„Voller Einsatz“, Traumatisierte Polizisten berichten. FR v. 30.11.09, 2 Seiten Panorama

Sie dürfen nicht weglaufen, wenn sie Angst haben. Sie können sich nicht um sich selbst kümmern, wenn sie anderen Menschen in Not helfen. Und sie müssen sich unter Kontrolle haben, wenn in ihnen  Wut oder  Verzweiflung hochkommen. Polizisten sind Belastungen ausgesetzt, die oft nicht einmal die nächsten Familienangehörigen nachvollziehen können.Wohin also mit dem Druck? Wie umgehen mit  schrecklichen Erlebnissen und aufgestauten Gefühlen?

Protokolle: Ingrid Müller-Münch, Fotos: Christoph Boeckheler

 

Jeanine Binder, seit 1988 Polizeibeamtin

 

Ich habe direkt nach der Realschule bei der Polizei angefangen und nicht geahnt, was da auf mich zukommt. War über sechs Jahre bei der Autobahnpolizei. Habe viele schlimme Unfälle aufgenommen. Als ich mit 16 Jahren zur  Polizei ging, war ich ein bisschen blauäugig und naiv. Keiner hat mich wirklich an die Hand genommen und auf das vorbereitet, was mich erwartete. Es war  mehr so Sprung ins kalte Wasser, als ich nach zwei Wochen auf der Straße den ersten verbrannten Toten aus dem Auto ziehen musste. Da kann einen auch keiner drauf vorbereiten.

Ein Unfall war besonders schrecklich. Es hieß, ein LKW steht quer auf der Fahrbahn. Auf der Fahrt dorthin haben wir noch Witze gerissen. Es war halt ein lockerer Nachtdienst. Und während wir uns näherten, sahen wir auf einmal Feuer und eine Rauchwolke. Als wir dann ankamen, war der Notarzt schon da. Und sagte halt nur, zweimal Exitus und ein Kind schwer verletzt.

Dann sah man bei den Kollegen, wie die Reaktionen einsetzten. Wir hatten mit dem, was wir da antrafen, einfach nicht gerechnet. Mussten aber zunächst Fotos machen, mussten ausmessen, die Abschlepper bestellen.

Man musste die Leute identifizieren, die im Auto saßen. Einer von uns hat sich  um das Kind gekümmert.  Im Laufe der Ermittlungen stellte sich  heraus, dass es nicht die Eltern waren, die  im Auto gesessen und gestorben waren. Woraufhin sich eine ganz absurde Erleichterung in mir breit machte.

Das Reden später mit den Kollegen hat mir  nicht gereicht. Ich wurde nachts wach und hatte diese verbrannten Leute vor Augen. Der Geruch war mir ständig präsent. Verbrannte Menschen verkrampfen sich,  nehmen eine Arte Embryostellung ein. Das hab ich ständig gesehen und bin es nicht mehr los geworden. 

Habe dann versucht, mit meiner Mutter darüber zu reden und gemerkt, ich belaste sie nur. Das war also auch nicht der richtige Weg. Daraufhin habe ich mich hingesetzt und habe alles aufgeschrieben. Mir hilft nach solchen Einsätzen vor allem auch das Schreiben. Also ich schreibe Geschichten, die sind mittlerweile auch veröffentlich worden. Wir sind eine Autorengruppe, nennen uns Polizeipoeten. Wir haben uns zusammengeschlossen, weil wir festgestellt haben, dass wir unsere Erlebnisse durch Schreiben gut bewältigen können.

Durch meine lange Zeit bei der Autobahnpolizei sind es natürlich vorwiegend schwere Unfälle, die ich zu Papier bringe. Meistens schreibe ich nicht direkt im Anschluss an das Geschehene, sondern wenn sich das Ganze ein wenig beruhigt und gesetzt hat. Ich gehe  nicht nur auf das ein, was ich erlebt habe, sondern auch auf meine Reaktionen.

Ob das nun die Hirnmasse ist, die ich vom Lenkrad abkratzen muss, oder das kleine Kind, das ich irgendwie im Arm halte, während seine Mutter vom Notarzt wiederbelebt wird. Das alles wird von mir so verfremdet, dass sich niemand wiedererkennen kann.

 

 

Carlo Brammertz, 35 Jahre, Polizeikommissar, seit 17 Jahren bei der Polizei

 

Eines meiner herausragendsten Erlebnisse war hier in Wuppertal, 1999, der Schwebebahnabsturz. Damals war ich 25 Jahre alt. Nach Reparaturarbeiten ist eine Kralle am Gerüst der Bahn auf der Fahrschiene hängengeblieben. Die erste Bahn, die wieder fuhr, ist gegen diese Kralle geprallt und in die Wupper gestürzt. Damals gab es etwa 60 Verletzte und fünf Tote.

Meine Aufgabe an dem Tag war die Angehörigenbetreuung. Das einschneidendste  für mich war, dass ich es mit ganz vielen unterschiedlichen Gefühlen zu tun bekam. Es gab Bürger, die vor Erschütterung kaum sprechen konnten, eine versteinerte Miene an den Tag legten. Andere haben mich angeschrieen, obwohl ich versucht habe, ihnen zu helfen. Ich war froh, dass ich an meiner Seite unsere Polizeiseelsorger hatte. Die sich mit mir um die Leute gekümmert haben.

Danach bin ich nach Hause gefahren, habe kurz erzählt, was passiert ist. Das wars. Dass der Einsatz Spuren hinterlassen hat, habe ich erst an dem Tag bemerkt, als ich in einer größeren Besprechungsrunde förmlich ausgerastet bin. Ich bin laut geworden, mir liefen die Tränen die Wangen. Daraufhin habe ich viele Gespräche mit Vorgesetzten geführt. Irgendwann war die Sache für mich abgeschlossen. Ich kann inzwischen ganz ruhig darüber sprechen.

Seit diesem Einsatz habe ich eine Grenze bei mir gespürt. Früher habe ich meine beruflichen Erfahrungen immer von meiner Frau ferngehalten. Wenn ich heute Probleme mit einem Einsatz habe, muss meine Frau mir einfach mal zuhören.

 Man kann auch zur Polizeiseelsorge gehen, die jede Behörde hat. Man kann zu seinem sozialen Ansprechpartner der Behörde gehen oder zur Gewerkschaft. Also man hat in den verschiedenen Sparten schon Ansprechpartner für solche Sachen.

 

 

 

Christian Kuhlemann, Kriminalhauptkommissar, Seit 25 Jahren bei der Polizei

 

Die erste wirkliche Katastrophe, die ich als Polizeibeamter erlebt habe, war das Zugunglück von Brühl. Ich war zu dem Zeitpunkt als Todesermittler eingesetzt. Der Umgang mit Leichen war meine tägliche Arbeit. Doch als ich am Unglücksort in Brühl ankam, hat mich die enorme Wucht, diese Zerstörungskraft der ungebremsten Tonnen Metall aus der Bahn geworfen.

Am Belastendsten war das Arbeiten in der Öffentlichkeit. Man kann sich das ja vorstellen, wenn sich da Leichen, Leichenteile, Gewebe, Organe usw. auf freier Flur befinden und man quasi vor laufenden Kameras seine Arbeit tun muss.

 Die Nachbarn standen auf ihren Balkonen, um Fotos zu machen. Um diese sehr intime Arbeit in Ruhe durchführen zu können, fehlte es an allem. Eine Art Tatort-Tourismus hatte bereits eingesetzt. Ich erinnere mich an Hubschrauber, aus denen gefilmt wurde.

Ich hatte das Pech, dass in meinem Bereich sechs der neun Leichen lagen. Es gab Teams, die waren schon lange, lange fertig, bevor ich eigentlich richtig angefangen habe. Schlicht und einfach deshalb, weil in dem ihnen zugeteilten Bereich nichts Gravierendes passiert war.

 Ich habe Kollegen gebeten, die nur fünf Meter von mir entfernt standen, doch mit anzupacken. Aber auch die waren geschockt, waren bewegungs- und handlungsunfähig, starrten mich nur an.

Ich habe danach die stärkste Reaktion gezeigt. Gleich abends schon, als ich zu Hause die Tagesschau anstellte und die Bilder von der Unglücksstelle sah, fing ich an Rotz und Wasser zu heulen. Konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Morgens habe ich mich auf der Dienststelle krank gemeldet. Der Kollege, mit dem ich sprach, sagte gleich, ich glaube, du brauchst Hilfe, du hörst dich nicht gut an. Daraufhin habe ich die Dienststellenleitung informiert, die mir  sofort Hilfe zusicherte. Das hat auch reibungslos funktioniert.

Gerade auch als Todesermittler ist die Zuversicht in die eigene Unverletztlichkeit überlebensnotwendig. Wenn ich alles an mich heranlassen würde, wäre ich  nicht handlungsfähig. Das heißt, wir haben eine natürliche Distanz in der Arbeit. Dieses Mal ist es mir nicht gelungen, diese Distanz einzuhalten.

Ich habe schon am Ort der Katastrophe um die bedauernswerten Leute getrauert. Und das ist mir vorher nie passiert. Wir legen uns Panzer zu. Humor. Sarkasmus. Zynismus. Sachen, die uns verändern, die uns natürlich auch helfen, mit dieser Art Arbeit zurechtzukommen. Die Katastrophe von Brühl ist durch den Panzer gedrungen wie ein heißes Messer durch Butter.

Ich hatte Albträume, Unruhezustände, Konzentrationslöcher. Ich konnte plötzlich keine körperliche Nähe mehr ertragen, weder von meiner Frau noch von meiner Tochter. Ich ging dann ein halbes Jahr in eine auf Traumatherapie spezialisierte Klinik. Dort gab es eine ganze Etage, nur mit traumatisierten Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet. Das war sehr, sehr herbe.

Ich komme aus einer reinen Polizistenfamilie. Daher weiß ich, dass so etwas in den 70er, auch noch in den frühen 80er Jahren sicher ganz anders verlaufen wäre. Solche Probleme konnte man nicht im Dienst ansprechen. Da war man wirklich unten durch, nach dem Motto, wenn du das hier nicht packst, dann geh lieber zur Heilsarmee oder geh zum Verkehrsdienst oder sonstwas. Das hat die Kollegen in Drogensüchte, Alkoholismus, sonstwohin getragen.

Aber da hat sich inzwischen zum Glück eine neue Kultur etabliert. Ich denke, das liegt daran, dass   Anfang der 90er Jahre   auch eine neue Generation zur Polizei gekommen ist. So eine Reaktion, wie meine in Brühl,  wird jetzt nicht mehr als persönliche Schwäche ausgelegt. Im Gegenteil, ich habe viel Anerkennung bekommen. Mir wurde gesagt, du hast für uns die Speerspitze gebrochen, du warst der erste der in die Bütt gegangen ist und gesagt hat, ich bin verletzt.

 

 

 

Andreas Bredemeier, 44 Jahre alt, seit 24 Jahren bei der Polizei, zur Zeit bei der Kriminalprävention eingesetzt

 

Das für mich persönlich schlimmste Erlebnis war der Tod eines Freundes, eines Arbeitskollegen. Der ist bei einer Durchsuchung vor fast zehn Jahren erschossen wurde. Ich hatte damals die Aufgabe vom Büro aus den Einsatz mit zu leiten. Und habe mir, was sich nach mehr als einem Jahr erst herausstellte, unbewusst und später auch bewusst Schuldvorwürfe gemacht. Weil an sich war dieses Türeneintreten, Leutefestnehmen, ja mein Job. Ich hatte nur an dem Tag diese Aufgabe an den Kollegen abgegeben, weil ich für Abends Konzertkarten hatte und deswegen eher aus dem Einsatz entlassen werden wollte.

Ich habe die psychische Belastung erst mal ein Jahr lang gar nicht bemerkt. Bis es zu einem weiteren Einsatz kam, in dessen Verlauf eine Kollegin erstochen wurde. 

Beides hat nach ein paar Wochen dazu geführt, dass ich nicht mehr in der Lage war, Durchsuchungsmassnahmen zu machen und  Leute festzunehmen. Ich bin  psychologisch betreut worden und war sieben Monate lang krank geschrieben. 

Ich denke, im Verlauf meiner früheren Tätigkeiten bei der Einsatzhundertschaft und als Rauschgiftsachbearbeiter musste ich einfach funktionieren. Ich konnte nie lange über irgendwas nachdenken, mir diese „Gefühlduselei“ bei Todesermittlungen nicht leisten. Ich habe wahrscheinlich das meiste verdrängt. Weil Schwäche zeigen, gerade als Mann bei der Polizei, ist nicht so angesagt gewesen. Insofern denke ich auch, wird das mit der Hauptgrund gewesen sein, warum ich diese ganze Geschichte dementsprechend lange verdrängt habe.

Also mich haben meine Skrupel nach vorne gebracht. Weil ich sowohl im Umgang mit meinen Kollegen, aber auch privat heute einen ganz anderen Blickwinkel habe und ganz anders mit den Menschen umgehe als früher. Ich bin gefühlsbetonter geworden. Ich akzeptiere auch, wenn andere Leute mal sagen, du mir geht’s nicht so gut. Das  hätte ich früher nicht verstanden.