Krimi-Service mit Sarah Vaughan und Jeong Yu-Jeong

Familiendramen in Südkorea und Großbritannien – ich empfand beim Lesen zweier Katastrophen-Szenarien, wie sehr sich Schicksale über Kontinente hinweg ähneln, Erschütteruingen des Lebens austauschbar sind. Vorgestellt  habe ich „Anatomie eines Skandals“, erschienen bei Lübbe, und „Der gute Sohn“, ein südkoreanischer Krimi von Jeong Yu-Jeong-.

Krimi-Service Dienstag 19.2.2019

Sarah Vaughan: „Anatomie eines Skandals“, Lübbe, 15 Euro, 31.1.2019, 440 Seiten, Übersetzung aus dem Englischen Ute Leibmann +

Jeong Yu-Jeong: „Der gute Sohn“, Thriller, Unionsverlag, Übersetzung aus dem Koreanischen Kyong-Hae Flügel, 1.2.2019, 19 Euro

 

Sarah Vaughan: „Anatomie eines Skandals“, Lübbe, 15 Euro, 31.1.2019, 440 Seiten, Übersetzung aus dem Englischen Ute Leibmann

Die Welt von Sophie zerbröckelt an einem Freitag um 19.43. Als Sophie erfährt, dass ihr charismatischer Mann, Staatssekretär mit Aussicht auf noch höhere Weihen, eine Affaire mit Olivia, seiner persönlichen Assistentin hatte, bricht für sie eine Welt zusammen. Die Presse stürzt sich auf den Fall, „Techtelmechtel in den Korridoren der Macht“, so die Überschriften. Schlimmer, so glaubt Sophie, kann es für sie und ihre Kinder nicht mehr werden. Doch da hat sie sich getäuscht. Denn gerade, als die Boulevardpresse endlich den Fall ad acta legt, wieder Ruhe einkehrt, bitten zwei Polizisten ihren Mann auf die Wache. Warum? erkundigt sich James. „Wir sind hier, um ihnen ein paar Fragen im Zusammenhang mit einem Vergewaltigungsvorwurf zu stellen.“

Damit rollt eine Lawine los, die nicht nur das Leben von James, dem erfolgreichen Staatsmann, zu zerstören droht, sondern auch die seiner Familie, die seiner ehemaligen Geliebten.

Einspieler: Sophie hat ihren Ehemann nie für einen Lügner gehalten. Ihr ist klar, dass er sich schonmal verstellt, das ja. Die Bereitschaft, mit der Wahrheit sparsam umzugehen, gehört gewissermaßen zu seinem Job. Sie ist geradezu eine Grundvoraussetzung für einen Ministerposten. Aber sie hätte sich niemals vorstellen können, dass er sie anlügen würde. Oder, besser gesagt, dass er ein Leben führen könnte, von dem sie nichts weiß. Dass ein Geheimnis unter ihrer liebevoll aufgebauten Welt detonieren und sie für immer in Stücke reißen könnte.

Denn Olivia,  die Geliebte ihres Mannes, behauptet, James habe sie, nachdem er sich von ihr getrennt hatte, im Aufzug des Houses of Parliament vergewaltigt. Er habe den Fahrstuhl zwischen zwei Etagen gestoppt, ihr die Bluse zerrissen, und obwohl sie immer wieder gesagt habe, hier nicht, sei er in sie eingedrungen. James streitet dies vehement ab, versichert, das alles sei einvernehmlich abgelaufen. Der daraufhin folgende Prozess, der das ganze Dilemma eines solch möglichen Verbrechens widerspiegelt, wird von Seiner Lordschaft, dem Richter, mit folgenden Worten zusammengefasst: „Dieser Fall darf ausschließlich aufgrund der Beweise entschieden werden.“ Wie immer gibt es für die Tat keine Zeugen. Wie immer kommt es vor Gericht darauf an, wer glaubwürdiger wirkt. Was sich oft zugunsten des Täters auswirkt, denn es gilt die strafrechtliche Regel: Im Zweifel für den Angeklagten.

Unstrittig ist, dass der Vorfall im Aufzug stattgefunden hat. Strittig, wie er ablief. War James sich klar, dass seine Geliebte diesen Geschlechtsverkehr auf keinen Fall wollte? Und hat sie dies deutlich genug gemacht?

Während Sophie mit ansehen muss, wie ihr gesamtes Leben, ihre Sicherheit, ihr Glauben an ihren Mann ins Wanken gerät, kämpft die Anwältin des Opfers mit ganz anderen Dämonen. Dämonen, die auch die Leser bald schon mitbekommen. Sie liegen zwar zwei Jahrzehnte zurück, aber fast alle derjenigen, die irgendwie in den Strudel dieses Vergewaltigungsprozesses hineingezogen werden, hatten damals schon einmal miteinander zu tun. Mit tödlichen Konsequenzen.

 

(Frau) Jeong Yu-Jeong: „Der gute Sohn“, Thriller, Unionsverlag, Übersetzung aus dem Koreanischen Kyong-Hae Flügel, 1.2.2019, 19 Euro,

Die erste Szene dauert und dauert. Das hat mich zunächst abgeschreckt. Doch je näher man dem eigentlichen Geschehen, der Ursache für das viele Blut kommt, desto konkreter wird es: Da wacht eines Morgen Yu-jin, der gute Sohn, der einstige Schwimmchampion auf, seine Hände blutverschmiert, seine Haare kleben, seine Kleider kletschen vor Nässe auf der Haut. Als er den Blutspuren von seinem Bett runter in die untere Etage des Apartments folgt, liegt dort seine Mutter. Ihre Kehle wurde durchschnitten, das Blut stammt von ihr. Und so nach und nach erinnert sich Yu-Jin, an ihre ewigen Rufe: „Was ist? Was machst Du? Wo bist du?“ Dabei ist er schon 25 Jahre alt. Hat gerade die Aufnahmeprüfung fürs Jurastudium bestanden. Ein junger Mann, der gerne joggt und einstmals ein hoffnungsvolles Schwimmtalent war. Einstmals. Denn irgendwann hat seine Mutter ihm das Schwimmen verboten. Irgendwann ist etwas geschehen, was sie nur „den Vorfall“ nennt. Und ab und zu sinnierend sagt, vielleicht hätte man alles damals schon beenden sollen. Yu-jin weiß, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Dass er Epileptiker ist, schwere, sein Gleichgewicht und sein Wohlgefühl beeinträchtigende Medikamente nehmen muss. Doch dem verweigert er sich immer wieder, denn wenn er sie nicht nimmt, dann geht in seinem Kopf die Post ab. Dann endlich kann er leben, fühlen, sind seine Sinne hellwach. Doch wie kommt seine Mutter an diesem Vormittag auf den Wohnzimmer-Boden, tot? War er das? Und wie soll er dieses viele Blut verschwinden lassen, die Leiche entsorgen, wo doch gleich schon sein Bruder kommen wird, seine Tante sich ankündigt.

Aus diesem Szenario wob die Autorin ein Gewebe um diesen guten Sohn, dem schon früh das Normale abging, der sich bald schon unterschied von anderen Kindern, und der seit dem Vorfall damals, von seiner Mutter nicht mehr aus den Augen gelassen wird. Solange, bis ihr das Augenlicht bricht.

Ungewöhnlich, denn der Leser weiß eigentlich vom ersten Moment an, wer der Täter ist. Nur wie er dazu wurde, was man auch ihm antat, entblättert sich erst so nach und nach. Und der Autorin gelingt etwas, was sie im Nachwort eindrücklich erklärt: Ihr gelingt es, die Leser in den „dunklen Wald“ in unserem Inneren zu führen. Dorthin, wo die Frage aufkommt: Wodurch unterscheiden wir uns von Yu-jin? Und was genau macht Yu-jin zu dem, was er wurde. Ihr Ziel: Verständnis, ja Sympathie für diesen Serienmörder zu empfinden. Wer sich auf dieses Buch einlässt, kann es irgendwann nicht mehr loslassen.  Der zweite Krimi auf deutsche von einer Autorin, die als Koreas „Stephen King“ gilt.