Zwei Krimis um Silvesterparties bei Scala am 3.1.2023

 

Malin Stehn: „Happy New Year“ – Zwei Familien, Ein Albtraum, Scherz-Verlag, November 2022, Übersetzt aus dem Schwedischen von Maria Poets, 16 Euro +

Clare Mackintosh: „Die letzte Party“, Knaur, Dezember 2022, Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Schilasky, 15,99

 

Auch die Protagonisten in den beiden Krimis, die Ingrid Müller-Münch heute vorstellt, hatten sich eine friedlich feucht-fröhlich Silvesterparty gewünscht. Friedlich war sie in beiden Fällen so gar nicht, fröhlich nicht für jeden und feucht nur bedingt.

 

 

Sprecher: Vor der Kloschüssel kniend verfluche ich mich selbst. Nie wieder! Ich werde nie wieder trinken. Nicht einen Tropfen. Das ist es nicht wert. Bei der Erinnerung an den ganzen Champagner, den ich gestern getrunken habe, dreht sich mir der Magen um, und ich fange erneut an zu würgen.

 

Autorin: Zwei schwedische Mittelstandspaare mit pubertierenden Kindern erleben die Endjahresparty- in dem Krimi „Happy New Year“ –  als wahren Horror. Wie all die Jahre zuvor, feiern sie auch dieses Mal wieder gemeinsam. Doch alle hadern, mit sich, mit ihrem Leben, mit den Umständen ihres gutsituierten Daseins.

 

Sprecher:  Wir stoßen an, die Gläser klirren. Ich will etwas sagen, dass es ein Scheißjahr gewesen ist, doch in letzter Sekunde überlege ich es mir anders. Die ersten, zaghaften Minuten des neuen Jahres mit einem bitteren Kommentar einzuleiten, kommt mir schicksalhaft vor, als könnte die Bitterkeit sich festsetzen und den Ton für alle folgenden Minuten angeben.

 

Autorin: Der Abend geht weiter wie üblich. Doch die Eltern sind besorgt. Denn Smilla und Jennifer, die Teenagertöchter der beiden Paare, sind dieses Jahr nicht dabei, sondern geben getrennt im Zuhause von Nina und Fredrik ihre erste eigene Party. Was ist, wenn die Sache ausartet, zu viel Alkohol fließt, Drogen konsumiert werden, die Wohnung verwüstet wird? Sind Smilla und Jennifer der ganzen Sache schon gewachsen?

Als Nina und Fredrik mit ihren beiden jüngsten Kindern spät nachts nach Hause zurück kommen sieht alles zunächst friedlich aus. Die Wohnung ist geputzt,  ihre Besorgnis war offenbar fehl am Platz. Doch am nächsten Morgen schleicht sich nach und nach ein schreckliches Gefühl an. Jennifer ist verschwunden.  Zunächst nimmt das so recht niemand ernst. Aber je länger sich ihr Verschwinden hinzieht, desto besorgter zeigen sich ihre Eltern, später dann auch die Polizei.

 

Einiges kommt dabei ans Licht, so zum Beispiel, dass Fredrik, Smillas Vater, zu der Verschwundenen ein ganz besonderes Verhältnis hat. Von Ängsten und Befürchtungen geplagt, es könnte herauskommen was sie beide verband, ist er kaum noch ansprechbar und wartet paralysiert auf die drohende Aufdeckung einer für ihn zerstörerischen Wahrheit. Vor allem, wo er einer der letzten war, der Jennifer in dieser Silvesternacht noch gesehen und gesprochen hat. Aber Fredrik ist nicht der einzige, dessen äußerer Schein von Wohlanständigkeit am Verschwinden von Jennifer und den damit einhergehenden Enthüllungen zu zerbrechen droht.

 

Sprecher: Ich lehne mich zurück und sinke wieder tief in mein Kissen. Lange Zeit liege ich im Halbdunkel auf dem Rücken, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Worte und Bilder schwirren in meinem Kopf herum. Ich sehe Jennifer, höre ihre Stimme. In dem Versuch, dieses Geräusch auszublenden, presse ich die Handflächen auf meine Ohren. Doch so höre ich nur den dröhnenden Puls umso deutlicher. Er wird immer lauter und immer schneller.

 

Autorin: Erzählt wird die Geschichte aus der jeweils ganz persönlichen Perspektive von zwei Ehepaaren, deren Leben durch das Verschwinden eines jungen Mädchens so langsam in Scherben zerbröselt. Unerbittlich lüften die vier Protagonisten in Selbstreflexion den Schleier, der sich über die Jahre hinweg über ihre Beziehungen und ihr Leben gelegt hat. Die Wahrheit dahinter ist brutal. Die Konsequenzen hieraus mörderisch und selbstzerstörerisch. Der Verlauf der Katastrophe – an Spannung kaum zu überbieten. Angesichts psychologischer Raffinesse – ein brillanter Krimi.

 

Zwischenton.

Autorin: Auch in dem zweiten Krimi, den ich heute vorstellen möchte, geht es um eine total aus dem Ruder geratene Silvester-Party und deren Folgen. Die Autorin, Clare Mackintosh, eröffnet mit „Die letzte Party“ eine neue Reihe und stellt zwei Protagonisten vor: die walisische Ermittlerin Ffion Morgan und ihren englischen Kollegen Leo Brady. Pech für sie Beide: unter falschem Namen hatten sie vor kurzem erst eine gemeinsame Nacht miteinander verbracht. Und tun nun so, als spiele das überhaupt keine Rolle in ihrer angespannten Suche nach einem Mörder.

 

Sprecher: Na, das ist unangenehm. In den zwölf Monaten seit dem Ende ihrer Ehe hat Ffion (ausgesprochen: Feien) es erfolgreich vermieden, einen One-Night-Stand hinterher noch einmal zu treffen. Das ist einer der Gründe, warum sie ihr Privatleben außerhalb von Cwm Coed (ausgesprochen: Kuhm Koid) führt.

 

Autorin: Doch die Silvester-Party, zu der Investor Lloyd auch die Bewohner des nahegelegenen Dorfes zu Champagner und Protz eingeladen hat, lenkt beide von ihren privaten Querelen ab. Sie gerät völlig aus dem Ruder. Lloyds Ziel: er wollte den Dorfbewohnern, die sein neues Projekt strikt ablehnen, die Ferienhaus-Siedlung am örtlichen See zeigen, für gute Stimmung sorgen und angeben, was das Zeug hält. Doch Pech für ihn, am nächsten Morgen treibt seine Leiche mitten auf dem See. Hatte Lloyd Feinde, die ihm ans Leder wollten? Hat er sich selbst in eine Bredouille gebracht, aus der er nicht mehr rauskam und die er mit seinem Leben bezahlen musste?

 

Sprecher: In Leos Kopf entsteht ein Bild. „Lloyd war gefesselt. Jemand hat ihm einen Schlag gegen den Kopf versetzt, seine Beine gefesselt und ihn in den See geworfen.“  „Tja, er ist nicht ertrunken“, sagt die Rechtsmedizinerin.

 

Autorin: Wie auch immer, je mehr Ffion Morgan und Leo Brady recherchieren, desto mehr Staub wirbeln sie auf. Und wundern sich, dass nicht schon längst jemand Hand an den offenbar äußerst unbeliebten und übergriffigen Rhys Lloyd gelegt hat. Der seine Hände anscheinend nicht unter Kontrolle hatte, die Mädels betatschte und vor nichts Halt machte. Wer wüsste dies besser als Detective Morgan. Doch sie schweigt, solange, bis ihr britischer Kollege ihr langsam auf die Schliche kommt und nicht weiß, wie er mit seinem Wissen umgehen soll.

Clare Mackintosh hat 12 Jahre bei der britischen Polizei gearbeitet. Vor sieben Jahren begann ihre Karriere als Krimiautorin gleich mit einem fulminanten Debut unter dem Titel: „Meine Seele so kalt“, ein Psychokrimi, den ich, als ich ihn damals hier vorstellte, einen wahren Schlafkiller nannte. Das gilt auch in diesem Fall wieder.