Ein norwegischer Knaller und ein Mann zwischen drei Ehefrauen, WDR 5, Scala, 4-1-2022
Heute gibts einen norwegischen Bestseller, der abgeht wie eine Rakete. Und eine unter Beschaulichkeit verborgene tragische Geschichte über einen Mann, dem drei Ehefrauen nicht reichten. Und der durch seine Gier und seinen Verstoß gegen die Gesetze der Mormonen sein Todesurteil unterschrieb.
Thomas Enger / Jorn Lier Horst: „Bluttat“, blanvalet, 11 Euro, Übersetzt aus dem Norwegischen von Maike Dörries und Günther Frauenlob, 25.11.2021, 396 Seiten +Catherine Quinn: „Drei Witwen“, Ullstein-Verlag, Erscheint am 29.11.2021, 15,99 Euro, 540 Seiten, Übersetzt aus dem Englischen von Marie Rahn
Das norwegische Autorenduo Enger und Lier Horst mit der dritten Folge ihrer erfolgreichen Reihe um den Osloer Kommissar Blix und die Journalistin Emma Ramm. Ein Krimi der abgeht wie eine Rakete. Von der ersten bis zur letzten Seite vibriert der Text, wird die Geschichte bis zum Anschlag ausgereizt. Ein Buch, in das man eintaucht und kaum mehr loslassen kann.
Catherine Quinn, eine ehemalige Reisejournalistin, hat in ihrem ersten Krimi ein überwältigendes Portrait sektengleicher Strukturen verfasst und sich dabei auf die komplizierte Psyche von drei Frauen konzentriert, die missbraucht, missverstanden und einsam sind. Ein Buch, das eintauchen lässt in eine brachiale Sektenwelt, gespickt mit Vorschriften und Verboten, mit Frauenfeindlichkeit und Männerherrschaft. Gleichermaßen ein Buch, dessen Suche nach der Mörderin aus der Sicht der Verdächtigten langsam aber faszinierend aufgerollt wird.
Autorin: Iselin, die Tochter des angesehenen Osloer Kommissars Alexander Blix, wohnt zur Untermiete bei dessen Kollegin Sofia Kovic. Gerade als Iselin sich in ihrem Zimmer im Obergeschoss die Haare föhnt, Sofia unten irgendwie in der Wohnung herumkramt, klingelt es.
Sprecher: Ein Küchenstuhl kratzte über den Boden als Kovic aufstand und zur Tür ging. Eine Männerstimme. Iselin lächelte. Es war noch nicht lange her, dass Kovic ihre letzte Beziehung beendet hatte. Sie wickelte gerade eine Locke um den warmen Stab, als sie von unten einen Schrei hörte. Iselins Blick zuckte zur Tür. Sie hörte etwas zu Boden fallen, dann ein gedämpftes Poff. Intuitiv dachte Iselin an einen Schuss mit Schalldämpfer. Das folgende Geräusch klang nach einem zu Boden gehenden Körper.
Autorin: Der Mörder kam durch die Eingangstür, erledigte sein Werk, sah wohl Iselins Schuhe im Flur herumstehen, ihre Jacke an der Garderobe hängen, hielt inne und kehrte um.
Sprecher: Schritte…Vor der Treppe…Auf der Treppe, auf dem Weg zu ihr. …Angst zog ihr den Magen zusammen. Sie überlegte kurz, sich unter dem Bette oder im Schrank zu verstecken. Dann suchte sie nach etwas, womit sie sich verteidigen konnte, fand aber nur den Stuhl. Sie hob ihn an der Lehne an, stellte sich neben der Tür an die Wand. Hob ihn über den Kopf hörte die Schritte jetzt ganz nah.
Autorin: Iselin kann fliehen, doch bei der Osloer Polizei ist alles in Aufruhr. Eine erschossene Kollegin, die Tochter eines Kollegen auf der Flucht! Vor allem Kommissar Blix will wissen, wer hinter Iselin her ist, wer Kovic tötete. Und vor allem: warum?
Dies ist die Ausgangsszene in „Bluttat“, dem neuen Krimi des norwegischen Autorenduos Thomas Enger und Jorn Lier Horst. Beide Garanten für Bestseller. Beide heben skandinavische Krimis aus einer Art Schockstarre der letzten Jahre heraus, in denen sich zwar die Spannung hielt aber wenig Neues, Aufregendes geschah.
Gemeinsam mit der Journalistin und Bloggerin Emma Ramm versucht Blix alles, um den Täter zu fassen. Als Blix Iselin endlich aufspürt, kommt es zu einer Art Showdown, der tragisch endet. Und Blix ebenso wie Emma müssen sich verantworten, werden verhört, Blix wird suspendiert, weil er den mutmaßlichen Täter hingerichtet hat, mit vier Schüssen in den Rücken.
Sprecher: Im Verhörraum gab es keine Fenster, nur graue Wände, drei Stühle und einen Tisch in der Mitte. Die Luft war feucht, drückend. Alexander Blick hatte unzählige Stunden in allen möglichen Verhörräumen zugebracht, war aber noch nie hier im Kriminalamt gewesen und definitiv nie auf dieser Seite des Tisches. Er fasste sich an die Stirn. An den Verband. Die Stiche pochten.
Autorin: Ein Krimi der abgeht wie eine Rakete. Von der ersten bis zur letzten Seite vibriert der Text, wird die Geschichte bis zum Anschlag ausgereizt. Ein Buch, in das man hineinstürzt, angeschlagen und durchgerüttelt wieder auftaucht. Ein norwegisches Autorenpaar, dass sein Handwerk aufs vortrefflichste versteht.
Kleines Zwischengeräusch vielleicht eine Sirene oder sowas
Autorin: Blake, der einsame Angler an dem idyllischen Flussufer, wurde von hinten überwältigt, erdrosselt und mithilfe seines Gürtels an einem Baum-Ast erhängt. Die einzigen, die in dieser Ödnis, weitab von jeglicher Zivilisation leben und als Täterinnen in Betracht kommen, sind seine drei Ehefrauen.
Sprecherin: Der Herr möge mir vergeben, aber ich habe heute die Polizei angelogen und behauptet, Blake hätte nie die Hand gegen mich erhoben. Wie gerne würde ich sagen, damit hätte ich nur sein Andenken schützen wollen, aber das wäre eine weitere Lüge gewesen. In Wahrheit konnte ich einfach nicht mehr ertragen, dass noch ein Außenstehender unsere Art zu leben verurteilt.
Autorin: Die US-amerikanische Reisejournalistin Catherine Quinn hat sich in „Drei Witwen“, ihrem ersten Krimi, auf die komplizierte Psyche dieser drei Frauen konzentriert.
Rachel, Blakes Erstfrau ist eine eher düstere, ernste, von einer grauseligen Vergangenheit geprägte Person. Emily, die eine Schwesterfrau, ist ein klapperdürres Gestell, mehr Kind als Erwachsene. Und Tina, die zweite Schwesterfrau, einstmals Junkie und Prostituierte, war Blakes Liebling. Zumindest nachts, wenn es in der schäbigen Hütte, in der die vier lebten, im Schlafzimmer der Beiden hoch herging. Durch die dünnen Wände für jedermann und jede Frau hörbar. Und Abend für Abend das gleiche Ritual:
Sprecherin: Blake hatte mich schon drei Nächte hintereinander ausgesucht. Die Luft war zum Schneiden dick. Ich sehe uns noch vor mir: wir drei Ehefrauen auf dem Sofa, darauf wartend, wer an dem Abend die Auserwählte sein würde. Rachel mit ihrem komischen Mona-Lisa-Lächeln, so als wäre es ihr gleichgültig. Ich mit dem Blick, den ich auf der Straße gelernt hatte: bei dem man aussieht, als würde man an etwas echt Verdorbenes denken. Und die kleine, zarte Emily starr vor Angst.
Autorin: Blake, der Tote, war Mormone, Mitglied der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage“. Und er lebte in Polygamie. Verbotenerweise. Denn selbst im Staate Utah, dem Hauptsitz der Mormonen, ist die Vielehe offiziell nicht erlaubt. Also hat sich Blake mit seinen Frauen in die Wüstenei zurückgezogen. Fernab von jeglicher Zivilisation lebten sie ohne Komfort und nur auf die Bedürfnisse von Blake fixiert, in Vorbereitung des nahenden Endes, das ihnen ihre Religion prophezeit. Und dann geschieht dieser Mord. Und es passiert etwas Überraschendes:
Sprecherin: „Sie werden sich freuen zu hören, dass wir Sie gehen lassen“, sagt Kommissar Carlsson beim Verhör zu Tina, einer der drei Ehefrauen. „Was?“. Ich fühle mich, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. „Sie haben den Mörder?“, frage ich, nicht sicher, wie ich das finden soll. „Sie haben Blakes Mörder?“ Eine ganze Weile antwortete Carlsson nicht. So als suchte er nach der richtigen Formulierung. Schließlich sagte er: „Ihre Schwesterfrau hat ein Geständnis abgelegt.“
Autorin: Plätschernd, wie der Fluss, an dem Blake getötet wurde, fließt die Geschichte dahin. Abwechselnd erzählt aus der Sicht mal der einen mal der anderen der drei Ehefrauen. Mündel eines herrischen Mannes, die gehorchen und sich ducken, hin und herschwanken zwischen ihrer Zuneigung zu Blake, der Eifersucht auf die Mitehefrauen, zwischen Hingabe und Hass, Aufbegehren und Demut. Ein Terrain, wie geschaffen für aufkeimende Mordfantasien. Ein Setting, das einen seltenen Einblick in eine verbotene Welt schafft.
E N D E