Sara Paretzky: Altlasten + Marion Feldhausen: Der Himmel so rot, Scala 19.5.2020

Die Urmutter der emanzipierten Ermittlerinnen, Sara Paretzky, lässt ihre Privatdetektivin auf einen Seuchenherd stoßen, der Corona ähnelt. Marion Feldhausens Kriminalkommissarin aus dem Ruhrgebiet ist vergleichbar unerschrocken und kämpferisch. Sehr zum Vergnügen von Ingrid Müller-Münch

 Sie war eine der ersten Schöpferinnen der sogenannten „hardboiled women“ im Krimi-Genre: Sara Paretzky. Mit ihrer Ermittlerin Vic Warshawski schuf sie eine Protagonistin, die stählern und unerschrocken mit Raymond Chandlers Helden mithalten kann. Und sehr sehr viele Nachfolgerinnen fand. Wie zum Beispiel Sofia Barucchi, eine Duisburger Hauptkommissarin, die ebenso hartnäckig und originell ist, wie ihr großes amerikanisches Vorbild. Ingrid Müller-Münch über die Urmutter der toughen Ermittlerin im Krimi-Gerne und eine ihrer literarischen Enkelinnen, die ihr absolut das Wasser reichen kann. Und darüber, wie auch in Krimis Seuchen entstehen können, mögen sie Corona heißen oder einfach anders.

 

Sprecherin / Autorin: Das waren noch Zeiten, als Krimihelden von vampartigen Frauen umgarnt wurden, die Füße lässig auf dem heruntergekommenen Schreibtisch gelümmelt. Damit ist es längst vorbei. Schriftstellerinnen haben seit Anfang der 1980er Jahre angefangenen, das Genre mit weiblichen Protagonistinnen für sich zu erobern. Ihre Heldinnen haben Mut, sind unerschrocken und sorgen für millionenfache Auflagen. Eine von ihnen, die Urmutter all dieser Ermittlerinnen, ist Sara Paretzky’s Privatdetektivin Vic Warshawski.

 

Sprecherin / Warshawski: Das Lion’s Pride befand sich im Keller eines Eckhauses. Als ich ankam, hing eine junge Frau kotzend über dem Geländer. Drei junge Männer, die bei ihr standen, lachten, und einer zog an den Trägern ihres Leibchens. Ich legte den Arm um die Frau, sah aber die Kerle an. “Jungs, ihr müsst nach Hause. Der Kindergarten fängt morgen früh an, und für was anderes seht ihr nicht reif genug aus.“

 

Sprecherin/Autorin: Sie hat, wie immer, eine freche Schnauze, diese Vic Warshawski. In dem soeben erschienen Krimi „Altlasten“ taucht sie endlich wieder auf, älter geworden, dabei bissig wie eh und je, um keine Antwort verlegen, mit kneifzangensanftem Humor und schneller Entschlusskraft.

Das Szenario dieses neuen Krimis ist seiner Zeit voraus, wurde aber inzwischen von der Wirklichkeit eingeholt.  Und als hätte Paretzky geahnt, dass Trump – vor dessen Amtsantritt sie „Altlasten“ schrieb – und Corona –  dass also diese beiden Plagen über die Welt kommen würden, hat sie eine wahre Seuche in den US-Staat Kansas verlagert. Dort, im Uni-Städtchen Lawrence, gab es während des kalten Krieges, lang lang ist‘s her, eine undurchsichtige Raketenstation, in der an mikrobiologischen Verseuchungen durch Milzbrand oder Antrax experimentiert wurde.

Von all dem weiß Warshawski nichts, als sie gedrängt wird, einen jungen Mann zu suchen, der verdächtigt wird, einen Brand gelegt zu haben. Er haut ab und bleibt verschwunden. Vic Warshawski stößt in Kansas, wohin seine Spuren sie führt, nur auf verkniffene Münder, abwehrende Gesten, aggressive Polizisten und gleich mehrere Leichen. Menschen, die sich ihr anvertrauen, sterben. Und das alles warum?

 

Sprecherin / Warshawski:  Mein Problem ist folgendes: Eine hiesige Farmerin – inzwischen auch tot – schickt Bodenproben an Dr. Roque und will wissen, ob sie kontaminiert sind. Ich bin ziemlich sicher, dass Dr. Roque sie an Dr. Hitchcock geschickt hat. Also…was war im Boden, was beide Männer krank gemacht hat? Könnte der Boden dadurch verseucht sein, dass jemand mit der Spanischen Grippe von 1919 herumgespielt hat? Ich höre hier dauernd von einem Experiment, dass 1983 schiefging, und frage mich, ob das was mit den Morden und Erkrankungen und so weiter zu tun hat.

 

Sprecherin / Autorin: Szenarien, die man sich in der heutigen Situation nur zu gut vorstellen kann. Ängste, die inzwischen allzu vertraut sind. Mit „Altlasten“ hat Sara Paretzky mitten hinein gegriffen in die Corona-Schaurigkeit.

 

Sprecherin / Warshawski: Bereitete sich in mir gerade irgendein Erreger aus, würde ich demnächst plötzlich keuchen und nach Luft ringen? Ich atmete tief durch und hörte es pfeifen.

 

Sprecherin / Autorin: Ein absolutes Muss, diese neue Paretzky. Auch wenn ihre Heldin langsam die Nase voll hat:

 

Sprecherin Warshawski: Ich war es müde, den traurigen Schutt von anderer Leute Leben wegzuräumen, müde, mich mit Regierungsbeamten zu streiten, müde, darüber nachzusinnen, warum anständige Gesetzeshüter plötzlich anfingen, sich als Einpeitscher für die Army oder mächtige Konzerne herzugeben.

 

Sprecherin / Autorin: Von Müdigkeit keine Spur zeigt dagegen Marion Feldhausens Protagonistin, Sofia Barucchi, Duisburger Hauptkommissarin mit italienischen Wurzeln. Ihre Ermittlungen werden von Peter Schmickler angestoßen, einem echten Sonderling. Am liebsten geht Schmickler mit seinem Detektor auf die Suche nach verborgenen Schätzen. Als sein Sensor endlich ein akkustisches Signal von sich gibt stößt er nicht – wie erhofft – auf alte Gräber.

 

Sprecher: Wutentbrannt steht er auf und tritt mit dem Fuß vor den Grashaufen, den er eben abgetragen hat. Ein weißliches Etwas fliegt durch die Luft, landet unsanft auf dem Boden, zerbricht in mehrere Teile. Neugierig geht er wieder in die Hocke und hebt einen der hellen Gegenstände auf. Ein Knochen? Tatsächlich, er hält einen Fingerknochen in der Hand, auf dem Boden liegen die restlichen. Auf was ist er da gestoßen?

 

Sprecherin / Autorin: Auf die Leiche einer Frau, die, wie sich bald herausstellt, vor vielen vielen Jahren getötet und an dieser Stelle verbuddelt wurde. Sofia Barucchi macht sich auf die Suche nach dem Mörder, wird dabei konfrontiert mit der Brutalität neonazistischer Rockergangs, lernt die glatte Fassade von Alt-Nazis kennen, muss um das Leben eines italienischen Kollegen fürchten, der sich der Mafia entgegenstellt. Immer deutlicher wird, dass die Tote irgendetwas zu tun hat mit Verbrechen während der deutschen Besatzung in Italien.

 

Sprecher: Die Männer unter Winters Führung erreichen vom Westen herkommend die Ortschaft. Sie teilen sich in kleine Gruppen auf, dringen in die Häuser ein und treiben die Bewohner hinaus. Die Häuser werden in Brand gesetzt, die Menschen mitgeschleppt. Frauen und Kinder werden aus der Kirche geholt, Hunderte drängen sich auf dem Platz, trotzdem ist es eigenartig still; nur ab und zu ist die Stimme eines Kindes zu hören, das von der Mutter gleich wieder zur Ruhe gebracht wird.

 

 

Sprecherin/ Autorin: Rasant, atemlos, gnadenlos in der Darstellung von Brutalität, Gleichgültigkeit, Verbrechen und Verdunkeln hat die Kinder- und Jugendtherapeutin Marion Feldhausen ihren dritten Krimi geschrieben. Ein gnadenlos treffendes und detailgenaues Portrait der NS-Verbrechen in Italien und ihrer Nachwirkungen, die auch heute noch zu Mord und Totschlag führen können.

 

E N D E