WDR5, Gänsehaut-Krimitipp, 14.12.2013
John le Carré: „Empfindliche Wahrheit“, Ullstein, Winter 2013, Ü engl Sabine Roth, 24,99 Euro, ISBN 550080364 (eigentlich David John Moore Cornwell), 23. Buch, Doppelportrait seiner selbst Toby Bell und Christopher Probyn)
Kannten sich Edward Snowdon und John le Carré? Haben sich der reale Whistleblower und der Schriftsteller abgesprochen? Wenn nicht, dann hat Carré einen absoluten Volltreffer gelandet. Wenige Wochen bevor Snowdon die Welt mit seinen NSA-Infos schockte, erschien in London der 23. Roman des inzwischen 82jährigen Bestseller-Autors. Darin zeichnet er ein Szenario, das vor Snowdons Enthüllungen wohl kaum jemand geglaubt hätte. Die Geschichte: der alternder Diplomat Christopher Probyn wird zu einer Geheimmission bestellt. In der britischen Kronkolonie Gibraltar soll einem islamistischen Waffenhändler aufgelauert werden. Mit von der Partie: eine britische Spezialeinheit und eine Handvoll US-Söldner. Erst Jahre später, Probyn führt das beschauliche Leben eines Pensionärs in Cornwall, behauptet jemand, bei dieser Aktion sei kein Waffenhändler gestellt sondern eine unschuldige junge Mutter mit ihrem Kind erschossen worden. Fassungslos will Christopher Probyn die Sache klären. Er kontaktiert den jungen Toby Bell, seinerzeit Referent des zuständigen Ministers, der immer schon Zweifel an dieser Geheimaktion hatte. Plötzlich werden beider handys abgehört, ihre Wohnungen durchsucht, ihre Computer abgeschöpft, jeder Schritt und Tritt, den Toby Bell und Christopher Probyn machen, steht unter Beobachtung. John Le Carré mit der Nase vorn. Hochaktuell. Brandheiß. Verwickelt. Eine Story, die die volle Konzentration des Lesers erfordert. Mit Abschweifungen, die ich altersgerecht nennen würde. John le Carré kann es sich leisten. Er würde, sagte er kürzlich in einem Interview, inzwischen auch für die bloße Veröffentlichung des Telefonbuchs unter seinem Namen Geld bekommen.