Simone Buchholz und D.B. Blettenberg: beide am 18.9.2018 bei Scala / WDR5 besprochen

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala/audio-wdr–scala-ganze-sendung–1176.html

Für mich war der heutige Krimi-Service eine Premiere. Noch nie habe ich in all den Jahren, in denen ich an dieser Stelle mit fiktivem Mord beschäftigt gin, gleich zwei Krimis von deutschen Autoren vorgestellt. Diesmal tue ich es, weil es nicht anders ging. Denn Beide, wirklich Beide, sind nicht nur druckfrisch sondern auch saugut.

Simone Buchholz: „Mexikoring“, Suhrkamp Nova, 10.9.2018, 14,95, 248 Seiten
Eine Geschichte wie ein Presslufthammer. Einfach gnadenlos dicke Fundamente zerschmetternd. Ohne Rücksicht auf sprachliche Gewohnheiten, political correctness. Einfach rein ins Milieu und die Polizei dabei dumm aussehen lassen. Die zieht einfach immer den Kürzeren. Kommt gar nicht dazwischen, dort, wo sich Familienclans einer kurdisch-libanesischen Minderheit, nein doch nicht, einer kriegerischen Minderheit namens Mch-al-la-mi, von dieser Gesellschaft abschotten und ganz nach ihren eigenen Regeln leben. Mit eigener Gerichtsbarkeit. Und das mitten in Deutschland. Wovon sie leben?

Einspieler: „Von allem, was Bargeld bringt“, sagt Rocktäschel, der die Hände inzwischen über seine Kaffeetasse hält, als wäre sie ein erloschenes Lagerfeuer, das einfach keine Wärme mehr rausrücken will, aber er gibt noch nicht auf. „Illegales Glücksspiel. Autos mieten, sie als gestohlen melden, dann verkaufen. Enkeltrick mit falschen Polizeibeamten, die alten Leuten am Telefon so lange Angst machen, bis sie ihren Schmuck oder ihre Ersparnisse nachts vor die Tür legen, muss man dann einfach nur noch abholen. Und jede Art von Drogen, vom Crack an der schmutzigen Ecke bis zum Koks in der gehobenen Gastronomie und den Clubs.“

Spätestens an dieser Stelle merkt jeder, dass die Autorin mal als Journalistin gearbeitet hat. Denn recherchieren kann sie, und zwar bis aufs Blut. Und so hat sie denn als einzige einen Einblick in die Alltäglichkeiten dieser Machoclans, für die sich schon lange die Kollegen von der OK, der Organisierten Kriminalität interessieren. Während draußen vor der Tür Kripo und Staatanwältin in Gestalt von Chastity Riley inzwischen im vierten Krimi zwar ihr Bestes geben. Aber leider reicht das nicht. Und so stochern sie denn im Nebel, als Autos brennen, in Hamburg und anderswo, und eines Tages jemand mitbrennt. Ausgerechnet ein Angehöriger einer dieser gefürchteten Bremer Großfamilien, eines Clans, der sich gerne mit anderen Clans zofft, da fließt dann auch Blut, da traut sich die Polizei nur in verstärkter Formation hin. Und so jemand verbrennt einfach in einem dieser Autos, die zur Zeit immer wieder des nachts angezündet werden. Überall im Land.
Das alles in einer affengeilen Sprache, hey Alter, lass gut sein, kasper nicht rum, ich seh morgens immer so aus, bevor ich meine Stirn entknittert habe und meinen Blick enteist.
Das Ganze einfach saugut.

D.B. Blettenberg: „Falken jagen“, Pendragon, 6. August 2018, 18 Euro, 381 Seiten
Farang, der in Thailand lebende Privatermittler, fackelt nicht lange. Wer ihm im Weg steht, wird umgenietet. Eigentlich keine Figur, die mich unter diesen Voraussetzungen sonderlich interessierte. Doch dieser Farang hat schon zweimal die deutschen Leser begeistert. Dafür bekam der Autor, ein in der Wolle gefärbter Kosmopolit, den deutschen Krimipreis.
Diesmal bin auch ich ihm verfallen, trotz einer Charakterisierung seiner Person, die mich zunächst eher abstieß. Aber die Geschichte ist einfach zu gut, die Person dieses Ermittlers vielschichtiger, als es sich auf den ersten Blick hin anhört.
Farang hat sich zurückgezogen, in den thailändischen Geburtsort seiner Mutter. Seinen deutschen Vater kennt er nicht. Die Geliebte des Eurasiers ist tot. Und so beginnt er seine Tage, während ihm der Duft der Jasminblütenkränze in seinem kleinen Haus in die Nase steigt, ihn das vertraute Geräusch lachender Kinder, gackernder Hühner, Hundegebell und Autohupen beruhigt. Nur die Alpträume sind noch da.
In einen dieser Träume hinein klingelt sein Telefon schrill und beharrlich. Und damit ist es vorbei mit der Idylle. In Bangkok wurden mehrere ältere Deutsche, die hier lebten, arbeiteten, sich zur Ruhe gesetzt hatten, sektenhaft inszeniert hingerichtet. Die Mordserie hält an, inzwischen ist auch ein Grieche unter den Opfern. Die Schwester des unfähigen Polizeichefs, durch Intrigen an die Macht gekommen, zitiert Farang nach Bangkok, will, dass er die Fälle aufklärt. Sie schaden dem Image ihres Bruders. Und der steht inzwischen mächtig unter Druck. Da Farang dem Vater der Beiden zutiefst dankbar ist lässt er sich auf einen Deal ein.
Gemeinsam mit seinen beiden Kumpels, einem Kriminalreporter und einem Vietnamveteranen nimmt Farang die Fährte des Mörders auf, der seine Beute wie ein Falke aus sicherer Höhe beäugt und dann zustößt. Die Motive dieses geheimnisvollen Mannes bleiben Farang lange unklar. Bis es ihn nach Griechenland verschlägt, und er dort auf eine grausame Vergangenheit stößt, die zwar weit zurückliegt, bei dem Falken, dem Mörder, aber immer noch ihre Spuren hinterlassen hat. Weshalb er auf Rache sinnt, auf eine grausame Rache, die nicht nur die Täter, sondern auch die Kinder und Kindeskinder trifft.
Ich war begeistert von Sprache und Kulisse dieser Geschichte. Ein Rückblick in eine düstere Vergangenheit, verarbeitet in einem überzeugend spannenden Plot. Grandios.