Auf WDR5, Scala vorgestellt: Die Bretagne entlarvt und entzaubert + und eine Nacktbar voller Wohlanständigkeit

Krimi-Service am Dienstag den 24.5.2022, live:

Folgende 2 Krimis stelle ich vor:

Christian Buder: „Der Dachs“, 11.4.2022, Aufbau-Verlag, 460 Seiten, 18 Euro +

Marie Rutkoski: „Real Easy“ Suhrkamp, 11.4.2022. Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux, 400 Seiten, 14,95 Euro

 

Die Bretagne, einer der Sehnsuchtsorte von Touristen aus aller Welt, hat ein zweites Gesicht. Es verbirgt sich hinter Hummerscheren und einem kühlen Muscadet. Korruption, Geldgier und Macht haben hier das Wort. Derweil in einer Nacktbar in Illinois ebenfalls der äußere Schein trügt, tote Tänzerinnen offenbar der Wohlanständigkeit zum Opfer fielen. Ingrid Müller-Münch zerstört mit ihren heute vorgestellten zwei Krimis liebgewordene Illusionen.

 

Christian Buder: „Der Dachs“, 11.4.2022, Aufbau-Verlag, 460 Seiten, 18 Euro

Die Bretagne mal ganz von ihrer Schattenseite.  Keine Rede von Stränden, Urlaubern, Wohlgefühl, Austernschlürfen, Cidre oder Hummer. Christian Buder, Krimiautor und Wanderer zwischen Deutschland und der Bretagne, hat der Region den Charme genommen. Aber sowas von brutal.

Sein Protagonist, Ronan Prad, ist Einzelgänger und Misanthrop. Vor 13 Jahren verschwand seine Frau Camille spurlos nach einem Segelturn. Seitdem hat er seine Seele einbetoniert, wartet auf den Tag, an dem er endlich ihr versunkenes Boot finden kann, erfährt, was an ihrem Todestag geschah. Bis dahin arbeitet der ehemalige Geheimdienstler in der Gendarmerie Maritime, angesiedelt in dem beschaulich bretonischen Fischerdorf Penec. Doch eines Tages wird er jäh aus seiner Trauerphase gerissen.

Einspieler: Die Ereignisse, die sich Anfang des Jahres 2014 in dem kleinen beschaulichen Ort Penec in der Bretagne zutrugen, hatten ihren Ursprung bereits Monate vorher, genau genommen begannen sie kurz vor Weihnachten 2013, an einem kühlen Montag, als alle Bewohner Penecs, die nichts Besseres zu tun hatten, zu Carrefour strömten, um sich für die Feiertage mit Pastis, tiefgefrorenem Truthahn, Escargots de Bourgogne, Krabben, Hummer und natürlich Rotwein einzudecken.

An einen Strand ganz in der Nähe wird die Leiche einer jungen Frau angeschwemmt, mit ihr ein totes Baby. Etwa zeitgleich wird auf dem Grund der in einem heftigen Sturm tobenden See ein Segelboot geortet. Ronan Prad weiß nur eins: Er muss da runter, muss tauchen, muss schauen, ob es nicht das Schiff seiner Camille ist. Doch sein Tauchgang wird zur Todesstrecke. Das gesunkene Schiff birgt die Leichen eines guten Dutzend Männer, Frauen und Kinder, allesamt getötet durch einen Kopfschuss. Kurz darauf muss er sich gegen die tödliche Attacke eines mittauchenden Fremdenlegionärs wehren, den er, in höchster Not, umbringt.

Irgendjemandem passt Prads Fund und der Verlauf der Ereignisse unter Wasser gar nicht. Vor allem, als sich unter den Toten auch die Familie eines ehemaligen Umweltschützers aus Penec befindet, vor über 10 Jahren spurlos verschwunden. Prad gerät durch seine Entdeckung in das Visier auf Töten spezialisierter Ex-Legionäre, mit denen sich der Bürgermeister von Penec umgibt. Vor allem, als Prad feststellt, dass die meisten der Toten des gesunkenen Bootes ebenso wie die an den Strand gespülte tote junge Frau samt Baby aus dem Lager in Calais stammen, „La Jungle“ , dorther also, wo Migranten aus Afrika und Vorderasien unter unmenschlichen Umständen ausharren, in der Hoffnung, doch noch eine Überfahrt nach England zu bekommen. Weil, so glauben sie, dort ein besseres, ein menschenwürdigeres Leben auf sie wartet.

Christian Buder hat ein Feuerwerk an explosiven Situationen entzündet, soviel Unmenschlichkeit und Korruption auf einen Haufen geschichtet, dass die Bretagne, wie wir sie lieben, darunter begraben wird und all ihren Charme verliert. Allein die Verflechtungen von Politik, Macht, Geld und Korruption verwandelt dieses bezaubernde Fleckchen Erde in einen rau und mörderischen Landstrich. Ein ungewohnter Blickwinkel, gekonnt eingesetzt, glaubwürdig und fesselnd umgesetzt.

 

Marie Rutkoski: „Real Easy“ Suhrkamp, 11.4.2022. Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux, 14,95 Euro, 400 Seiten

  1. Illinois. Irgendwie hat der Stripclub „Lovely Lady“ etwas anheimelnd Gemütliches an sich. Ein strenger, aber im Rahmen der Nacktdarbietungen seiner Mädels auf Anstand und Sitte achtender Chef sorgt für eine nicht ganz so trostlose Atmosphäre, die jungen Frauen arbeiten hart, untereinander herrscht eine Art kumpelhaftes gegenseitiges Akzeptieren. Dies alles wird abrupt beendet an dem Tag, an dem zwei der Nackttänzerinnen spurlos verschwinden und wenig später die Leiche einer der beiden Frauen gefunden wird. Ruby, eine erfahrene bildschöne Clubtänzerin, hatte eine an jenem Abend völlig zugedröhnte noch unerfahrene Kollegin nach Hause begleitet, als ihr PKW von einem anderen Fahrzeug gezielt von der Fahrbahn gedrängt wurde. Die Polizei findet am Unfallort zwar die Leiche der von Ruby begleiteten Tänzerin, doch von Ruby selbst fehlt jede Spur. Schnell gerät ihr Lebensgefährte in Verdacht. Doch so richtig glaubhaft als Täter erscheint er den beiden mit dem Fall betrauten Detectives Holly Meylin und Victor Amador nicht. Sie befürchten, dass hier ein Serienmörder der Täter sein könnte, recherchieren ältere Tötungen junger Frauen und sind nach und nach davon überzeugt: Der Mörder war entweder eng verbunden mit dem Stripclub „Lovely Lady“, oder er war ein Polizist. Denn das gezielte Manöver, mit dem Ruby’s Auto von der Straße gedrängt wurde, lernt man beim Militär oder bei der Polizei. Als dann noch ein Kollege am Tatort selbst das Geld unterschlägt, dass in der Tasche der verschwundenen Ruby steckte, erhärtet sich der Verdacht, der Mörder könne ein Kollege sein.

Ein hartnäckiges Suchen nach einem Täter, der sich unter der Maske von Wohlanständigkeit versteckt. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund eines Milieus, in das junge Frauen geraten, die aus Geldnot nicht ein noch aus wissen. Die ihre Familie, ihre Kinder, sich selbst gerade mal so durchbringen können. Und froh sind, dass im Stripclub „Lovely Lady“ zwar getanzt wird, ohne Tabus und nackt bis auf die blanke Haut. Aber bis zum Letzten darf es nicht gehen. Davor schützt sie der Chef, darum sorgen schon die Wachleute.

Ruhig erzählt, ohne die sonst üblichen Schreckensszenarien dieses Milieus. Dennoch nur konsumierbar mit angehaltenem Atem. Ein besonnener Abstieg auf eine mörderisch glitzernde Bühne.