Grignan -eine literarische Reise zu Madame de Sévigné

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Madame de Sévigné / Scala, Redaktion Simone Thielmann

Eine Reise zu einer Literatin und liebend ihr Kind umklammernden Mutter

Atmo kratzender Federkiel unterlegt

Sprecherin: Ach mein Vetter, wir frieren hier hundertmal mehr als in Paris; wir sind allen Winden ausgesetzt, sei’s dem Meerwind, sei’s der Bise oder dem Teufel…. Unsere Tintenfässer sind eingefroren, unsere Finger zu steif, um die Feder zu führen… .langsam ausklingen lassen. Noch ein wenig kratzender Federkiel.

 

Autorin:  3. Februar 1695. Aus ihrem Zimmer im dritten Stockwerk des provenzalischen Schlosses Grignan schrieb Marie de Rabutin Chantal Marquise de Sévigné an ihren Vetter Philippe Emanuel Coulange. Es ist einer der

letzten Zeilen, die jene Frau verfasste, die sich im 17. Jahrhundert

durch ihre Briefe einen Platz in der klassischen Literatur eroberte.

 

O-Ton Guide Sev-1- 0:20 Bonjour. Je m’appelle Renée de la Tour et je suis guide au chateau de Grignan. 2:27 Nous sommes maintenant dans la chambre..unterlegen…Wir befinden uns hier in dem Zimmer, in dem Madame de Sévigné übernachtete, wenn sie sich in Grignan aufhielt.  2:39  Und an diesem Schreibtisch schrieb sie.

 

Autorin:  300 Jahre sind sie alt, die von ihr hinterlassenen Belege einer

zärtlichen aber auch besitzergreifenden Mutterliebe. Es sind

Zeugnisse einer gebildeten Frau des 17. Jahrhunderts, die durch

schriftliche Botschaften die Trennung zur Tochter Francoise überbrücken wollte.

 

O-Ton Guide 1-10:05 1.121 lettres…..Sie hat 1121 Briefe geschrieben. Ein gutes Dutzend davon sind sehr sehr bekannt.  11:08 Der Kernpunkt ihrer Briefe ist die Beschreibung der damaligen Zeit, des 17. Jahrhunderts. Verbunden mit dieser unglaublichen Mutterliebe, mit der sie sich ihrer Tochter, der Gräfin von Grignan, zuwandte.  Ende bei Comtesse de Grignan.

 

 

 

Autorin: 25 Jahre ihres Lebens schrieb Madame de Sévigné regelmäßig, manchmal täglich an ihre Tochter Francoise, korrespondierte mit Freunden, ihrem Lieblingscousin, ließ sich über Edelmänner und Adelsränge aus, klatschte über Liebschaften und Intrigen am Hof Ludwig des 14.en, berichtete über

politische Verwicklungen, Zeremonien und unstandesgemäße Alliancen. Dafür wurde sie von Voltaire bewundert. Marcel Proust verehrte sie. Noch heute werden französische Schulkinder mit Zitaten aus ihren Briefen traktiert. Sie hat eine Berühmtheit erlangt, die unvergänglich scheint – dem in der Drôme-Provencal gelegenen Schloss garantiert sie einen Besucherstrom.

 

Atmo O-Ton Sevigne -2- 4:36 Schritte Atmo durchs Schloss , 5:21 Stimmen Atmo Führung hört Stimme der Guide im Hintergrund.  6:28 Kinderstimme Atmo  Sevi -2-10:11 Atmo Geräusche von Leuten, die durchs Schloss gehen.  Sevigné -4- 3:42 Gesräch Atmo mit Besuchern.

 

O-Ton Guide Se2-7:23  Chaque année….Wir haben hier auf dem Schloss pro Jahr 170.000 Besucher. Vor allem zwischen April und September in der Hochsaison.

 

Atmo O-Ton Sevigne -2- 4:36 Schritte Atmo durchs Schloss , 5:21 Stimmen Atmo Führung hört Stimme der Guide im Hintergrund.  6:28 Kinderstimme Atmo  Sevi -2-10:11 Atmo Geräusche von Leuten, die durchs Schloss gehen.  Sevigné -4- 3:42 Gesräch Atmo mit Besuchern.

 

Autorin: Das pitoreske, an einen Felsen geklammerte Dörfchen Grignan verdankt diesen Andrang der unermüdlichen Briefeschreiberin. Ohne sie wäre das Rennaissance-Schloss eines unter vielen, die Gegend der Drôme-Provencal ist voll davon. Es kommen vor allem Fans der Marquise. Menschen die sich an der häufig zum Schmunzeln verleitenden Korrespondenz ergötzen. So über den Hinweis der Mutter an ihre schwangere Tochter, sich mit dem Konsum von heißem Kakao bitteschön zurückzuhalten. Der Grund:

 

O-Ton Se 2-12:48 Guide: La Marquise de .. Eine befreundete Marquise hat während ihrer Schwangerschaft so viel Schokolade getrunken, dass sie ein schwarzhäutiges

Kind zur Welt brachte

 

 

 

 

Autorin: Eine der Besucherinnen, die an einem heißen Sommertag über die Schlossterrasse schlendert, ist die Schweizerin Dagmar Dornbierer. Ihr geht dieses ständige Einmischen von Madame de Sévigné in die Belange ihrer Tochter zu weit.

 

O-Ton: Schweizerin: Sev -2- 9:12 Sie ist nicht wirklich mein Typ. Sie ist zu besitzergreifend. Sie ist sehr ähnlich wie meine eigene Mutter. Sie will die Tochter nicht loslassen. 11:10 Sie hat sich überall eingemischt. Das erklärt auch ihre Korrespondenz. Ihre Art zu schreiben. Sie beschreibt alles. Sie hat überall die Nase drin. Das ist gut für Historiker.

 

Autorin: Und die schöpfen bis heute aus dem Riesenvorrat an teils geschwätzigen aber immer auch wohl formulierten Hintergrundinformationen über eine Epoche, die ohne Madame de Sévigné heute weitaus lebloser erscheinen würde. Denn sie lässt sich über fast alles aus. So zum Beispiel darüber, wie seinerzeit gereist wurde. Als es noch keinen TGV gab, der in drei Stunden von Paris aus die Provence erreichte. Sondern als es noch gut zwei Wochen dauerte, um die auf dem Schloss von Grignan lebende Tochter zu erreichen. Eine Reise voller Tücken und Hindernissen. So wie am 20. Dezember 1672, an dem es seit Tagen geregnet hatte, noch immer schüttete, die Marquise aber zunächst dennoch ihre Reise nach Grignan fortsetzen wollte.

 

Atmo Federkiel unterlegen

 

Sprecherin : …der Lastesel war bepackt, die Schellen der Maultiere mahnten mich, die Sänfte zu besteigen. …Da erschien plötzlich im omelettefarbenen Schlafrock Herr von Grignan und redete so eindringlich über die Tollheit meines Unterfangens, davon, dass die Maultiertreiber meiner Sänfte nicht folgen, die Maultiere in den Graben fallen, meine Leute nass bis auf die Haut sein würden und unfähig, mir beizustehen, dass ich meine Absicht prompt auf- und seinen vernünftigen Vorstellungen nachgegeben habe. Also: Koffer zurückbringen, Maultiere abschirren, Mädchen und Lakaien trocknen, die tropfnass sind, nur schon vom über den Hof Gehen, und einen Boten an Sie senden.

 

 

 

 

Autorin: Drei Reisen unternahm Madame de Sévigné in das provencalische Schloss, in dem ihre Tochter lebte, verheiratet mit dem Generalleutnant  der Provence. Jedesmal blieb sie monatelang, manchmal länger als ein Jahr. Und jedesmal wunderte sie sich über die Üppigkeit, in der dort gelebt und getafelt wurde. Wohlwissend, dass das Geld knapp war, weil Graf von Grignan es mit vollen Händen ausgab. Ein eigenes Orchester spielte auf. Es wurde aufgetischt, was Feld und Wald so hergab.

 

O-Ton Guide 1/12:56 Parlons un peu de la….Es gibt zwar dieselben Speisen wie überall. Rebhühner, das ist gewöhnlich, jedoch ungewöhnlich ist es, dass alle so sind wie in Paris jene, die man mit ganz besonderer Miene unter die Nase zu halten pflegt und ausruft: ‚Oh, dieser Duft! Riechen Sie ein wenig!‘ Solches Erstaunen lassen wir hier weg; unsere Rebhühner nähren sich mit Thymian und Majoran, mit allen duftenden Kräutern, die wir in Säckchen eingenäht in unsere Wäsche legen…ausklingen lassen

 

Autorin: Nach dem Tod des Grafen von Grignan zog kein Duft mehr durch die Schlossflure. Der Schwiegersohn hatte das Vermögen verprasst. Enkelin Pauline war gezwungen, das Erbe zu verscherbeln. Während der französischen Revolution wurde das Schloss geschleift und weitgehendst zerstört. Erst im 20. Jahrhundert gelang dann der Wiederaufbau, gesponsert mit dem Vermögen einer reichen Erbin. Heutzutage finden jeden Sommer im Schlosshof Konzerte statt, werden Theaterstücke aufgeführt, Lesungen gehalten. Und Tausende pilgern hin zur schlichten Steinplatte in der Schlosskirche „Collégial de Saint Sauveur de Grignan“, unter der sich das Grab der weltberühmten Marquise befindet.

 

Atmo Schlosskapelle O-Ton Renée La marquise est mort ici Anfang Sev -4- Stmo unterlegt

 

Autorin: Das Bild ihrer Enkelin Pauline hängt in dem Zimmer, das 300 Jahren zuvor ihr Schlafgemach war. Diese Enkelin übernahm es, die Veröffentlichung der Briefe ihrer Großmutter zu koordinieren – aber auch zu zensieren. 1734 vernichtete Pauline alle Antwortbriefe ihrer Mutter, der Gräfin von Grignan, an ihre Großmutter, der Marquise de Sévigné. Vermutlich waren ihr darin zu viele private Details, zu viel kummervolle Intimitäten enthalten.

E N D E