Neonazis vor Gericht, Redezeit, WDR5, 14.1.2010
Vor dem Wuppertaler Landgericht müssen sich zwei Männer, 27 und 34 Jahre alt, wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Sie sollen im Nov. 08 den 20jährigen Auszubildenden Hans-Moritz H. so schwer mit dem Kopf auf den Bahnsteig einer Wuppertaler S-Bahn-Station geschlagen haben, dass der junge Mann einen Schädelbasisbruch erlitt.
Als Hans-Moritz H. am Mittwoch vor Gericht das schreckliche Erlebnis schilderte, sah jedermann im Gerichtssaal die Narbe, die seinen Kopf an den Haaren entlang einmal umrundet. 5 Stunden lang musste er damals operiert werden. Und das alles nur, weil er, nach einer bierseligen Tour durch die Düsseldorfer Altstadt mit drei Kumpels gegen 3 Uhr nachts in der S-Bahn auf dem Weg nach Hause war. In der Bahn waren die beiden Angeklagten Skinheads ebenfalls mit Gesinnungsgenossen. Offenbar gröhlte man rechtsradikale Lieder. Als einer aus der Gruppe rief: „Deutschland wird geführt von rechter Hand“, sagte das Opfer, ebenfalls nicht mehr ganz nüchtern, „Nicht!“
Das reichte, so schilderten es am Mittwoch Zeugen, um den Hauptangeklagten Gordon Biberger von seinem Sitz aufspringen zu lassen, „wie eine Furie“ sei er zur Tür gerannt, habe sein Opfer von hinten am Hals gepackt und dessen Kopf mit Wucht auf den Bahnsteigboden geschlagen. Zweimal sei dies geschehen, erinnert sich Hans-Moritz H., der ansonsten nur noch vage Bilder aus jener Schreckensnacht hat, die ihn beinahe das Leben kostete. Unklar blieb bislang, ob Gordon Biberger sich hierzu extra mit Quarzsand gefüllte Handschuhe anzog, mit denen besonders hart zugeschlagen werden kann. Kumpel des gewaltätigen Angeklagten erzählten am Mittwoch vor Gericht, Gordon Biberger hätte sich später mit der Tat sogar gebrüstet und sich gefreut, dass es ihm gelungen sei, nach seiner Festnahme vor der Polizeiwache mit „Heil Hitler“ zu grüßen.
Ein Mädchen aus seiner Clique schilderte dem Gericht allerdings, dass Gordon Biberger ihr und einer Freundin die Tat beschrieben habe. Noch in der Nacht des Geschehens allerdings, bevor die Polizei sie festnahm, wohl gestöhnt habe: „Eh, was habe ich da gemacht. Scheiße, das kann doch nicht sein.“
– Zwischenfrage: Was sind das für Menschen, die so etwas tun, die beinahe jemanden umbringen, nur weil er eine kleine Bemerkung macht, einmal „nicht“ sagt.
Gordon Georg Biberger, derjenige, der so brutal zugeschlagen haben soll, dass ein Mädchen aus seiner Gruppe sich später bei dem Opfer entschuldigte, also diesen 27jährigen kenne ich schon aus einem Prozess vor 10 Jahren. Damals galt er noch als 17jähriger Mitläufer, nun scheint er der Haupttäter zu sein. Vor zehn Jahren hatte er mit zwei weiteren Skinheads in Duisburg aus purer Lust an Gewalt eine wahre Schneise durch die Stadt gezogen, herumstehende Menschen krankenhausreif geprügelt und einen 58jährigen Mann, nur weil sie ein bisschen Spaß haben wollten, einfach so zu Tode getreten. Als Mitläufer bekam er damals 8 Jahre Jugendstrafe. Die hat er voll und ganz abgesessen. Was etwas heißen will, denn normalerweise bekommt man wegen guter Führung 2/3 entlassen.
Damals schon war er ein radikaler Rechter, dessen Freizeitvergnügen in der Gruppe darin bestand, die Provokation zu suchen. Als Biberger damals vor Gericht zu seiner politischen Gesinnung befragt wurde, sagte er: „Gegen Ausländer. Ich mochte sie nie. Bin in Hamborn von Türken zusammengeschlagen worden. Wir sind eben alle Skins“.
– Frage Moderator: 8 Jahre Jugendhaft mit der gesetzlich verankerten Vorgabe, den Delinquenten in dieser Zeit dazu zu erziehen, künftig einen rechtschaffenen und verantwortungsbewussten, auf jeden Fall straffreien Lebenswandel zu führen – im Falle von Gordon Biberger ist das gescheitert. Besteht ihm Gefängnis überhaupt die Chance, rechtsradikale Einstellungen zu verändern und sozusagen geläutert aus der Haft entlassen zu werden? Immerhin gehen ja noch heute Richter in ihren Urteilen davon aus, dass die Beseitigung von Erziehungsdefiziten nur in einem längeren Strafvollzug zu erreichen ist.
– Anwort:
– Eine naive Vorstellungen, denn die Zustände in den meisten deutschen Knästen sind nicht danach, irgendwelche Erziehungsdefizite zu beseitigen.: Zu wenig Sozialarbeiter, dadurch viel zu wenig Versuche, die angelegten ausländer- und menschenfeindlichen Bilder im Kopf der Delinquenten zu verändern. Dafür Festsurren von Feindbildern wie Kanacken. Untersuchungen haben ergeben, dass gerade Neonazis im Vollzug glatt durchkommen. Sie passen sich den dortigen Gegebenheiten an, sind hart, aggressiv gegenüber Mithäftlingen und Buckeln vor dem Aufsichtspersonal. „Hier kriegste nur noch mehr Hass, wegen dem ganzen Ausländerpack und dem roten Gesocks von Betreuern“, so ein Zitat.
– Die Verweilart, dass hat der Foltermord von Siegburg deutlich gemacht, ist so auf Verwahrung und Desinteresse angelegt, dass die Verurteilten Jugendlichen eher verhärtet in ihren Anschauungen entlassen werden. 70 bis 80 % der jugendlichen Straftäter werden denn auch rückfällig. Die meisten innerhalb kürzester Zeit. Und obwohl sich seit dem Siegburger Foltermord viel getan hat, reicht das nicht, so verhärtete Einstellungen aufzubrechen.
– 450 neue Stellen in NRW im Vollzug bewilligt. Bezogen auf 36 JVs und 7 Jugendarrestanstalten sind das nicht zu viel. Allein ca. 500 Mio Euro werden derzeit in neue Haftanstalten an Rhein und Ruhr investiert, inkl. Umbauten.
– Je weniger Personal, desto aggressiver der Umgang der Häftlinge untereinander.
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– In der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen in Sachsen wurde ein 18jähr. Von Mitgefangenen über Wochen hinweg gefoltert und beinahe in den Tod getrieben.
– Im Herforder Jugendknast haben im Sommer 2009 vier Häftlinge 15 bis 20 J alt, einen 16jährigen vergewaltigt, mit Rasierklingen bedroht und zum Selbstmord aufgefordert.
– Ähnliche Übergriffe, so eine Untersuchung des Kriminologischen Dienstes über Gewalt im Jugendstrafvollzug, sind „gewissermaßen alltäglich“.
– 40 % aller Gefangener werden mit Drogenproblemen inhaftiert.
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– Moderator: Hatte sich all das nicht nach dem Foltermord von Siegburg im Nov. 2006 geändert?
Der Personalrat der JVA Aachen hatte im August 2009 einen Hilferuf an die Ministerin gerichtet. 50.00 Überstunden seien angelaufen. Seit Januar seien 80 Tage Sport für die Häftlinge ausgefallen. „Diese Ausfälle, gemischt mit der fast verlorenen Nähe zu den Gefangenen, ergeben eine explosive Mischung, deren Auswirkungen unkalkulierbar sind. Aus Sicht des hiesigen Personalrats ist die Sicherheit der Anstalt nicht mehr gewährleistet“.