Laudatio auf Wolfgang Schorlau / Stuttgarter Kriminächste 2019

Wolfgang Schorlau hat keine Angst vor nix, schon gar nicht vor schwierigen Sujets. Weder vor dem Anschlag auf das Oktoberfest Anfang der 80er Jahre, noch vor den Machenschaften der Pharmaindustrie oder den fragwürdigen Ermittlungen der Morde des NSU. Derlei Herausforderungen geht er an, als wären sie eigens für ihn geschaffen.

Dem wohl politischsten Krimiautor Deutschlands ist kein Thema zu kompliziert, keine Recherche zu aufwendig. So auch diesmal nicht, im 9. Fall seines Kommissars Georg Dengler. „Der große Plan“ beginnt genauso, wie es sich für einen Krimi gehört.

Eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes verschwindet. Anna Hartmann war an die Troika ausgeliehen worden, das Trio aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission, das sich um das Rettungspaket für Griechenland kümmern sollte. Dort war sie beratend tätig.Dabei war sie offenbar auf Dinge gestoßen, deren Veröffentlichung so einigen Politikern, Bankern und Wirtschaftsprofiteuren gar nicht gefallen hätte. Es war nur folgerichtig, dass sie eines Tages verschwand,  offenbar entführt wurde.

Das Auswärtige Amt engagiert ausgerechnet den Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler, um diesen Fall aufzuklären. Und das zu Honoraren, von denen der chronisch am Bankrott entlang hangelnde Detektiv bislang nur träumen konnte.

Soweit so gut. Doch Schorlau wäre nicht der investigative Krimiautor, wenn er den Leser einfach so davonkommen ließe. Ganz leise, wie auf Samtpfötchen daherschleichend, führt er ihn an sein eigentliches Anliegen heran. Plötzlich mutiert sein eher munterer Einstieg, steckt man – ei der Daus –  bis zum Halskragen mitten in einer Finanzkrise, hangelt sich langsam an die Griechenlandpleite ran, und erfährt – während man noch immer über die entführte Politikerin grübelt – mehr über deren Ursachen und die Hintergründe, als jemals zuvor durch die tagtägliche Berichterstattung.

Sein Plot rankt sich um die Entführung der Diplomatin, in deren Verlauf der Stuttgarter Ermittler Dengler bald selbst ins Fadenkreuz all jener gerät, die seine Recherchen verhindern wollen. Und immer dann, wenn er sich am Ziel glaubt, endlich jemand gestellt zu haben, verschwindet der oder wird grausam ermordet.

In diesem Fall geht all dies zurück bis hin zu Anna Hartmanns Großvater, der an einem der grausamsten Massaker in einem griechischen Dorf während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg beteiligt war. Und der danach, wie so viele seines Kalibers, gnadenlos alles Gewesene beiseiteschob und sich seiner Karriere als Banker widmete.

Diesmal wieder auf der Seite der Gewinner.

Doch wie nur soll ein Schriftsteller seine Leser bei der Stange halten, wenn es um so trockene Kost geht wie  die Rolle der Finanzindustrie, um Schulden- Verschleierungsaktionen, um  Kreditversicherungen wie Swaps, hinter denen gar kein reales Geld sondern nur fiktive Werte stehen, um riesige Geldmengen und damit verbundene Geschäfte, die die vierzehn größten Investmentbanken mehr oder weniger unter sich betreiben.

Die Dummen, das wird bald klar, waren bei all dem die Griechen.

Kein Mensch hätte das alles freiwillig gelesen. Aber eingebettet in eine gefällige Kriminalstory traute auch ich mich an ein Thema ran, das mich bis dahin gänzlich überforderte.

Als ich das Buch kurz nach seinem Erscheinen in einer Kultursendung des WDRs vorstellte, schlug ich dem Moderator vor: ich könne jetzt, wenn er wolle, mal ganz kurz die Griechenlandkrise erklären. Um Gottes-Willen, bloß nicht, lautete die Antwort. Das Gespräch ging weiter und irgendwann war ich dann wieder so weit: Nun könne ich die Griechenland-Krise aber wirklich mal kurz erklären. Dazu kam es nicht. Denn auch das wurde voller Entsetzen abgelehnt.

Die Griechenland-Krise, davor scheut das Feuilleton zurück. Das ist Terrain der Wirtschaftsredaktion. Doch dank Wolfgang Schorlau mussten sich plötzlich Krimileser und Feuilletonisten mit einem Stoff befassen, den sie bislang Experten überließen.

Ätsch hätte ich beinahe gesagt. Gut gemacht.

Wie in all seinen Büchern spürt man auch in „Der große Plan“ das Anliegen des Autors: Aufzuklären, die Welt verständlicher zu machen, sich auf die Seite der kleinen Leute zu stellen, anzuprangern, was falsch läuft und wer sich wo eine goldene Nase verdient.

Dabei weiß er genau, um seinen trockenen Stoff loszuwerden, muss er ihn gut verpacken. Und das kann er.

Schorlau verzichtet also keineswegs auf den traditionellen Verlauf eines Krimis, ja, sein Plot ist gut und endet übrigens überraschend anders, als man vermutet. Seine Geschichten unterhalten, auch wenn sie immer nah, manchmal zu nah an der Realität sind und daher kaum auszuhalten. Oft auch einfach kaum zu fassen.

Schorlau hat mal erklärt, dass er nichts anderes tue, als mehr oder weniger bekannte Fakten auf eine Art zusammen zu legen, wie dies sonst kaum einer tut, und damit zu einem anderen, als dem offiziellen Bild gelange.

Diesmal macht er es genauso, bettet die Suche nach Anna Hartmanns Entführer in ein knallhartes Seminar über wirtschaftliche Zusammenhänge ein und politische Mitläufer.  Er entlarvt die Profiteure, ja erklärt anhand von Schaubildern, wie sie es gemacht haben. Schaubilder, eigentlich ein Nogo in einem Krimi.

Genau für diese Kombination von Fakt und Fiction, für seinen Mut, sich an ein solch komplexes Thema heranzutrauen und es in eine Sprache zu übersetzen, in einem Rahmen zu plazieren, die Leser am Ball bleiben lässt – genau hierfür wird er heute zum Abschluss der diesjährigen Stuttgarter Kriminächte mit dem

Ebnerstolz Wirtschaftskrimipreis 2019 für den besten deutschsprachigen Wirtschaftskriminalroman 2018 geehrt.

Ich gratuliere ganz herzlich im Namen des gesamten Teams der Stuttgarter Kriminächte und sicherlich auch aller hier Anwesenden und oute mich an dieser Stelle – für all jene, die es noch nicht gemerkt haben – als absoluter Schorlau-Fan. Ich füge dem, leicht wehmütig hinzu:  Ja, so müsste man die Welt erklären können, so wie Wolfgang Schorlau.