Neonazi-Angriffe auf Politiker in NRW Frankfurter Rundschau 22.12.08

szmtag

 

Rechte in NRW

Löcher in der Fensterscheibe

VON INGRID MÜLLER-MÜNCH
Ulla Jelpke kämpft gegen Rechts
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Ulla Jelpke kämpft gegen Rechts (Bild: dpa)

 

Köln. Zunächst war nur die Haustüre mit Sekundenkleber zugepappt, dann wurde sein Konterfei in einer Art „Bürgerbrief“ im Viertel verteilt, kurz darauf dann in die Seitentüre des nagelneuen Seat-Pkws ein Hakenkreuz geritzt. Als dann Tage später das Auto bestialisch stank, wunderte es Dieter Spliethoff schon gar nicht mehr, dass „ein Fisch feste in die Lüftung reingedrückt“ worden war.

Der Mülheimer SPD-Politiker und seine Familie werden seit Monaten schon von Rechtsradikalen bedroht. „Daran besteht kein Zweifel“, versichert Spliethoff. „Die hinterlassen jedes Mal ihre Visitenkarte.“ Aufkleber mit dem Logo der Jungen Nationaldemokraten, der NPD-Jugendorganisation, Flyer auf denen steht: Deutschland den Deutschen.

Begonnen hatten die Attacken auf die Mülheimer Familie, nachdem Dieter Spliethoff sich eines Abends mit einem Glatzkopf anlegte. Der hatte ein NPD-Flugblatt in Spliethoffs Briefkasten geworfen, war von dem Lokalpolitiker dabei erwischt und zur Rede gestellt worden und hatte daraufhin gedroht: „Ich komm wieder mit meinen Freunden“. Wenige Tage später begannen die Angriffe.

Seitdem vollziehen die Spliethoffs jeden Morgen das gleiche Ritual: Egal ob Eltern oder Kinder, jeder der aus dem Haus tritt, „guckt nach dem Türschloss, auf die Treppe und, bevor man sich ins Auto setzt, geht man einmal drumherum“, beschreibt Dieter Spliethoff den inzwischen eingespielten Rhythmus.

Das dreiste Vorgehen von Rechtsradikalen gegen Spliethoff scheint im Ruhrgebiet kein Einzelfall zu sein. Auch auf das Dortmunder Wahlkreisbüro der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke wurden inzwischen vier Anschläge verübt. Jedes Mal hinterließen die Attentäter Aufkleber mit Parolen wie „Dortmund ist unsere Stadt“. Angefangen hatte es vor über einem Jahr, der letzte Anschlag war Ende August. Mehrfach wurden die Büroscheiben zertrümmert, mal durch Steine, mal mittels einer Stahlzwille „regelrecht durchschossen“, so Ulla Jelpke.

Mitarbeiter haben Angst

Seitdem haben die Mitarbeiter der Linken-Abgeordneten Angst, fühlen sich ungeschützt. Vor allem, nachdem bei dem vierten, dem bisher letzten Anschlag, die örtliche Polizei nicht mehr zur Spurensicherung kam. „Die haben einfach abgewinkt und gesagt, das würden sie sich gar nicht erst angucken. Das würde nichts bringen.“ Ein Pressesprecher der Dortmunder Polizei räumt zwar ein, dass „nicht jedes Mal“, jemand vor Ort war. Man sei jedoch, was diese Vorfälle angehe, hoch sensibilisiert.

Ulla Jelpke hat inzwischen, auf ihren wiederholten Antrag hin, vom Bundestag Sicherheitsjalousien für ihr Büro bewilligt bekommen. Sicherheitsglas wäre ihr lieber gewesen, denn ihre Mitarbeiter „können ja nicht den ganzen Tag die Jalousien runterlassen“. Seit den Anschlägen auf ihr Büro bekommt sie vermehrt Drohanrufe und E-Mails, „ganz übler Art“, wie sie sagt. So wird ihr unter anderem angekündigt: „Diese Frau, die den nationalen Widerstand stört, muss beseitigt werden.“

Für den stellvertretenden Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, ist inzwischen eine neue, in allen Bundesländern seit 2004 auftretende rechtsextreme Gruppierung „Autonome Nationalisten“ hochgefährlich. Der Verfassungsschützer beschreibt sie als jung und latent gewaltbereit. Sie würden, so Freier, wenn sie glauben angegriffen zu werden, auch zu Gewalt greifen. Ihr Auftreten hat seiner Einschätzung nach „das Potential an Gewalt in der rechtsextremen Szene enorm gesteigert“.

Dennoch haben sich seiner Beobachtung nach ähnliche Bedrohungsszenarien wie die gegen den Mülheimer SPD-Abgeordneten oder das Dortmunder Wahlkreisbüro in letzter Zeit nicht gehäuft. Es blieben, so schätzt er, „bedenkliche aber Einzelfälle“.