Guillaume Musso und Elisabeth Hermann, Scala-Krimi-Service v. 21.7.2020

Der französische Schrifsteller Guillaume Musso gilt derzeit als der meistgelesene Autor Frankreichs. Und tatsächlich, wer seinen neuesten Krimi „Ein Wort, um dich zu retten“ liest, versteht die Faszination, die von seinen Büchern ausgeht. Sie langweilen nie, sorgen für eine angemessen Portion an Schauer und versprechen unkonventionelle Lösungen. Während Elisabeth Hermann, Favoritin unter den deutschen Krimiautoren, durchaus mit ihrem französischen Kollegen mithalten kann. Ingrid Müller-Münch hat diesmal etwas für die Reiselustigen im Gepäck, auf die am Mittelmeer ein verschrobener Schriftsteller und eine blutige Leiche warten. Während sich die zuhause gebliebenen Leser auf eine Betriebsprüfung ganz besonderer Art gefasst machen müssen.

Guillaume Musso: „Ein Wort, um dich zu retten“, Pendo / Piper, Übersetzung aus Französisch Eliane Hagedorn + Bettina Runge, 2.6.2020, 16,99 Euro, 326 Seiten + +

Elisabeth Hermann: „Requiem für einen Freund“, der 6. Fall für den Berliner Anwalt Joachim Vernau, Goldmann-Verlag,18.5.2020, 10 Euro, 472 Seiten

 

Sendungsmanuskript:  

Autorin: Die Mittelmeerinsel Beaumont ist beschaulich, von Touristenströmen noch unbeschwert. Dorthin hat sich vor zwei Jahrzehnten Nathan Fawles zurückgezogen, einer der berühmtesten Schriftsteller seiner Zeit. Fawles lebt, von der Umwelt abgeschottet, in einem traumhaft schönen Felsenhaus mit Meerblick, einsam, einziger Begleiter sein Hund Bronco.  Er hat der Welt und dem Schreiben Adieu gesagt.

Eines Tages versucht ein junger Verehrer unter Einsatz seines Lebens die Idylle zu stören, will sein Idol endlich mal zu Gesicht bekommen. Klettert über Stock und Stein, hangelt sich an Felsen endlang. Und dann plötzlich sieht er sein Idol.

 

Sprecher: Ich hatte kaum Zeit, mich hinter einen Felsen zu werfen, als ein Schuss ertönte. Audibert hatte nicht übertrieben. Fawles war völlig verrückt und schoss auf Eindringlinge, die sich auf sein Anwesen vorwagten, wie auf Tontauben. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht solche Angst gehabt. Nathan Fawles, der Mann, dessen Romane ich so geliebt hatte, konnte doch kein Mörder sein.

 

Autorin: Der weltberühmte Eremit ist offenbar wild entschlossen, seine Abgeschiedenheit mit allen Mitteln zu verteidigen. Nur die Inselbewohner bekommen ihn hin und wieder immer dann zu Gesicht, wenn er ein Gläschen Sancerre im örtlichen Bistrot trinkt. Kein Mensch weiß, warum er sich zurückzog, was seinem Entschluss, das Schreiben aufzugeben, vorausging. Und ginge es nach Fawles, so würde dies auch so bleiben.

 

Sprecher: „Hau ab, Du befindest Dich auf einem Privatgrundstück“, rief Fawles.

„Das ist doch kein Grund auf mich zu schießen!“

„Für mich schon!“

 

Autorin: Dieses Treffen geht gut aus, der Fan des Einsiedlers überlebt, soviel kann gesagt werden.  Doch dann wird in einer einsamen Bucht die Leiche einer Frau entdeckt. Der jugendliche Verehrer Fawles beobachtet den Fund von seinem Mobiltelefon aus.

 

Sprecher: Ich zoomte das Foto auf dem Touchscreen heran. Die Frau war nicht mit Nägeln an den Stamm eines Eukalyptusbaumes geschlagen worden, sondern mit Stemmeisen oder Steinmetzwerkzeugen, die ihre Knochen gebrochen hatten und sich in ihr Fleisch bohrten.

 

Autorin: Es scheint, als ob der Täter sich noch auf der Insel befindet. Die Polizei riegelt jedenfalls alles ab. Und so nach und nach wird klar, dass dieser Mord der Auftakt für ein neues Leben des Schriftstellers sein wird. Denn von da an ist es vorbei mit seiner Ruhe. Die Polizei belästigt ihn, eine Journalistin kommt ihm gefährlich nahe. Und der Leser ahnt so langsam, dass das Geheimnis, das zu seinem Rückzug und seinem Schreibboykott führte, offenbar mit dem Mord an dieser Frau zusammen hängt. Da holt ihn wohl die Vergangenheit brutal wieder ein.

Ein Thriller wie ein Urknall. Ein Werk, das sich auf jeder Seite neu erfindet. Und jedesmal, wenn man glaubt, nun habe es seine perfekte Wellenlage gefunden, gerät wieder alles außer Kontrolle, muss neu geordnet, neu justiert werden. Während die Seele des Lesers vom Meer verschaukelt wird. “Ein Wort um Dich zu retten“ ist ein Meisterwerk von Guillaume Musso, des derzeit meistgelesenen Autors aus Frankreich. Eine außergewöhnlich genussvolle Lektüre.

 

Elisabeth Hermanns Buch „Requiem für einen Freund“  beginnt wie ein lauer Sommerregen, um dann ihn ein gefährlich wütendes Gewitter überzugehen. Der verkrachte Berliner Rechtsanwalt Joachim Vernau versucht gerade, wieder auf die Füße zu kommen, da trudelt ein Brief bei ihm ein und kündigt eine Betriebsprüfung an

 

Sprecher: Es war kaum auszudenken, was mich erwartete. Die letzten vier Jahre! Jede Rechnung, jede Kontobewegung, jede Quittung würde kontrolliert werden. Alles musste vorliegen. Fahrscheine, Restaurantbelege, Nachweise für Kopierpapier und Druckerpatronen.

 

Autorin:  Der überkorrekte Finanzbeamte, ein Herr Fischer, der Vernau aufsucht, verbeißt sich regelrecht in seine Quittungen und der chaotische Anwalt fragt sich, hat der Mann nichts Besseres zu tun? Gibt es außer ihm nicht größere Steuersünder, die er sich vornehmen könnte? Doch dann geht es los:

Der Prüfer ruft Vernau spät abends ganz aufgeregt an. Droht ihm: Wenn er eine über 400 Euro lautende Essensquittung von vor ein paar Jahren nicht belegen könne, würde er die Staatsanwaltschaft einschalten. Vernau erinnert sich vage, dass er mit einem Kumpel an diesem Tag fürstlich gespeist hatte und dies offenbar als Bewirtungsbeleg abheftete. Beunruhigt wegen der Drohung mit einer Anzeige begibt er sich an diesem Abend noch einmal in sein Büro, will mit Herrn Fischer sprechen.

 

Sprecher: In dem Raum sah es aus, als hätte der Blitz eingeschlagen. Überall lagen Papiere verstreut. Seine Aktenmappe war auf den Boden gefallen. Die umgekippte Thermoskanne hatte ihren Inhalt als schwarzbraune Lache auf der Tischplatte verteilt. Brotkrumen schwammen darin. Für einen Pedanten wie ihn ein ziemliches Chaos. Er lag mit dem Kopf mittendrin, und das war das Zweite, was mich stutzig machte.

„Herr Fischer?“ Dann sah ich, dass der kleine See um seine Stirn blutrot war.

 

Autorin: Die Polizei geht von Selbstmord aus. Doch Vernau ist das alles nicht geheuer. Was hat es mit dieser mysteriösen Quittung auf sich, die aus den Unterlagen verschwunden ist? Was hat das alles damit zu tun, dass an just jenem Tag vor ein paar Jahren eine engagierte Steuerfahnderin sich mitsamt ihrem kleinen Hund in ihrer Garage durch Abgase ihres Autos umbrachte? Je mehr Vernau dahinterkommt, welche Fäden da gezogen werden, um wieviel Geld es eigentlich geht, wieviel Macht ausgeübt wird und wo tatsächlich die Schwarzgeldkonten großer Firmen landen – je mehr er diesen Dingen auf die Spur kommt, desto rasanter muss er seine eigene Haut retten. Eine Aktion, bei der bis zuletzt unklar ist, ob er aus dem Schlamassel lebend herauskommen wird.

Ein unterhaltsamer Krimi über Geldwäsche, Geldgier und Umschläge voller Bestechungsgeld. Bewundernswert, mit welcher Geschmeidigkeit sich die Autorin durch die finsteren Machenschaften nach außen integer wirkender Leute windet. Den Leser im Schlepptau, atemlos und anspannt.