Krimi-Service auf WDR5, Scala, Mai-2018

Diesmal hatte ich außergewöhnliche Settings und unerwartete Schauplätze parat. Von Kirgistan über Dubai reiste ich hin in ein kleines englisches Dorf, in dem es beschaulich zugehen könnte, wären da nicht die Alpträume der nach Jahren hierhin zurückgekehrten Kriegsreporterin

Tom Callaghan: „Mörderischer Sommer“, Atlantik bei Hoffmann&Campe, 24.4.2018,16 Euro, Paperback, 331 Seiten

Herausragend aus dem Gros der Krimis. Ungewöhnliches Setting, ein Held OutofOrder, Story spielt zwischen Kirgisistan in Zentralasien und Dubai, der größten Stadt der Vereinigten Arabischen Emirate. „Bei Reisen innerhalb von Kirgisistan wird zur Vorsicht geraten. Gewaltsame Zusammenstöße, beispielsweise im Rahmen von Demonstrationen im Zusammenhang mit innenpolitischen Entwicklungen in Kirgisistan, können im gesamten Land nicht ausgeschlossen werden. Es wird daher empfohlen, Menschenansammlungen zu meiden, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß unterwegs zu sein und sich regelmäßig über die Sicherheitslage informiert zu halten…In der generell bei Dunkelheit sehr schlecht beleuchteten Hauptstadt Bischkek ist es in der Vergangenheit – vor allem nach Einbruch der Dunkelheit, zu Raubüberfällen auch auf Ausländer gekommen.“ Warnung des AA von 2018.

Seinen ersten Krimi „Blutiger Winter“ hat der Kosmopolit Callaghan noch ganz in diesem kirgisischen Millieu von Korruption, Willkürherrschaft und Pöstchenschacherei angesiedelt. Schon damals war ich begeistert davon, wie der Autor, ein Weltbürger, uns eingeführt hat in dieses Land. C. selbst pendelt zwischen Londong, Prag, Dubai und Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt hin und her. Diesmal hat er sich entschieden, einen Spagat zwischen Kirgisistan und Dubai zu wagen. Und man weiß ehrlich gesagt nicht, weches Land man vorziehen würde: das überall durch Videokameras überwachte superreiche Dubai oder das von Korruption und Gewalt zerfressene Kirgisistan.

Sein Protagonist, Akyl Borubaew, hat seinen Job bei der Mordkommission in Bischkek verloren. Er war zu frech, zu unbestechlich, zu vielen daher ein Dorn im Auge. Da Akysl geliebte Frau gestorben ist, er sonst nichts im Leben hat, was ihn interessiert, will er auf jeden Fall zurück auf seinen Polizistenjob. Und ist bereit, dafür auf das Ansinnen des für seine Gewaltexzesse und Foltermethoden bekannten Ministers für Staatssicherheit einzugehen: Er soll dessen einstige Geliebte ausfindig machen, die sich nach Dubai abgesetzt hat, im Gepäck einen USB-Stick mit äußerst brisanten, hoch wertvollen und für den Minister gefährlichen Infos. Also macht er sich auf nach Dubai. Und wird schon bald verwickelt in ein Spiel um Macht und Millionen, getrieben aus Angst und Gier, begleitet von tödlichen Zusammenstößen, aus denen Akyl angeschlagen aber lebend hervorgeht. Dass am Schluss nicht alles in einem „heileheilegänschen wird alles wieder gut“ endet, versteht sich von selbst. Und dass es Tote gibt, die unschuldig in diese Menschen- und Millionenjagd hineingeraten, lässt der Autor als Kolateralschaden durchgehen.

Ein Szenario, über dem ständig Druck, Drohungen, Folteraussichten und Machteifer schwebt. Das aber vielleicht gerade deshalb einen Einblick in eine Welt erlaubt, die hier eher fremd ist. Ich liebe Callaghan, trotz seiner Brutalität. Ober vielleicht gerade deshalb. Weil er nicht so tut, als wäre alles gut, wo nichts aber auch gar nichts stimmt.

 

 

Nuala Ellwood: „War ihr nicht seht“, Goldmann, 18.4.2018, Übersetzung aus dem Englischen Elke Link,411 Seiten, Debut

Es ist häufig immer wieder dasselbe, oder sieht zumindest auf dem ersten Blick so aus. Gähn. Da kehrt jemand nach vielen vielen Jahren nach Hause zurück und deckt ein dort unter der Decke schlummerndes Geheimnis auf. Doch diesmal ist es anders. In Ihrem Debut hat die in London lebende Musikerin Ellwood es gleich in die Top Ten der englischen Bestsellerlisten geschafft – und das zurecht. Denn als ihre Protagonistin, die Kriegsreporterin Kate, nach vielen Reportagen von den Kriegsschauplätzen dieser Welt zurück in ihr Heimatdorf nach Herne Bay kehrt, da geht es nicht nur um versteckte Geheimnisse dieses Ortes. Sondern die Alpträume, von denen Kate heimgesucht wird und die sie Nacht für Nacht um den Schlaf bringen, versetzen den Leser immer wieder von Herne Bay aus nach Aleppo, mitten hinein in Krieg, Zerstörung, verletzte und geschundene Menschen und vor allem hin zu Kindern, die unschuldig in all dies hineingerieten. Kein Wunder, dass Kate von diesen Bildern gejagt wird. Auch hier in Herne Bay, wohin sie zurückkehrte, weil ihre Mutter starb. Dorthin, wo ihre Schwester Sally noch immer lebt. Weil Kate allerdings so schräg, so geplagt wirkt, glaubt ihr auch keiner als sie behauptet, in dem Nachbarhaus, direkt neben dem Haus ihrer Mutter, lebe ein kleiner Junge. Ja der werde dort gefangen gehalten. So unglaubwürdig wirkt sie dabei, dass der National Health Service von der Polizei gerufen wird und sie in einer stundenlangen Séance einer Psychologin von Syrien, von ihren Erlebnissen dort erzählen muss. Als sie endlich wieder auf freiem Fuß gelassen wird, muss sie den Ort verlassen. Das ist eine der Auflagen. Und ihr Schwager, der Gute, begleitet sie, unterstützt sie. Doch dann ahnt sie etwas, entdeckt sie etwas, und ist sicher, dass dies keine Halluzination ist.

Ein Pageturner, dessen Schwerpunkt nicht das Aufdecken kleinbürgerlicher Landhaus-Secrets ist, sondern der sich – auf Umwegen -mitten hinein begibt in den Alltag von Kriegsreportern und das, was das Erlebte mit ihnen macht. Ein wirklich grandioses Debut.