Monteperdido und Demut bei Scala 7.3.2017

 Horror von Spanien bis Schweden. Unsere Krimi-Expertin Ingrid Müller-Münch schreckt auch diesmal vor Nichts zurück. Nicht vor dem einsam gelegenen Dorf mitten in den Pyrenäen, aus dem eines Tages zwei kleine Mädchen verschwinden. Fünf Jahre später taucht eine der Beiden wieder auf, verstört und angeblich ohne zu wissen, wo ihre Freundin ist. Auch der heruntergekommene schwedische Journalist konnte sie nicht verschrecken, der dank seiner ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben einem Serienmörder auf die Schliche kommt.

 Agustin Martinez: „Monteperdido – Das Dorf der verschwundenen Kinder“, Fischer, 494 Seiten, 23.2.2017, Übersetzung aus Spanischem Lisa Grüneisen, 14,99, ISBM 9783596036585

Spanien, Pyrenäen. Debut. Das einsam gelegene Dorf Monteperdido. Hier kennt jeder jeden. Eines Tages verschwinden zwei elfjährige Mädchen. Am hellichten Tag. Und keiner findet eine Spur von ihnen. Fünf Jahre lang halten Lucias Eltern Mahnwachen, während Anas Familie an der Tragödie zerbricht. Doch dann geschieht etwas: Ein PKW stürzt in eine der Schluchten dieser felsenreichen Gegend. Der Fahrer ist tot. Doch jemand überlebt:

Es ist Ana, eine der beiden Verschwundenen, inzwischen 16 Jahre alt. Kommissarin Sara Campos und ihr Vorgesetzter, extra aus Madrid angereist, erhoffen sich von Ana Aufklärung darüber, wo sie all die Zeit über war. Und wo sich Lucia befindet. Doch Ana schweigt. Und Sara Campos ist sicher, dass sie etwas verschweigt. Ist sie traumatisiert, kann sich deshalb an nichts erinnern. Nur daran, dass ein Mann sie immer wieder in ein Kellerloch einsperrte, gemeinsam mit Lucia. Und sie zeitweilig zwang, dieses Loch zu verlassen, sie an einen Pfeiler ankettete, um sie später wieder abzuholen.

Ein Krimi, umrahmt von der bedrohlichen Atmosphäre dieser Gebirgslandschaft. Von Urgewalten und Flussübertretungen, vom Kampf ums Überleben, rauen Winter und von allen guten Geistern verlassene Bewohner.

Dichte Atmosphäre. Schräge Gestalten. Von einem der renommiertesten spanischen Drehbuchautoren, der hiermit einen ganz großen Coup gelandet hat.

 

 

Mats Olsson: „Demut“, btb, Übersetzung aus schwedischem Leena Flegler, 14,99 Euro, 13.2.2017, ISBN 9783 442 714643, 731 Seiten, Paperback, Debut

Schweden. Harry Svensson ist der Dinge überdrüssig. Seinen Job bei einer Stockholmer Zeitung hat er geschmissen, warum weiß er nicht so recht. Nun will er Kneipenwirt werden. Aber auch nur halbherzig. Eigentlich jagt ihn, wenn überhaupt, eine sexuelle Vorliebe, die er nur mit wenigen Frauen ausleben kann. Doch sie ist es, die ihn auf die Spur eines Serientäters bringt. Zufällig. Als er eines Nachts in sein Hotelzimmer kommt, die Nachbartüre nur angelehnt findet, sie aufstößt und auf dem Doppelbett einen einst bekannten, inzwischen abgehalfterten Blues-Sänger findet. Der schläft seinen Rausch aus. Neben ihm die Leiche einer Frau. Mit dieser Szene beginnt die Jagd auf einen Mörder, der – wie sich bald herausstellt – mit Harry Svensson eines gemeinsam hat: Seine Leidenschaft fürs „Spanking“, eine sexuelle Abart, die darin besteht, dass man der Partnerin den Hintern versohlt. Hierzu führt Harry Svensson stets einen Gitarrenkoffer mit sich, darin versteckt ein Teppichklopfer. Während der Serienmörder in einem Futural seinen eigenen Stock durch die Gegend schleppt.

Wer also wäre besser geeignet, sich in die Seele eines Mannes zu versetzen, der offenbar weltweit Frauen dafür bezahlt, dass sie sich von ihm kräftig auf den Po schlagen lassen. Und der offenbar die Kontrolle über sich verloren hat und Frauen auflauert, sagt, er müsse sie bestrafen, um dann zuzuschlagen. Und dabei eine Leiche nach der anderen zurücklässt. Die Polizei ist hilflos, kennt sich in dem Milieu der Spanker überhaupt nicht aus. Und so muss Harry denn recherchieren, tut dies so gründlich, wie er immer schon als Journalist gearbeitet hat. Dabei stets bemüht, dass niemand mitbekommt, wie sehr er selbst diesem Laster verfallen ist. Und wie dreist der Serienmörder inzwischen Kontakt mit ihm aufgenommen hat. Per SMS, voll intimer Details, die Harry verbergen will und deretwegen er sich auf gar keinen Fall an die Polizei wenden kann.

Debut eines der bekanntesten schwedischen Journalisten. Lebt derzeit in New York. Hat Robert Crais und James Lee Burke ins Schwedische übersetzt. Und hat eine wirklich außergewöhnliche Fantasie, einen flapsigen Schreibstil, trollt sich in einem schrägen Milieu. Seine beiden Protagonisten sind zwei einsame Wölfe, die sich umkreisen, einkreisen, anknurren und irgendwann tatsächlich auch aufeinandertreffen. Ein gebrochener Held, der einsam ist und einsam bleiben wird. Und das alles in einem Schweden, das Olsson an einer Stelle so beschreibt:

Ob das der Inbegriff Schwedens im einundzwanzigsten Jahrhundert war? Eine Dorfkirche, dahinter ein Wohnwagenpuff, eine Biker-Gang links daneben und Bewohner, die sich hinter vorgezogenen Gardinen verbarrikadieren?

Realistisch, schräg, ohne jegliche Sentimentalität, hat nichts Liebenswertes, mit einem Protagonisten, der trotz seines Lasters und seiner Lügen aufrecht und authentisch bleibt. Schon ein Hammer, dieser Wälzer.