111 Tipps und Tricks, einen verdammt guten Krimi zu schreiben

Das Buch mit dem vielversprechenden Titel ist soeben im Kölner Emons -Verlag erschienen. Ich untersuchte am Dienstag, dem 20.11.2018 auf WDR5, Scala, anhand von zwei Debuts, ob die Autoren sich an die darin enthaltenen Ratschläge halten. Mads-Per-Nordbo: „Eisrot“ – Ein Grönland-Thriller + Danya Kukafka: „Girl in Snow“ aus den USA.

Beide Debuts, die ich heute vorstelle, erfüllten mit Leichtigkeit alle in dem Ratgeber enthaltenen Kriterien.

 

Mads Peder Nordbo: „Eisrot- Ein Grönland-Thriller, Fischer-Verlag, 24.10.2018, 9,99 Euro, 415 Seiten, Ü. aus dem Dänischen Marieke Heimburger + Kerstin Schöps Debut

Matthew Cave ist Journalist und psychisch schwer angeschlagen. Bei einem Autounfall verlor er seine schwangere Frau, sein ungeborenes Kind. Er wollte den Erinnerungen entfliehen und ließ sich nach Grönland versetzen, in die mit 17.000 Einwohnern nicht gerade überfüllte Hauptstadt Nuuk. Als erstes wird er aufs Eis geschickt, dorthin, wo man eine Mumie fand. Die Leiche eines Jahrhunderte zuvor hier lebenden Wikingers, vermutet die Polizei zunächst. Ganz Nuuk ist aus dem Häuschen, verspricht sich weltweite Schlagzeilen.

Doch einen Tag später ist die kostbare Leiche verschwunden, der Polizist, der sie über Nacht bewachen sollte, getötet und wie ein Tier ausgeweidet. Matthew’s Chefredakteur am Telefon:

Einspieler: “Ich will, dass du beim Krankenhaus vorbeischaust. Es gibt Neuigkeiten von deinem Mann im Eis. Der ist nämlich gar keine Mumie. Da hat wohl einiges nicht zusammengepasst, als er aufgetaut war, und die ersten Analysen lassen darauf schließen, dass er erst seit ungefähr vierzig Jahren tot ist.“

Getötet wurde er auf die gleiche Art, wie vier Jahrzehnte zuvor schon einmal vier Männer. Matthew ist neugierig, will wissen, ob es da einen Zusammenhang gibt. Und stößt auf Wahrheiten, die die dünnbesiedelte, von arktischem Eis zusammengehaltene Insel, in einem geradezu schauderhaften Licht erscheinen lässt. Denn in all der Einsamkeit, die hier herrscht, inmitten der Schneelandschaft dieser riesigen fast menschenleeren Insel, gibt es offenbar so etwas wie eine institutionalisierte familiäre Grausamkeit. In Wirklichkeit und in der Fiktion. Jedes dritte Mädchen in Grönland wird vergewaltigt oder vom eigenen Vater missbraucht. Und genau zu dieser Sorte Männer gehörten offenbar die damaligen Toten. Auf deren Spur sich Anfang der 70er Jahre ein Polizist heftete, der daraufhin ebenfalls Opfer des unbekannten Mörders wurde.

Matthew deckt all das auf. Doch dann wird es für ihn gefährlich. Und hätte er nicht unerwartet eine junge Frau an seiner Seite, von Kopf bis Fuß tätowiert, die Haare kurz geschoren, soeben wegen Mordes an ihrer eigenen Familie nach einem Dutzend Jahren aus der Haft entlassen – er würde seine Recherche nicht überleben. So aber bilden beide ein Team aus Wut. Ein gefährliches Team.

Über den Autor: Grönland ist der Welt größte Insel mit der dünnsten Besiedelung. Hier leben gerade mal knapp 80.000 Menschen inmitten von Eis und Schnee. Und hierhin zog es den Dänen Nordbo, der sich in die fantastische Landschaft, die unendliche Stille verliebte. Und nun seinen ersten Krimi schrieb, in dem er sich bemüht, ein wenig von der grönländischen Mentalität, dem dortigen Alltag zu beschreiben. Und ein Szenario entwirft, das am entlegensten Winkel der Erde spielt, allerdings in seiner Grausamkeit fast überall auf der Welt stattfinden könnte. Ein gelungenes, ein eindrucksvolles Debut.

 

Danya Kukafka: „Girl in Snow“, btb, 8.10.2018, 10 Euro, 374 Seiten / DEBUT USA

USA. Colorado. Broomsville, ein kleiner Ort am Fuße der Rocky Mountains. Nachts hat es geschneit. Am frühen Morgen wird die Leiche der jungen Lucinda Hayes auf einem Spielplatz gefunden. Der Schnee hat alle Spuren verdeckt. Lucinda war die perfekte, aufblühende Schönheit. Die Distanzierte, Gedankenverlorene, der alles zuflog. Und ausgerechnet Jade, die dicke Jade, die von ihrer alkoholkranken Mutter immer wieder grün und blau geprügelt wird, diese Jade erzählt nun in einer Art Tagebuch, wie es um sie, um Lucinda, um all die Jugendlichen ihrer High-School bestellt war, die sich dort in den Jahren 2004 /2005, als Lucinda sterben musste, mit Selbstfindung und Pubertät herumschlugen. Wie grausam man zueinander war, wie die erste aufkeimende Liebe brutal zerbrach. Ja, wie man noch Tagebuch führte, damals, als es noch kein Facebook, kein Smartphone gab. Und auch Cameron, der zweite der insgesamt drei Erzähler in dieser Geschichte, ist Schüler, hart an der Grenze zum Pathologischen stalkte er die tote Lucinda, die er vergötterte, und der er doch nie richtig nah kam. Nachts schlich er sich aus dem Haus, stand versteinert und bewegungslos – damit ihn niemand bemerkte – in der Gegend herum, beobachte die Nachbarn vor allem aber Lucinda. Doch das Entscheidende, das, was zu Lucindas Tod führte, bekam er nicht mit. Und auch Russ, der dritte in dem Erzähltrio, auf dem Girl in Snow basiert, ist zwar der einzige Erwachsene, der berichtet. Aber auch er ist unreif, als Polizist von Broomsville einst eng befreundet mit seinem Compagnon Lee, Camerons Vater, der vor Jahren eines furchtbaren Verbrechens beschuldigt wurde, freigesprochen wurde und verschwand. Und mit Lees Weggehen verlor Russ damals nicht nur seinen Mut, sondern auch seine Lebenslust und eine große Liebe.

Für einen Krimi ein ungewöhnlich zartes, behutsames Buch. Man merkt der erst 24-jährigen Autorin an, dass sie zögerte, ob es ein Krimi oder ein Roman über das Erwachsenwerden sein sollte, über die noch kindliche Vision von Welt, den kritisch grausamen Blick auf die Eltern, der ihr Getue, ihr Ringen als verlogen entlarvt, die Distanz zu ihren pubertierenden Kindern brutal beschreibt. In den USA wurde „Girl in Snow“ für zahlreiche Preise nominiert und wird als Amazon Prime Serie verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt.