Neue Krimis auf WDR5, Scala, 24.9.2024: Liza Cody und Matthew Blake
Liza Cody: „Die Schnellimbiss-Detektivin“, Ariadne, 18 Euro, Übersetzung aus dem Englischen von Iris Konopik, erschienen am 27.5.2024 +
Matthew Blake: „Anna O“, Thriller, Scherz, 26.6.2024, Übersetzung aus dem Englischen von Andrea Fischer, 18 Euro, 478 Seiten
Zwei Briten hatte ich dabei. Eine Autorin, rotzig frech, flapsig und ruppig. Daneben einen hellwachen Autor, dessen Protagonistin schlafwandelnd zum Messer greift.
Autorin: Sie ist frech, nie um eine Antwort verlegen, dabei flapsig, ruppig, unerschrocken und ohne jegliche Illusion.
Sprecherin: Ich bin nicht blond; ich bin nicht vollbusig noch gertenschlank; ich flirte nicht; ich hab‘ keinen reichen Papa, aber dafür eine große Klappe.
Autorin: Hannah Abram, Protagonistin in Liza Codys neuem Krimi „Die Schnellimbiss-Detektivin“, stolpert über selbst errichtete Hürden, reagiert zornig und impulsiv und wird vom Leben dafür heftig gebeutelt.
Sprecherin: Früher hatte ich eine eigene Wohnung. Früher hatte ich eine feste Stelle bei der Met, der London Metropolitan Police. Aber die Stelle hab ich verloren, als ich meinen Sergeant in den Kanal schubste. Obwohl ich heute nur noch eine Dachkammer habe (Rauchen, Trinken, Fleisch und Männer verboten), muss ich mich abstrampeln wie eine hungrige Ratte, um die Miete zusammenzukriegen.
Autorin: Liza Cody, die sich in ihren Krimis mit Leidenschaft schrägen Typen, verlorenen Seelen und kaputten Lebensläufen widmet, hat diesmal keine Profiwrestlerin am Wickel, keine obdachlose Alkoholikerin, die sich als Detektivin versucht. Allesamt Portraits, die der Londoner Autorin zahlreiche Preise einbrachten. Nein, diesmal wühlt eine Ex-Polizistin im Dreck jener Menschen, die auf der Straße schlafen, die hungern und die für ein paar Pfund ihre Seele und ihren Körper zu Markte tragen. Während Hannah Abram, die ehemalige Polizistin, selbst sehen muss, wie sie zurecht kommt.
Sprecherin: Das Sandwich Shack hockt am Rande des Volksparks wie eine hässliche Kröte. Nach fünf Stunden Schlaf steh ich wieder da und mache Frühstück für putzmunteres Gassigang-, Jogging-, Radfahr- und Frühschicht-Volk. Die Grillplatte spuckt mir Speckfett auf die Arme, zu Boden kullernde Würstchen müssen gerettet werden, der Toaster hat seine übliche Vormittagskrise.
Autorin: Hannah Abram kann vom Würstchen grillen alleine nicht leben. Also hat sie einen Nebenjob, macht die Hilfs-Detektivin, wann immer der Polizei die Sache zu läppisch ist.
Eine ihrer Spezialitäten: Sie spürt abhanden gekommene Hunde auf, (die allerdings ihr obdachloser Freund, ein junger Streuner, zuvor den Besitzern gemopst hat).
Weil die gesamte Imbisskundschaft weiß, dass sie Ex-Cop und Privatdetektivin ist, klopfen immer mehr Menschen an ihre Tür. Doch dann kommt Myles Emerson zu ihr.
Sprecherin: Er trägt eine Maske, hat eine Handvoll Desinfektionstücher dabei und ein Antivirenspray, das er großzügig über Tisch und Stuhl verteilt. Obwohl er den Stuhl entseucht hat, bis die Farbe Blasen wirft, holt er ein Stück Plastikfolie aus seinem Rucksack und legt es über die Sitzfläche, ehe er sich niederlässt.
Autorin: Selbst in Zeiten einer auslaufenden Pandemie auffallende Schutzmaßnahmen. Mit ungefiltert dreckigen Dialogen, beladen mit dem Underdog-Müll der Ewig-zu-kurz-Gekommenen lässt die Autorin nörgeln und verzweifeln, im Schmutz wühlen, ohne den Humor zu verlieren, fängt voller Wortwitz (hinter dem oft die schiere Panik steckt) ihre Protagonistin genau an der Stelle auf, an der sie abzustürzen droht. Ein Spaß, ihr dabei zu folgen. Seite um Seite.
Pause, Zeit für Anmoderation des Krimis von Blake
Sprecher: Um 3.10 Uhr in der Nacht auf den 30. August 2019 fand man Anna Ogilvy, die fünfundzwanzig Jahre alte Mitbegründerin der Zeitschrift Elementary und Tochter einer Ministerin des Schattenkabinetts, mit einem zwanzig Zentimeter langen Küchenmesser schlafend in ihrer Hütte auf einer Event-Farm in Oxfordshire. In der Nachbarhütte lagen die Leichen ihrer zwei besten Freunde: Douglas Bute, sechsundzwanzig, und Indira Sharma, fünfundzwanzig.
Autorin: Die Rechtsmediziner zählten zehn Stichwunden bei jedem Toten. Annas Fingerabdrücke waren die einzigen auf dem Messer, ihre Kleidung war blutbefleckt. Auf ihrem handy fanden die Ermittler eine WhatsApp-Nachricht mit einem Teilgeständnis. War sie die Mörderin? Oder war sie es nicht? Eine Frage, die ein Gericht klären sollte. Doch das geht nicht. Denn Anna schläft. Seit diesem 30. August. Tag und Nacht. Ohne Unterbrechung. In den Medien, im Internet, ja in der gesamten britischen Gesellschaft gibt es kein anderes Thema als das der schlafenden Anna O.
Sprecher: Die Gier der Öffentlichkeitnach Tod, Blut, Tragödie und Trauma schien nicht abreißen zu wollen.
Autorin: Autor Matthew Blake, eigentlich Redenschreiber und Rechercheur für das britische Parlament, war fasziniert von der Tatsache, dass der Mensch im Durchschnitt 33 Jahre des Lebens schlafend verbringt. Er wollte mehr hierüber wissen. Sein Thriller „Anna O.“ ist das Ergebnis. Den Autor beschäftigt dabei vor allem die Frage: Wenn jemand beim Schlafwandeln einen Mord begeht, ist er dann schuldig oder unschuldig?
Sprecher: Haben Sie sich noch nie gefragt, was Sie im Schlaf getan haben könnten?“, fragt Prince eine junge Frau. „Was sind das denn für Verbrechen?“ „Alles, was man sich vorstellen kann.“ „Aber dabei müssen die Leute doch aufwachen!“ „Nicht wenn sie schlafwandeln. Ich hatte Patienten, die im Schlaf das Haus verlassen und Auto fahren. Manchen töten sogar.“
Autorin: Die Menschen wollen mehr wissen über die Nacht, in der die beiden Freunde von Anna O. erstochen wurden. Doch das Justizministerium versucht Anna O. abzuschirmen. Lässt nur Harriet, die treusorgende Krankenschwester, an die Schlafende. Und letztlich auch Dr. Benedict Prince, Experte in Sachen Schlafmedizin.
Sprecher: Meine berufliche Pflicht besteht darin, Anna fit für einen Prozess zu machen. Doch meine moralische Pflicht fordert, Anna so lange wie möglich hier in der Klinik zu behalten. Sie ist sowohl eine Mörderin als auch ein medizinisches Rätsel.
Autorin: Prince ist forensischer Psychologe und hat so seine ganz eigene Theorie, wie er die Schlafende aus ihrem komatösen Zustand wieder erwecken könnte: So sitzt er Tag für Tag an ihrem Bett. Während sich um ihn herum etwas zusammenbraut, mit dem er nicht gerechnet hat.
Ein Thriller, in dem kaum eine der Figuren die ist, die sie zunächst zu sein scheint. In dem gelogen, verdeckt und manipuliert wird. Eine Geschichte, voll falscher Spuren, anhaltender Intrigen und offener Fragen. Ein außergewöhnliches Szenario, das aus dem Wust der Neuerscheinungen mit Erfolg herausragt.