Heute zwei interkontinentale krimis auf WDR 5 Scala vorgestellt.

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala/audio-wdr–scala-ganze-sendung–1654.htm

 

Henrik Siebold, (eigentlich Daniel Bielenstein), „Takeda und das doppelte Spiel“, 4. dieser Reihe. 16.8.2019, Aufbau-Taschenbuch, 10,99, 415 Seiten+

Derik B. Miller: Sigrid Odegards Reise nach Amerika, 21.8.2018, rororo, 10,99, 414 Seiten, übers. Englische Jan Schönherr

Was passiert, wenn Ermittler aus gänzlich unterschiedlichen Welten gemeinsam auf Mörderjagd gehen? Ingrid Müller-Münch hat zwei Krimis getestet, in denen ein japanischer Inspektor mit einer Hamburger Ermittlerin klarkommen muss, während eine ausgebuffte norwegische Kommissarin es darauf anlegt, einen lässigen US-Sherriff an der Nase herum zu führen. Ein Test, der es in sich hat.

Sprecher: Takeda trank einen Schluck Kaffee, fasste sich dann ein Herz und biss in das Brötchen, das Kröger ihm herübergeschoben hatte. Es war gewöhnungsbedürftig. Nicht nur wegen des Fleisches, sondern vor allem wegen der rohen Zwiebelringe. Zu Kröger gewandt sagte er:

„Morgen bringe ich ein japanisches Frühstück für dich mit, Horst. Du wirst es lieben, das verspreche ich dir.“

„Was isst man denn da so?“

„Allerlei Kleinigkeiten. Ein Stück gerösteten Fisch mit Sojasauce, Algensalat, eingelegtes Gemüse, vielleicht ein paar Fischrogen. Und natürlich eine Schale Reis mit einem rohen Ei darauf.“

Kröger blickte ihn mit wässrigen Augen an. „Ach lass mal, Ken. Ich bin mit meinem Brötchen ganz zufrieden.“

 

Autorin:  Eine typische Szene aus dem ersten, kontinentübergreifenden Krimi, den ich heute hier vorstellen möchte. Der Autor Henrik Siebold (dessen Name ein Pseudonym ist) siedelt sie in der Kantine des Hamburger Polizeipräsidiums an. Sie zeigt, wie auch in der soeben als Taschenbuch erschienenen vierten Folge  „Takeda und das doppelte Spiel“  zwei Welten aufeinanderprallen.

Ein halbes Jahr ist der japanische Inspektor Takeda schon zum Austausch in Deutschland, hat sich Respekt verschafft als Saxophonspieler, Jazzfan und kompetenter Ermittler. Doch zum Entsetzen seiner Kollegin Claudia Harms erklingen aus seinem Autoradio derzeit vor allem deutsche Schlager: Andrea Berg, Roland Kaiser. Takeda glaubt, es gäbe nichts Besseres, um die geheimen Sehnsüchte und verborgenen Wünsche der Menschen in Deutschland kennen zu lernen. Und die sind ihm noch so manches Mal äußerst fremd. So, wie sein devotes Gebahren, als er seinem japanischen Vorgesetzten Yasuda gegenübertritt, Claudia Harms überrascht und abstößt.

Sprecherin: „Als dieser Yasuda aufgetaucht ist, dachte ich schon, du wirst wieder ganz …..ich weiß nicht ….japanisch. Er schien dich wirklich in die Tasche zu stecken. Aber es freut mich, dass es nicht so ist.“

Sprecher: Takeda hatte einen wehmütigen Zug um den Mund. „Es ist kompliziert, Claudia. Wie du schon sagst, ich bin Japaner. Ich kann mit Yasuda nicht so reden wie du.“

Sprecherin: „Wieso nicht?“

Sprecher: „Weil ich ihm zu verstehen geben muss, dass ich seinen Rang und seine Autortät anerkenne. Er erwartet es, und wenn ich es nicht erfülle, würde er das sicherlich in Japan melden.“

Sprecherin: „Und dann?“

Sprecher: „Würde man mich zurückbeordern.“

Sprecherin: „Du meinst, weil wir bösen Deutschen dich zur Aufmüpfigkeit verführt haben?

Autorin: Als Inspektor Ken Takeda und Kommissarin Claudia Harms eines Nachts zum Schauplatz eines Mordes gerufen werden, liegt da ein Toter mit aufgeschlitztem Bauch und einem tödlichen Schussloch im Kopf. Bei dem Ermordeten handelt es sich um  Matsumoto, offensiver Mittelfeldspieler des HSV, hochbezahlt und teuer eingekauft, in Japan ein Superstar.

Sprecher: Stell Dir vor, Thomas Müller würde erschossen. Boateng, Neuer. Das hier wird ein Erdbeben, Claudia…

 Autorin: Wie üblich benimmt sich Takeda am Tatort anders, als seine deutschen Kollegen.

Sprecher: Claudia vernahm gerade einen Zeugen, da sah sie hoch und beobachtete, wie Takeda drüben vor dem Toten stand, dann plötzlich das Gleichgewicht verlor und hinfiel. Claudia sprang auf die Beine, rief: „Ken? Ken! Ist alles in Ordnung?“ Auch die übrigen Kollegen starrten auf den Inspektor, der nun auf dem Boden lag, einige stürzten auf ihn zu, um ihm zu helfen. Auch Claudia wollte schon losspurten, aber Takeda hob die Hand und rief: „Es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut. Es ist ein Experiment.“

Autorin: So oft liess sich der Inspektor fallen, immer mehr ähnelten seine Stürze der Position, die der Tote einnahm, dass er nach einer Weile mit einer Stimme, der seine ungeheure Anspannung anzuhören war, ausrief:

Sprecher: Das hier war kein Raubüberfall, Claudia. Es war auch kein Zufall, kein tragisches Versehen oder sonst etwas. Es war eine Hinrichtung. 

Autorin: Takedas Leben aus Gehorsamkeit, Höflichkeit und Pflichtbewusstsein wird in Hamburg arg strapaziert und immer wieder infrage gestellt. Wobei auch die deutschen Ermittler äußerst fasziniert den ruhig vorgetragenen aber stets von einer für sie ungewöhnlichen Denkweise geprägten Schlussfolgerungen ihres japanischen Kollegen lauschen. Alles in Allem mischt ein Japaner das Hamburger Polizeipräsidium ordentlich auf, schafft dadurch ein äußerst reizvolles Szenario, dem Krimileser vergnüglich folgen können. 

Autorin: Der zweite Krimi, der seinen Bogen diesmal von Norwegen in die USA spannt,  erschien Ende August als Taschenbuch.  Derek B. Miller’s: „Sigrid Odegards Reise nach Amerika“ spielt im Jahr 2008. Amerika steht kurz davor, den ersten Schwarzen zum Präsidenten zu wählen. Ein Polizist hat soeben einen Jungen erschossen. Die Atmosphäre in Upstate New York ist angespannt. In dieses brodelnde Amerika der Aera vor Obama und Trump, platzt die Osloer Kriminalkommissarin Sigrid Odegard.  Da Oslo nunmal nicht die Bronx ist, da in Norwegen eher selten  jemand von der Polizei getötet wird, quält sich Sigrid damit, einen Mann erschossen zu haben, der während eines Einsatzes mit einem Messer in der Hand auf sie zugestürmt kam. Deshalb hat sie eine Auszeit genommen, will ihren verschwundenen Bruder Marcus suchen und landet in dem gottverlassenen gewalttätigen Jefferson County. Hier kann man nicht einfach den Koffer kurz unbewacht draussen vor der Haustüre stehen lassen – der verschwindet blitzschnell. Und hier lebte ihr Bruder 20 Jahre lang, lehrte an der hiesigen Uni und ist verschwunden. Offenbar wegen Mordes gesucht. Es ist eine verkommene Gegend, und nur Juliet, die Prostituierte, mit der sie ins Gespräch kommt,  weiß ihr zu helfen. Rät ihr, sich doch an Iving zu wenden.

Sprecherin:  „Wer ist Irving?“ fragt Sigrid.           „Irving Wylie“, antwortet Juliet. „Irv“.                                     „Okay.“            „Der Sheriff.“           „Das ist ein Witz, oder?“       „Was?“    „Sheriff Irving Wylie? Ihr habt hier Sheriffs?“.

Autorin: Der entpuppt sich als ein gerade einem Western entsprungener cowboystiefeltragender Dummdeubel. Meint Sigrid. Doch da täuscht sie sich gewaltig. Sigrids erste Begegnung mit diesem Sheriff findet in einer der Gefängniszellen des Reviers an.  Der Rest der Polizeistation wird gestrichen und von den Farbdämpfen bekommt der Sheriff Kopfschmerzen. Also ab in die Zelle.

Sprecherin: „Ist das Gefängnis neu?“, erkundigt sich Sigrid.     „Warum, weil’s so sauber ist?“    „Normalerweise stinken die.“     „Wir brauchen’s nicht oft. Meistens bringen wir die Leute gleich raus auf den Hof und erschießen sie.“

Autorin: Ein Schlagabtausch, dem viele folgen sollen. Schlaumeierisch, Besserwisserisch, einfach die geborenen Klugscheißer, so kommen diese Beiden Gesetzeshüter daher. Der Sheriff eloquent und eigentlich ständig laut vor sich hin philosophierend. Über Gott und die Welt. Vor allem aber über Amerika. Die Norwegerin schweigsam, stets bemüht, diesen Kleinstadtwesternheld auszutrixen. Auch wenn es hin und wieder Gemeinsamkeiten gibt. 

Sprecher: „Tatsache bleibt Tatsache“, entgegnet Sigrid, “egal, wie sie aussieht, egal in welcher Sprache. Ich lasse sie doch nicht Marcus einfach wegsperren, bloß weil Ihr Land nicht weiß, wo ihm der Kopf steht. Ihr Job ist, diesen Fall aufzuklären, nicht Amerika zu retten.“      „Kann schon sein, aber niederbrennen will ich’s auch nicht. Ich lebe nun mal hier.“

Autorin: Selten einen so amüsanten, mit so leichter Feder geschriebenen Krimi gelesen, in dem Amerika durch die Konfrontation mit einer Norwegerin hinterfragt und auseinandergenommen wird. Und in dem zwei Ermittler irgendwann zueinander finden, und zwar allein deswegen, weil beide eines gemeinsam haben: Sie sind bereit, gegen die Regeln zu verstoßen – und zwar mit Kawumm und billigem Rum.