WDR5, 20 Jahre Eurotunnel, 10 Min., Neugier genügt Freifläche
Redaktion Gundi Große: 20 Jahre Eurotunnel
Eine humorvolle Betrachtung des Verhältnisses zwischen Briten und Franzosen
Am 1. Dezember 1990 durchstießen zwei Bauarbeiter mit ihren Presslufthämmern den Tunnel unter dem Ärmelkanal- einer von der französischen Seite aus, einer von der englischen. Mit diesem Durchbruch schafften sie heute vor 20 Jahren zum ersten Mal die Voraussetzung dafür, dass Groß-Britannien von nun an vom europäischen Kontinent aus mit dem Zug und nicht mehr nur per Flugzeug oder per Fähre zu erreichen ist. Inzwischen gilt die 50 Kilometer lange Strecke des zwischen Coquelles bei Calais und Folkestone in Kent gebauten Eurotunnels als meistbefahrene Eisenbahntrasse der Welt. Ingrid Müller-Münch hat die beiden in Deutschland lebenden Kabarettisten Alfons, einen gebürtigen Franzosen, und Mark Britton, einen gebürtigen Engländer, gebeten, einmal voll in die Vorurteilskiste zu greifen und ihr zu erklären, ob der Eurotunnel Frankreich und Engländer eigentlich näher gebracht hat.
Das Gespräch mit den beiden Kabarettisten Mark Britton, der in Köln lebt, und Alfons aus Hamburg kam gleich durch die erste Frage von Frau Müller-Münch ordentlich in Schwung. Sie hatte sich scheinheilig bei ihnen danach erkundigt, ob der eine gerne Engländer, der andere lieber Franzose wäre.
O-Ton Alfons: Aber non. Non, non. Wenn sie so anfangen mit dem Gespräch! Komische Frage ehrlich gesagt. Wollen Sie ein Engländer sein? Ein Franzose, der sich in einen Engländer umwandeln möchte, das hab ich noch nie gesehen. Obwohl es gibt komische Franzosen, aber so was, non. Es gibt Grenzen, ehrlich.
O-Ton Mark Britton: Gottes Willen. Nein. Das ist aber nett. Ich werd hier eingeladen für ein ordentliches Interview und werd sofort beleidigt. Diese Frage antworte ich einfach nicht. So fangen wir an.
Autorin: Damit war das schon mal geklärt. Jeder ist also froh, nicht in der Haut des anderen zu stecken. So soll es sein. Doch die Vehemenz, mit der die beiden Kabarettisten auf einen imaginären Nationalitäten-Wechsel reagierten, gab mir dann doch zu denken. Was, so fragte ich nach, ist für Mark Britton denn an einem Franzosen so abschreckend und fremd? Weshalb kann Alfons sich keinen Franzosen vorstellen, der lieber Engländer wäre?
.O-Ton Alfons Die sind, wie soll ich das sagen, für uns Franzosen der Engländer ist merkwürdig. Der ist komisch Es ist gut, dass wir die haben. Das gibt immer so Beispiele, was man auf keinen Fall werden möchte. Haben sie schon in England gegessen? Gibt es überhaupt in Köln englische Restaurants? Französische Restaurants oder deutsche Restaurants. Aber englische Restaurants, haben Sie das schon gesehen? Das gibts nicht. Die sind nicht verrückt. Die würden sofort Pleite gehen. Voila! Ich war einmal, ich war Junge noch. Ich ging nach England. Ich fuhr damals. Es gab noch nicht mal der Tunnel. Und das war mit dem Schiff und so. Und dann mit der Klasse. Der Lehrer, der hatte uns eine Überraschung gemacht. Er hatte uns ha, ha, ein englisches Essen dann. Uns gings allen schlecht nachher. Alle schlecht. Aber sein Ziel, das war, das man sich daran erinnert. Sehen sie. 35 Jahre später ich erinnere mich immer noch an mein erstes englisches Essen.
O-Ton Mark Britton: Das ist alles nur ein Spaß. Ich mag die Froschbeinefresser. Die sind ganz süß. Wir Engländer sind ein bisschen neidisch. Und ich glaube, es geht um die Erotik. Diese französische Art, mit der Erotik zu gehen, ist immer so, so viel lässiger, und so viel, wie kann mans nennen, lockerer, als wir verklemmte Engländer. Und ich glaube, deswegen waren wir immer und sind immer noch, ein bisschen neidisch. Auf diese so sexy französische Art. 10:02 Brigit Bardot. Und auch Gainsbourgh. Je t´aime. (singt und keucht) Das ist unser Bild von Frankreich. Alles so sexy, mediterranisch, cosmoplitan. Als zum ersten Mal, als wir dieses Cafégesellschaft gesehen haben. Haben wir nicht in England. Die Leute sitzen da. Auf der Straße fast. An Tischen. Trinken ihren café au lait. Und essen Croissants. Und für uns war das so exotisch Da sitzen wir zu Hause im Regen, im Café und essen unser furchtbares Essen. Und trinken Schwarzen Tee. Und kann nur von diesem anderen Leben bisschen eifersüchtig träumen.
O-Ton Alfons: Für uns Franzosen, die Engländer sind nur ein merkwürdiges Volk. Man mag die gerne. Aber die sind merkwürdig. Wir haben immer das Gefühl, wenn wir irgendwas entscheiden und wenn es vernünftig ist sind viele dafür, außer die Engländer. Das ist ein bisschen eher, was in Frankreich über die Engländer gesagt wird. Oder die machen immer alles anders. Wie z,B. das Metrische System oder so. Oder die wollen den Euro nicht. Momentan haben sie vielleicht recht. Aber sonst. Die wollen immer anders machen. Zum Beispiel die Punkte zählen beim Tennis.(Einspieler O-Ton) Das ist schon sehr merkwürdig. Da mit den 15. 30, 40. Das konnte nur ein Engländer erfinden. so was. Jemand Normales, der kann sowas nicht erfinden. Der sagt 1, 2, 3, 4, 5.
Autorin: Für einen Franzosen zeigte sich Alfons auf seinen Reisen nach London erstaunlich lernbereit. Er hat zumindest versucht, sich der britischen Tea-Time anzupassen.
O-Ton-Alfons: Ja. klar. Diese Tee da um, wann ist das immer, um vier glaub ich. Die trinken immer Tee um vier. Das ist eigentlich meistens die Uhrzeit wo wir anfangen mit Rotwein. Die sind beim Teetrinken. Und vor allem mit den zwei Fingern die Tassen und so. Ich hab‘s gemacht als ich da war. Ich hab‘s versucht. Ich hab versucht mich dort zu integrieren, wissen sie. So zu machen, wie die es machen mit den richtigen Worten. Mit den richtigen zwei Finger Tee zu trinken. Ich fand‘s sehr fein. Und ich fand, dass ich das auch sehr gut hin gekriegt habe. Aber die haben mich alle angeguckt und haben mich alle Froschfresser genannt. Also irgendwie hab ich mein Integrationsdiplom nicht gekriegt.
Autorin: Die vor allem kulinarischen Unterschiede zwischen Engländern und Franzosen sind einfach zu groß. Zwischen den Essgewohnheiten klaffen Gräben, die auch ein Eurotunnel offenbar nicht zu überbrücken vermag. Fish an Ships in Konkurrenz zu Froschschenkel und Schnecken – das geht gar nicht. Da mögen noch so viele Passagiere in den vergangenen Jahren die Zugstrecke unter dem Ärmelkanal passiert haben. Ist man sich dadurch näher gekommen?
O-Ton Mark Britton: Nein. Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Denn dieser Bau eigentlich nur die Unterschiede und die Eifersüchtigkeit einfach verschärft. Weil ich bin so ein paar Mal mit der Bahn durch den Tunnel gefahren. Ich kann nur eins sagen, Die Franzosen ham das viel besser als wir Engländer im Griff. Doch. Das ist das Rhyrhmus der Bahn. Als der Zug durch Frankreich fährt. Gub. gub. gub. Man geht durch den Tunnel und kommt in England. Guuuub, guuuub, guuuub. Es ist, wir schämen uns dafür. Leider. Die haben das viel besser.Weil unser Netz hängt immer noch vom 19. Jahrhundert ab. Ja. Und dieser moderne Zug muss auf den alten Schienen rollen. Als die vor 20 Jahren den Durchbruch sozusagen geschafft haben. Das war kein großer Moment. Die haben nur in diesem Moment heraus gefunden, dass die Werkzeuge von einander nicht zu passend sind. Ha, ha, ha. So fängt der erste Streit an.
O-Ton-Alfons: Aber dieser Tunnel, der hat bei vielen Franzosen auch ein sehr bitteren Geschmack gelassen, weil als die das gebaut haben, hieß es, man kann Aktien kaufen und das wird so der Mega-Deal sein. Wenn sie viele Aktien kaufen von Eurotunnel, dann werden sie total reich. Und dann natürlich die Franzosen aben gesagt, na ja reich und nix tun dafür, lass uns das mal probieren. Und das ging dann so was von in der Pleite. Ich weiß nicht mehr, aber ich glaube die Aktien, die haben am Anfang so was wie 30 Franc gekostet. Und dann 30 Centime ungefähr. Und die haben alle tierisch viel Geld verloren. Dann waren die noch mehr genervt gegen die Engländer. Obwohl die Engländer dafür wenig tun können. Das war nur dieser Tunnel. Der war eigentlich eine super Konstruktion, aber vom Geld her, das rentiert sich nicht. Aber schön.
Autorin: Was Engländer Franzosen so alles zutrauen macht die Zeugenaussage eines der Überlebenden des Rucksackattentats auf die Londoner U-Bahn vom 7. Juli 2005 deutlich, bei dem 50 Menschen ums Leben kamen. David Gardener, der durch die Explosion in einem Zug der Circle-Line ein Bein verlor, hatte während einer offiziellen Anhörung vor dem Londoner High Court sein erstes Gefühl damals, in all dem Chaos folgendermaßen geschildert: Im sei, so berichteten englische Zeitungen, spontan der Gedanke durch den Kopf geschossen: Das waren die Franzosen, weil sie nicht die Olympiabewerbung gewonnen haben!.
O-Ton Mark Britton: Die Verkehrsampeln in Frankreich haben eine andere Funktion als in anderen Ländern. Die haben nix mit der Führung des Verkehrs zu tun. Sie sind nur Dekoration. Iin England sie sind immer auf Rot gestellt. Wie in Köln. Das hat Köln und England gemeinsam. In England sagen die Ampeln Stopp. Und die Leute müssen stehen bleiben.
O-Ton-Alfons: Es gibt viele englische Worte, in der französischen Sprache, aber es wird dagegen reagiert. Und zwar wir probieren immer Worte zu erfinden, um dagegen zu kämpfen. Es gibt erst mal eine Quote, was die Radio spielen darf an ausländischen Stücken. Eigentlich an englischen Stücken. Weil wir wollen nicht zu viel Englisch hören auf die Radiostation. Nein, wir wollen Französisch. Der Franzose ist manchmal ein bisschen merkwürdig Nationalist. Aber was die Sprache angeht finde ich gut. Z.B. Computer, man sagt nicht Computer, sondern man sagt ordinateur. Software gibt es auch nicht. Es gibt logiciel. Was gibt es noch? E-Mail gibt es auch nicht etc. Wir probieren dagegen zu kämpfen. Wiir sind sehr, sehr diszipliniert und probieren möglichst wenig englische Worte. Es gibt welche. z.B. es gibt Parking. Camping. Aber dann versuchen wir das richtig französisch auszusprechen, damit keiner merkt, dass es aus dem Englischen kommt. Wir würden nie „camping“ sagen. Sondern wir sagen camping. Irgendwann in zwei Generationen sagen wir „camping“ und dann ist es sowieso vergessen, dass es aus England kommt. Wir haben auch unser Stolz.