Scala, WDR 5, zwei Krimis – Schauplätze in Moskau und Glasgow

Krimi-Service  Dienstag, 14.9.2021      Ich stelle folgende zwei Krimis vor:

Yassin Musharbash; Russische Botschaften“, Kiepenheuer&Witsch, 19.8.2021, 16 Euro, knapp 400 Seiten +

Liam Mcilvanney: „Ein frommer Mörder“, Heyne, 12.7.2021, 14,99 Euro, Übersetzt Englischen Sabine Lohmann, 446 Seiten 

Müssen Journalisten auf der Suche nach der Wahrheit um ihr Leben fürchten? Steckt der russische Geheimdienst hinter Morden und weltweit gestreuten Fakenews? Investigativer Journalismus kann lebensgefährlich sein, wie einer der beiden von Ingrid Müller-Münch vorgestellten Krimis zeigt. Während der zweite, von einem Professor für Schottland-Studien geschrieben, ins Glasgow der 1968er Jahre zurückversetzt und einen Frauenmörder der besonderen Art jagt. Zwei Krimis, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

 

Autorin:  Merle Schwalb, Investigativ-Journalistin beim Berliner „Globus“, sitzt in Begleitung ihres Kollegen Erlinger auf der Außenterrasse des Damascus Palace, mitten in der Stadt auf einer übervölkerten Einkaufsstraße. Plötzlich ein Schrei. Erschrocken dreht sich Merle Schwalb um und erblickt einen jungen Mann auf dem Gehweg liegend. Blutend. Verrenkt. Tot. Offenbar soeben von einem Balkon gestürzt.

 

Sprecher:  Sie stand auf, nahm ihr Handy vom Tisch und begann Fotos von dem toten Mann zu machen. Von allen Seiten, von oben, schließlich im Knien. „Sind Sie irre?“ schrie Erlinger, der ebenfalls aufgesprungen war. „Könnten wir vielleicht erst mal einen Krankenwagen rufen?“ Aber schon drei Tage später gab Erlinger in der Großen Konferenz mit der Geistesgegenwart seiner Kollegin an, weil sie Fotos von einer Leiche gemacht hatte, die es offiziell nicht gab.

 

Autorin: Die Umstände, mit denen Polizei und offizielle Stellen mit diesem Toten umgehen erwecken Merle Schwalbs Misstrauen. Sie findet heraus, dass es sich bei dem Toten um einen jungen Russen handelt, angestellt an der hiesigen Botschaft. Nur; warum wird dieser Tote weder im Krankenhaus, in das ihn die Ambulanz fuhr, noch bei der Polizei als Toter geführt? Sie erkundigt sich, ruft die zuständige Dienststelle an:

 

Sprecherin: „Herr Hommel, guten Tag! Merle Schwalb vom Globus hier. Hören Sie bitte, es geht um die Meldung Nr. 1856, die Sie letzten Freitag verfasst haben. Der Mann, der in der Hobrechtstraße vom Balkon gefallen ist.“

„Ja?“

„Wieso haben Sie gelogen?“

„Wie bitte?“ Er klang ehrlich empört,

„Ich möchte gerne wissen, wieso Sie in der Meldung gelogen haben. Der Mann war tot. Ich weiß das, weil ich im Urban-Krankenhaus war. Er war tot, als er dort ankam. Aber in Ihrer Meldung war er nur Schwerverletzter. Ich möchte gerne wissen, warum.?“

 

Autorin: Polizist Hommel kann ihr da nicht weiterhelfen, stottert herum, weicht aus. Schwalb und Erlinger wären schlechte Journalisten, wenn das nicht ihre Neugier erweckte. Und so treten sie denn eine Recherche der investigativen Art los. Peu à peu arbeiten sie sich vor, vor allem, nachdem ihnen ein Kollege des Toten aus der russischen Botschaft eine Liste zugespielt hat, in der verschlüsselte Namen auftauchen. Deutsche Prominente, die angeblich von Putin und seinen Vasallen dafür bestochen werden, dass sie sich öffentlich positiv über Russland äußern. Gekaufte Propagandisten. Darunter befindet sich auch der Name von Schwalbs und Erlingers Chefredakteurin.

So langsam verdichtet sich bei den Beiden ein Verdacht, der sie schaudern lässt und sie dennoch vorantreibt, womöglich in ihr eigenes Elend. Doch sie wissen, was sie tun. Werden gewarnt von denen, die sie einweihen in ihre Pläne. Ihre Angst wird allerdings von Neugier verdrängt.

 Sprecher: Es kann gefährlich sein. Die russischen Oligarchen werden, wenn ihr sie direkt kontaktiert oder sie merken, dass ihr an ihnen dran seid, ihre Anwälte vorschicken. Das sind Londoner Anwälte, die teuersten der Welt. Sie werden euch drohen. Unter Druck setzen. Eure Chefs unter Druck setzen.“

Autorin: Was nun folgt ist das langsame Vortasten auf vermintes Gelände, okkupiert und ausgeweitet von Putins Weltmacht und seinen Oligarchen, seinen Handlangern, die sich – so scheint es – über Grenzen hinweg jegliche Freiheit und Frechheit herausnehmen. Die ungehindert morden, unterwandern, einschüchtern.

Yassin Musharbash, der Autor, ist Spezialist für Terrorismus, Al Quaida, Themen der inneren Sicherheit. Früher beim Spiegel, heute im Investigativressort der „Zeit“. Davor war er Rechercheur bei John le Carré, dem weltberühmten Autor faszinierender Spionage-Thriller. Genau das kommt ihn nun zugute. Denn in seinem Krimi mit dem Titel „Russische Botschaften“ geht es um nicht weniger als die weltweite Unterwanderung durch Geheimdienstler, die so flächendeckend wie möglich Fakenews streuen. Mit dem Ziel: Russland gut dastehen zu lassen, Handlanger und Wohlgesonnene an die Macht zu hieven.

Der Krimi „Russische Botschaften“ zeigt auf abenteuerliche Weise, wie investigativer Journalismus sein sollte. Und wie faszinierend es sein kann, ein Mosaiksteinchen ans nächste zu setzen, solange bis sich ein – in diesem Falle – ausgesprochen beunruhigendes Muster ergibt.

Ein Muster, das den Atem anhalten lässt, weil es der Realität empfindlich nahekommt.

 Lalülala

 Sprecher: 1968 erlebte Glasgow den härtesten Winter seit Menschengedenken. Einen Tag nach Halloween, am ersten November, fegte ein Orkan durch die Stadt, raste durch die Schluchten der Mietskasernen, riss die Ziegel von den Dächern und warf Schornsteine um. Am zweiten November ging Ann Ogilvie im Barrowland Ballroom tanzen und kam nicht mehr nach Hause. Zwei Tage später wurde ihre Leiche in einem Abbruchhaus in Bridgeton aufgefunden.

 Autorin: Ein knappes Jahr und zwei weitere Frauenleichen später hat das ermittelnde Team der Marine Police Station im schottischen Glasgow noch immer keine Spur von dem Mörder. Im Volksmund inzwischen wegen seiner religiös anmutenden Todesrituale an drei jungen Frauen, „der Quäker“ genannt.

Sprecher: Und dann, in den Wochen nach der dritten Toten, plötzlich nichts mehr. Die Morde, die eine ganze Stadt in Atem gehalten hatten, hörten einfach auf. Plötzlich waren schon sechs Monate seit dem letzten Quäker-Mord vergangen. Die Stadt kehrte zur Tagesordnung zurück und blickte nach vorn. Der Quäker verschwand aus dem Bewusstsein der Stadt.

 Autorin: Um die Sache abzuschließen, die bisherigen Ermittlungen zu überprüfen, wird der angesehene Detective Inspector Duncan McCormack, Mitglied einer Sondereinheit, in die Marine Police Station geschickt. Das gibt böses Blut. Die Kollegen hassen ihn, sehen in ihm einen Spitzel, machen ihm das Leben schwer. Während McCormack ihre monatelange Suche nach dem „Quäker“ minutiös überprüft und zu dem Ergebnis kommt: es wurde alles getan, um den Täter zu finden. Leider erfolglos. Die Sache ist gegessen, die Ermittlungen können eingestellt werden. Doch just in dem Moment, in dem McCormack in seinem Abschlussbericht seinen Chefs genau dies empfiehlt, klingelt bei ihm das Telefon. Der Leiter der Marine Police Station bittet ihn, sich eine Adresse zu notieren und dorthin zu kommen:

 

Sprecher: „Er ist zurück. Der Quäker. Er hat wieder eine Frau getötet. Wenn man alle Möglichkeiten in Betracht zieht, Sportsfreund, dann ist Ihr Bericht einen Scheißdreck wert.“

 Autorin: Der schottische Autor Mcilvanney, Professor für Schottland-Studien an einer neuseeländischen Universität, hat einen verzwickten Krimi über einen Kommissar geschrieben, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt – dabei aber ein Handicap hat, das ihn durchaus erpressbar macht. Mcilvanney  hat schon zahlreiche, äußerst erfolgreiche Krimis veröffentlicht. Von routinierter Langeweile dennoch keine Spur. „Der fromme Mörder“ ist ein spannungsreicher Drahtseilakt über den Dächern eines verarmenden Glasgows der damaligen Zeit. Bei dem nicht nur die Akteure sondern auch die Leserschaft immer wieder abzustürzen drohen. So, wie es sich für einen Krimi gehört: „Der fromme Mörder“ hat für den sich langsam anschleichenden Nervenkitzel zurecht den schottischen Krimipreis bekommen.