Das siebte Mädchen + Acht perfekte Morde – bei Scala geht es am 13.9.2022 mörderisch gut zu

Ein hartgesottener Profi und eine blutige Anfängerin geben sich diesmal die Klinke in die Hand – und ich bin von Beiden gleichermaßen schaurig-schön erschüttert.

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Folgende 2 Krimis stelle ich vor:

Stacy Willingham: „Das siebte Mädchen“, rororo 16.8.2022, Übersetzung aus dem Englischen von Alice Jakubeit, 13 Euro, 445 Seiten +

Peter Swanson „Acht perfekte Morde“, blanvalet, 18.Juli 2022, 15 Euro, Übersetzt aus dem Englischen von Fred Kinzel, 348 Seiten

 

Mit ihrem Krimi: „Das siebte Mädchen“ landet die amerikanische Journalistin und Werbetexterin Stacy Willingham gleich einen Punktsieg. Ihr Psychodrama um eine zerbröselte Familie ist kurvenreich und überraschungsvoll. Ein Debut mit Bestsellerchancen. Während Peter Swanson, ein erfolgreicher Profischreiber, in „Acht perfekte Morde“ eine Art Bibliothek der bemerkenswertesten Krimiliteratur des 20. Jahrhunderts erstellt. Ohne dabei Spannung und Plot aus den Augen zu verlieren.

 

 

TEXT:

 

Sprecherin: Ich war zwölf, als die Mädchen verschwanden. Mädchen, die kaum älter waren als ich. Das war im Juli 1999, und anfangs zeichnete sich nur ein weiterer heißer, schwüler Sommer in Louisiana ab.

 

Autorin: Auf den Tag genau 20 Jahre ist es her, dass sich das Leben der damals 12-jährigen Chloe Davis von jetzt auf gleich total änderte. In jenem Sommer verschwanden in ihrem Heimatort Breaux Bridge nach und nach sechs Mädchen. Chloe kannte sie fast alle, manche flüchtig, manche näher, so wie das nunmal ist in einem beschaulichen kleinen Ort. Alle Welt suchte damals nach ihnen. Doch ihre Leichen wurden bis heute nicht gefunden. Während der Mörder bald schon dingfest gemacht werden konnte. Wozu Chloe als Hauptbelastungszeugin beitrug. Denn eines Tages entdeckte sie, bei der Suche nach einem Halstuch im Kleiderschrank ihrer Eltern, ein Kästchen mit Schmuck. Ohrringe, Armbänder, Halsketten, die die Mädchen noch kurz vor ihrem Verschwinden getragen hatten. Als Chloe damit zu ihrer Mutter geht, als beide das Schmuckkästchen der Polizei präsentieren, wird kurz darauf ihr Vater verhaftet. Er sei der Serienmörder, gibt dieser bis dahin liebevolle, fürsorgliche Mann in einem Geständnis zu.

 

Sprecher: „Warum haben Sie es getan Mr. Davis? Warum haben Sie diese Mädchen getötet?“ Ich beobachtete, wie mein Vater dem Blick des Richters auswich und auf seinen Schoß sah. Es war völlig still im Gerichtssaal, der kollektiv angehaltene Atem hing schwer in der Luft. „In mir ist eine Finsternis“, sagte er schließlich. „Eine Finsternis, die nachts hervorkommt…Es ist sehr stark, ich kam nicht dagegen an.“

 

Autorin: Chloes Vater wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Familie zerbricht. Ihre Mutter  überlebt schwer verletzt einen Selbstmordversuch. Chloe und ihr Bruder Cooper werden von Verwandten großgezogen.

Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Es ist alles gesagt, der Mörder abgeurteilt worden. Doch Stacy Willingham, die Autorin des Krimis „Das siebte Mädchen“, hat längst noch nicht ihr kriminalistisch-literarisches Pulver verschossen. Denn genau jetzt erst beginnt das eigentliche Geschehen. Chloe ist inzwischen eine erfolgreiche Psychologin, allerdings im Inneren schwer beschädigt durch das Erlebte, voller Hass auf ihren Vater, den sie seit seinem Geständnis nie mehr wiedergesehen hat, kein einziges Mal im Gefängnis besuchte. Ihre Hochzeit mit dem gutaussehenden, liebevollen Daniel steht bevor. Doch dann verschwindet plötzlich wieder ein Mädchen, eines, das kurz zuvor noch als Patientin in ihre Praxis kam. Sie hat es sozusagen als letzte lebend gesehen. Die Polizei rückt an. Und Chloe muss sich der Tatsache stellen, dass sich in ihrem unmittelbaren Umfeld ein Nachahmungstäter aufhält.

Ein Journalist, der sich Chloe aufgedrängt hat, ist davon überzeugt:

 

Sprecher: „Ich wäre nicht überrascht, wenn Sie diesen Kerl schon mal hier in der Gegend gesehen hätten, Cloe. Nachahmungstäter – sie tun das aus einem bestimmten Grund. Vielleicht verehrt er den Mann, dem er nachzueifern versucht, vielleicht will er ihn auch herabsetzen, aber so oder so, er ahmt seinen Stil nach.“

 

Autorin. Die beklemmende Atmosphäre im Debut der US-amerikanischen Werbetexterin und einstigen Journalistin Stacy Willingham steigert sich zur angstbesetzten und schreckensvollen Verfolgungsjagd. Beschädigte Seelen, kaputte Beziehungen, Rückzuge und emotionale Verweigerungen, Albträume und Schreckensnächte – dies alles sind die Folgen der damaligen Ereignisse.  Eine gelungene Dramaturgie, die sich zu guter letzt in ein Crescendo steigert, dessen ohrenbetäubender Lärm kaum auszuhalten ist. Spannung pur, die das Buch immerhin zum New York Times-Bestseller machte.  „Das siebte Mädchen“ erscheint derzeit in  27 Ländern  und wird von der Produktionsfirma der Oscar-Preisträgerin Emma Stones verfilmt. Für ein Debut ein starkes Stück.

 

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Autorin: Es ist schon ziemlich lange her, da veröffentliche der Buchhändler Malcom Kershaw auf dem Blog seiner Krimibuchhandlung „Old Devil Bookstore“ eine Liste mit den seiner Meinung nach acht perfektesten Morden in der Weltliteratur. Darunter natürlich Agatha Christies 1936 erschiener Krimi „Die Morde des Herrn ABC“ und selbstredend Patricia Highsmith‘ Klassiker „Zwei Fremde im Zug“. Jahre später taucht eines Morgens in Malcoms Bookstore eine junge Frau auf, Special Agent Gwen Mulvey vom FBI:

 

Sprecher:  Die Ladentür ging auf, und ich hörte, wie sich die FBI-Agentin auf der Fußmatte die Stiefel abtrat. Es hatte eben zu schneien begonnen, und die Luft, die in den Laden strömte, war schwer und randvoll mit Energie.

 

Autorin: Die junge Frau brachte nicht nur Schneeflocken im Haar mit in den verstaubten Buchladen. Sondern Neugierde und Informationen:

 

Sprecherin: „Haben Sie von der Sache mit Robin Callahan gehört?“ Robin Callahan war eine Nachrichtensprecherin im Lokalfernsehen gewesen, die man vor anderthalb Jahren in ihrem Haus erschossen aufgefunden hatte. „Und was ist mit Jay Bradshaw?“ Ich überlegte einen Moment, dann schüttelte ich den Kopf. „Ich glaube nicht“. „Er lebte in Dennis on the Cape. Man hat ihn im August erschlagen in seiner Garage gefunden.“

 

Autorin: Erstaunt darüber, dass die blass aussehende, unscheinbare Gwen ihn mit weiteren Namen und Verbrechen konfrontiert, erkundigt sich Malcom, was dies alles denn mit ihm zu tun habe. Wieso sie ausgerechnet zu ihm komme? Und so nach und nach rückt seine Besucherin damit heraus, dass all diese Morde auf verblüffende Weise so geschahen, als würde da ein Serienmörder die auf Malcoms Blog seinerzeit beschriebenen fiktiven Tötungsarten in die Tat umsetzen. Genauer gesagt sucht die Agentin bei Malcom den Zusammenhang zwischen den Büchern und den Morden. Doch Malcom kann ihr nicht weiterhelfen, erinnert sich nur, wie die Liste damals entstand.

 

Sprecher: Die Wahrheit ist, dass es schwer war, die Liste zusammenzustellen. Ich hatte es mir wesentlich einfacher vorgestellt, Beispiele perfekter Morde in der Literatur zu finden, aber es war nicht einfach.

 

Autorin: Diese Szene ist der Ausgangspunkt einer Suche nicht nur nach Zusammenhängen zwischen Fiktion und Realität. Sondern auch der Jagd nach einem Mörder und der Frage, welche Rolle spielt eigentlich dieser unscheinbare Buchhändler Malcom Kershaw bei all dem? Ist er wirklich nur der seine Katze liebende etwas langweilige Bücherwurm, oder steckt hinter seiner so unspektakulären Fassade eine ganz andere Figur? Der Autor von „Acht perfekte Morde“, Peter Swanson, ist längst auf Erfolg gepoolt. Und auch dieser Krimi wird seinen Weg in die Bestsellerlisten nicht verfehlen. Er ist vor allem ein Leckerbissen für Krimifans, die sich den Spaß machen, all die empfohlenen und in der Suche nach dem Mörder eine Rolle spielenden Bücher nachzulesen. Ein ziemlich arbeitsreiches Unterfangen, das aber sicherlich viel viel Spannungspaß verspricht.

 

E N D E