Australische Krimis bei Scala – die Hits des Jahres WDR5 12.11.2019

In einem trostlosen Kaff schießt noch vor Beginn des Gottesdienstes der örtliche Pfarrer wild um sich. Während mitten in der Wüste, den Outbacks, auf einem ausgedörrten Stück Land, ein Mann von der gleißénden Sonne zu Tode gebrannt wird. Ich war 2019 fasziniert von der Menge aber auch der herausragenden Qualität australischer Krimis. Die beiden Spitzenreiter der Saison stellte ich am 12. November beim Krimi-Service des Kulturmagazins Scala auf WDR 5 vor.

 

 

Jane Harper: „Zu Staub“, rowohlt-polaris, August 2019, 16 Euro, 409 Seiten Paperback, Übersetzung aus dem englischen: Ulrike Wasel + Klaus Timmermann

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Chris Hammer: „Outback“, Scherz, Ende September 2019, 14,99 Euro, Übersetzung aus dem australischen Englisch Rainer Schmidt, 493 Seiten

 

Jane Harper: „Zu Staub“, rowohlt-polaris, August 2019, 16 Euro, 409 Seiten Paperback, Übersetzung aus dem englischen: Ulrike Wasel + Klaus Timmermann

Australien. Zwei Brüder treffen sich mitten in der Wüste, am sogenannten Stockman-Grab, dort, wo ein Unbekannter vor Generationen seinen Tod fand und wo jetzt, zu ihren Füssen ihr Bruder Cam liegt. Verdurstet, vertrocknet von der Sonne verbrannt, so kam Cam ums Leben. Nathan, einer der Brüder, kümmert sich um ein Stück ausgedörrtes Land und büßt für etwas, das hier in den Outbacks einem Verbrechen gleichkommt: Er hat vor Jahren einen um Hilfe rufenden Mann in der gleißenden Sonne stehen lassen. Das hat ihm niemand verziehen. Er wurde zum Outlaw. Während sein Bruder Bub, der Nachkömmling, wie keiner der beiden anderen die kräftigen Fäuste des Vaters abbekam. Cas Tod ist beiden rätselhaft. Wo doch in dem nur wenige Kilometer entfernt stehenden PKW des Auto alles enthalten ist, was der zum Überleben gebraucht hätte.

Einspieler: Das Fahrzeug war gut mit Vorräten bestückt. Literweise Trinkwasser schwappte sanft in verschlossenen Flaschen neben Dosen mit Thunfisch und Bohnen. Ein gutes Sortiment, mit dem ein Mensch eine Woche oder länger überleben könnte. Nathan öffnete mit einem Finger den Minikühlschranke, der sich an die Autobatterie anschließen ließ. In ihm waren noch mehr volle Wasserflaschen, eingepackte Sandwiches, die sich mittlerweile an den Rändern wellten, und ein Sixpack mittelstarkes Bier. Es gab noch mehr. Einen Ersatzbenzinkanister, zwei festgeschnallte Ersatzreifen, eine Schaufel, einen Erste-Hilfe-Kasten. Kurzum: das Übliche. Nathan wusste, er hätte seinen eigenen Wagen öffnen können und genau das Gleiche vorgefunden. In Bubs Wagen ebenso, vermutete er. Eine Grundausstattung, um im härtesten Klima Australiens zu überleben. Niemand fuhr ohne sie von zu Hause los.

Cam beging offenbar Selbstmord, eine andere Erklärung gibt es nicht. Doch zurück auf ihrem Hof, stundenlange Fahrt vom nächsten Nachbarn entfernt gelegen, entblättert sich so nach und nach das Bild einer Familie, die gleich mehrere  Skelette im Keller versteckt hält und deren Angehörige nicht nur wegen der klimatischen Extrembedingungen, sondern auch wegen der außerordentlichen psychischen Konstellationen am Rande des Nervenzusammenbruchs agiert.

Sie kann es einfach, die derzeitige australische Queen of Crime. Nicht nur, dass sie mit geradezu körperlich fühlbarer Präzision die australische Hitze, die Dürre und die Einsamkeit in den Outbacks, den gottverlassenen Gegenden dieses Kontinents beschreibt. Sie bringt uns auf geradezu brutal spannende Weise auch die dort lebenden Menschen nahe. So nahe, dass man sich bei über 40 Grad Hitze im Schatten – und das kurz vor Weihnachten – den rötlichen Staub von der Kleidung wischen möchte und automatisch nach einer Flasche Wasser greift. Das alles verpackt sie in ein wirklich knochentrockenes aber darum nicht minder ergreifendes  Familiendrama.

 

Chris Hammer: „Outback“, Scherz, 24.9.2019, 14,99 Euro, Übersetzung aus dem australischen Englisch Rainer Schmidt, 493 Seiten

Byron Swift, Pfarrer von Springfield, einem trostlosen Kaff mitten in den Outbacks Australiens, wirkte an diesem Sonntagmorgen eigentlich wie immer. Die Messe sollte bald schon beginnen. Kurz geht er zurück in die Kirche, kommt wieder heraus, stellt sich oben auf die Stufen, das Kruzifix auf seiner Brust blitzt in der Sonne, in der Hand hält er ein Gewehr mit Zielfernrohr. Plötzlich bewegt sich der Priester, hebt die Waffe auf die Schulter und zielt. Das Blutbad, das Byron Swift an dem Tag anrichtet, wühlt ganz Australien auf. Und da der Pfarrer sich selbst als letzten erschoss, bleibt die Frage ungeklärt, was hatte ihn zu dieser Tat getrieben? War er verrückt geworden?

Etwa ein Jahr danach kommt Martin Scarsden nach Springfield. Liebenswert ist er. Attraktiv. Charismatisch. Er versteht es, sich bei den Menschen liebkind zu machen, sie auszuhorchen, ihre Story zu verwenden. Denn er ist Journalist. Und angeschlagen ist er auch, durch ein traumatisches Erlebnis als Soldat im Gazastreifen. 10 Tage verbringt er in Springfield. Er soll die Hintergründe dieses Terrorakts klären, der den ganzen Ort aufwühlte. Und er soll beschreiben, wie eine Gemeinde nach so einer Tat weiterlebt. Dazu muss er das Vertrauen der verschlossenen Ortsbewohner gewinnen. Was ihm zunächst auch gelingt. Doch dann erscheinen seine ersten Artikel, und plötzlich weiß jeder hier, um was es ihm eigentlich geht: Rücksichtslos wertet er alles aus, was man ihm vertraulich oder so nebenbei erzählte. Kommt allerdings immer wieder in Gewissenskonflikte, wenn er Menschen, denen er nahekam, in seinen Reportagen entlarvt oder bloßstellt. Schwankt zwischen Moral und journalistischem Ehrgeiz. Erliegt seiner Karrieresucht, in dem er zu schnell Dinge ins Blatt bringt, die nicht richtig belegt waren und Menschen schadeten. Schwebt mal ganz oben, fällt kurz danach tief. Wird von seinen Kollegen beneidet und bald schon, nachdem er einen Fehler machte, verachtet und gemieden.

Und während die Hitze alles zum Schmelzen bringt, während Martin Scarsden versucht, seinen Skalp zu retten und zu recherchieren was das Zeug hält – immer eine Nasenspitze vor seiner geifernden Kollegenschar, wandelt er sich. Und kommt dem Geheimnis immer näher, das Pfarrer Byron Swift zu seiner unsäglichen Tat veranlasste. Und die noch weitere Tote nach sich zog.

Ein Journalistenportrait, wie es kaum besser in all seiner Zerrissenheit entworfen werden kann. Ein Plot, der aus einem Massaker eine Schießerei macht, die vor einem durchaus plausiblen Motiv geschah.