Knastpralinen und Bildrauschen bei WDR5, Scala Mai 2023
Manchmal kommt beim Wühlen in der Mottenkiste ein Schätzchen zutage. So wie im Fall der „Knastpralinen“ von Simone Buchholz, erstmals 2012 erschienen, jetzt von Suhrkamp neu aufgelegt. Ein wahrer Fundus an Ironie und Flapsigkeit. Und auch Bernhard Aichners „Bildrauschen“ kann sich mit seinen skurrilen Influencer-Charakteren durchaus sehen lassen. Beide Autoren heimsten schon fast sämtliche deutschen Krimi-Auszeichnungen ein, sind erfolgreich mit Krimiserien und gelten als Garant für gute Unterhaltung und glaubwürdige Plots
Simone Buchholz: „Knastpralinen“, Suhrkamp, März 2023, Ersterscheinung 2012 bei Droemer/Knaur, 16 Euro,
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Bernhard Aichner: „Bildrauschen – Ein Bronski Krimi“, btb, März 2023, 17 Euro
Autorin: Kaltschnäuzig ist sie, schlagfertig, stur und trotzig, dabei saugut. So kommt sie daher, die Hamburger Staatsanwältin Chas Riley. Und genauso ermittelt sie. Auch dieses Mal, das zweite Mal in der inzwischen das Dutzend anstrebenden Krimiserie mit ihr als Hauptfigur. Die „Knastpralinen“, ein Remake, soeben bei Suhrkamp neu herausgegeben und vor über zehn Jahren erstmals erschienen, sind ihr Geld wert: Prall gefüllt und super lecker. Mit einer Protagonistin, die im Dunkeln stochert und im Hellen außerhalb der Norm lebt. Deren wenige Freunde und Freundinnen ihr zwar Familie sind, sich aber äußerst anstrengend benehmen.
Im Fall der in der Elbe gefundenen Körperteile von Männern, sorgfältig in Plastikfolie eingepackt, fein abgesägt vom Rest der Leichen, geht Chas mal wieder bis ans Limit.
Sprecherin: Auf einer Kaimauer ungefähr zwei Meter von mir entfernt liegt der schwarze Müllsack, wegen dem wir hier sind. Ich hatte gehofft, dass der Rauch meiner Zigarette den Geruch ein bisschen überlagern würde. Funktioniert leider nicht. Der Sack war wohl eine Weile im Wasser, und der Inhalt hat in Ruhe vor sich hin gefault. „Tschuldigung, Frau Riley, wir müssen hier mal eben absperren. Können Sie da hinten weiterrauchen?“ Ja, Ja, ist ja gut.
Autorin: Kein Mensch scheint die Männer zu vermissen. Nichts hatten sie offenbar miteinander zu tun. Aber, da ist sich Chas sicher, irgendetwas muss sie miteinander verbinden. Irgendetwas.
Dabei hätte Chas privat genug andere Sorgen. Ihre beste Freundin Carla, den Lesern und Leserinnen der Reihe längst bekannt, wurde im Keller ihres Cafés vergewaltigt und übel zugerichtet.
Sprecherin: „Carla, was ist passiert?“ Aus ihrem intakten Auge beginnen die Tränen zu laufen. „War das ein Mann?“. Sie schüttelt den Kopf und vergräbt ihn wieder. Dann sagt sie was. „Was?“, flüstere ich. Sie sagt es nochmal. Und dann verstehe ich. Zwei hat sie gesagt. Es waren zwei Männer.
Autorin: Da der Leiter der Hamburger „Soko Knochensäge“ in Urlaub ist, ihr ehemaliger Chef und Freund Faller stoisch jeden Tag ab 8 Uhr morgens an einem in die Elbe ragenden Landzipfel sitzt und so tut, als würde er angeln – weil die Umstände nun mal so sind, wie sie sind, muss Chas Riley die Sache wuppen. Und sich um alles, aber auch alles kümmern.
Sprecherin: Der Faller sitzt auf einem Klappstuhl, er trägt ein weißes Hemd und eine graue Anzughose. In der Hand hält er eine Angel. „Was soll der Scheiß mit der Angel?“ frage ich. Er schaut wieder aufs Wasser. „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass sie hier Fische fangen, alter Mann.“ Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und seufzt. „Und wenn sie was fangen?“ frage ich. „Wo wollen Sie das dann reintun? Ich seh hier keinen Eimer oder so was“. Der Faller schaut aufs Wasser. „Soll ich Ihnen wenigstens ein paar Köder besorgen?“ Er sieht mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob ich ihm wenigstens ein paar Teenienutten auf Koks besorgen soll.
Autorin: Wie gut, dass dieses Schmuckstückchen von Simone Buchholz bei Suhrkamp neu aufgelegt wurde. Mit Humor, todsicherer Ironie, schnoddrig daher erzählt geht die Geschichte flott voran. Gespickt mit dreisten Zwischentönen, halbseidenen Sprüchen und Seitenhieben. Ein Buch, so aktuell und ohrenschmeichelnd wie ein Elvis aus der Jukebox.
Zwischenton
Autorin: Die Szenerie ist altbekannt und durchgenudelt. Eigentlich. Es ist die Geschichte eines Mordes, begangen in einem geschlossenen Raum. Doch diesmal ist es ein ganz besonderes Setting, das sich Berhard Aichner für seinen neuen Bronski-Krimi „Bildrauschen“ ausgesucht hat.
Der Fotograf und Hobbydetektiv Bronski (diesmal im vierten Band auf der Pirsch) hat sich auf eine einsame, zugeschneite Berghütte in Tirol zurückgezogen. Dort will er zu sich kommen, sein Leben justieren. Doch als hätte sich die Welt gegen ihn verschworen, stößt er schon bald auf die Leiche einer jungen Frau, fotografiert sie, kehrt zurück in seine Hütte, überlegt, was er nun tun soll, geht noch einmal zurück zu der Toten. Doch die ist nun verschwunden, während sich um ihn herum ein Unwetter zusammenbraut. Noch in der Nacht wird seine Hütte in Brand gesetzt, er kann sich gerade noch so retten, stapft verzweifelt durch den immer dichteren Schnee und klopft letztendlich halbtot an die Tür eines stylischen Chalets. Dorthin zurückgezogen haben sich fünf Social Media Stars, Influencer, mit Millionen von Followern.
Sprecher: Noch nie zuvor hatte ich mit solchen Menschen zu tun. Alles, was sie machen, ist für ein Publikum bestimmt. Egal, ob sie mit ihren Klamotten posieren, ob sie Turnübungen machen, mit Hanteln trainieren, sich schminken, rülpsen, fluchen oder tanzen, sie spielen eine Rolle. Rechnen in jeder Sekunde damit, dass sie fotografiert werden. Von einem der anderen Influencer oder auch von mir. Alles ist inszeniert.
Autorin: Sie begegnen dem in ihren Augen biederen Bronski mit Herablassung und Abscheu. Er ist keiner von ihnen. Kann mit ihnen, ihrem Influencer-Getue und ihren affigen Namen nichts anfangen. RosaLex oder BadyBoy so nennen sie sich, DorfProlet oder Rapper007, YogaBine, Meandri.
Sprecher: Ich möchte nur mit Euch reden. Herausfinden, was passiert ist und warum meine gesamte Ausrüstung verbrannt ist. Und warum ich hier am Ende der Welt in einem Haus mit fünf verwöhnten Rich Kids eingesperrt sein muss.
Autorin: Denn eingesperrt sind sie alle. Der Schneesturm wird immer bedrohlicher, sie können das Haus nicht verlassen. Der Mörder ist also einer von ihnen. Bronski weiß nur eins: er war es nicht. Und so knöpft er sich einen nach dem anderen vor, interviewt die hochnäsige Truppe. Während die nächste Tote schon bald unter den Schneemassen begraben wird. Bronski muss erkennen, wie schief er liegt, lange, bevor sich die Lösung anbietet.
Ein kundiges und dichtes Portrait arroganter, selbstverliebter junger Leute. Amüsant, manchmal auf Kosten des Hobbydetektivs geradezu gruselig, wobei irgendwann feststeht: für die Auflösung zahlt Bronski einen hohen Preis, einen sehr sehr hohen.
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