Draussenseiter, Das Kölner Strassenmagazin, 8/2010 Nachruf auf Wallander

Henning Mankell: „Der Feind im Schatten“, Zsolnay, 30.4.2010, 592 Seiten, 26 Euro, Ü schwed Wolfgang Butt, ISBN 978-3-552-05496-7

 Nachruf auf einen Kommissar

Nun tritt er ab, der großartige Ermittler, der schwermütige Lebenszweifler und kauzige Einzelgänger: Kurt Wallander, Kriminalkommissar aus dem schwedischen Ystadt und Romanheld von Henning Mankell. Sein Abgang wurde mehrfach schon angekündigt, nie vollzogen. Und findet endlich ab heute mit großem Getöse in dem letzten Wallander-Krimi „Der Feind im Schatten“ statt. Vonseiten seiner Fans wird  es sicherlich donnernden Applaus für die gelungene Spannung in dem Krimi geben, aber auch herzzerreißende Schluchzer für Wallanders letzte Ermittlung. Das alles würde ihm gar nicht gefallen. Denn Kurt Wallander mochte noch nie die großen Auftritte, war stets zurückhaltend und verschlossen.

 „Kurz nach fünf hörte es auf zu regnen. Der Mann, der neben dem dicken Baumstamm hockte, zog vorsichtig die Jacke aus. Der Regen war nicht stark gewesen und hatte auch nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Und doch war die Nässe durch seine Kleidung gedrungen. Eine heftige Wut stieg in ihm auf. Er wollte sich nicht erkälten, nicht jetzt, mitten im Sommer.“  Ein Mörder, der auf seine Opfer wartet und dessen einzige Sorge ein möglicher Schnupfen ist. Leser, die noch nicht wissen, welch böse Tat dieser Mann plant –  Henning Mankell hat sein Publikum gerne an der Nase herumgeführt, die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt und Mörder auch schonmal mit einer Erkältung bedacht.  Um dann einen Mann auf die Spur eines solchen Täters zu schicken, der sich einfühlen konnte in Mord und Grippeangst: Kurt Wallander, melancholischer Kommissar aus dem südschwedischen Ystad. Letztlich hat er sie alle genau deswegen gestellt, diese  Rächer und Verbrecher, Vergewaltiger und Serienkiller. Weil er ihre Schwächen nachvollziehen konnte, ihre Gewohnheiten erforschte. In über einem Dutzend Fällen spürte Wallander durch Beharrlichkeit, Intuition, Fantasie und Sturheit die Täter auf. Charakteristisch war dabei sein Fatalismus, der sich schon im Roman „Mitsommermord“ ankündigte:

 „Den größten Teil seines Lebens hatte er längst hinter sich. Er konnte nicht zurückgehen und von vorn beginnen. Einige Jahre zuvor hatte er sich lange mit dem Gedanken getragen, ob er bei der Polizei aufhören und sich ein neues Berufsfeld suchen sollte. Jetzt wusste er, dass daraus nichts mehr werden würde. Er war Polizist und er blieb Polizist.“ Er ist bis zuletzt Polizist geblieben, mit Leib und Seele. Seine Leserschaft hat ihn begleitet, Schwermut und Melancholie hingenommen. Eigentlich schon seit Wallander 1991 in  „Mörder ohne Gesicht“  zum ersten Mal auftrat. Damals überlebte seine 19jährige Tochter Linda einen Selbstmordversuch. Er selbst wusste nicht, wie es weitergehen sollte.

 

Er musste zum Friseur. Das braune Haar stand an den Ohren ab. Außerdem musste er abnehmen. Seit seine Frau ihn verlassen hatte, hatte er sieben Kilo zugenommen. In der unerträglichen Einsamkeit hatte er nichts anderes als Fertiggerichte, Pizza, fettige Hamburger und Blätterteigteilchen gegessen.“ Schon bei diesem Debut war Kurt Wallander das, was er  bis zuletzt   geblieben ist:  ein  missmutiger, freudloser Mensch, dem privat so gut wie nichts gelang.  Seine Frauen verließen ihn. Nur seine Fans blieben ihm treu. Bei seinem letzten Auftritt in „Der Feind im Schatten“ ermittelt er noch einmal und macht sich auf die Suche nach einem ehemaligen U-Boot-Kapitän.

 „ Es kam für alle Beteiligten gänzlich unerwartet. Hakan von Enke verschwand spurlos.  Wie gewöhnlich war er früh aufgestanden. Um sieben klopfte er an die Schlafzimmertür seiner Frau, um sie zu wecken und ihr zu sagen, dass er jetzt einen Spaziergang machen wolle.“ Von diesem Spaziergang kommt er nicht zurück. Und auch von seiner Frau fehlt kurz darauf jede Spur. Hat das Verschwinden des Ehepaares  etwas mit einer mysteriösen U-Boot-Affäre zu tun, die sich vor zwanzig Jahren ereignete? Wallander spürt dem nach – obwohl er eigentlich genug mit sich selbst zu tun hat. Denn beinahe hätte er seinen Job verloren, weil er nach einem einsamen Besäufnis in einer Kneipe  seinen Dienstrevolver liegenlässt. Nur ein Indiz für die sich häufenden Gedächtnislücken des 60jährigen.

 „Ich fühle mich alt“, lässt ihn Henning Mankell kurz vor Ende im letzten Wallander Kriminalroman sagen.: „Jeden Tag erwache ich mit dem Gefühl, dass es so wahnsinnig schnell geht. Ich weiß nicht, ob ich hinter etwas herlaufe oder vor etwas davonlaufe. Ich laufe nur. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich große Angst vor dem Altwerden.“

 Eine Angst, die den neuen Krimi derart freudlos macht,  dass auch seine treuesten Fans sicherlich erleichtert von Kurt Wallander Abschied nehmen werden. Denn wer möchte schon ständig damit konfrontiert werden, dass sich dem ermittelnden Kommissar beim Knabbern eines Zwiebacks eine Plombe im Mund löst und er immer gebrechlicher und vergesslicher wird.„Niemand hörte, wie er dort draußen, auf der äußersten Spitze der Pier, laut mit sich selbst redete“.

 Das Ende soll nun kommen. Wallander wird  den Rest seines Lebens ohne Publikum verbringen. Das hat er sich verdient.  So ist denn Henning Mankells letzter Roman über den schwedischen Ermittler auch ein Akt der Erlösung – für den Kommissar ebenso wie für den Leser.