Klima und Alba Nera, am 11.05.2021 auf WDR5, Scala

Darf ein Umweltschützer zu allen Mitteln greifen, um die Welt zu retten? Gibt es irgendwann Grenzen? Am 11.05.2021 habe ich auf WDR5, Scala, den Krimi des US-Bestsellerautors David Klass „Klima – Deine Zeit läuft ab“ vorgestellt. Klass geht genau diesen Fragen nach – und inszeniert ein spannendes Wettrennen um Recht und Gesetz. Während ein römischer Richter  und Autor, Giancarlo de Cataldo in „Alba Nera“ ganz tief hinabtaucht in die Welt der Perversen und Mächtigen. Nachzuhören bei WDR5, Scala, 11.05.2021, Ingrid Müller-Münch

Sprecher: Der Mann lag in der Dunkelheit am Rand des Kliffs und starrte durch ein Fernglas hinunter auf den vom Mond erleuchteten Snake River, der sich durch die Berge von Idaho zum Staudamm schlängelte. Trotz des farbenfrohen Spitznamens, den ihm die Medien gegeben hatten, war der Mann von den Stiefeln bis zur Kapuze schwarz gekleidet, und die Drohne vor ihm war ebenfalls schwarz, von ihren vier Propellern bis zu ihrer neun Kilogramm schweren Sprengladung.

Autorin / Sprecherin: Sein Spitzname lautet „Green Man“. Er ist Umweltaktivist, ein technisches und organisatorisches Genie, mit nur einem Ziel:  Er will die Welt retten. Um das zu erreichen geht er im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Offiziell ist er liebender Familienvater, in Wirklichkeit jedoch eben jener „Green Man“, als der er im Internet verteufelt aber auch klammheimlich bewundert und hochgejubelt wird. Ein militanter Umweltschützer, der angesichts der drohenden Klimakatastrophe vor nichts zurückschreckt, ja selbst den Tod von Menschen in Kauf nimmt. Zurzeit ist er der meistgesuchte Terrorist der USA. Mehrmals schon hat er zugeschlagen, zuletzt hat er den Staudamm „Boon Dam“ gesprengt.  Auch diesmal gab es wieder Tote, Verletzte, Chaos. Wie immer erklärt „Green Man“ sich nach seinen Anschlägen in einem Bekennerschreiben.

Sprecher: „Green Mans“ Brief über den „Boon Dam“ war der meistgelesene Text im Internet, und er selbst war nach wie vor auf freiem Fuß

 Autorin/Sprecherin: Noch ist er das. Denn bislang hat er keinen Fehler gemacht. Alles lief perfekt. Doch eine winzige Kleinigkeit erweckt das Misstrauen eines jungen, ungewöhnlich tickenden FBI-Agenten. Tom Smith ist ein kleines Licht, ein unbedeutender Datenanalyst. Doch er ist eher schräg drauf, denkt quer. Genau deshalb kann er sich, wie kein anderer, in die Gedankenwelt von „Green Man“ hineinversetzen. Smith geht davon aus, dass jeder mal Fehler macht, auch dieser tödlich agierende Umweltaktivist.  Die versucht er aufzuspüren, zu erahnen, versetzt sich in dessen Art zu denken, zu handeln. Und hat dabei auch immer ein wenig Sympathie für diesen Mann, der nicht aus Habgier oder Mordlust tötet und zerstört. Sondern der dies einzig und allein tut, um die Welt zu retten.

Sprecher: Die Welt zu retten ist verdammt schwierig. Aber der Zweck heiligt die Mittel, oder etwa nicht? Wenn man töten muss, um unseren Planeten zu retten, ist es das nicht wert?

Autorin/ Sprecherin: Zwischen diesen beiden Figuren entfacht der erfolgreiche US-Autor David Klass in seinem soeben erschienen Krimi „Klima, Deine Zeit läuft ab“ eine Art Schattenboxen. Smith schleicht um „Green Man“ herum, rückt ihm immer näher. Die Leser folgen beiden mit angehaltenem Atem, bibbern bei der Frage, wann stoßen sie aufeinander, wann kommt es zum Showdown. Wer überlebt? Wer entkommt?  Ein Wettrennen, bei dem offen bleibt, wer Sieger, wer Verlierer ist. Ein grandioser Schachzug des Autors, bei dem irgendwann der König blank steht und die Dame fällt.

 Ein paar Töne einspielen sozusagen als Break

Sprecher: Südlich von Rom, in einem heruntergekommenen Anwesen, zanken sich zwei Jungen. Zwei unruhige und hungrige junge Hunde. Untersetzt, muskulös, voller Tattoos. Die Straße war ihre Schule. Um in die Bande aufgenommen zu werden, mussten sie Gesichter zerschneiden, zustechen, Feinde verprügeln, und auch ihre Gesichter sind zerschnitten worden. Sie haben Knochen gebrochen und sich mit Gewalt Respekt verschafft. Aber so etwas haben sie noch nie erlebt. Niemals. Auf dem Boden eines ehemals großen Aufenthaltsraumes, zwischen Gerümpel und verrosteten Nägeln, liegt ein Mädchen. Der, der sie so zugerichtet hat, hat viel Zeit und Energie dafür aufgewendet.

Autorin/ Sprecherin:  Das halbtote Mädchen, das in der Ruine außerhalb von Rom von den beiden herumlungernden Jugendlichen gefunden wurde und  konnte in letzter Minute gerettet werden. Durch Kommissar Biondo.

Sprecher:  Er heißt Gianni Romani, früher trug er den Spitznamen Biondo. Er ist Polizeikommissar. Er ist hier, weil Pulce, ein Informant, ihm den Tipp gegeben hat, dass sich in dem alten Anwesen zwielichtige Gestalten herumtreiben. Er ist gekommen, um sich umzusehen, insgeheim und mit der Hoffnung, einen kleinen Dealer zu erwischen. Doch nun steht er seiner Vergangenheit gegenüber.

Autorin/Sprecherin: Ein Blick auf die schwer verletzte junge Frau, nach einer japanischen Shibari-Tradition gefesselt und brutal misshandelt, lässt Biondo erstarren und sofort seine Kollegin, Hauptkommissarin Alba Doria, an den Tatort rufen. Die schwer Verletzte erinnert durch ihre Wunden, durch ihre Fesselung, an ein vor Jahren ebenso drapiertes ermordetes junges Mädchen. Der Serientäter, der dies verbrochen haben sollte, wurde während eines spektakulären Polizeieinsatzes erschossen. Von Biondo, in Notwehr. Und den plagt dieser Schuss noch heute. Angesichts des neuen Opfers fragt sich Biondo: War der Erschossene gar nicht der Täter? Oder gibt es Nachahmer?

 Sprecher: Das Mädchen damals, 2009, war nicht gemeldet, lebte offenbar illegal in Rom. Niemand hatte jemals ihr Verschwinden angezeigt. Im Polizeiprotokoll wurde sie als „Opfer“ oder als „nicht identifizierte Leiche“ bezeichnet. Ein fantasievoller Lokalreporter nannte sie „Arielle“, wegen eines Tattoos.

Autorin/Sprecherin: Bei der Suche nach Antworten verstricken sich Biondo und Alba Doria immer tiefer im Netz von Intrigen, Korruption, sexuellen Perversionen, versinken im Darknet, vertrauen den falschen Leuten und kämpfen zu guter Letzt nicht nur um die Aufklärung der Verbrechen an jungen Frauen, sondern auch um ihr eigenes Leben. Eine Aufklärung, für die Alba und Biondo alles aber auch wirklich alles geben und jegliche moralischen Schranken überwinden müssen.

Sprecher: In Alba steigt die Anspannung, und Widerwille macht sich breit, doch gleichzeitig ergreift sie eine ungesunde Neugier. Wie weit wird sie gehen? Zu allen, die sie kennen, auch zu sich selbst, hat sie immer gesagt: „Bis zum Letzten, bis ans Ende, bis zum Schluss“. Und jetzt, wo sie die Gelegenheit hat, stellt sie fest, dass sie es vielleicht wirklich tun wird. Aber ist sie bereit, die Konsequenzen zu tragen? 

Autorin/Sprecherin: Denen, die die die Fäden ziehen, sind derlei Gewissenkonflikte schnurzegal. Hauptsache sie können weiter ihre Perversion ausleben, ihren Wohlstand vermehren, Macht ausüben, ihre gesellschaftliche Position behalten. Ein Thriller, der an realistischer Brutalität seinesgleichen sucht. Der Autor Gioncarlo De Cataldo weiß wovon er schreibt. Er ist Richter am Berufungsgericht in Rom. Wenn also so jemand mit „Alba Nera“ nicht zum ersten Mal als Krimiautor in die Welt der Unmenschlichkeit eintaucht, in der sich Politiker und Wirtschaftsbosse austoben, dann sollte man sich bei der Lektüre warm anziehen. „Alba Nera“ ist ein rabenschwarzer, in jeder Hinsicht fesselnder Einblick in eine Parallelwelt, die Realität zu sein scheint.

 

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