Zwei Krimis, vorgestellt bei Scala, WDR5, am 16.11.2021

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, die beiden Krimis, die ich heute im Gepäck hatte. Der eine, ein Krimi-Newcomer, der zweite eine sichere längst erprobte Bestseller-Autorin. Doch beide eint etwas, das sie herausragen lösst aus dem Gros dieses Genres: Sie spielen in Umgebungen, die uns fremd sind, uns unterhaltsam und voller Wortwitz und Ironie nahegebracht werden. Mag es das jüdische Milieu Frankfurts sein oder die sanften Hügel Irlands:

Michel Bergmann: „Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden“, Heyne 13.10.202, TB 11 Euro +

Tana French: „Der Sucher“, Fischer-Scherz-Verlag, 29.9.2021, Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, 22,90 Euro, 493 Seiten

 

 

 

Michel Bergmann: „Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden“, Heyne 13.10.202, TB 11 Euro

Henry Silberbaum mochte die alte Dame, die da tot in ihrem Bette liegt. Doch irgendwas ist ihm an dem Szenario im Schlafzimmer der soeben verstorbenen Ruth Axelrath nicht ganz geheuer. Noch vor kurzem erst hat die Millionärin ihm von ihrem Verdacht erzählt, ihr wesentlich jüngerer Ehemann betrüge sie, habe eine „schikse“, wie sie es auf jiddisch nannte. Deshalb wolle sie ihn enterben. Und nun dieser plötzliche Tod, angeblich durch Herzversagen.

Der an dem jüdischen Seniorenstift in Frankfurt angestellte Rabbi Silberbaum wundert sich, wieso neben der Toten ein zerbrochener Teller liegt. Angeblich deponierte die alte Dame vor dem Schlafengehen eine Banane auf einem solchen Teller, um damit ihre Tabletten einzunehmen. Doch Ruth Axelrath war eine streng den religiösen Riten folgende Jüdin. Was das bedeutet erklärt Rabbi Silberbaum einem desinteressiert lauschenden Kommissar

Einspieler: „Wenn religiöse Juden einen koscheren Haushalt führen, benutzen sie unterschiedliches Geschirr. Eins ist ‚milchig‘, ein anderes ‚fleischig‘. So nennt man das. Von dem einen isst man nur milchige Speisen und Eier, Salate, Gemüse oder Obst, von dem anderen nur Fleisch. Und nun raten Sie mal, worauf die Banane lag?“    „Auf dem fleischigen Teller“.   „Genau, Herr Hauptkommissar! Auf einem fleischigen Teller“.

An diesem kleinen Detail macht der Rabbi sein Unwohlsein am Tod von Frau  Axelrath fest. War es etwa Mord? Einziges Indiz: der zerbrochene, der falsche Teller. Aber deshalb gleich Mord? Spricht diese Vermutung nicht eher für die überbordende Fantasie des Rabbis?. Doch so nach und nach gesellen sich weitere, nicht ganz koschere Details dazu.

Die Kriminalgeschichte selbst bewegt sich im traditionellen Rahmen des Whodunit, also der Suche nach dem Mörder. Unbedingt lesenswert und unterhaltsam ist sie allerdings wegen des Umfeldes, in dem sie spielt. Während in Deutschland die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten rasant ansteigt, kommt so ein Autor daher und schildert einen jüdischen Alltag, geprägt von Alpträumen, schrecklichen Erinnerungen, dem Festhalten an eine althergebrachte Kultur. Aber vor allem auch dominiert von Humor, Selbstironie, Chuzpe, Schalk.

Es ist erste Krimi des Schriftstellers, Produzenten und Drehbuchautors Bergmann, Beginn einer geplanten Serie. Bergmann ist Jude, kennt das Milieu, in dem sich sein Rabbi bewegt. Und gibt seinem Protagonisten eine unglaubliche Leichtigkeit mit.  Die jüdischen Protagonisten nehmen sich selbst auf die Schüppe, lachen über die ihnen zugeschriebenen Klischees.

Auch wenn die Bedrohung von außen allgegenwärtig ist und vor der jüdischen Schule zwei israelische Sicherheitsleute in Zivil stehen müssen.  Doch statt eines Ausweises muss der Rabbi, jedesmal wenn er sie passiert, als eine Art Wegzoll einen Witz erzählen. Und das tut er gerne, sein Repertoire scheint endlos: „Treffen sich zwei jüdische Mütter. Sagt die eine: Mein Sohn meditiert jetzt. Sagt die andere: Gott sei Dank! Besser als zu Hause rumsitzen und nichts tun.“

 

Tana French: „Der Sucher“, Fischer-Scherz-Verlag, 29.9.2021, Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, 22,90 Euro, 493 Seiten

Irland. Cal Hooper, Cop aus den Hotspots von Chicago, ist ausgebrannt. Sein Job ist ihm eine Last, seine Frau hat ihn verlassen, seine Tochter lebt weit entfernt in Seattle. In einer Art Panik kündigt Cal, kauft sich ein verfallenes Haus mitten in Irlands Pampa. Zunächst lässt sich sein neues Leben gut an. Seine Nachbarn sind freundlich, an die Krähen in seinem Gartenbaum hat er sich gewöhnt, die Landschaft mit ihren fetten grünen Wiesen, den sanften Hügeln am Horizont, den friedlich grasenden Schafen bezaubert ihn. Doch schon bald spürt er, dass er beobachtet wird, dass jemand um sein Haus herumschleicht. Das klapperdürre Kind, das er bald schon erwischt, ist zunächst scheu. Hat aber ein konkretes Anliegen: Da alle im Dorf wissen, dass Cal Polizist war, bittet es ihn, seinen verschwundenen Bruder zu finden. Damit beginnt eine langsame aber hartnäckige Suche nach einem jungen Mann, der doppelbödig lebte und zwiespältige Gefühle hinterließ. Der verschwand und Cal fast mit in den Abgrund reißt. Einen Abgrund, der Cal seine neue Heimat mit gänzlich anderen Augen sehen lässt als zu Anfang.

In „Der Sucher“ gibt es zwar akribisch detailliert auserzählte Passagen, Exkurse in die Geologie Irlands, das Zusammenzimmern eines Schreibtisches, das Auseinandernehmen eines Gewehres oder den Alltag mit Krähen, die einen vom Gartenbaum aus beobachten. Doch auf keinen dieser Schlenker hätte ich verzichten mögen. Der Wortwitz dieser Autorin bezaubert ebenso wie der rasante Schlagabtausch zwischen den Protagonisten und die mitreißenden Dialoge. Beim Lesen bin ich eingetaucht in eine Landschaft, die mich bezaubert, beruhigt und gleichzeitig auch misstrauisch gemacht hat. Dadurch, dass Tana French ein Szenario schafft, so liebreizend ländlich sittlich, so hintergründig verhalten gewalttätig, so traumhaft schön schummrig, dass ich gleich eintauchen wollte in diese irische Welt der kleinen Leute. In dieses Dorf, aus dem die jungen Leute fliehen, weil sich nichts mehr dort abspielt, was sie halten könnte. Und in dem jeder jeden kennt, beobachtet, sein Verhalten kommentiert und gegebenenfalls auch reglementiert. Genau die Welt, von der sich Cal Hooper Ruhe erhoffte. Vergeblich wie sich zeigen wird. Ein wahres Meisterwerk. Wieder einmal. Tana French hat sich diesmal selbst übertroffen.

( Nur zur Info: Als Tana French 2008 ihren ersten Krimi in deutscher Übersetzung veröffentlichte, konnte ich mich vor Begeisterung kaum halten: „Krimihighlight, wie lange nicht gewesen…. Manchmal, da wartet die Sparte wirklich mit etwas Besonderem auf“. Usw. usw. Seitdem hat sie weitere Spitzentitel veröffentlicht. Immer mit einem Touch Sozialkritik. Mal spielen sich die Mordermittlungen, wie in „Sterbenskalt“, im Dubliner Stadtteil Liberties ab. Dort, wo in schmalen Sackgassen Fabrikarbeiter, Maurer, Arbeitslose knapp bei Kasse sind. Mal in der Folge „Schattenstill“ in Broken Harbour, ungefähr einer Autostunde von Dublin entfernt, wo während des Wirtschaftsbooms schicke Wohnsiedlungen entstehen sollten. Für deren Erwerb mussten die Käufer hohe Kredite aufnehmen. Dann brach alles zusammen in einem gigantischen Immobiliencrash. Und eine Familie wird massakriert in einem der wenigen fertiggestellten Häuser aufgefunden.)