Nachruf auf Susanne v. Paczensky, WDR5, Neugier genügt, 17.5.2010

Nachruf auf Susanne v. Paczensky – Portrait einer Journalistin, die am Wochenende im Alter von  87Jahren in Hamburg gestorben ist. Redaktion Dr. Ingrid König

 

Autorin: Die Frau – sie war gerade mal 22 Jahre alt – wirkte irgendwie verloren, als sie da Anfang 1946 in Nürnberg ankam. In einem schäbigen Rucksack trug sie ihren gesamten Besitz, der aus einem Dirndlkleid, einer dunkelblau eingefärbten, geklauten Ami-Uniform sowie zwei sperrigen, abgegriffenen Kunstbänden bestand. Eine ihrer Kolleginnen bei der Nachrichtenagentur Dena hatte ihr noch kurz vor der Abreise aus Mitleid eine Bluse und ein braunes Wollkleid geliehen. Susanne Czapski, wie die am Wochenende in Hamburg gestorbene Susanne v. Paczensky damals noch hieß, hatte als Journalistin keinerlei Erfahrung.

 

O-Ton SvP TG 379: Ich musste Geld verdienen, irgendwas finden. Und da hab ich bei Amis gedolmetscht. Und dann hatte ich einen Gönner der sagte, ich solle mich doch mal melden. Da würde gerade in Bad Nauheim die Dena gegründet. Fahr ich dahin. Wusste nicht was die machen. Dachte, probier es mal. Dann musste ich einen Satz übersetzen oder zwei  Und dann haben die gesagt, you are hired, you are a journalist. Da war ja niemand Profi. Da waren die Amis, das waren größtenteils ehemalige Emigranten, alte Journalisten. Das war eine Einheit der amerikanischen Armee, die diese neue deutsche Presse aufbaute. Die holten sich nun ein paar junge Leute mit sauberem Fragebogen, das war eigentlich das wesentliche. Plietsch sollten die auch sein. Und brachten uns das bei, wie eine Nachricht aufgebaut wird.

 

Autorin: Susanne Czapski  wurde, alles Zufall wie sie sagt,  als diejenige auserwählt, die für die Dena  über den am 20. November 1945 begonnenen Nürnberger Prozess berichten sollte.

 

O-Ton SvP NP 150 + Sendung: Und als ich in Nürnberg ankam, merkte ich, dass ich wohl die Krätze hatte. Gabs damals häufiger. Ne Schmutzkrankheit. Gab ja auch überhaupt keine Seife.  Und dann habe ich das meinem Amioffizier gestanden, Bill Stricker. Und er war gar nicht so erstaunt, weil er irgendwie, glaube ich, das sowieso für ne deutsche Eigenschaft hielt. Und der schickte mich dann so sonem Sanitätsposten. Und ich wurde mit weißer Salbe eingeschmiert und es ging dann weg. Also jedenfalls war der Beginn des Prozesses für mich mit mehreren sehr beschämenden Anfangsbedingungen verbunden.

 

Autorin:  Als sie zum ersten Mal den gewaltigen, inmitten des Schutts der zerstörten Stadt gelegenen Justizpalast betrat, hatte sie  geradezu weihevolle Erwartungen an das Gericht. Plötzlich saß ausgerechnet sie den Verantwortlichen für Völkermord und Judenvernichtung gegenüber. Sie, die Tochter eines jüdischen Vater, die das Dritten Reich als sogenannte Nichtarierin  nur unter  größten Schwierigkeiten überlebt hatte.

 

O-Ton SvP NP 245 Es waren ja sozusagen meine potentiellen Mörder und die von Freunden und Verwandten. Sie sahen aber gar nicht so aus. Also eigentlich wars ja ein bisschen enttäuschend. Dass ich mir ja wahnsinnige Monster vorgestellt hatte. Und da saßen diese irgendwie mümmelnd da, vielleicht nicht zahnlose, aber irgendwie Leute mit schlechten Zähnen. Und alle hatten ihre Uniformen, ohne Lametta, und die waren ja auch alle dünner geworden. Das Zeug saß irgendwie nicht, schlechtsitzende Klamotten und graue Gesichtsfarbe und sassen  zusammengesunken in ihrer Bank, und man konnte sich gar nicht mehr so vor ihnen fürchten. 300 Man konnte sie trotzdem hassen, wegen ihrer Taten. Aber die Figuren konnte man nicht so gut hassen.

Autorin:  Knapp 65 Jahre ist es her, dass die junge Journalistin Susanne v. Paczensky als gerade mal 22jährige auf der Pressebank im Nürnberger Gerichtsgebäude saß. Es war ihre erste journalistische Feuerprobe, die sie mit Bravour bestand. Über zehn Monate lang berichtete sie für die im amerikanischen Sektor angesiedelte Nachrichtenagentur Dena, dem Vorläufer der dpa.  Danach stand ihre Berufswahl fest.

 

Sprecher: Die ersten Nachkriegsjahre waren eine Blütezeit des weiblichen Journalismus, nicht nur wegen der relativ geringen politischen Belastung. Viele Frauen hatten sich in den schweren Zeiten ein gesundes Selbstbewusstsein erworben. Ich selbst hatte überhaupt keinen Zweifel, dass ich genauso fähig und genauso chancenreich wäre, wie meine männlichen Kollegen.

 

Autorin:  Dieses Zitat stellt Susanne v. Paczensky dar, wie sie war: Sperrig und frech zugleich, von schnoddrigem Selbstbewusstsein, anstößig, klug und aggressiv dort, wo es nötig war. Sie hat nie Wert darauf gelegt, zu gefallen oder gefällig zu wirken. Was ihr nicht passte, prangerte sie geradeheraus an. Ob als Publizistin, Lektorin einer erfolgreichen Buchreihe bei Rowohlt, als Essayistin oder Autorin. Häufig  suchte sie Zuflucht in Ironie, nahm Zeitgeist und Modetrends auf die Schippe. 1949 ging sie gemeinsam mit ihrem damaligen Mann zunächst als Berichterstatterin nach London, später nach Paris. Es wurmte sie zutiefst, dass nicht sie, sondern Gert v. Paczensky für die als politisch erachteten Themen zuständig war. Ihr war der kulturelle, der sozialkritische Themenbereich zugedacht. Was sie daraus machte, liest sich in der Rückschau wie ein Alltagskaleidoskop der Nachkriegszeit. So spürt sie in ihren Reportagen verschollenen Kinder nach, glossiert Statistiken darüber, dass dreiviertel aller Ehemänner sich weigerten, ihren Frauen die Kohleeimer hoch in die Etagenwohnungen zu schleppen. Am Beispiel eines Gebäcks mit östlichem Beigeschmack brachte sie später die Auswüchse von  Kaltem Krieg und Political Correctness auf den Punkt:

 

 

Sprecher:  Da gibt es seit eh und je eine Sorte von Keksen – ziemlich preiswert und daher in kinderreichen Familien beliebt – die „russisch Brot“ heißen. Nicht eben ein Festtagsschmaus, eher ein harmloser Magenfüller, den man gleichmütig verspeist, ohne lang über Art und Namen nachzusinnen. Wer aber heute im Laden nach Russisch Brot verlang, den trifft ein strafender Blick der Verkäuferin: „Das heißt jetzt ABC-Gebäck!“ Da wird einem plötzlich klar, dass man bisher Dynamit in der Keksschale geduldet hat. Zum Glück war es nicht nötig, das Verfassungsschutzamt zu bemühen. Der gefährliche Charakter des russischen Brotes wurde rechtzeitig vom Hersteller selbst erkannt. Sein Vorbild sollte uns anregen, nicht nur an der Kaffeetafel, sondern überall im Alltag auf Weltanschauung zu achten. Wie leicht kann man durch unbedachten Verzehr zum Spielball fremder Mächte werden!

 

Autorin:  Das angeblich so unpolitische Umfeld, in dem Susanne v. Paczensky sich als Journalistin tummelte, hatte stets zwei Schwerpunkte: Immer behielt sie den Kampf der Frauen um ihren Platz in der Gesellschaft im Auge und unterstützte ihn, wo sie nur konnte. Immer wieder faszinierte sie aber auch der Gerichtssaal. In Frankreich beobachtete sie das Verfahren gegen einige der Verantwortlichen des Massakers von Oradour, bei dem im Juni 1944 SS-Leute über 600 Zivilisten umbrachten. Oder ab Mitte der 70er Jahre in Düsseldorf den sich über fünf Jahre lang hinziehenden Prozess gegen Kommandantur-Angehörige des KZs Majdanek. Für ihr Lebenswerk wurde sie 1995 mit dem Fritz-Sänger-Preis ausgezeichnet. Ein Lebenswerk, bei dem ihr das Staunen und Hoffen so manches Mal abhanden kam.  Anfang der 60er Jahre schrieb sie einmal:

 

O-Ton SvP TP 106Ich wäre gern mit unserem Jahrhundert geboren, hätte als Kind noch ein wenig die Kaiserzeit erlebt und wäre jung und voll wirrer Ideale gewesen, als die Republik entstand. Damals, so scheint es mir, durfte man an viele Dinge glauben, die uns heute schon wieder fragwürdig erscheinen: an den Völkerbund, an die Gleichberechtigung der Frau. Damals  konnte man vielleicht noch hoffen, alles Neue sei auch gut. Ich hätte Charleston getanzt und die Premiere der Dreigroschenoper miterlebt – und dann wäre ich jung gestorben, ohne ja zu erfahren, welche Zeit den goldenen Zwanzigerjahren nachfolgte.

Autorin: Dieser sicher nicht ganz ernstgemeinte Wunsch wurde ihr nicht erfüllt. Als man ihr Worte wie Mischling oder Judensau im Berlin der 30er und 40er Jahre nachrief, da erfuhr sie hautnah, welche Zeit den goldenen Zwanzigern nachfolgte.

 

O-Ton SvP 200 TP: Da war einfach auch der Schulunterricht, ich erinnere mich an Rassenkunde, dass ich vor die Klasse gestellt wurde, zusammen mit Susi Eisig, die war jüdisch und Marie Sander, die war arisch. Und an uns Dreien die Rassenmerkmale gezeigt, und die waren immer nachteilig. Es war einfach ein Demütigungsritual. 224

 

Autorin: Die Nazis wüteten nicht nur in ihrem eigenen Leben, auch Angehörige ihrer Familie wurden verschleppt, getötet. Sie hat später, von Hamburg aus, versucht sich mit diesem Land zu arrangieren. Mit 48 holte sie ein Studium nach, das ihr unter den Nazis unmöglich gemacht worden war. Mit 58 machte sie ihren Doktor in Soziologie. Als 70jährige emigrierte sie  an die amerikanische Westküste. Der Fall der Mauer 1989 beunruhigte sie zutiefst.

 

O-Ton SvP TG ca. 17   Es gefiel mir hier nicht. Ich hatte gar keine Lust auf Großdeutschland.  Es hat mir Angst gemacht, in mir Widerwillen hervorgerufen. Ich kann das nicht so rational begründen. Ein Entschluss  der von der allgemeinen Neugier und Abenteuerliebe auch mitgetrieben wurde.

 

 Autorin:  Auch im kalifornischen  Berkeley  blieb sie  ihren gesellschaftskritischen Themen treu, schrieb zum Beispiel über das verblassende Leben von Todeskandidaten in US-Gefängnissen.

 

 

O-Ton Svp TG 85: Meine Befürchtungen, wie schlecht es hier in Deutschland werden würde, die haben sich GottseiDank nicht erfüllt. Da hab ich vielleicht etwas panisch reagiert, sind zu viel alte Erinnerungen hochgekommen. Diese andere Seite, Veränderungen sind immer etwas gutes, die hat sich voll bewährt. Das hat mir ungeheuer gut getan.

 

Autorin: Dennoch ist sie  Jahre später nach Hamburg zurückgekommen. Dort lebte sie  seither, begleitet von  Freunden und Weggefährten. Bei einem der letzten Gespräche mit ihr zeigte sie sich resigniert, gestand ein, in schlaflosen Nächten daran zu denken, welche Hoffnungen auf eine friedlichere Welt damals, bei den Beteiligten der Nürnberger Prozesse geweckt worden waren. Und war fest davon überzeugt, ….

 

O-Ton SvP: Dass es nichts genützt hat. Dass diese Hoffnungen eigentlich vergeblich waren. Und wie lange es gedauert hat, bis ich es mir zugestehen konnte. Und wie schwer es mir heute noch fällt. Und das erste Mal, wo es mir klar wurde, das war in den 50er Jahren in Paris. Dass die Franzosen in Algerien folterten. Wie ich das rausgefunden habe, hatte ich eigentlich das Gefühl, das ist Verrat. Also von heute an rückwärts gesehen, also Bosnien, Vietnam oder Kambodscha, also wo auch immer und was auch immer, du wirst ja ständig drauf gestoßen, dass es nichts genützt hat.