SWR2, Redaktion Leben: Feature 25 Min., 8.12.2008 Doppelbürger auf Zeit

Seda, Sema und Hasim müssen sich für ein Land entscheiden

Wo gehören sie hin? Was ist ihre Heimat? Mit dieser Frage müssen sich von diesem Jahr an tausende junger Migranten und Migrantinnen befassen. So wie die drei türkischstämmigen Jugendlichen Seda, Sema und Hasim. Sie alle wurden dank des im Jahr 2.000 in Kraft getretenen neuen Staatsbürgerschaftsrecht sogenannte „Doppelbürger“. Also Menschen, die über zwei Pässe verfügen: den deutschen und den des Heimatlandes ihrer Eltern. Doch damit ist nun Schluss. Denn in diesem Jahr wurden die ersten dieser „Doppelbürger“ volljährig. Damit beginnt für sie die sogenannte Optionsphase. Das heißt, sie müssen sich entscheiden. Bis zu ihrem 23. Geburtstag haben sie Zeit,  entweder die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft zu wählen. Beides geht nicht mehr. Eine Entscheidung, die vor allem meist Jugendliche betrifft, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland einwanderten.  Ingrid Müller-Münch hat mit Seda, Sema und Hasim über die Qual der Wahl  gesprochen und sich informiert, was eine solche Entscheidung für diese jungen Leute bedeutet.

Ingrid Müller-Münch an Nadja Odeh

 

Doppelbürger auf Zeit

Seda, Sema und Hasim müssen sich für ein Land entscheiden

(Musik- und Atmotöne-Empfehlung: Anfangstakte von Muhabbet-Songs oder Aziza A.-Stücken, teils unterlegt unter Text, teils als Zwischenstopp gedacht)

(Hasim spricht sich Haschim aus, Manier französisch Manjé)

 

 

Atmo Töne

 

O-Ton Seda Irikaya:

Ich bin Seda Irikaya. Ich bin hier geboren. Ich bin 18. Ich hab einen Hauptschulabschluss von der 9. Klasse.  

 

Atmo Töne

 

O-Ton Seda Irikaya :

Ich weiß nicht, in welchen Pass ich mich entscheiden soll. Ist für mich schwer. Türken oder Deutschen. Wenn  ich deutsche und türkische habe, ja, bessere. Nur Deutschen wäre schlecht, nur Türken wäre schlecht. Beides Pass zu haben ist besser. Ja man fühlt sich sicher. Wenn ich Sommerferien in die Türkei fahre, dann sagen die, ja, ich hab gehört, Du hast nen deutschen Pass. Jetzt bist Du hier in der Türkei Ausländer. Und wenn ich hier in Deutschland bin, dann sagen die, ja, ich hab gehört, dass du Türkenpass, jetzt bist du hier ein Ausländer. Also das wäre natürlich nicht so gut.

 

Atmo Töne

 

O-Ton Hasim:

Ich bin der Hasim Güney. Bin gerad dabei, mein Abi zu machen. Geboren bin ich in Köln. Meine Familie stammt überwiegend aus der Türkei. Wo ist meine Heimat? Also meine Heimat ist, ja, ist schwer zu beantworten. Wenn ich in der Türkei bin fühle ich mich halt da wohl. Aber wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich einen Tick wohler.  

Autorin:

Seda Irikaya und Hasim Güney haben  ein Problem. Ein Problem, dass in diesem Jahr bundesweit etwa 3.300 Jugendliche mit ihnen teilen. Sie alle sind im Jahre 1990 geboren und werden jetzt volljährig. Die meisten von ihnen dürften inzwischen Post von ihren Ausländerämtern bekommen haben. So wie die Beiden:

 

O-Ton

 Seda Irikaya liest Brief vom Amt vor, Gestammel. Kurz ein- dann wieder ausblenden.

Ich, Seda Irikaya, geboren am 6.8.1990, habe durch Einbürgerung nach § 40b Staatsangehörigkeitsgesetz die deutsche  Staatsangehörigkeit erworben, ohne meine ausländische Staatsangehörigkeit zunächst aufgeben zu müssen. Nach Erreichen der Volljährigkeit und Hinweis durch meine Einbürgerungsbehörde gebe ich hiermit folgende schriftliche Erklärung ab.

 

Autorin:

In Seda und Semas Familie wird zu Hause türkisch gesprochen.  Daher ist das korrekte Amtsdeutsch auch für die beiden Mädchen, die in der Hauptschule nur  holprig deutsch lernten, kaum verständlich.  Auf die Frage, ob sie weiß, worum es in dem Brief geht,  antwortet Seda Irikaya:

 

O-Ton Seda Irikaya

Ich glaube schon, dass ich entscheiden soll, welche Pass ich nehmen soll.

 

Autorin:

Genauso ist es. Seda Irikaya muss sich entscheiden: Will sie ihre deutsche oder ihre ausländische Staatsangehörigkeit behalten. Beides geht nicht mehr. Vor acht Jahren wurde dies von der hohen Politik so beschlossen. Nun stehen die jungen Leute da und wissen nicht, was sie tun sollen. Denn in diesen Tagen flattert nicht nur bei Familie Irikaya amtliche Post ins Haus, auf die unbedingt reagiert werden muss. Wer sie ignoriert, verliert demnächst seinen deutschen Pass. Die Unsicherheit ist  groß, in vielen der betroffenen Familien. Was nur sollen sie tun? Zu sehr haben sich die Jugendlichen an ihre Zweistaatlichkeit gewöhnt, mit der sie aufgewachsen sind. Auch Sedas jüngere Schwester Sema, die erst in ein paar Jahren einen ihrer beiden Pässe abgeben muss, beschäftigt sich schon mit dem Problem.  

Sema Irikaya:

Also ich muss mich für die deutsche Pass entscheiden, weil meine Eltern halt hier sind. Ich kann ja keine türkische Pass nehmen und in die Türkei bleiben, alleine. Obwohl meine ganze Generation da ist, also meine Cousinen, meine Oma, also meine Tanten usw. 

 

Autorin:

Anlass dafür, dass junge Migranten und Migrantinnen derzeit unter Entscheidungsdruck geraten, ist das im Jahr 2.000 in Kraft getretene neue Staatsbürgerschaftsrecht. Eigentlich sollte es vor allem den in Deutschland lebenden türkischstämmigen Kindern die Möglichkeit geben, leicht den deutschen Pass zu erlangen, per Geburt oder per Antrag – ohne den des Herkunftslandes ihrer Eltern zu verlieren. Es sollte das vorher geltende relativ schwierige Einbürgerungsverfahren für junge Migranten erleichtern. So, wie dies  zum Beispiel Kindern aus EU-Ländern oder der Schweiz ohne Probleme möglich ist, erklärt die Leiterin des Kölner Ausländeramtes Rita Manier.

 

O-Ton Manier

Das sieht das Gesetz auch bei Einbürgerungen vor, dass ein EU-Bürger oder ein Schweizer eine doppelte Staatsangehörigkeit behalten darf. Aber auch diese Kinder müssen erklären, dass sie Deutsche bleiben wollen und gleichzeitig einen Antrag auf Beibehaltung ihrer EU Staatsangehörigkeit stellen oder ihrer Schweizer Staatsangehörigkeit.

 

Autorin:

Im Unterschied zur Türkei, die als Nicht-EU-Mitglied eben anders behandelt wird. 

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Vor der Frage, ob sie sich eher deutsch oder eher türkisch fühlen, stehen Kinder türkischer Zuwanderer sowieso schon ständig. Wie der 18jährige Hasim.

 

O-Ton Hasim:

Also es kommt ganz auf die Situation an, muss man ganz ehrlich sagen. Also, wenn man zu Hause ist, türkisch spricht, mit türkischen Eltern, türkisch isst, mit türkischen Freunden unterwegs ist, sag ich mal so, man fühlt sich türkisch. Aber wenn man in die Schule geht, dann fühlt man sich schon mehr als Deutscher. Also es kommt schon auf die Situation an.

 

O-Ton Mutter Irikaya:

Wenn man hier sagt, wir sind Türken. Wir sind keine Türken mehr. Wirklich, glauben sie mir. Meine Kinder sind hier geboren, sind Schule gewesen, die haben Kindergarten, Ausbildung usw. usw. Vielleicht nachher finden eine deutsche Freund, gibt’s auch, wo viele Leute hier. Weiß ich nicht jetzt.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz sieht vor,  dass ab dem Jahr 2.000 Migrantenkinder, deren Eltern schon seit acht Jahren legal hier leben, bei ihrer Geburt automatisch die  deutsche Staatsbürgerschaft zusätzlich zum Pass  ihrer Eltern bekommen. Das ist neu, und eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem unsicheren Status, den hier geborene ausländische Kinder bis dahin hatten. Darüberhinaus konnten Migranten für ihre vor 2.000, aber ab 1990 geborenen Kinder   nachträglich eine solche Doppelstaatsbürgerschaft beantragen- sofern sie den Antrag innerhalb von 12 Monaten ausfüllten und bereit waren, 500 DM Gebühr zu zahlen.  Die Leiterin des Kölner Ausländeramtes, Rita Manier,  erklärt, wie das damals vor sich ging:

 

O-Ton Manier:

Im Jahr 2000 gab es für die Dauer von einem Jahr für alle Kinder, die zu diesem Zeitpunkt das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, die Möglichkeit, die Deutsche Staatsangehörigkeit auf Antrag zu erwerben, wenn ihre Eltern zu diesem Zeitpunkt mindestens 8 Jahre rechtmäßig ihren Aufenthalt in Deutschland hatten. Das ist die Regelung nach 40b, der sogenannte Antragserwerb.

 

 

Autorin:

Damals, vor acht Jahren erfüllte nur die Hälfte der in Deutschland lebenden rund 700.000 ausländischen Kinder die Voraussetzungen dafür, dass ihre Eltern für sie einen Antrag auf Einbürgerung gemäß § 40b des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes stellen konnten.  Viele ausländische Eltern wussten  gar nicht, dass es diese Möglichkeit gab – auch wenn die Einbürgerungsämter sie hierüber schriftlich informiert hatten. Doch die Amtssprache war schwer verständlich. Bei Familie Irikaya zum Beispiel  ging  im Jahr 2.000 ein amtliches Schreiben ein, auf türkisch abgefasst,  das ihr Vater bis heute aufbewahrt hat. Seine Tochter Seda übersetzt:

 

O-Ton Vater Irikaya

Liest auf türkisch, was ihm 2.000 vom Amt geschrieben wurde ausblenden

O-Ton Seda übersetzt

Die sollen sich bis 31.12.2000 entscheiden, was sie sein sollen.

 

Autorin:

Rechtsanwalt Hans-Werner Odendahl findet, das die Betroffenen seinerzeit schlecht informiert wurden.

 

RAOdendahl

Ich kann mich nicht entsinnen, dass es da ne Informationskampagne gegeben hätte. Das weiß ich nich mehr. Aber ne positive Erinnerung hab ich daran nich, und wenns das gegeben hätte, dann wären die ja wahrscheinlich mit den Zetteln zu mir gekommen und hätten mich gefragt. An so was kann ich mich nicht erinnern.

 

O-Ton Frau Irikaya

Nein, damals haben die uns das nicht gesagt im Bürgerzentrum. Da war Zeit für uns ganz knapp gewesen. Entscheiden. Jetzt kommt das Brief, haben wir gelesen, haben wir nicht genau verstanden.

 

Atmo Töne

 

 

Autorin:

Eltern wie die von Hasam Güney dachten, sie tun ihren Kindern etwas Gutes und stellten einen Einbürgerungsantrag.

 

O-Ton Hasim

Bis zur fünften Klasse hatte ich nur die türkische Staatsbürgerschaft. Dann aufs Gymnasium bin ich gewechselt. Ja, hat mein Vater gesagt, vielleicht kommt es besser, wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Sieht man auch, ja der Junge hat sich bisschen was dafür getan. Er meinte auch, damit hätte ich es auch ein bisschen leichter gehabt. Türkische Staatsbürgerschaft  hab ich noch behalten, weil, man ist ja noch Türke. Obwohl es jetzt nur so ein Blatt ist, wo Deine Personalien draufstehen. Aber mein Vater wollte es halt so.

 

O-Ton Seda Irikaya

Für mich Vorteil, dass ich auswandern kann. Also zum Beispiel wo europäiche Länder, Spanien, Griechenland oder so. Wenn ich türkischen Pass hätte, Türkei ist ja kein Europaland. Deswegen kann ich auch nicht Spanien oder Griechenland spaziergehen.  Also ich will gerne auch mal die andere Länder sehen.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Doch die Sache hatte einen Pferdefuß. Denn das neue Staatsbürgerschaftsrecht war mit heißer Nadel gestrickt. Der zunächst so großzügig ausgestellte deutsche Pass  war lediglich eine Leihgabe. Roland Koch hatte bei der Hessenwahl kräftig gegen die doppelte Staatsbürgerschaft polemisiert:

 

O-Ton Koch:

Und deshalb ist auf die Dauer der nächsten Jahre gerechnet, es geht so, dass es die Frage ist, dass es einmal um vier Millionen geht, im Rahmen der Integration, sondern dauerhaft werden wir 10, 15 Millionen und mehr in den großen Städten wie Kassel und Frankfurt sehr, sehr schnell 30, 40, 50 Prozent der jugendlichen Generation mit zwei Staatsbürgerschaften haben.

 

Autorin:

Eine Vision, die offenbar Ängste schürte, mit der tatsächlichen Anzahl der Doppelstaatsbürger, die sich gerade mal im Tausenderbereich bewegen, nichts zu tun hat. Dennoch gewann Koch  mit derlei überzogenen Darstellungen den Wahlkampf. Rot/Grün verlor danach die Mehrheit im Bundesrat, musste sich beugen, bekam nur ein verwässertes Gesetz durch:  Mit  dem sogenannten Optionsmodell. Danach soll die den Migrantenkindern erteilte Doppelstaatsbürgerschaft  nicht auf Dauer gelten. Sie ist lediglich eine Übergangslösung, befristet bis zur Volljährigkeit des Doppelbürgers. Die ersten traf es nun  im Jahr 2.008. Für Sozialarbeiter Koran Özkütürk ebenso wie für Rechtsanwalt Hans-Werner Odendahl ein Ärgernis:

 

O-Ton Özkütürk

Ich hab die Welt nicht verstanden. Weil die damalige Bundesregierung hat ja sehr breit kundgetan, dass endlich die doppelte Staatsbürgerschaft ohne Hürden und ohne Hemnisse ermöglicht werden würde. So sind sie auf den Weg gegangen. Und auf Grund der Kritik durch die damalige Opposition haben sie sich total umdrehen lassen.

 

O-Ton Odendahl :

Also wir waren natürlich sehr erbost darüber, dass das sone Minilösung geworden ist, die ürsprünglich großzügigere Lösung war ja irgendwie sang- und klanglos untergegangen. Dann kam diese Minilösung raus und die ham wir einerseits dementsprechend mit Skepsis gesehen, andererseits hatten wir sofort das Problem, dass diese Frist von einem Jahr, die da die Kinder, die in den 90ern geboren waren, dann hatten, dass die doch ziemlich kurz bemessen is. Weil sich so was in der Klientel eben doch nicht so schnell rumspricht.

 

Atmo Töne

 

O-Ton Hasim:

Wenn ich jetzt bei türkischen Freunden zu Hause bin, haben wir natürlich Traditionen und Sitten. Wie man sich benimmt und so. Das ist bei Deutschen nicht unbedingt so der Fall. Der Unterschied? Die Deutschen sind mehr so lockerer. Bei denen kann man Witzchen machen über Sachen, keine Ahnung, über die man mit Türken nicht so offen redet. Z.B. über Frauen. Oder so. Red ich mit meinen türkischen Freunden nicht so, auch wenn die Eltern dabei sind. Weil, der Gagfaktor ist ein bisschen anders. Die Deutschen sind ein bisschen lockerer, nette Atmosphäre is ganz locker. Bei Türken kannst Du Witzchen machen, aber nicht über bestimmte Themen. Hat nun auch wiederum was mit der Religion zu tun.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

In diesem Jahr werden von den Ausländer- und Einbürgerungsämtern die ersten Doppelpässe zurückverlangt. Denn die ersten Antrags-Doppelbürger werden volljährig. Damit beginnt für sie die Option, sprich, die Qual der Wahl.

 

O-Ton Manier :

Hier in Köln werden sich in den nächsten Jahren insgesamt 1500 Optionskinder entscheiden müssen, ob sie die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wollen oder die Deutsche Staatsangehörigkeit behalten wollen. Und in diesem Jahr sind es etwas 100.

 

Autorin:

In Stuttgart sind dies bis  zum Jahr 2017  insgesamt 1.000 Jugendliche. All jene somit, deren Eltern im Jahr 2.000 für sie  den Einbürgerungsantrag stellten. Ab dem Jahr 2018 rechnet die Stuttgarter Stadtverwaltung dann mit jährlich etwa 1.000 Migrantenkinder, die mit Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsrechts per Geburt Doppelbürger wurden und dies mit Beginn ihrer Volljährigkeit nicht mehr bleiben können. Seit Anfang 2008 müssen die Einbürgerungsämter die jetzt volljährigen Doppelbürger-Jugendlichen auf diese Optionsmöglichkeit aufmerksam machen. Die  Migrantenkindern haben dann zwar fünf Jahre Zeit, ihr Votum für den Pass ihrer Wahl abzugeben. Egal wie,  entscheiden müssen sie sich, sonst tut es der deutsche Staat für sie und kassiert den deutschen Pass ein. Die Frage, die diese jungen Leute beantworten müssen, lautet: Werden sie zukünftig nur noch türkisch sein oder nur noch deutsch? Ein Problem auch für Hasim, denn ihm kam der doppelte Pass gerade recht. Auch ohne die anstehende Entscheidung wird er immer wieder auf seine Herkunft gestoßen:

O-Ton Hasim

Wenn ich neue Leute kennenlerne. Heißt es auch direkt, wenn ich mich vorstelle mit meinem Namen, dann heißt es direkt, woher kommst du. Wenn ich sage: Aus der Türkei, dann erstmal hier direkt mal hier dieser Blick, komisch, und dann kommen erstmal so diese ganzen Vorurteile raus. Von wegen, äh, krass und so. Dann kommen die in Asisprache und so. Du gehst auf die Hauptschule? Sag ich, Ne. Ich geh aufs Gymnasium. Und dann, ja das hört man ja auch nicht so oft. Erzähl mal, wie haste das geschafft? Wo wohnst du? Und so,. Das ist halt Diskrimination in dieser Weise.

 

Autorin:

Familie Irikaya weiß noch immer nicht so recht, wofür sie sich entscheiden soll. Das  Beste für ihre Töchter wäre die doppelte Staatsbürgerschaft, da ist sich Seda und Semas Mutter sicher:

 

O-Ton Mutter Irikaya

Wenn die Türkei sind, die Kinder, wenn die Fragen, was für Pass hast, dann kann sie ruhig sagen, ich bin ein Türkin. Aber wenn sie hierkommt, kann sie ruhig sagen, ich bin eine Deutsche. Das müssen wir hab, sonst ist schwer für die Kinder und auch für die Kinder zum Denken ist schwer.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Fällt ihre Wahl auf den deutschen Pass, dann müssten diese sogenannten Optionskinder dem türkischen Staat gegenüber zum Beispiel  ganz offiziell erklären, nicht mehr Türkinnen sein zu wollen.

 

O-Ton Manier

Nehmen wir mal das Beispiel, ein junger Türke, nennen wir ihn Mehmed, hat dieses Jahr das 18. Lebensjahr vollendet und wird aufgefordert, sich zu entscheiden, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit behalten möchte. Nehmen wir mal an, Mehmed entscheidet sich für die Deutsche Staatsangehörigkeit. Dann muss er das schriftlich erklären. Und gleichzeitig ist er verpflichtet, bis zum 23. Lebensjahr seine ausländische Staatsangehörigkeit, hier seine türkische Staatsangehörigkeit aufzugeben, sprich sich aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu lassen. Dazu muss er einen Antrag in seinem Herkunftsland stellen und dort angeben, dass er sich aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen möchte.

 

Autorin:

Die Irikayas zum Beispiel scheuen sich vor einem solchen Schritt. Deshalb verabredeten sie vor kurzem einen Beratungstermin bei  Sozialarbeiter Özkütürk, informierten sich, welche Vorteile diese, welche Nachteile jene Entscheidung für sie hätte.

 

O-Ton Özkütürk

Ja wenn wir von türkischen Jugendlichen sprechen, er hat keine unmittelbaren Nachteile. Wenn er sich für die Deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet. Er verliert dann natürlich die türkische Staatsbürgerschaft, wenn er irgend wann in der Türkei leben will, dann wird er als Türke der seine türkische Staatsbürgerschaft per Antrag und mit Erlaubnis abgegeben hat, immer noch bestimmte Rechte aus der Türkei benutzen können. Er wird nicht den Status eines völlig Fremden haben. Aber er ist eben kein türkischer Staatsbürger. Er kann nicht wählen, er kann kein Beamter werden. Bestimmte Handlungsmöglichkeiten sind ihm abgeschnitten.

 

Autorin:

Für bestimmte, komplizierte und unlösbare Situationen hat das Gesetz allerdings Schlupflöcher vorgesehen, die auch weiterhin eine doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Damit verbunden sind Anträge und Formularschlachten.

 

RA Hans-Werner Odendahl

Es gibt ja Länder die bürgern gar nicht aus. Oder nur unter extremen Schwierigkeiten. Z.B. die nordafrikanischen Länder bürgern überhaupt nicht aus. Oder bestimmte lateinamerikanische Länder. Da stelle ich dann unter Hinweis darauf ne Beibehaltungserlaubnis und dann bleibe ich Doppeltstaatler. Es wird aber z.B. für Türkei und ich glaube auch Iran wird es als möglich angesehen, dass man da raus kommt. Damit ist man aber den ganzen Schikanen dieser Behörden ausgeliefert und je nach dem aus welchem Grund die dann was gegen einen haben, kann das Schwierigkeiten bereiten. Meiner Erfahrung nach geben aber einem die türkischen Behörden nur im extremen Ausnahmefall mal schriftlich, dass einem die Ausbürgerung verweigert haben. Und dann hängt man da zwischen den Bürokratien. 

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Probleme kommen vor allem auf die männlichen Doppelpassinhaber zu. Denn die Türkei sieht für ihre Staatsbürger so etwas wie eine Wehrdienstverweigerung nicht vor.  Für Rechtsanwalt Odendahl eine Hürde mehr, die junge Leute zu überwinden haben und die nicht so leicht zu nehmen ist, wie sich das Hasim vorstellt:

 

O-Ton Hasim:

Ich hätte beide nicht gemacht. Militärdienst in der Türkei hätte ich nicht gemacht, und hier zur Bundeswehr gehen hab ich eigentlich auch nicht so vor. Also, ich mach glaube ich meinen Zivildienst.

 

O-Ton Odendahl :

Wenn sie jetzt auf die türkische verzichten, werden sie Probleme kriegen, wohl eher mit den männlichen Heranwachsenden. Weil die eben irgendwann militärdienstpflichtig werden in der Türkei, mit 20 Jahren, und da fangen dann schon mal die Schikanen an. Eigentlich sollten Türken trotz Militärdienstpflicht ihre Ausbürgerung erreichen können, aber da tauchen schon mal Schwierigkeiten auf.

 

O-Ton Manier:

Sie müssten hier in Deutschland angeben, dass sie den Wehrdienst verweigern wollen. Müssten eben entsprechend nachweisen, dass der türkische Staat das Recht auf Wehrdienstverweigerung nicht vorsieht. Es möglicherweise sogar unter Strafe stellt. Und dann wäre das eine Unzumutbarkeit. Wenn der türkische Staat dann die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit an das Ableisten der Wehrpflicht knüpft, und Mehmed sagt, ich möchte den Wehrdienst verweigern, das kann ich aber in der Türkei nicht, es ist möglicherweise sogar unter Strafe gestellt, dann wäre das ein Grund zu sagen, es ist unzumutbar für dich, dich aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu lassen und dann ist die Möglichkeit gegeben sowohl die türkische als auch die Deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Hasim schätzt es sehr, dazuzugehören, nicht aufzufallen. Obwohl er sich auf seinem Kölner Gymnasium wohlfühlt, fällt er so schon oft genug aus dem Rahmen:

 

O-Ton Hasim: 

Es fängt ja schon an bei der Anwesenheitskontrolle. Wenn man die Namen durchgeht, dann man z.B. Thomas, Marie und dann Hasim.Ne. Können die meisten Lehrer können meinen Namen nicht aussprechen. Dann kommt auch schon: Woher kommst denn du? Wie lange bist du schon in Deutschland? Das interessiert halt die meisten. Ja, da fängt es schon an. Im Unterricht merkt man da wenig von. Zum Glück kann ich die deutsche Sprache schon ein bisschen gut.

 

Autorin:

Rechtlich, meint Sozialarbeiter Özkütürk, bekäme man die Sache in den Griff.

 

O-Ton Özkütürk

Tragisch ist das Menschliche. Diese Menschen fühlen sich in beiden Nationalitäten in beiden Kulturen beheimatet, und man zwingt diese Menschen sich für eine dieser beiden Kulturen zu entscheiden. Und das ist eine Art Gewissenentscheidung. Das ist so, als würde man sagen, du musst jetzt deine Religion wechseln. Stellen sie sich vor, sie würden einem katholischen Deutschen sagen, er soll Protestant werden oder umgekehrt. 

 

Atmo Töne

 

 

Autorin:

Acht Jahre ruhte die Diskussion, konnten Migrantenkinder stolz zwei Pässe vorweisen. Sie ermöglichten ihnen, ohne Probleme auf Klassenfahrten ins europäische Ausland mitzureisen. Sie konnten ohne Schwierigkeiten mit ihren Eltern Verwandte in der Heimat besuchen. Sie hatten die Möglichkeit, sich überall dank ihres Passes zu Hause zu fühlen. Je nach Situation zu sagen, ich bin Türke, ich bin Deutsch. Damit ist es nun vorbei. Wie werden sie sich entscheiden?  Sie werden, davon ist Sozialarbeiter Özkütürk überzeugt, zwar meist den deutschen Pass wählen. Aber das nur zähneknirschend.

 

O-ton Özkütürk :

Weil sie die Welt nicht verstehen. Wat soll der Blödsinn, werden die sagen. Ich hatte seit meiner Geburt, und das ist eine Ewigkeit für die, beide Staatsbürgerschaften. Warum soll ich jetzt eine abgeben.    

 

O-Ton Hasim:

Es wird schwer, glaube ich. Aber ich denke mal,  es wird die Deutsche sein, die deutsche Staatsbürgerschaft. Weil, ich leb in Deutschland, ich hab jetzt nicht vor, wieder zurück in die Türkei zu gehen.

 

O-Ton Hans-Werner Odendahl

Also ne Herzensentscheidung wird das dann nich. Und ja, das ist auch von der deutschen Seite nicht so gewollt. Also um die Herzen dieser Jugendlichen wird ja nicht gekämpft in Deutschland. 

 

O-Ton Özkütürk 

Ähnliche Situation, ähnliche Fatalitäten hab ich schon immer befürchtet. Weil sie diese Entscheidung damals ja gar nicht getroffen haben. Im Falle von dem 40b Jugendlichen haben die Eltern diese Entscheidung getroffen. Und im Falle der Optionskinder hat der Staat die Entscheidung getroffen.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Aus Berlin kommen in letzter Zeit allerdings beschwichtigende Töne.  SPD-regierte Länder wollen einen Vorstoß wagen, der nun doch auf einen zeitlich unbegrenzten Doppelpass für Migrantenkinder hinausläuft. Inzwischen ist man sich offenbar weitgehend einig, dass die erzwungene Abgabe eines der beiden Pässe „Integrationspolitisch nicht sinnvoll ist.“ Auch wenn dem hier aufgewachsenen jungen Menschen der deutsche Pass entzogen würde, bliebe er in Deutschland, heißt es  einsichtig.  Das Optionsmodell, also die anstehende Wahl für eine Staatsbürgerschaft sei „nicht praxistauglich, überbürokratisch und prozessträchtig, ein bürokratisches Monstrum, “ so fraktionsübergreifende Töne. Sozialarbeiter Özkütürk greift die Berliner Signale in seiner Beratung von Familie Irikaya auf:

 

O-Ton Özkütürk :

Ich versuche, sie über die rechtliche Situation aufzuklären. Gleichzeitig sage ich ihnen aber, dass sie es nicht überstürzen. Die sollen die Zeit, die Entscheidungsfrist, ausschöpfen, weil in der Presse schon einige Male gesagt worden ist, die heutige Bundesregierung wäre bemüht hierüber eine Revision durchzuziehen. Das wäre die Lösung.

 

Atmo Töne

 

Autorin:

Die Signale aus Berlin verheißen Positives. Es besteht noch Hoffnung, dass Seda, Sema und auch Hasim beide Pässe behalten können.   

 

O-Ton Sema  

Also ich will keine Deutsche sein, obwohl ich hier geboren bin. Ich will in der Türkei sein. Eigentlich wäre beides besser: deutsche Pass und türkische Pass. Aber wenn das so nicht geht, dann muss ich deutsche Pass.

 

O-Ton Mutter Irikaya

14:08 Wissen wir noch nicht, was soll wir jetzt machen.

14:47 Ist für uns schwer zu entscheiden.

14:26 Meine Eltern waren 28 Jahre hier geblieben. Mein Vater ist jetzt gestorben in Deutschland.

20:00 Wir wollen, was ist richtig für die Kinder. Für uns ist egal jetzt. Jetzt für die Kinder wir sind hier. Nicht für uns mehr. Wir wollen jetzt Kinder etwas tut. Wir wollen nicht Putzefrau werden, wir wollen gar nix von Maschine arbeiten in Ford. Ganze Nacht usw. Das wollen wir nicht mehr haben.

17:34 Ich will beides haben, für meine Kinder.

 

O-Ton Hasim13:40

Also ich mach mir da eigentlich nichts draus. Ich meine, ein Pass ist nur ein Pass. Da steht Dein Name drauf, Dein Geburtsdatum. Und das wars. Ist nichts anderes als ein Papier, wo ein bißchen was über dich draufsteht. Ich mein, ich bleib ein Mensch und Deutsche sind Menschen, Türken sind Menschen.

 

Atmo Töne Ausklang

 

E N D E