Robotham und Nicci French bei Scala / WDR 5, 7.1.2020

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala-buecher/audio-neue-krimis-ueber-die-perfekte-luege-100.html

Das neue Krimijahr beginnt mit zwei in England spielenden Pageturnern der Extraklasse, die beide eines gemeinsam haben: Es dreht sich alles um die Kunst der perfekten Lüge. Der australisch-englische Bestsellerautor Michael Robotham lässt zwei am Leben verstörte Sonderlinge aufeinanderprallen. Während Nicci French, das unter diesem Pseudonym schreibende britische Erfolgsautorenpaar, eine biedere Mutter von drei Kindern beinahe an ihrem immer dichter werdenden Fantasienetz  ersticken lässt.

Michael Robotham: „Schweige Still“, Psychothriller, Goldmann, 27.12.2019, 15,90, 507 Seiten, Übersetzung aus dem Englischen Kristian Lutze

Beide sind gleichermaßen geschädigt. Er, Cyrus Haven, der neue Protagonist des australisch-englischen Erfolgsautors Robotham, musste vor Jahren mit ansehen, wie sein Bruder seine Eltern und seine Schwester tötete. Nun ist er ein erwachsener Mann, ein Außenseiter, der Psychologe wurde, die Polizei berät, von Alpträumen geplagt. Dieser beschädigte Mann trifft auf eine Jugendliche mit einer undurchsichtigen Vergangenheit und so gut wie keiner Zukunft.

Einspieler: Ich erinnere mich an die Geschichte. Ein Mädchen, das in einem Geheimzimmer eines Hauses im Norden von London gefunden worden war, geschätzt elf oder zwölf Jahre alt, obwohl sie weniger wog als ein halb so altes Kind. Eine Kreatur mit wilder Mähne und wirrem Blick, mehr Tier als Mensch, die auch unter Wölfen groß geworden sein könnte. Ihr Versteck war nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo die Polizei die verwesende Leiche eines Mannes gefunden hatte, der aufrecht auf einem Stuhl sitzend zu Tode gefoltert worden war. Das Mädchen hatte Monate lang mit der Leiche gelebt und sich nur aus dem Haus geschlichen, um Nahrung zu stehlen. Die teilte sie sich dann mit den beiden Hunden, die in einem Zwinger im Garten lebten.

Evie Cormac, wie die Kleine angeblich heißt, schläft jede Nacht mit einem Messer unter dem Kopfkissen und hat eine seltene Fähigkeit: Sie ist ein Truth-Wizzard, jemand der erkennen kann, ob sein Gegenüber lügt oder die Wahrheit sagt.

Evie Cormac und Cyrus Haven sind gleichermaßen voneinander fasziniert. Durch besondere Umstände aneinandergedrängt ermittelt Carus im Fall eines Mädchenmordes. Doch immer wieder stößt auch Evie auf Spuren, wird in die Sache involviert, muss um ihr Leben fürchten.

Zwei an Wahnsinn grenzende neue Protagonisten des Autors, der jahrelang die Bestsellerlisten mit einem von Parkinson heimgesuchten Ermittler führte. Eine über 500 Seiten anhaltende Höllenfahrt durch die Seelen von zwei schwerst verletzten Menschen. Die sich irgendwie am Leben entlanghangeln. Und wenig von dem verstehen, was Normalität ist. Dafür umso mehr von Abgründen und Höllenfeuern. Ein grandioser Einstieg in das Neue Jahr.

 

Nicci French: „Was sie nicht wusste“, C. Bertelsmann 3.1.2010, Übersetzung aus dem Englischen von Birgit Moosmüller, 445 Seiten

Zuletzt trudelten ihre Krimis so vor sich hin. Doch diesmal hat das englische Autoren-Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French, das seit über 20 Jahren unter dem Pseudonym Nicci French international für Spannung sorgt, mit „Was sie nicht wusste“ definitv einen Neujahrskracher gezündet. Und was für einen!

Neve Connolly, Mutter von drei Kindern, mit einem Ehemann, der kreativ in seinem Arbeitszimmer herumwurschtelt aber nichts verdient während sie den Laden schmeißt, hat endlich mal das Glück in Tüten gefunden. Saul Stevenson, ihr Chef in der neuen Firma, verheiratet wie sie, hat sie angebaggert, erobert und verzaubert gerade ihren Alltag. An diesem Morgen sollte er eigentlich auf eine Konferenz fahren. Deshalb wundert sich Neve über die Nachricht auf ihrem handy, er wolle sie sehen. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch spielen daraufhin verrückt, sie lässt alles stehen und liegen, schwingt sich auf ihr Fahrrad und radelt angespornt durch ihre Glücksgefühle, zu Stadtwohnung ihres lovers. Sie schließt auf, wundert sich über die Stille. Im Wohnzimmer bleibt sie voller Entsetzen stehen. Denn auf dem Boden liegt ihr geliebter Saul, tot, erschlagen mit einem in der Nähe liegenden Hammer, wie die Kopfwunde zeigt.

Nur kurz zögert sie, fasst sich und weiß, wenn sie jetzt die Polizei ruft, ist es nicht nur aus mit ihrer Ehe, dann wird sie womöglich auch als Mörderin des Toten gefasst. Also entschließt sie sich, alle Spuren, die sie jemals in dieser Wohnung hinterlassen hat, zu tilgen. Und was kann sie, die Mutter von drei Kindern, besser als putzen und aufräumen. Als sie Stunden später die Wohnung verlässt, ist sie spurenrein. Nichts deutet mehr auf ihre Anwesenheit hin. Doch dann Zuhause bemerkt sie, dass sie etwas dort vergessen hat, ihr Armband, das ihr einst ihr Mann geschenkt hat, muss noch dort liegen.

Von da an spinnt Neve ein Netz aus Lug und Betrug, aus Lügen und Verheimlichungen. Während sie krampfhaft versucht, den Mörder zu finden, tarnt sie geschickt das wahre Geschehen, belügt Inspektor Alastair Hitching, den neuen Protagonisten der Autoren. Der wiederum wittert Lug und Betrug. Während die entscheidende Frage ist: Kommt Neve davon mit den Hirngespinsten, die sie da in die Welt gesetzt hat? Oder nicht. Ein nervenzerrendes Abenteuer, das aus dem Krimi eine hinterhältige, vernebelnde und herzzerreißende Geschichte macht, an der man zu ersticken droht. So lebensnah ist sie trotz all dem Blut das fließt.