Krimis aus Nigeria und den USA – ungewohnt und schlüssig

Ein aufgebrachter Mob lyncht drei junge Männer in einer nigerianischen Universitätsstadt. In einem schäbigen Hotelzimmer mitten in den USA wird ein junger Schw7uler vergewaltigt und schwer verletzt. Spannungslektüre aus Welten, voneinander entfernt, doch brutal naheliegend.

Femi Kayode: „Lightseekers“, btb, 11.7.2022, 16 Euro, Übersetzung aus dem Englischen Andreas Jäger, Paperback 464 Seiten +

Caitlin Wahrer: „Der Fremde“, Heyne, 1.6.2022, Übersetzt aus dem Amerikanischen von Melike Karamustafa, 15 Euro, 460 Seiten

 

Eine aufgebrachte Menge rottet sich zusammen, treibt aufgebracht drei junge Männer vor sich her, schlägt sie, hängt ihnen Autoreifen um den Hals, zündet sie an, lässt sie verbrennen. Nigeria ist schockiert. Die kleine Universitätsstadt Okriki ist in aller Munde. Ein knappes Jahr ist das her. Die alles geschieht in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, mit großen Ölvorkommen, geprägt von Korruption, ethnischen Konflikten, Armut und explodierenden Großstädten wie Lagos mit 22 Mio Einwohnern. Dorthin zieht der nigerianische Psychologe Dr. Philip Taiwo, nachdem er sich in den USA niedergelassen hatte, seine Frau aber die US-Rassenkonflikte nicht mehr aushielt. Ihm ist vieles in seinem Heimatland fremd geworden. Und so konzentriert er sich auf die Lehre zum Thema Gewalt.

Einspieler:

„Drei Wochen nach Beginn meiner ersten Vorlesungsreihe über Massenpsychologie hatte ich den Polizeischülern die Aufgabe gestellt, Fallstudien von Verbrechen anzufertigen, die von Menschenmengen begangen worden waren. Über die Hälfte der Referate befasste sich mit einem Vorfall im Südosten des Landes, dem die Medien das Etikett „Okriki Three“ verpasst hatten.  Ich hatte mir die Zeit genommen und die Berichterstattung über den Fall nachgelesen. Daher wusste ich, dass Emeka Nwamadi der Vater eines der drei jungen Studenten war, die vor über einem Jahr in der Universitätsstadt Okriki zusammengeschlagen und verbrannt worden waren.“

 

Emeka Nwamadi drängt darauf, dass Taiwo die ganze Sache noch einmal durchleuchtet. So lässt Taiwo seine Vorlesungen ausfallen und macht sich auf den Weg nach Okriki. Dorthin, wo die Menschen ihm mit Abwehr und Hass begegnen. Sie wollen das Ganze vergessen, ihre Ruhe haben. Doch Taiwo ist hartnäckig, stößt auf Drogenexzesse, ethnische Konflikte der übelsten Art, auf Korruption und Hinterhalte, auf Geheimkulte, die jenseits von Recht und Gesetz über Leben und Tod richten, bringt sein Leben in Gefahr – ebenso wie das seines zwielichtigen Assistenten, den ihm der trauernde Vater zur Seite gestellt hat. .

Eine Recherche nach der Wahrheit und nach Hintergründen. Inmitten eines Landes, in dem die Menschen misstrauisch und dünnhäutig sind. In dem angebliche Heilsbringer, zwielichtige Zusammenschlüsse und Geheimkulte den Rhythmus vorgeben. Und jeder, aber auch jeder die Hand aufhält. Denn ohne Bestechung läuft hier gar nichts. Ein Einblick in ein Afrika: Kaputtgeräubert, menschenverachtend  und zutiefst ungerecht.

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Tony, der große Bruder, liebt seinen kleinen Bruder Nick über alles. Immer schon hat er sich verantwortlich für Nick gefühlt, hat versucht, ihn zu beschützen und zu behüten. Doch als die Katastrophe geschieht, ist Tony hilflos. Nick wurde vergewaltigt, von einem Mann, den er eines Abends an der Theke einer Kneipe kennenlernte, und mit dem er bereitwillig später dann auf dessen Hotelzimmer ging. Dort empfing ihn sein neuer Flirt damit, dass er ihn bewusstlos schlug. Als Nick am nächsten Morgen aufwacht, ist sein Bett blutig, er selbst übel misshandelt, teils schwer verletzt. Offenbar, und das stellen Ärzte und Polizei bald fest, wurde Nick in der Nacht von dem Fremden vergewaltigt. Für seinen Bruder Tony ein Schmerz, der ihn fast vernichtet. Doch dann schmiedet er einen Plan. Denn der schöne, gutaussehende Vergewaltiger wird bald schon gefunden. Wehrt sich aber gegen die Behauptung, Nick so übel zugerichtet zu haben, dass der ins Krankenhaus musste. Es sei alles auf freiwilliger Basis geschehen, behauptet dieser Ray und postet im Internet seine Sicht der Dinge. Nick geht es dabei immer schlechter, und der ermittelnde Kommissar wird das Gefühl nicht los, ihm werde nicht alles gesagt, irgendetwas werde ihm vorgehalten.

Tony schmiedet derweil einen Plan, wie er seinen kleinen Bruder rächen könnte. Ein Plan, den seine Frau Julia, Anwältin und fürsorgliche Mutter der gemeinsamen beiden Kinder, erahnt und den sie um jeden Preis verhindern muss. Also überlegt sie sich ebenfalls, was sie tun könnte, damit ihr Mann Tony, um seinen Bruder zu rächen, nicht die gesamte Familie ins Unglück stürzt. Ihr Plan ist so genial, dass ihn einfach niemand mitbekommt. Und der, bis zuletzt, ihr eigenes kleines Geheimnis bleibt.

Manche Krimis starten mit Verve und verpuffen im Verlauf des Plots. In „Der Fremde“ ist es das Ende, das geradezu genial aufgreift, was zuvor angedeutet wird. Eine Lektüre, bei der die Spannung mit jeder Seite steigt und am Schluss in einem wahren Feuerwerk genialer Lösungen mündet.