Als der Rohrstock noch normal war, WDR 5, Neugier genügt, 18.5.2010

Redaktion: Evelyn Noll

Der Augsburger Bischof Walter Mixa  rechtfertige seine Ohrfeigen als erzieherische Maßnahmen, die in den 70ern und 80ern noch „vollkommen normal“ gewesen seien. Damit  lag er falsch.  Denn damals schon, genauer gesagt seit 1973,  waren  von Lehrern verpasste Ohrfeigen, Kopfnüsse und sogenannte Tatzen in der Bundesrepublik  per Gesetz verboten. Hatte längst ein Erziehungswandel stattgefunden. Zwanzig Jahre zuvor sah dies noch anders aus. In den  50ern und 60ern  galt es als adäquates Erziehungsmittel, Kinder  mit Hilfe von Kochlöffeln und Kleiderbügeln zu züchtigen. Was hat sich seither geändert? Wodurch kam der Umbruch? Welcher Gesinnungswandel führte dazu,  dass vor zehn Jahren das Recht von Kindern  auf eine gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert werden konnte?  Ingrid Müller-Münch hat nach Antworten gesucht. Hierzu hat sie einen Experten interviewt und  als Kind geprügelte Erwachsene über ihre Erfahrungen  befragt, die allerdings nur anonym ihr Erlebtes schildern wollten. Redaktion Evelyn Noll

Mit Kochlöffel und Kleiderbügel wird dem Kind Gehorsam eingebläut

 

Atmo Klänge

 

Sprecherin:  Zu meiner Kindheit gehört Lakritzwasser, das meine Oma aus kleinen, sorgfältig von einem großen schwarzen Brocken abgeschnittenen  Lakritzstückchen herstellte. Und das von mir ebenso gerne getrunken wurde wie eine Generation später von meinem Sohn die Orangenlimonade. Zu meiner Kindheit gehört der Nudelsalat, der am Abend vor Familienfesten mit Tomaten, hartgekochten Eiern und Gewürzgurken angesetzt wurde und erst kurz vor seinem Verzehr die Mayonnaise hinzubekam. Zu meiner Kindheit gehört aber auch der Kochlöffel. Nicht als Küchenutensil sondern als Schlaginstrument. Immer dann, wenn ich tagsüber irgendwie muksch gewesen war, nicht pariert hatte – wie es so schön hieß – dann wurde mein Vater, da hatte er sein Jackett noch nicht an die Garderobe gehängt, schon mit den Worten begrüßt:  Das Kind hat heute  Widerworte gegeben. Eine Information, die meinen Vater mit einem genervten Seufzen die Küchenschublade aufziehen und den Kochlöffel herausholen ließ. Dann ging es ab ins Wohnzimmer, wo ich schon auf das harrte, was nun folgen würde. Und dann setzte es was. Aber nicht zu knapp. Ich hatte, wenn man so will, eine für die50er und auch die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ganz normale Kindheit.

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Sonja 1:45: Meine erste Erinnerung an den Rohrstock,  da muss ich fünf Jahre alt gewesen sein, und ich habe mit meiner Freundin in der Garage Briketts entdeckt. Die hatten so eine Art Carport würde man heute sagen. Und da haben wir uns daraus eine Sitzgarnitur gebastelt. Mit Tisch und Sesseln und sahen natürlich aus wie die Schweine. Und Anfang der 50-iger hatte meine Mutter keine Waschmaschine. Und das war das erste mal wo sie den Rohrstock rausgeholt hat. Vielleicht war´s auch vorher schon.

 

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Dolf 2:17 Ein typischer Grund war, das Essen wurde gemacht. Ich war ein sehr schlechter Esser. Das musste in einer bestimmten Zeit erfolgen. Und dann war meine Mutter mit anderen Dingen befasst. Neben das Essen wurde ein Wecker gestellt. Und dann wurde mir gesagt, bis da und da hin muss aufgegessen werden. Und da ich das Essen nicht mochte, wurde ich erst verprügelt und dann ins Bett gesteckt.

 

O-Ton Prof. PL: 4:52 Das war normal. Das war sehr verbreitet. Das war auch generell akzeptiert. Auch hier möchte ich sagen, es gab auch Familien wo dies abgelehnt wurde. Aber die Auffassung, dass das einerseits akzeptiert war und andrerseits wirksam sei, das galt für die 50-iger 60-iger Jahre weit überwiegend.  0:37 Ich heiße Ulf Preuss-Lausitz. Ich bin emeritierter Hochschullehrer für Erziehungswissenschaft.

 

 

Atmo Klänge

 

Sprecher:   § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches gültig  von 1900 bis 1958: „Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.“

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Sonja 5:14 Das Ritual war so. Du weißt ja, was jetzt passiert. Hol den Rohrstock. Der lag immer im Esszimmer oben auf dem Schrank, so dass man gerade dran kam. Dann musste ich vorgehen, runter in den Waschkeller. Und dann wurde ich verprügelt.  5:33 Röckchen hoch. Also nicht gerade auf den nackten Po. Aber auf die Unterhose.

O-Ton Dolf  2:50 Mit allem was greifbar war. In der Hauptsache Kochlöffel, Kleiderbügel, so was in der Art. Bis die Gegenstände an mir zerbrochen sind.

 

O-Ton Sonja: 6:00 Das Schlimme war einfach, es war eine natürliche  und auch große Brutalität unter den Geschwistern und ich als jüngste der Kette, also ich kann mal sagen, bis ich elf Jahre alt war oder zwölf, musste ich damit rechnen, dass jeder, der mir da in diesem Haus begegnete, das Recht hatte, mir ne Ohrfeige zu geben. In jedem Moment.  7:11 Ich wusste von meiner besten Freundin, dass sie zwar nicht verprügelt wurde, aber die wurde, als sie noch viel kleiner war, wurde die so in den Kohlenkeller gesperrt, in den dunklen Keller. Bis das Trotzköpfchen wieder ruhig war.

 

O-Ton Dolf 8:31 Meine Schwester war sehr jähzornig. Schon als ganz kleines Kind. Und konnte sich hineinsteigern in einen Wutanfall. Dann wurde die gepackt. Ausgezogen und unter eine kalte Dusche gestellt, bis Ruhe war. Das empfand ich als Kind mit ner gewissen Schadenfreude, weil ich ja in Konkurrenz zu ihr stand. Aber ich wusste auch das schon als Kind, dass das mit Sicherheit nicht richtig ist. Das wusste ich.

 

 

O-Ton Sonja: 0:40 Ich bin 63 Jahre alt und habe die meiste Zeit im Rheinland gelebt. 3:07 Mein Vater war so – heute würde man sagen-  Manager. Das nannte man damals nicht so. Damals war man noch so nachkriegsverarmt. Aber wir hatten relativ bald ein Auto. Ich glaub schon Anfang der 50-iger. Also es ging schnell aufwärts. Und auch ein eigenes Haus und so.  Es war eine richtig gut situierte Familie. 15:51 Absolut bürgerlich. Mit den Salzstangen auf dem Tisch und dem Weinchen und nein, nein, ganz normal. Und das muss ich jetzt auch noch mal sagen, ich hatte den Eindruck, sie haben sich darüber richtig gut entlastet. Es ging ihnen gut danach. Sie behaupteten immer, uns ging es gut danach. Dann fühlt man sich wieder freier, wenn man verprügelt worden ist! Tatsache war, sie fühlten sich besser, weil sie ihren Frust raus geprügelt hatten. Auf uns.  Meine Brüder hatten wieder irgendwas angestellt. Oder sie hatten schlechte Zeugnisse. Meine Brüder waren alle Schulversager. Dann wurden die in ner Reihe aufgestellt. Und mein Vater im Wohnzimmer. Wir hatten ein sehr großes repräsentatives Wohnzimmer, und mein Vater hatte dann den Stock und vollzog also die Prügel. Und meine Mutter saß dabei, mit einem kleinen Cognac und einer Zigarette und guckte sich das an.

 

Atmo Klänge  

 

O-Ton Prof. PL 5:21 Nun das Prügeln von Kindern, das Schlagen von Kindern ist ja eine Jahrhunderte alte Praxis. Ein Grund ist sicher die alte christliche Auffassung, die ja weit über das Christentum hinaus gewirkt hat, dass der Mensch sündig sei und dass er böse, von Haus aus böse Anteile habe. Und dass man diese bösen Anteile disziplinieren, unterdrücken ja austreiben müsse. Und diese Auffassung ist doch sehr verbreitet gewesen, gerade auch in der christlichen Pädagogenschaft. Und in den Familien. Weil das war sozusagen fast ein Selbstverständnis. Kinder sind nicht gut, sondern erst mal eigentlich problematisch oder böse.

 

Atmo Klänge

 

 

O-Ton Dolf: 18:29 Mir wurde natürlich mit den Schlägen auch verbal immer wieder gesagt, dass ich einen schlechten Charakter hätte und dass sich meine Eltern später auf mich niemals verlassen können. Das wurde mir schon von Kind an eingebläut.

 

 

O-Ton Sonja : 10:04 Ich hab halt gedacht, ich hab das verdient.  5:44 Es tat höllisch weh. Aber ich fühlte mich einfach nur wie ein Stück Dreck. 8:29 Ich hatte als kleines Kind zu diesem Lied Hänschen klein ein sehr merkwürdiges Verhältnis. Ich hab immer gedacht, warum kehrt dieses blöde Kind zurück. Jetzt ist es einmal unterwegs, soll´s doch immer weiter laufen. Als ich dann Jugendliche war und es besser geworden war, aber im Grunde war ich ja immer noch diesen Erwachsenen ausgeliefert und auch meinen Brüdern ausgeliefert, da hatte sich das sehr verändert. Da hab ich gedacht, ich bin schuld. Das hat sich dann doch festgesetzt. und da hab ich immer gedacht, deshalb hab ich auch so lange gedacht ich geh ins Ausland. Ich muss weg. Ich muss da hin, wo mich niemand kennt. Wo keiner weiß, wie schlecht ich bin. Und da kann ich vielleicht noch mal neu anfangen.

 

O-Ton Dolf 28:27 Ich hab nicht direkt das Gefühl gehabt, dass ich schlecht bin. Ich hab nur genau gespürt,  ich bin einsam.  Im letzten Gymnasium war das so. Ich wollte nicht gern nach Hause. Die Schule war zu Ende. Dann bin ich so nach Hause getrödelt, dass ich spät abends, das hab ich oft gemacht. Getrödelt, Hausaufgaben hatte ich keine Lust zu machen, dann hab ich mich so lange auf der Strasse rum getrieben, bis abends war und dann kam ich um 7°°, 8°° manchmal erst von der Schule.  7:45  Ich fühlte mich einsam. Unverstanden, und ich hab die Prügel auch nicht eingesehen, weil es meistens um´s Essen ging, weil ich das nicht essen wollte, was mir da vorgesetzt wurde. Das hatte auch dazu geführt, es gab z.B. Spinat, ich bin jetzt 61. Wenn ich heute den Geruch von Spinat in die Nase bekomme, kriege ich heute noch das Würgen. Und ich glaube, das sind so Folgen davon.

 

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Prof PL: 16:39 Ganz viele haben sich Selbstvorwürfe gemacht, dass sie den Eltern Kummer breitet haben. Denn sie sind ja geprügelt worden von den Eltern. Die Eltern liebt man in aller Regel und das war auch bei diesen Kindern so. Und wenn ich den Aggressor liebe, dann identifiziere ich mich gleichzeitig mit ihm. Das ist ja das Problem.  Ich liebe ja den Vater oder die Mutter, der Vater der mich schlägt. Generell.  Gleichzeitig erlebe ich Schmerz und Leid und auch Wut, wie soll ich damit umgehen? Und die Folge ist, entweder ich identifiziere mich mit dem Aggressor, dann bin ich der Schuldige. Oder ich leite das ab gegenüber anderen, die ich als schwächer interpretiere. Wo ich meine Wut los werden kann. Und ganz viele heutige Jungendliche, die in der Familie heute noch geschlagen werden, sind ja selbst aggressiv, also Gewalt erzeugt Gewalt.

 

 

O-Ton Dolf: 32:23 Das Prügeln war schon angesagt. Auch das Prügeln unter einander. Ich weiß noch genau, wie ich vor nem Haus, war ein Trümmergrundstück in Essen, und da hab ich mich mal wieder heftig geschlagen. Und da kam ich nach Hause, mir fehlten die Hälfte der Haare, ich war blutverschmiert, und mein Vater erst drohend, na hast du dich wieder geprügelt. Ich sag mmm, Dann sagt  er und haste es ihm gegeben, und ich sag ja, dem hab ich eine gegeben. Da hat mein Vater sich umgedreht und hat gesagt prima. Das haste gut gemacht.  33:00Das würde heute anders laufen. Heute, ich weiß von meinem jüngsten Sohn, dass er sich auch gerne geprügelt hat, meistens auch unter Alkoholeinfluss, und ich hab ihm ein paar mal gesagt, das muss er abstellen, das passt nicht und dann er mir neulich ganz stolz erklärt, dass er angegriffen worden ist, er und ein Freund von ihm angegriffen worden ist, er hätt sich nicht gewehrt, hätt das abgewehrt, wär einfach weitergegangen. Hab ich gesagt, das haste gut gemacht.

 

Atmo Klänge

 

Sprecher: 1988 erklärte der Bundesgerichtshof noch „eine gelegentliche Tracht Prügel“ für zulässig. Die Züchtigung mit einem „stockähnlichen Gegenstand“ sei, so die fünf hohen Richter, „nicht pauschal zu verdammen“. Es müssen alle „objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens geprüft werden“. Dies galt bis zur Rechtsveränderung im Jahr 2.000.

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Prof Pl: 19:28 Ich glaube, das begann in den späten 60-iger Jahren und verstärkt in immer breitere Kreise in den 70-iger Jahren. Einmal hat sich die Gesellschaft in eine Konsumgesellschaft verändert und verlangt im Grunde genommen auch einen anderen Menschtyp. Also nicht einen der  sich unterwirft, der gehorsam der Hierarchie sich unterwirft, der sich nur einfügt, sondern einen selbstbewussten und vor allen Dingen flexiblen und selbstsicheren Menschen, und so was kann man nicht über Gewalt erzwingen. Das zweite ist. In den 60-iger Jahren beginnt ja das Ende der Adenauerzeit. Beginn der WillyBrandtZeit. Es gibt eine europaweite Ausdehnung des demokratischen Umgangs von Männern und Frauen. Auch die Familiengesetze, die Ehegesetze, die Scheidungsgesetze usw. wandeln sich allmählich in dieser Zeit. Und auch die Einführung des Kindesrechtes. Des Kindes Wohl z.B. im Jugendgesetz. Das sind alles Phänomene, die in den 70-iger Jahren sich ausbreiten.

 

Atmo Klänge

O-Ton Sonja:  7:36 Mit der Pubertät, da hörte das auf. Da hörten auch die Schläge von meinen Brüdern auf. Der Rohrstock hörte auf. Die Ohrfeigen gingen weiter. Die letzte habe ich mit 21 gekriegt. Von meinem Vater. Da hab ich gesagt, als wieder Krach war, wir wären ne Scheißfamilie. Und da hat er gesagt, wiederhol das nochmal. Und das hab ich getan. Und dann hat er mir eine geknallt. Ich hab mich ins Auto gesetzt und bin weggefahren.

 

 

O-Ton Dolf:5:55 Verzweifelt geweint und protestiert hatte ich schon insofern, wenn ich dann ins Bett gesteckt wurde und das Zimmer dunkel gemacht wurde, hab ich alle möglichen Gegenstände aus dem Fenster. Ich hab einmal aus dem Fenster geschissen aus Wut.  4:45 Als ich letztmalig ne Ohrfeige kriegen sollte, da war ich vierzehn. Und da hab ich ihr den Arm festgehalten. Da war ich schon stark genug und hab gesagt, wenn sie das macht, schlag ich zurück.

 

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Prof PL 21:48  Viele Eltern, die geschlagen haben, waren ja hilflos. Sie waren ja auch verunsichert, ob das denn richtig ist, was sie da tun. Und was sie als Kinder von ihren Eltern auch erfahren haben, sie haben das erst mal nur weitergegeben. In der Tat hat hier sowohl die Einführung des Fernsehens und große Debatten im Fernsehen über Erziehung, in dieser Zeit, das hat eine ganz große Rolle gespielt. Auch die Einführung natürlich von ganz viel Beratungsstellen, also Psychologen, nicht nur für Frauen, für Mütter. Auch die z.B. die Frauenbewegung, hat ne ganz zentrale Rolle gespielt. Die die Kindererziehung deutlich diskutiert hat.

 

 

O-Ton Sonja:  18:24 Das waren nicht die 68-iger und nicht die Frauenbewegung. Obwohl ich da ziemlich gut beteiligt war. Das war ja eher die politische Schiene. Was habt ihr im Krieg gemacht? Was habt ihr gewusst.? Das war ne massive Abgrenzung. Gab auch viel Streit mit meinen Eltern darüber. Bin ich auch heute froh, dass es den gab. Wenigstens das. Und ich hab immer die Erfahrung gemacht, dass das darüber Reden nicht erwünscht war. Auch mit Gleichaltrigen.  Man spürt das ja.

O-Ton Dolf: 34:11 Ja, wir wollten komplett anders sein als unsere Eltern. Es war ja, für mich war das nicht so sehr eine politische Umwälzung, sondern ich wollte anders sein.

 

 

O-Ton Prof PL: 12:17  Gerade das Thema der Kindererziehung ist ja in der 68-iger Generation zwischen 65 und 75 ein zentrales Thema gewesen. Ich erinnere an die antiautoritären Kinderläden, wo man sagte, das Kind muss sich jetzt entfalten können. Es muss seine Triebe ausagieren dürfen. Es darf nicht eingeschränkt werden. Weil eben diese Kinder anders als ich selbst aufgewachsen bin und deshalb soll das so sein.

 

Atmo Töne

 

O-Ton Sonja: 4:25 Das Schreckliche war,  ich beschreib das mal so. ich hab als erwachsene Frau mich ne zeitlang sehr für Scheinhinrichtungen interessiert. Und hab mich immer gewundert, woher  mein Interesse kam. Und das ist ja eine Foltermethode. Und ich hab erst sehr spät verstanden, dass das genau das war, was mir als kleines Kind passiert ist. Denn wenn man noch nicht abstrahieren kann, also so sechs Jahre. alt ist, man weiß einfach nicht, ob man das überlebt. Und jedes mal, wenn der Schmerz wieder losging, hab ich gedacht ich sterbe. Schon wenn´s die Treppe runter in den Keller ging, hab ich gedacht ich sterbe.

 

 

 O-Ton Dolf: 14:53  Meine Mutter hatte drei Kinder. Meine Mutter war gerade von einer Gelbsucht genesen. War selber sehr im Stress. Und ich glaube, sie wollte ihre Arbeit einfach in einem bestimmten Pensum, Zeitpunkt  erledigt kriegen und wenn das dann nicht funktionierte wurde sie wütend. Und so ein Typ bin ich eigentlich auch. Und als ich selber meine eigenen Kinder hatte, da ist mir das mal passiert. Ich musste schlafen, weil ich am  nächsten Tag einen wichtigen Termin hatte. Da lag das quäkende Baby, was man einmal, 2 mal, 3 mal beruhigt hatte, und dann musste man wieder aufhören, und ich wusste der nächste Tag der ist gelaufen, bist völlig im Arsch, und da hab ich mir zum ersten mal gedacht, es ist besser, du kümmerst dich da nicht so sehr drum,  denn irgend wann haust du es an die Wand.

Atmo Klänge

 

O-Ton Prof. PL: 10:50 Ja. Es gab Kontinuität. Entwicklung und Brüche. Ich kann ja einsehen, dass das falsch ist, was ich selbst erlebt habe, weil ich darunter auch gelitten habe. Und meiner eigenen Praxis oder meinen Gefühlsstrukturen. Diesen Widerspruch, den muss man ganz deutlich sagen, wenn man sich die 68-iger Generation, jedenfalls die führenden Köpfe anschaut, so wohl weiblichen wie männlichen führenden Köpfe, dann sind sie ja antiautoritär. In großer Weise. Aber sie sind selbst autoritär strukturiert. Schauen sie sich Leute wie  Dutschke oder Meinhof an. Die waren antiautoritär und gleichzeitig autoritär. Das gilt für viele andere auch. Da muss man genau aufpassen. Die haben ihr Verhalten geändert, aber ihre psychologische Struktur, das Schwarzweißdenken z.B., das doch relativ rigide Verhalten, die Inflexibilität, alle diese Eigenschaften,  die sind bei solchen Personen eher im Widerspruch zwischen Kopf ich sag jetzt  mal Gefühl oder Herz.

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Sonja 14:51 Da war ich schon über 30. Da hatte ich Therapie gemacht. Und da war mir das endlich klar geworden, dass nicht ich verrückt bin, sondern sie mich einfach furchtbar misshandelt haben. Ich hatte einen Onkel, ich komm aus einer zerstrittenen Famlie, und deshalb kannte ich diesen Onkel kaum. Und der war Anwalt. Und dem hab ich das erzählt. Und der sagte, ja. er hätte, als wir kleine Kinder waren, das auch schon beobachtet und er machte sich heute Vorwürfe, dass er da nichts gesagt hätte. Und schrieb mir einen Brief, und sagte, das was deine Eltern mit euch gemacht haben, das stünde heute unter Strafe. Das hat mich enorm beruhigt. Das ist der erste aus meiner Familie, der mal bezeugt ja, wir sind misshandelt worden.

 

 

O-Ton Dolf: 19:23 Als mein Vater gestorben ist und wir ihn in einer großen Trauerfeier unter die Erde gebracht haben, da hab ich gesagt, dass ich keine Trauer empfinde und dass es mir ziemlich wurst ist, ob er weg ist oder nicht weg ist. 9:52 Dann hatten wir gute Freunde meines Vaters, die ich gar nicht so kannte. Die hab ich vielleicht einmal in meinem Leben gesehen, die kamen auf mich zu und sagten, du, ich hätte es sehr sehr schwer gehabt. Und sie hätten immer versucht auf meinen Vater einzuwirken. Mich anders zu behandeln, mit mal ab und zu Lob. Mein Vater hat mich grundsätzlich runter gemacht. Mal zu loben. Aber mein Vater wär da nicht zugänglich gewesen.

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Prof PL: 34:11 Sie sind ja so böse, so sauer, so verletzt, weil sie 30 Jahre. nicht darüber reden konnten. Wenn es gelingt innerhalb einer solchen Eltern-Kind-Beziehung darüber zu reden, dann setzt es ja voraus, dass beide bereit sind überhaupt zuzuhören. Also auch die Eltern bereit sind zuzuhören. Ja ich würde sagen Einsicht zu zeigen. Und vielleicht auch Trauer zu zeigen. Und das kann nur überhaupt eröffnen, dass hier eine Versöhnung stattfindet. Ohne das geht es nicht.

 

 

O-Ton Sonja: Mein Vater ist relativ früh gestorben. Aber ich habe, als ich ungefähr 40 Jahre alt war, den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen. Und hab sie auch nicht mehr gesehen bis zu ihrem Tod.  00:11:32-7  Weil sie gesagt hat, das wär nicht so gewesen. Weil sie gesagt hat, ich übertreibe. Und ich hatte das Gefühl, diese Traumata werden jedes mal reaktiviert, wenn ich sie besuche. Sie machte da auf nette Mutter und große Tochter. Nein, was sind wir doch ein nettes Gespann. Und es war furchtbar, was für mich drunter lag. Ich hatte auch ein ganz merkwürdiges Symptom entwickelt. Ich besuchte sie und wenn ich den Ort verließ mit dem Auto, immer am Ende des Ortsausgangsschildes, kriegte ich eine Müdigkeitsattacke, die war einfach unbeschreiblich. Und ich musste rechts ran fahren, und mein Kopf flog auf den Lenker, und ich schlief ein. Erst mal ne 1/4 Std. Es waren solche Überfälle von Erschöpfung, das war unglaublich. Und ich war absolut sicher, dass es damit zu tun hat. Dass ich mit ihr diesen faulen Frieden gemacht hab. Und ab einem bestimmten Punkt hab ich gedacht entweder sie oder ich.

 

O-Ton Pro. PL 15:43 Die Wut bestand über das Schweigen der Eltern, aber die Wut bestand natürlich auch über das was einem selbst angetan worden ist. Als Prügel, als Prügel von Eltern, übrigens auch damals noch als Prügel von Lehrern gelegentlich. In den 60-iger Jahren war ja das durchaus noch akzeptiert. In den 70-iger nicht mehr. Aber diese Wut existierte selbstverständlich und hat auch zu berechtigten Wutausbrüchen geführt, die die damalige Gesellschaft zum Teil gar nicht verstanden hat.

 

Atmo Klänge

 

Sprecher: Seit dem 8. November 2.000 ist das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert. § 1631 BGB, Absatz 2 lautet: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig.“ Wer hiergegen verstößt macht sich somit strafbar.

 

Atmo Klänge

 

 

Sprecher:  Nach einer Befragung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2002 halten 17 Prozent der Eltern in Deutschland „eine Tracht Prügel“ für vertretbar. Fünf Prozent benutzen einen Stock.

 

 Atmo Klänge

 

 

O-Ton Sonja. 19:50 Eine der Folgen dieser Misshandlungen in unserer Kindheit ist, dass wir  Geschwister uns nicht gut verstehen. Dass wir uns nicht trauen. Und ich glaube,  es ist so ein Gefühl, wir haben uns alle gegenseitig im Stich gelassen.

 

Atmo  Klänge Ausklang