Frankfurter Rundschau, Panorama-Seite, 10.11.2010, „Wird hier bald alles verstrahlt?“

Auch in Ahaus liegen Castoren in einem Zwischenlager. Bauer Lenting hat sich damit zähneknirschend abgefunden, wie die meisten Bewohner der Stadt. Doch jetzt rückt der kleine Ort im Münsterland in den Fokus der Kernkraftgegner. Denn es wird neue Transporte geben. Redakteurin Katharina Sperber

 „Ich seh es tagtäglich, wenn ich die Tiere morgens füttere. Und jeden Morgen denk ich dran, es wär‘ besser, wenn es nicht da stehen würde.“ Bauer Hermann Lenting sagt dies mit der Entschiedenheit eines Menschen, der eine ganz klare Position hat. Zumindest was das Brennelemente-Zwischenlager angeht. Bayerische Fleckviehbullen, etwa 200 Stück, stehen in seinen Ställen, zwingen ihn, durch lautes Muhen das Gespräch immer wieder zu unterbrechen. Der Gemüsegarten seiner Frau  Renate schmiegt sich hinter dem Bauernhof gut geschützt mit Blick ins Grüne an eine üppig blühenden Hecke lilafarbener Alpenrosen. Erst hinter dem Hof, dort wo der neue Stall gerade gebaut wird, sieht man vom Misthaufen aus das Atommülllager.

 

Es liegt knapp zwei Kilometer vom Stadtkern in Ahaus entfernt und wirkt von außen eher unscheinbar. Wer dort hinaus fährt, erblickt lediglich hinter einem großen Tor ein paar friedlich grasende Pferde und Wisente, dahinter das Dach einer Lagerhalle.“Diese Tiere sind die einzige Legitimation, einen Elektrozaun um die Anlage zu bauen“,  behauptet Felix Ruwe, Sprecher der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“. Denn „Elektrozäune darf man ja nicht gegen Menschen bauen. Das ist ein guter Trick, kann man nicht anders sagen.“

 Gut getarnt und gut geschützt hat es sich also, dieses Brennelemente-Zwischenlager. Nichts deutet von außen auf die Gefährlichkeit der Fracht hin, die dort aufbewahrt wird. Doch die Atomkraftgegner haben es  in ihren Fokus gerückt. In nächster Zeit, so planen sie, soll Ahaus zu einem „Hotspot des Atomwiderstands“ werden. Über 300 Castor-Behälter mit Atomabfällen lagern hier schon. „Diese Zahl soll sich demnächst locker verdoppeln, durch weitere Fässer aus dem früheren Kernforschungszentrum Jülich und aus der Wiederaufbereitungsanlage LaHague in Frankreich“, so BI-Sprecher Felix Ruwe.

 Damit würde der kleine münsterländische Ort mit seinen etwa 40.000 Einwohnern zu einer der größten Atommülldeponien Deutschlands. „Mindestens 25 hochgefährliche Atommüllkonvois mit jeweils 6 Castoren sollen mitten durch Köln, Duisburg, Oberhausen und das Münsterland rollen“, warnen Atomkraftgegner  auf Flugblättern und in Broschüren. Deshalb soll Ahaus  neben Gorleben demnächst zu einem der Brennpunkte des Protestes werden.

 Dagegen wird die Anti-Atomkraft-Bewegung aufbegehren. Soviel ist sicher. Vor allem, seit jetzt auch noch bekannt wurde, dass die Bundesregierung plant, Atommüll aus Ahaus in den Südural zu transportieren. 18 Castoren, in denen Müll aus der DDR-Kernforschungsanlage Rossendorf liegt, sollen ins russische Majak gehen. Ein entsprechendes deutsch-russisches Abkommen sei unterschriftsreif verhandelt, heißt es. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack“, empört sich die Bürgerinitiative, die den Transport ablehnt, auch wenn diesmal Atommüll aus ihrer Stadt weggebracht werden soll. Darüber können sie sich aber nicht freuen, denn es gebe “ein erhebliches Transportrisiko“ und die Menschen im ohnehin schon stark verstrahlten Majak würden zusätzlich belastet.

 Noch merkt man in Ahaus wenig von Aufregung oder Widerstand, aber das wird sich ändern Lentings Schwiegertochter unterbricht kurz das Ausmisten des Kuhstalles. Ob sie sich durch den ungeliebten Nachbarn bedroht fühlt? „In gewisser Weise schon. Ja. Dies Ungewisse, ob wirklich alles ungefährlich ist oder doch gefährlich ist, das ist immer da. Ansonsten gewöhnt man sich dran.“ Dass ihr Schwiegervater all die Jahre hiergegen geklagt hat, findet sie gut. „Ja die Familie hat ihn immer unterstützt.“  Sonst hätte er das gar nicht durchziehen können.“ Weil man musste ja, auch etliche Tage im Jahr weg sein. Hier ein Prozess, da ein Prozess in Berlin, in Münster.“ Lenting zündet sich einen Zigarillo an, zieht kräftig und fügt bedächtig hinzu: „ Man hatte ja immer Hoffnung.“ Lentings Frau Renate  erinnert sich gut daran, was sie empfand, als sie den letzten ablehnenden Bescheid des Gerichts erhielten: „Im ersten Moment war‘s wohl Schock. Dass wir solange gekämpft und doch vergebens die ganze Zeit geopfert haben.“

  Alles begann  vor etwa 30 Jahren, als in Ahaus eine Flurbereinigung anstand, jedes Stück Land numeriert wurde und „da tauchte ne Nummer auf, die wir nicht einordnen konnten“, erinnert sich ihr Mann. Damals kursierten Gerüchte, dass in Ahaus Atommüll gelagert werden sollte. Per Zufall kam heraus, dass dieses große Feld mit der nicht einzuordnenden Numerierung genau vor Lentings Hof als Standort ausersehen war. „Und da haben wir hier mit mehreren Landwirten zusammengesessen und uns gefragt, ja, wat machen, wat machen. Können wir dann überhaupt noch weiter produzieren? Wird demnächst hier alles verstrahlt.“ Bei der Erinnerung daran schüttelt Lenting noch immer fassungslos seinen Kopf.

 Lenting klagte mit Unterstützung der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ gegen die Genehmigung des geplanten Brennelemente-Zwischenlagers. Vor allem aus Angst davor, dass aus diesem Zwischenlager ein Endlager  werden könnte. Heute weiß er nicht mehr, wieviele Prozesse er geführt hat. Warum er sie führte, weiß er allerdings noch ganz genau: „Damit meine Kinder uns später nicht vorwerfen können, ihr hättet das verhindern können und habt nichts dagegen gemacht.“ Drei Jahre Baustopp erreichte er mithilfe der Gerichte. „Aber dat is das einzige, wat wir mal gewonnen haben“, erklärt er mit seinem breiten münsterländischen Tonfall. „Sonst, das andere ging ja alles inne Hose. Und dat war die größte Enttäuschung in meinem Leben.“

  Aus seinen Prozessen hat Hermann Lenting eine bittere Lehre gezogen: „Ja, wat hat dat bewirkt? Dat man mit Geld alles bezahlen kann. Würd ich sagen. Da glaub ich fest dran.“ Felix Ruwe, 59 Jahre alt, Lehrer am Berufskolleg für Technik und seit vielen Jahren Sprecher der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ sieht das ebenso. „Es gibt die bittere Erkenntnis, dass es um sehr sehr viel Geld geht, erst mal. Und Geld regiert die Welt.“  Geld, das nach Ahaus floss, damals und auch heute noch, um der Stadt den Standort dieses Brennelemente-Zwischenlagers zu versüßen.

 Der damalige Stadtdirektor Heinz-Robert Jünnemann (CDU) ist noch heute stolz darauf, dass er Ahaus zu dieser lukrativen Einnahmequelle  verhalf.   Anfang der 80er, lag Ahaus wirtschaftlich am Boden, „die gesamte Textilindustrie war hier verschwunden“,erinnert er sich,  von der Ahaus zu 80 Prozent abhängig war. „Wir mussten uns völlig umstrukturieren. Und damals galt die Kerntechnik als eine der großen Zukunftstechnologien.“ Den Ahausern war die Entscheidung für den hiesigen Standort mit viel Geld für die Stadtkasse versüßt worden. „Wir haben sieben Jahre lang sieben Millionen Mark Strukturhilfe bekommen“. Und von der Betreibergesellschaft des Zwischenlagers fließen bis heute jährlich eine Millionen Euro Infrastrukturmittel in den städtischen Haushalt. „Zusätzlich zu den Gewerbesteuereinnahmen“, erklärt Jünnemanns Nachfolger, der jetzige CDU-Bürgermeister Felix Büther. „Es hat sich für Ahaus gelohnt. Ja. Doch. Das kann man sagen“, versichert Jünnemann, der bislang wegen dieses Zwischenlagers „noch keine einzige schlaflose Nacht“ verbracht hat.

 Nur 1998, als 20.000 Polizisten nach Ahaus abkommandiert waren, um die über Bahngeleise angefahrenen Castoren vor aufgebrachten Demonstranten zu sichern, da „waren hier einen Tag lang bürgerkriegsähnliche Zustände. Da hab ich sofort gesagt, sowas kann die Stadt nicht mehrfach ertragen.“  Eine Woche nach diesem Frühjahrstag bekam Jünnemann einen Herzinfarkt, gab sein Amt nach 25 Jahren auf. „Die Bürgerinitiative hat immer verbreitet, sobald der pensioniert ist, wird er Ahaus verlassen. Der bleibt doch bestimmt nicht am Zwischenlager wohnen“, amüsiert sich Jünnemann. Noch heute sprechen ihn Leute auf der Straße an: „Ach wohnen sie noch immer hier?“. Dann antwortet er gelassen: „Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich bleibe, habe sogar schon eine Grabstelle auf dem hiesigen Friedhof.“

 Nicht ganz so gelassen sieht dies alles Manfred Lück, lange schon Mitglied der örtlichen Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ und 20 Jahre im Stadtrat für die Unabhängige Wählergemeinschaft. „Mich erregt das stark, wenn ich sehe, dass man von den Bauern verlangt, ihre Gülle ordentlich zu entsorgen. Aber nicht die Frage beantworten kann, wo kommt der Atommüll hin.“ Andere, die 1998 noch vehement gegen das Zwischenlager gekämpft haben, sind inzwischen zur Tagesordnung übergegangen. So wie Maria Engels, Mutter von zwei Söhnen, von Beruf Eventmanagerin, die noch vor 22 Jahren die Flyer und Aufkleber der Atomkraftgegner gestaltete. Ein bisschen Resignation sei da im Spiel, meint sie, ein bisschen Faulheit oder auch Fatalismus.

 Die Ahauser, einst in Befürworter und Gegner des Brennelementezwischenlagers gespalten, treffen sich inzwischen wieder vereint beim Frühschoppen. Bei Bauer Lenting ist Sonntagsmorgens im Jägerhof der Atommüll nur „manchmal, ganz selten“ überhaupt noch Thema. Auch Matthias Engels, Goldschmiedemeister mit einem Geschäft in der adretten Ahauser Fußgängerzone, merkt man an, dass er alles, was es hierzu zu sagen gibt, als Gegner des Zwischenlagers ausgesprochen hat. „Wenn heute das Thema aufkommt, dann wird ziemlich schnell so die Position abgesteckt. Für und wider.“ Dabei bleibts. Denn „es sind schon 10.000 Leserbriefe geschrieben worden.  Wenn ich einen Ahauser heute treffe in meinem Alter, der kennt das Thema.“ Und Bürgermeister Felix Büther versichert, „in der vergangenen Ratsperiode, die fünf Jahre gedauert hat, haben wir, glaube ich, das Zwischenlager ein-, maximal zweimal auf der Tagesordnung gehabt.“

 Hartmut Liebermann, viele Jahre lang Sprecher der hiesigen Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ ist längst zurückgetreten aus der vordersten Linie der Kämpen.. Dabei war der Kampf gegen das Zwischenlager für ihn 25 Jahre lang „ein ganz ganz wesentlicher, bestimmender Aspekt“ seines Lebens. „Man hat halt in vieler Weise seine ganze Zeitplanung, seine Lebensplanung darauf abgestellt. Viele andere Dinge sind da zu kurz gekommen.“ Das hat er geändert. Er hat sich kürzlich erst ein Sabattjahr lang von seinem Lehrerberuf verabschiedet, ist durch Brasilien gereist. Widmet sich mehr und mehr seinem Hobby, der Philatelie und Postgeschichte in der ehemaligen Tschechoslowakei. Wenn es demnächst wieder losgehen sollte, wird er wieder dabei sein, wenn auch nicht mehr an vorderster Front. Das versteht sich für ihn von selbst.

 Nur Felix Ruwe kämpft mit ein paar besonders Ausdauernden und etlichen jungen Leuten noch immer an vorderster Front der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“. Auch wenn er sich immer mal  wieder eine Auszeit auf seinem Segelboot nimmt, über die Nordsee schippert, ganz mit sich im Reinen. Ansonsten ist Ruwe nach wie vor die treibende Kraft der Ahauser Atomkraftgegner. Und verweist stolz auf die Reliquien der Bewegung, die draußen im Schaufenster des BI-Büros ausgestellt liegen: Auf den Helm mit dem blinkenden X. „Den hab ich mal zu meinem 50. Geburtstag geschenkt gekriegt.“ Auf einen Schraubenschlüssel, mit dem man  im Notfall bei einem Schienentransport der Castorbehälter, „die Bahnschwellen lösen könnte“, erklärt Ruwe. Denn, so seine Einschätzung, „Das Bedrohungspotential nimmt mit jedem Transport zu und die Sicherheit nimmt natürlich ab. Je mehr Behälter kommen, desto größer das Risiko.“ Deshalb, so Ruwe, wird es demnächst hier in Ahaus wieder große Demonstrationen geben. So wie im Frühjahr 1998.

 In den Protestveranstaltungen sieht er so etwas wie eine„Renaissance der Antiatombewegung.“ Er ist begeistert von den derzeitigen Blockaden der Castoren im Wendland. „Wir waren letztes Jahr im Herbst schon 35000 in Gorleben. Wir waren 50000 in Berlin 2009. Und jetzt die letzte Aktion am 24. April im Norden die Kette mit 125000 Menschen. Im Frühjahr in Ahaus 7500 Teilnehmer.“ Das alles sei „gigantisch.“  Für Ruwe steht fest, dass es der Polizei immer schwerer fallen wird, die nächsten Transporte nach Ahaus oder auch von Ahaus in den Südural  zu schützen. 

 Ruhiges Land, weites Land, Bauernland.“ So präsentiert sich Ahaus heute noch in seiner Tourismuswerbung. Das Brennelementezwischenlager wird gar nicht erst erwähnt.  Ex-Stadtdirektor Jünnemann wüsste auch nicht, warum. Er  ist längst im Ruhestand und blickt zufrieden auf das zurück, was er Ahaus da beschert hat. „Nein. Ich bedaure es nicht, weil meines Erachtens, wenn man es nüchtern sieht, ist das keine Gefahr für Ahaus.“ Andere stellen sich darauf ein, demnächst wieder gegen weitere Atommülltransporte  auf die Straße zu gehen. Maria Engels zum Beispiel, die dann auf jeden Fall wieder mitmischen will. „Nur im Alltag spielt es eben nicht mehr so eine zentrale Rolle.“ Oder ihr Mann, der Goldschmiedemeister Mathias Engels, der sicher ist, dass sobald weitere Transporte anrollen, „die Emotionen wieder hochkochen werden. Während man es jetzt im Alltag versucht ein bisschen auszublenden, weil man nicht permanent auf so einer emotionalen Welle leben kann. Das schafft kein Mensch.“

 

 

 

 

 Atomüll hinter dem Gartenzaun

Ahaus – Eine Stadt lebt mit dem Brennelementezwischenlager

Von Ingrid Müller-Münch

 

 

 

 

 

 

„Ich seh es tagtäglich, wenn ich die Tiere morgens füttere. Und jeden Morgen denk ich dran, es wär‘ besser, wenn es nicht da stehen würde.“ Bauer Hermann Lenting sagt dies mit der Entschiedenheit eines Menschen, der eine ganz klare Position hat. Zumindest was das Brennelemente-Zwischenlager angeht. Bayerische Fleckviehbullen, etwa 200 Stück, stehen in seinen Ställen, zwingen ihn, durch lautes Muhen das Gespräch immer wieder zu unterbrechen. Der Gemüsegarten seiner Frau  Renate schmiegt sich hinter dem Bauernhof gut geschützt mit Blick ins Grüne an eine üppig blühenden Hecke lilafarbener Alpenrosen. Erst hinter dem Hof, dort wo der neue Stall gerade gebaut wird, sieht man vom Misthaufen aus das Atommülllager.

 

Es liegt knapp zwei Kilometer vom Stadtkern in Ahaus entfernt und wirkt von außen eher unscheinbar. Wer dort hinaus fährt, erblickt lediglich hinter einem großen Tor ein paar friedlich grasende Pferde und Wisente, dahinter das Dach einer Lagerhalle.“Diese Tiere sind die einzige Legitimation, einen Elektrozaun um die Anlage zu bauen“,  behauptet Felix Ruwe, Sprecher der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“. Denn „Elektrozäune darf man ja nicht gegen Menschen bauen. Das ist ein guter Trick, kann man nicht anders sagen.“

 

Gut getarnt und gut geschützt hat es sich also, dieses Brennelemente-Zwischenlager. Nichts deutet von außen auf die Gefährlichkeit der Fracht hin, die dort aufbewahrt wird. Doch die Atomkraftgegner haben es  in ihren Fokus gerückt. In nächster Zeit, so planen sie, soll Ahaus zu einem „Hotspot des Atomwiderstands“ werden. Über 300 Castor-Behälter mit Atomabfällen lagern hier schon. „Diese Zahl soll sich demnächst locker verdoppeln, durch weitere Fässer aus dem früheren Kernforschungszentrum Jülich und aus der Wiederaufbereitungsanlage LaHague in Frankreich“, so BI-Sprecher Felix Ruwe.

 

Damit würde der kleine münsterländische Ort mit seinen etwa 40.000 Einwohnern zu einer der größten Atommülldeponien Deutschlands. „Mindestens 25 hochgefährliche Atommüllkonvois mit jeweils 6 Castoren sollen mitten durch Köln, Duisburg, Oberhausen und das Münsterland rollen“, warnen Atomkraftgegner  auf Flugblättern und in Broschüren. Deshalb soll Ahaus  neben Gorleben demnächst zu einem der Brennpunkte des Protestes werden.

 

Dagegen wird die Anti-Atomkraft-Bewegung aufbegehren. Soviel ist sicher. Vor allem, seit jetzt auch noch bekannt wurde, dass die Bundesregierung plant, Atommüll aus Ahaus in den Südural zu transportieren. 18 Castoren, in denen Müll aus der DDR-Kernforschungsanlage Rossendorf liegt, sollen ins russische Majak gehen. Ein entsprechendes deutsch-russisches Abkommen sei unterschriftsreif verhandelt, heißt es. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack“, empört sich die Bürgerinitiative, die den Transport ablehnt, auch wenn diesmal Atommüll aus ihrer Stadt weggebracht werden soll. Darüber können sie sich aber nicht freuen, denn es gebe “ein erhebliches Transportrisiko“ und die Menschen im ohnehin schon stark verstrahlten Majak würden zusätzlich belastet.

 

Noch merkt man in Ahaus wenig von Aufregung oder Widerstand, aber das wird sich ändern Lentings Schwiegertochter unterbricht kurz das Ausmisten des Kuhstalles. Ob sie sich durch den ungeliebten Nachbarn bedroht fühlt? „In gewisser Weise schon. Ja. Dies Ungewisse, ob wirklich alles ungefährlich ist oder doch gefährlich ist, das ist immer da. Ansonsten gewöhnt man sich dran.“ Dass ihr Schwiegervater all die Jahre hiergegen geklagt hat, findet sie gut. „Ja die Familie hat ihn immer unterstützt.“  Sonst hätte er das gar nicht durchziehen können.“ Weil man musste ja, auch etliche Tage im Jahr weg sein. Hier ein Prozess, da ein Prozess in Berlin, in Münster.“ Lenting zündet sich einen Zigarillo an, zieht kräftig und fügt bedächtig hinzu: „ Man hatte ja immer Hoffnung.“ Lentings Frau Renate  erinnert sich gut daran, was sie empfand, als sie den letzten ablehnenden Bescheid des Gerichts erhielten: „Im ersten Moment war‘s wohl Schock. Dass wir solange gekämpft und doch vergebens die ganze Zeit geopfert haben.“

 

 Alles begann  vor etwa 30 Jahren, als in Ahaus eine Flurbereinigung anstand, jedes Stück Land numeriert wurde und „da tauchte ne Nummer auf, die wir nicht einordnen konnten“, erinnert sich ihr Mann. Damals kursierten Gerüchte, dass in Ahaus Atommüll gelagert werden sollte. Per Zufall kam heraus, dass dieses große Feld mit der nicht einzuordnenden Numerierung genau vor Lentings Hof als Standort ausersehen war. „Und da haben wir hier mit mehreren Landwirten zusammengesessen und uns gefragt, ja, wat machen, wat machen. Können wir dann überhaupt noch weiter produzieren? Wird demnächst hier alles verstrahlt.“ Bei der Erinnerung daran schüttelt Lenting noch immer fassungslos seinen Kopf.

 

Lenting klagte mit Unterstützung der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ gegen die Genehmigung des geplanten Brennelemente-Zwischenlagers. Vor allem aus Angst davor, dass aus diesem Zwischenlager ein Endlager  werden könnte. Heute weiß er nicht mehr, wieviele Prozesse er geführt hat. Warum er sie führte, weiß er allerdings noch ganz genau: „Damit meine Kinder uns später nicht vorwerfen können, ihr hättet das verhindern können und habt nichts dagegen gemacht.“ Drei Jahre Baustopp erreichte er mithilfe der Gerichte. „Aber dat is das einzige, wat wir mal gewonnen haben“, erklärt er mit seinem breiten münsterländischen Tonfall. „Sonst, das andere ging ja alles inne Hose. Und dat war die größte Enttäuschung in meinem Leben.“

 

 Aus seinen Prozessen hat Hermann Lenting eine bittere Lehre gezogen: „Ja, wat hat dat bewirkt? Dat man mit Geld alles bezahlen kann. Würd ich sagen. Da glaub ich fest dran.“ Felix Ruwe, 59 Jahre alt, Lehrer am Berufskolleg für Technik und seit vielen Jahren Sprecher der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ sieht das ebenso. „Es gibt die bittere Erkenntnis, dass es um sehr sehr viel Geld geht, erst mal. Und Geld regiert die Welt.“  Geld, das nach Ahaus floss, damals und auch heute noch, um der Stadt den Standort dieses Brennelemente-Zwischenlagers zu versüßen.

 

Der damalige Stadtdirektor Heinz-Robert Jünnemann (CDU) ist noch heute stolz darauf, dass er Ahaus zu dieser lukrativen Einnahmequelle  verhalf.   Anfang der 80er, lag Ahaus wirtschaftlich am Boden, „die gesamte Textilindustrie war hier verschwunden“,erinnert er sich,  von der Ahaus zu 80 Prozent abhängig war. „Wir mussten uns völlig umstrukturieren. Und damals galt die Kerntechnik als eine der großen Zukunftstechnologien.“ Den Ahausern war die Entscheidung für den hiesigen Standort mit viel Geld für die Stadtkasse versüßt worden. „Wir haben sieben Jahre lang sieben Millionen Mark Strukturhilfe bekommen“. Und von der Betreibergesellschaft des Zwischenlagers fließen bis heute jährlich eine Millionen Euro Infrastrukturmittel in den städtischen Haushalt. „Zusätzlich zu den Gewerbesteuereinnahmen“, erklärt Jünnemanns Nachfolger, der jetzige CDU-Bürgermeister Felix Büther. „Es hat sich für Ahaus gelohnt. Ja. Doch. Das kann man sagen“, versichert Jünnemann, der bislang wegen dieses Zwischenlagers „noch keine einzige schlaflose Nacht“ verbracht hat.

 

Nur 1998, als 20.000 Polizisten nach Ahaus abkommandiert waren, um die über Bahngeleise angefahrenen Castoren vor aufgebrachten Demonstranten zu sichern, da „waren hier einen Tag lang bürgerkriegsähnliche Zustände. Da hab ich sofort gesagt, sowas kann die Stadt nicht mehrfach ertragen.“  Eine Woche nach diesem Frühjahrstag bekam Jünnemann einen Herzinfarkt, gab sein Amt nach 25 Jahren auf. „Die Bürgerinitiative hat immer verbreitet, sobald der pensioniert ist, wird er Ahaus verlassen. Der bleibt doch bestimmt nicht am Zwischenlager wohnen“, amüsiert sich Jünnemann. Noch heute sprechen ihn Leute auf der Straße an: „Ach wohnen sie noch immer hier?“. Dann antwortet er gelassen: „Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich bleibe, habe sogar schon eine Grabstelle auf dem hiesigen Friedhof.“

 

Nicht ganz so gelassen sieht dies alles Manfred Lück, lange schon Mitglied der örtlichen Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ und 20 Jahre im Stadtrat für die Unabhängige Wählergemeinschaft. „Mich erregt das stark, wenn ich sehe, dass man von den Bauern verlangt, ihre Gülle ordentlich zu entsorgen. Aber nicht die Frage beantworten kann, wo kommt der Atommüll hin.“ Andere, die 1998 noch vehement gegen das Zwischenlager gekämpft haben, sind inzwischen zur Tagesordnung übergegangen. So wie Maria Engels, Mutter von zwei Söhnen, von Beruf Eventmanagerin, die noch vor 22 Jahren die Flyer und Aufkleber der Atomkraftgegner gestaltete. Ein bisschen Resignation sei da im Spiel, meint sie, ein bisschen Faulheit oder auch Fatalismus.

 

Die Ahauser, einst in Befürworter und Gegner des Brennelementezwischenlagers gespalten, treffen sich inzwischen wieder vereint beim Frühschoppen. Bei Bauer Lenting ist Sonntagsmorgens im Jägerhof der Atommüll nur „manchmal, ganz selten“ überhaupt noch Thema. Auch Matthias Engels, Goldschmiedemeister mit einem Geschäft in der adretten Ahauser Fußgängerzone, merkt man an, dass er alles, was es hierzu zu sagen gibt, als Gegner des Zwischenlagers ausgesprochen hat. „Wenn heute das Thema aufkommt, dann wird ziemlich schnell so die Position abgesteckt. Für und wider.“ Dabei bleibts. Denn „es sind schon 10.000 Leserbriefe geschrieben worden.  Wenn ich einen Ahauser heute treffe in meinem Alter, der kennt das Thema.“ Und Bürgermeister Felix Büther versichert, „in der vergangenen Ratsperiode, die fünf Jahre gedauert hat, haben wir, glaube ich, das Zwischenlager ein-, maximal zweimal auf der Tagesordnung gehabt.“

 

Hartmut Liebermann, viele Jahre lang Sprecher der hiesigen Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ ist längst zurückgetreten aus der vordersten Linie der Kämpen.. Dabei war der Kampf gegen das Zwischenlager für ihn 25 Jahre lang „ein ganz ganz wesentlicher, bestimmender Aspekt“ seines Lebens. „Man hat halt in vieler Weise seine ganze Zeitplanung, seine Lebensplanung darauf abgestellt. Viele andere Dinge sind da zu kurz gekommen.“ Das hat er geändert. Er hat sich kürzlich erst ein Sabattjahr lang von seinem Lehrerberuf verabschiedet, ist durch Brasilien gereist. Widmet sich mehr und mehr seinem Hobby, der Philatelie und Postgeschichte in der ehemaligen Tschechoslowakei. Wenn es demnächst wieder losgehen sollte, wird er wieder dabei sein, wenn auch nicht mehr an vorderster Front. Das versteht sich für ihn von selbst.

 

Nur Felix Ruwe kämpft mit ein paar besonders Ausdauernden und etlichen jungen Leuten noch immer an vorderster Front der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“. Auch wenn er sich immer mal  wieder eine Auszeit auf seinem Segelboot nimmt, über die Nordsee schippert, ganz mit sich im Reinen. Ansonsten ist Ruwe nach wie vor die treibende Kraft der Ahauser Atomkraftgegner. Und verweist stolz auf die Reliquien der Bewegung, die draußen im Schaufenster des BI-Büros ausgestellt liegen: Auf den Helm mit dem blinkenden X. „Den hab ich mal zu meinem 50. Geburtstag geschenkt gekriegt.“ Auf einen Schraubenschlüssel, mit dem man  im Notfall bei einem Schienentransport der Castorbehälter, „die Bahnschwellen lösen könnte“, erklärt Ruwe. Denn, so seine Einschätzung, „Das Bedrohungspotential nimmt mit jedem Transport zu und die Sicherheit nimmt natürlich ab. Je mehr Behälter kommen, desto größer das Risiko.“ Deshalb, so Ruwe, wird es demnächst hier in Ahaus wieder große Demonstrationen geben. So wie im Frühjahr 1998.

 

In den Protestveranstaltungen sieht er so etwas wie eine

„Renaissance der Antiatombewegung.“ Er ist begeistert von den derzeitigen Blockaden der Castoren im Wendland. „Wir waren letztes Jahr im Herbst schon 35000 in Gorleben. Wir waren 50000 in Berlin 2009. Und jetzt die letzte Aktion am 24. April im Norden die Kette mit 125000 Menschen. Im Frühjahr in Ahaus 7500 Teilnehmer.“ Das alles sei „gigantisch.“  Für Ruwe steht fest, dass es der Polizei immer schwerer fallen wird, die nächsten Transporte nach Ahaus oder auch von Ahaus in den Südural  zu schützen. 

 

 

Ruhiges Land, weites Land, Bauernland.“ So präsentiert sich Ahaus heute noch in seiner Tourismuswerbung. Das Brennelementezwischenlager wird gar nicht erst erwähnt.  Ex-Stadtdirektor Jünnemann wüsste auch nicht, warum. Er  ist längst im Ruhestand und blickt zufrieden auf das zurück, was er Ahaus da beschert hat. „Nein. Ich bedaure es nicht, weil meines Erachtens, wenn man es nüchtern sieht, ist das keine Gefahr für Ahaus.“ Andere stellen sich darauf ein, demnächst wieder gegen weitere Atommülltransporte  auf die Straße zu gehen. Maria Engels zum Beispiel, die dann auf jeden Fall wieder mitmischen will. „Nur im Alltag spielt es eben nicht mehr so eine zentrale Rolle.“ Oder ihr Mann, der Goldschmiedemeister Mathias Engels, der sicher ist, dass sobald weitere Transporte anrollen, „die Emotionen wieder hochkochen werden. Während man es jetzt im Alltag versucht ein bisschen auszublenden, weil man nicht permanent auf so einer emotionalen Welle leben kann. Das schafft kein Mensch.“

 

Ende