Stuttgarter Zeitung 11.12.08 Reportage über Doppelbürger, Frankfurter Rundschau 2.1.09

Doppelbürger auf Zeit

Seda, Sema und Hasim müssen sich für ein Land entscheiden

 Bis vor kurzem dachte Familie Irikaya, die Sache wäre ein für allemal erledigt, der Status ihrer beiden Töchter Seda und Sema  endgültig geregelt. Doch dann flatterte ein amtliches Schreiben ins Haus und brachte die Familie aus der Fassung. Satzfragmente wie „ … durch Einbürgerung nach §40b …..Staatsangehörigkeitsgesetz….Hinweis durch die Einbürgerungsbehörde….“ irritierten sie. Und selbst Seda, die schon in der Ausbildung ist und eigentlich fließend deutsch spricht, konnte den Text nur mit Mühe für ihre Eltern übersetzen. Auf Nachfrage, ob sie verstanden hat,  worum es in dem Brief geht, antwortet sie zögernd: „Ich glaube, ich muss mich für einen von meinen beiden Pässen entscheiden.“

Genauso ist es. Auch  Hasim Güney, der kurz vor seinem Abitur steht, wird einen seiner Pässe abgeben müssen. Hasim ist in Köln geboren, seine Familie stammt aus der Türkei. Seine Eltern hatten vor acht Jahren für Hasim einen Einbürgerungsantrag nach $ 40 b des damals in Kraft getretenen neuen Staatsbürgerschaftsrechts gestellt. Begründet hatte dies Hasims Vater damit, dass das  „vielleicht besser ankommt“. Dadurch sehe man, „der Junge hat ein bisschen was dafür getan, sich hier zu integrieren.“

Doch für die 18-jährige Seda ebenso wie für den gleichaltrigen Hasim ist es demnächst wohl vorbei mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Die erst 16-jährige Sema hat noch zwei Jahre Schonfrist. Danach wird auch sie sich, so wie etwa 3.300  junge Migranten und Migrantinnen in diesem Jahr, mit der Frage befassen müssen:  Wo gehören wir hin? Was ist unsere Heimat?  Für Sedas Mutter steht die Antwort zwar längst fest:  „Wir sind keine Türken mehr. Wirklich, glauben sie mir. Meine Kinder sind hier geboren, zur Schule gegangen, machen hier ihre Ausbildung.“ Doch fragt man ihre Töchter, dann  fühlen die sich gleichermaßen hier zu Hause wie  in der Türkei. Dorthin reisen sie im Sommer, besuchen ihre Restfamilie, Cousins, Cousinen, Tanten, Onkel.

Seda, Sema und Hasim wurden dank des im Jahr 2.000 in Kraft getretenen neuen Staatsbürgerschaftsrecht sogenannte „Doppelbürger“. Also Menschen, die über zwei Pässe verfügen: den deutschen und den des Heimatlandes ihrer Eltern. Ein papierener Spagat zwischen zwei Welten wurde damit für sie ermöglicht. Ein Spagat, der ihnen aber immerhin acht Jahre lang das komfortable Gefühl gab, mit jeweils einem Fuß in einem ihrer beiden Heimatländer fest  verankert zu sein. So, wie dies für EU-Bürger oder Schweizer selbstverständlich möglich ist.  Auch Seda, Sema und Hasim konnten dank ihres deutschen Passes ohne Probleme auf Klassenfahrten ins europäische Ausland mitzureisen. Dank ihres türkischen Passes mussten sie ihre Herkunft nicht verleugnen, konnten je nach Situation stolz darauf verweisen: „Ich bin Türke, ich bin Deutsch.“

Doch für türkischstämmige Migranten wie Seda, Sema oder Hasim wird demnächst einer ihrer Pässe ungültig.  In diesem Jahr  werden die ersten  „Doppelbürger“ volljährig. Damit beginnt für sie die sogenannte Optionsphase. Bis zu ihrem 23. Geburtstag haben sie Zeit,  entweder die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft zu wählen. Beides geht nicht mehr. Wer den Termin verstreichen lässt, verliert automatisch seinen deutschen Pass.

Eigentlich sollte das neue Staatsbürgerschaftsgesetz den Status von Migrantenkindern verbessern. So sah es vor,  dass all jene, deren Eltern schon seit acht Jahren legal hier lebten, ab dem Jahr 2.000 mit der  Geburt automatisch die  deutsche Staatsbürgerschaft zusätzlich zum Pass  ihrer Eltern bekommen. Darüberhinaus konnten Migranten für ihre ab 1990 geborenen  Kinder  nachträglich eine solche Doppelstaatsbürgerschaft beantragen. Doch die Sache hatte einen Pferdefuß,  das neue Staatsbürgerschaftsrecht war mit heißer Nadel gestrickt. Der zunächst so großzügig ausgestellte deutsche Pass  war lediglich eine Leihgabe, befristet bis zur Volljährigkeit des Doppelbürgers.

Die ersten traf es nun in diesem Jahr. Das Kölner Ausländeramt zum Beispiel schickte  inzwischen an 100 Jugendliche  die Aufforderung, einen  ihrer Pässe abzugeben. In  Stuttgart bekommen etwa 60 Jugendliche bis Jahresende ein entsprechendes Schreiben.  Nun stehen Entscheidungen an, die nicht nur von emotionalen, sondern auch von praktischen Erwägungen geprägt sein werden. Die meisten werden sich zwar für ihren deutschen Pass entscheiden, davon ist der Kölner Sozialarbeiter Koran Özkütürk überzeugt. Aber das nur zähneknirschend. „Weil sie die Welt nicht verstehen. Wat soll der Blödsinn, werden die sagen. Ich hatte seit meiner Geburt, und das ist eine Ewigkeit her, beide Staatsbürgerschaften. Warum soll ich jetzt eine abgeben?“  

Hasim, der ohne groß zu überlegen versichert, seinen deutschen Pass auf jeden Fall behalten zu wollen, wird  Probleme bekommen, davon ist Rechtsanwalt Odendahl überzeugt. Hasim will nicht zum Militär. Damit ist Ärger vorprogrammiert. Denn so einfach, befürchtet Odendahl, wird die Türkei junge Männer nicht aus der Wehrpflichtig entlassen, „da tauchen schon mal Schwierigkeiten auf.“ Die Leiterin des Kölner Ausländeramtes Rita Manier hat für einen solchen Fall allerdings eine Lösung parat. Sollte es beim Ausbürgerungsantrag Probleme geben, sollte man sich nur mit hohen Summen zum Beispiel vom Militärdienst freikaufen können,  „dann  wäre das eine Unzumutbarkeit.“ Und in  so einem Fall hält das neue Staatsbürgerschaftsrecht ein Schlupfloch parat, besteht  die Möglichkeit „sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten.“

Hasim würde dies liebend gern tun. Denn nichts schätzt er mehr, als  dazuzugehören, nicht aufzufallen. Obwohl er sich auf seinem Kölner Gymnasium wohl fühlt, fällt er so schon oft genug aus dem Rahmen. „Es fängt an bei der Anwesenheitskontrolle. Wenn man die Namen durchgeht, dann kommt Thomas, Marie und dann Hasim.“ Schon stockt der Lehrer, stolpert über seinen Namen, kann ihn nicht aussprechen.  Für Hasim jedes Mal eine Situation, in der er sich außen vor fühlt, anders, fremd, eben türkisch.

Rechtlich, meint Sozialarbeiter Özkütürk, bekäme man die Sache in den Griff. „Tragisch“  ist seiner Meinung nach, „dass diese Menschen sich in beiden Nationalitäten in beiden Kulturen beheimatet fühlen.“ Und man sie nun zwinge, nur einen Pass zu behalten, sich damit gegen einen zu entscheiden. Das sei so, versucht sich Özkütürk an einem Vergleich, „als würden sie einem katholischen Deutschen sagen, er soll Protestant werden.“

Aus Berlin kommen in letzter Zeit allerdings beschwichtigende Töne.  Offenbar scheint auch die hohe Politik begriffen zu haben, wie unpraktikabel diese Optionsregelung ist.  Sozialarbeiter Özkütürk greift die Berliner Signale in seiner Beratung von Familie Irikaya auf und rät ihnen, sie solle nichts überstürzen, die ihnen eingeräumte Entscheidungsfrist von fünf Jahren  ausschöpfen. Vielleicht, so hofft Özkütürk, hat sich bis dahin das Staatsbürgerschaftsrecht der Realität angepasst. Und die heißt: Jugendliche wie Hasim, Seda oder  Sema, sind zweisprachig aufgewachsen, in zwei Kulturen zu Hause,  haben defacto zwei Heimatländer. Hasim zum Beispiel fühlt sich mal so, mal so: „Zu Hause eher türkisch. In der Schule eher Deutsch“.

 

Auch die Irikayas fühlen sich hin und hergerissen. „Wir wissen noch nicht, was wir jetzt machen sollen.“ Vom deutschen Pass versprechen sich die Eltern, dass ihre Kinder nicht, wie sie selbst, als Putzfrau oder in der Fabrik arbeiten müssen. Dass sie innerhalb der EU reisen können, leichter eine Ausbildung, leichter eine Arbeitserlaubnis  bekommen. Für Seda allerdings ist es wichtig, dass in den Sommerferien die Leute in der Türkei nicht sagen, “ich habe gehört, Du hast nen deutschen Pass. Jetzt bist du hier in der Türkei Ausländer.“ Während ihre deutschen Freundinnen ihr vorwerfen werden: „ ich hab gehört, dass du einen türkischen Pass hast, jetzt bist du hier Ausländerin.“ Nur Hasim, dem ist es eigentlich egal. Schulterzuckend meint er, „ein Pass ist nur ein Pass. Ist doch nichts anderes, als ein Stück Papier.“

E N D E