteltasche und zielte damit auf Grabowskis Rücken. Sechs Schüsse treffen ihn. Von hinten. Er ist sofort tot.

Sprecherin: Ich wollte ihm ins Gesicht schießen. Leider habe ich ihn in den Rücken getroffen. Hoffentlich ist er tot.

Autorin: Dies soll Marianne Bachmeier Umstehenden gesagt haben, bevor sie sich widerstandslos festnehmen ließ. Ein klarer Mord, der mindestens eines der für einen Mord erforderlichen Kriterien erfüllt: Das der Heimtücke. Laut  § 211 des Strafgesetzbuches gibt es hier  keinerlei Spielraum. Wenn Folgendes hinreichend bewiesen wurde, wird als Mörder zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt,

Sprecher: wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

O-Ton-Rüdiger Deckers  1/10:43  Man kann erstmal sagen: die Tat ist heimlich und tückisch. Die Juristen haben dazu Definitionen gefunden. Das Opfer muss arglos sein, d.h. es vermutet keinen Angriff, wehrlos ist es auch, weil es in der Situation nicht mehr in der Lage ist, eine Gegenwehr zu ergreifen. Und der Täter muss, im Bewusstsein, dass das so ist, handeln. Er muss das ausnutzen.

Autorin: erklärt der Düsseldorfer Strafverteidiger Rüdiger Deckers. Marianne Bachmeier war daher nach der Definition des § 211 Strafgesetzbuch eine Bilderbuchmörderin, hatte die Wehr- und Arglosigkeit ihres Opfers heimtückisch ausgenutzt. Die Staatsanwaltschaft sah dies genauso und klagte sie wegen Mordes an. Verurteilt wurde sie allerdings lediglich wegen unerlaubten Waffenbesitzes und Totschlags zu sechs Jahren Haft. Denn im Verlauf des Prozesses stellte sich heraus, dass die Justizbehörden eine Mitverantwortung für den Tod der kleinen Anna trugen. Sie hatten den wegen Pädophilie vorbestraften Grabowski eine Hormonbehandlung zur Wiedererlangung seines Sexualtriebes genehmigt. Der Vorsitzende Richter, der über Marianne Bachmeiers Selbstjustiz zu urteilen hatte, erklärte den Gesinnungswandel vom angeklagten Mord zum späteren Totschlags-Urteil folgendermaßen:

O-Ton-Vorsitzender Richter51306591-12:12  Wenn ich mich zurückerinnere, haben wir sehr wohl bei der Frage, ob Mord oder Totschlag, ob minder schwerer Fall oder nicht, immer wieder gesagt, dass hier Versäumnisse im Bereich der Justiz vorgekommen sind, die wir einfach als Teil ihrer Tat gewertet haben. Und zwar zugunsten von Frau Bachmeier.

Autorin: Marianne Bachmeier hat Glück gehabt. Die Sympathie und das Verständnis von Öffentlichkeit und offenbar auch vonseiten des Gerichts waren auf ihrer Seite. Denn eigentlich, so denkt der Laie, ist Mord Mord. Da gibt es kein verhandeln. Und wer Mörder ist bekommt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Punktum. Doch so einfach ist das nicht. Hier herrschen Unklarheit und ungenaue Vorgaben. Genau deshalb kündigte jetzt BundesUnd a) deshalb hat der Deutsche Anwaltvereins a) („Anwaltsverein – Tippfehler – oder?)  nun gefordert, den § 211 gänzlich zu streichen. A) (aber doch auch zu erneuern –oder? Später erklärst du das ja.) Warum, das erläutert Strafverteidiger Deckers, stellvertretender Vorsitzender des dortigen Strafrechtsausschusses: 

O-Ton-Rüdiger Deckers: 1/5:07 Was uns stört ist, dass im Vordergrund des Schwurgerichtsverfahrens, wenn wir es mit einer lebensvernichtenden Tat zu tun haben, mit Begriffen zu tun haben, die aus einer Zeit stammen, 1941, die natürlich für sich schon Bedenken auslöst. Aber diese Begriffe, wie beispielsweise Habgier, Heimtücke, niedrige Beweggründe sind Merkmale, die wir als Gesinnungsmerkmale empfinden und die in der Rechtssprechung große Schwierigkeiten bereiten, weil sie eigentlich keine rationalen Kriterien abliefern.

Autorin: Der wichtigste und mit den höchsten Sanktionen drohende Paragraph des Strafgesetzbuches ohne rationale Kriterien, an denen sich Gerichte orientieren können? Ein Mordparagraph, der in seiner jetzigen Form nach Nazis und Gesinnungsjustiz riecht? Wie ist es dazu gekommen?

O-Ton Deckers: 1/19:08 1941 ist der Endpunkt einer Reformdebatte, die in den 33er Jahren begonnen hat. Vorher war das Gesetz so, dass als höchststrafwürdig eine Tötung dann angesehen wurde, wenn sie aus Überlegung geschah. Das hört sich ja so an, dass man das rational gut nachvollziehen kann. Das war den Nazis ein intellektuelles Merkmal, das sie verabscheut haben. Sie sind also hergegangen und sagten, wir brauchen den Tätertypen, wir müssen dem Richter sozusagen die Person  präsentieren, die nicht Mörder wird, sondern als Mörder geboren ist. Ein Mensch, der sozusagen zum Mord neigt. Der der Typ dafür ist, eine Tat auf niedrigster Stufe zu begehen. Und dabei haben sie vor allen Dingen die niedrigen Beweggründe kreiert. .

Autorin: Gerade das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Die Nazis, die es einführten, charakterisierten hiermit den Untermenschen, den geborenen Mördertypen, heimtückisch und hinterhältig. Was Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, kürzlich in der Wochenzeitung „Die Zeit“ heftig kritisierte. Er brandmarkte den § 211 als 

Sprecher:  völkisches Recht, vorgeblich aus der Tiefe einer germanischen Identität, aus dem Blut einer zusammenfantasierten Rasse, aus Volksrechten des Mittelalters, aus einem Brei von Ressentiment, Gewalt und Schmierentheater, unbefleckt von der Seuche der Aufklärung.

Autorin: Seinen Ausführungen nach kam dieser Paragraph auf einer braunen Schleimspur regelrecht über uns, kreierte den Mörder, den Plünderer, den Vergewaltiger, den Kinderschänder. Allesamt Typenbezeichnung die unterstellen, dass der Täter sozusagen von Geburt an zum Abschaum gehörte, einer Gesinnung angehörte, die ihn unweigerlich zum Mörder werden ließ. 

O-Ton Frau:CD- 5101420001 v. 13.5.94: 2:58 Er hat mich in der Wohnung eingesperrt, ich kam nicht mehr raus. Der hat mich am Stuhl festgebunden. Er hat mir ins Gesicht gespuckt. Auf die Füße getreten. Er hat alles versucht, um mich an sich zu ketten. Ich hab nur den Fehler gemacht, allein mit ihm mitzugehen.

O-Ton Deckers: 2/2:02 Da ist eine Ehefrau mit Kindern, die haben im Haus den Tyrannen, und der tracktiert sie mit Schlägen, mit Worten, mit Demütigungen usw. Und irgendwann tun die sich zusammen. Und sagen, es gibt für uns keinen anderen Ausweg, der muss weg. Sie sind die Schwächeren. Also werden sie die offene Konfrontation vermeiden. Es gibt die Fälle, in denen dann der Vater im Schlaf getötet  worden ist. Ist das Heimtücke, ja oder nein. Also war der arglos, war der wehrlos? Da gibt es jetzt ganz unterschiedliche Interpretationen. Also zum Beispiel hat derselbe Senat, der gesagt hat, das ist auf jeden Fall Heimtücke, in einer anderen Entscheidung, als der Erpresser in die Wohnung kommt und seine Forderungen stellt, und dann von hinten umgebracht wird mit einem Messerschnitt durch den Hals, ne, das ist keine Heimtücke, weil der Erpresser weiß ja, dass er dem anderen mit seiner Erpressung ständig auf der Pelle hängt mit seinen Forderungen. Der kann ja nicht arglos sein. Der kann im Prinzip auch nicht wehrlos sein. An diesen beiden Fällen kann man schon sehen, wie es von Zufällen abhängt, ob man nun Heimtücke annimmt, ja oder nein. 

O-Ton Frau:  CD- 5101420001 2:58 Wo ich zur Tür bin, wo willst Du denn hin? Hab ich dir erlaubt zu gehen? Und dann fing der ganze Scheiß an. Dann bin ich vertrimmt worden nach Strich und Faden. … 

O-Ton Deckers: Warum hat eigentlich die Ehefrau mit ihren Kindern nicht auch das Recht zu argumentieren, wenn mich einer ständig schlägt und wenn mich einer ständig traktiert, dann muss er eigentlich auch wissen, dass er irgendwann einmal Gegenwehr auslösen kann? Also wie soll der eigentlich wirklich arglos sein. Daran kann man sehen, dass das keine Begriffe sind, mit denen man verlässlich operieren kann. 

O- Ton Frau:  CD- 5101420001 2:58 Dann ging er mit seinem Anglermesser auf mich zu. Da war dieser Radiowecker, riss voller Wucht das Kabel raus. Und mir dann um den Hals. Und er drischt auf mich ein und drischt auf mich ein. Und geht so mitner Schere auf mich los. Dann kam er mit nem Glassplitter auf mich los.

Autorin: Gerade die Schwächeren, die Frauen, werden durch die jetzige Form des § 211 benachteiligt. Sie können ihren tyrannischen Ehemann, ihren prügelnden Geliebten nicht im offenen Streit überwältigen. Sie müssen warten, bis er schläft, um dann ihre Tat zu vollbringen. Ein eindeutiger Mord, angesichts des Merkmals der Heimtücke. Der Mann hingegen, der mit einem Glassplitter und einer Schere in der Hand im Eifer des Gefechts seine Frau umbringt, hat gute Chance mit einer zeitlich begrenzten Haftstrafe wegen Totschlags davon zu kommen.

O-Ton Deckers: 2/17:11 Derjenige, der sich physisch oder psychisch stärker fühlt, muss ja nicht zur Heimtücke greifen, er muss  keine Falle stellen. Er kann den anderen erschlagen oder er kann in die offene Auseinandersetzung treten. Also es ist ein typisches Merkmal, dass den Schwachen angeheftet wird, wenn sie eine Tötung begehen. Vorzugsweise auch Frauen.

Autorin: Für Laien sind die absurden prozessualen Folgen dieses Mordparagraphen in seiner jetzigen Form sowieso kaum nachvollziehbar. So wurde in dem erstinstanzlichen Verfahren gegen den KZ-Aufseher Wolfgang Otto, der an der Erschießung von Ernst Thälmann in Buchenwald beteiligt gewesen war, tagelang darüber verhandelt, ob sich der Kommunistenführer vor seiner Exekution noch einmal zu seinen Mördern umgedreht hat oder nicht. Hätte er dies getan, wäre das Mordmerkmal der Heimtücke weggefallen, er wäre nicht mehr arglos gewesen, seine Tötung kein Mord, der Angeklagte somit freizusprechen. A) (auch kein Totschlag? Warum freispruch?) Eine absurde, kaum nachvollziehbare juristische Konstruktion. Damit soll nun Schluss sein.

O-Ton-Deckers: 1/28:24 ff   Wir schlagen vor, dass der Mordparagraph in seiner jetzigen Form abgeschafft wird. Wir wollen weg von den Gesinnungsmerkmalen, wir wollen weg aus der Geschichte von 1941. Wir wollen einen Paragraphen schaffen in dem wir sagen: Wer einen Menschen tötet, wird bestraft. Und bieten dafür einen gesetzlichen Rahmen an, von 5 bis 15 Jahren und lebenslänglich.

Autorin:  Der Reformvorschlag des Deutschen Anwaltvereins liegt derzeit den Justizministerien bei Bund und Ländern vor. Wie die sich dazu stellen, wird Ende April auf einer ganztägigen Veranstaltung debattiert, zu dem der Strafrechtsausschuss der Vereinigung nach Berlin einlädt.