Das Herz von Paris, von Veronika Peters, 2.4.2022 Lesefrucht auf WDR 5

Veronika Peters: „Das Herz von Paris“, Oktopus-Verlag bei Kampa, 10.3.2022, 22 Euro, 330 Seiten / Rezension von Ingrid Müller-Münch

Die Berliner Autorin Veronika Peters lässt eine Zeit wieder auferstehen, als in den roaring twenties des 20. Jahrhunderts auf dem linken Pariser Seineufer intellektuelle Frauen aus aller Welt neue Lebensformen ausprobierten und sich ungewohnte sexuelle Freiheiten erlaubten.

An einem milden Frühlingstag im April 1925 schlendert die 23-jährige Ann-Sophie von Schoeller gelangweilt durch Saint Germain-des-Prés. Sie ist ihrem Gatten, einem Banker, widerwillig nach Paris gefolgt, hat schweren Herzens ihr geliebtes Berlin verlassen und kann dem neuen Domizil so gar keinen Reiz abgewinnen. Plötzlich wird sie angepöbelt, und wehrt laut schimpfend ein paar grölende Studenten ab. Das wiederum hört Sylvia Beach, Eigentümerin der Buchhandlung „Shakespeare and Company“, vor deren Türe sich der Streit abspielt. Sie bittet die junge Frau herein in ihren Laden – und Ann-Sophie von Schoeller landet mir nichts dir nichts in der mondänen Welt der Pariser Bohème von der Left Bank, vom linken Seineufer. Verblüfft verfolgt sie das für sie gänzlich ungewohnte Verhalten der extravagant gekleideten Frauen, die sich in den Räumen der Buchhandlung aufhalten.

 

Die Gespräche wurden hitziger, wechselten häufig zwischen dem Englischen und Französischen. Man fiel sich gegenseitig ins Wort, knallte sich die Sätze um die Ohren wie schnelle Bälle, nannte Namen, Buchtitel oder Artikelüberschriften, von denen Ann-Sophie noch nie etwas gehört hatte. Dazwischen tauchten Theorien zu Dingen wie ‚Textauffassung und Form weiblich autonomen Schreibens‘ auf, während Ann-Sophie realisierte, dass sie über solche Fragen noch nie nachgedacht hatte.“

 

Ann-Sophie von Schoeller hat es nie gegeben. Sie ist der Fantasie von Veronika Peters entsprungen, die sie zur Hauptfigur ihres Romans „Das Herz von Paris“ gemacht hat. Einer Mixtur aus Fiktion und Fakten, in deren Mittelpunkt die junge Berlinerin steht. Naiv, zunächst noch konventionell in Kleidung und Esprit, ist sie jedoch von Anfang an offen für Neues. Begierig saugt sie auf, was ihr die Schriftstellerinnen und Journalistinnen dieses für sie ungewohnten Milieus vorleben. Denn die vor Engstirnigkeit aus den USA geflohenen Künstlerinnen betrachten Konventionen als abzulegenden Ballast. Es gilt alles auszuleben: Ihre Homosexualität ebenso wie ihre Alkoholexzesse. Sie genieren sich nicht.

 

Vieles von dem, was Veronika Peters erzählt, fand genauso statt. Um die Realität der damaligen Zeit herum hat sie Tatsächliches mit Fiktivem fein verwoben und in ihre Geschichte integriert. Dabei jongliert sie glaubhaft und nachvollziehbar mit ihrer Fantasiegestalt, dieser Ann-Sophie, und tunkt sie ein in das, was vom damaligen Leben der exzentrischen Pariser Künstlerclique überliefert ist. Die Buchhandlung „Shakespeare and Company“ etwa, auf der Rue de L’Odéon in Saint-Germain-des-Prés, die es tatsächlich gab und von der bis heute in Paris noch ein Ableger existiert. Hier traf sich Mitte der 1920er Jahre, die Crème de la Crème der Pariser Bohème.

 

Von hier aus verfasste Janet Flanner ihre Reportagen für den „New Yorker“, Djuna Barnes ihre sarkastisch urigen Geschichten. Hier wurde erstmals der „Ulysses“ von James Joyce verlegt, bei „Shakespeare and Company“ lieh sich ein junger flapsiger Ernest Hemingway so manches Buch aus.

 

Die Romanfigur der Ann-Sophie von Schoeller passt wunderbar hinein in diese unkonventionelle Welt. Der sie erliegt, der sie sich hingibt – und wer ihr 330 Seiten lang folgt, wird mit hineingezogen in jene Zeit, in der für Frauen – wenn sie sich denn trauten – offenbar alles möglich war.

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