Sommerkrimis 2023 für Redaktion „Bücher“
Es ist – wie stets zum sommerlichen Wetter – für Jeden und Jede etwas dabei. Wo auch immer die Reise hingeht, die Krimi-Autoren waren schon da. Ob auf Kreta oder Usedom, ob in Portugal, Spanien, Frankreich oder Italien – wer dorthin reist, sollte im Gepäck neben einem Reiseführer auch einen Regionalkrimi haben. Oft sind sie nichts weiter als mit Spannung angereicherte Führer durch eine zauberhafte Urlaubsgegend. Was ja nicht schadet. Doch mit etwas Glück erwischt man ein Schätzchen, das weit mehr ist, als nur ein unter dem Deckmantel eines Krimis sich verbergender Stadtplan, anhand dessen die einzelnen Etappen der Ferienziele nachspaziert werden können. Ingrid Müller-Münch hat genau solche, oftmals unterschätzte Kostbarkeiten, für unsere kleine Sommerreihe über Regionalkrimis aus Europas Urlaubsregionen herausgepickt. Regionalkrimis at it’s best sozusagen.
Gil Ribeiro alias Holger Kasten Schmidt: „Dunkle Verbindungen – Lost in Fuseta – ein Portugal-Krimi“, KIWI 5.4.2022, 17 Euro, 6. Fall um einen ungewöhnlichen Kommissar.
Portugal-Reisende werden in dem fiktiven Algarve-Städtchen Fuseta vergeblich Ausschau halten nach dem steif in einen schwarzen Anzug gekleideten Kommissar Leander Lost. Holger-Karsten Schmidt, der unter dem Pseudonym Gil Ribeiro schreibende Hamburger Drehbuchautor, ist in der sechsten Folge um seinen skurrilen Kommissar mal wieder tief ins kriminelle Milieu des beliebten Urlaubslandes eingetaucht. Und wer dort an der Algarve seinen Urlaub verbringt, der wird – trotz Hitze und Schweiß – schaudern und hoffen, dass die düsteren Gestalten sich nicht in der Nähe seiner Strandliege herumtreiben.
Text Lost in Fuseta:
Zu tun hat er genug, er ist auch diesmal, in „Dunkle Verbindungen“, überaus gefragt. Seine Kollegen haben sich längst an den verhaltensauffälligen deutschen Kommissar mit dem fast lückenlosen Gedächtnis gewöhnt. Zumal er – welch ein Segen für die Polizei – genau einschätzen kann, ob eine Person lügt oder nicht.
Ziemlich zeitnah miteinander verwoben werden in dem Algarve-Städtchen Fuseta eine Leiche im Teich eines Golfclubs gefunden und ein Werttransporter auf überaus professionelle und trickreiche Weise ausgeraubt. Insiderwissen scheint im Spiel zu sein. Es fallen Schüsse, ein Kommissar wird schwer verletzt.
Die Tat ähnelt einem Überfall vor zehn Jahren, als der Bruder der hiesigen Staatsanwältin erschossen, ihr Vater schwer verletzt wurde. Damals kamen die Täter ungeschoren davon. Doch diesmal schwört Graciana Rosado Rache. Dabei verliert sie keineswegs aus den Augen, dass hinter all dem offenbar ein viel größeres Begehren steckt, als nur die Erbeutung von Schmuck und Wertsachen. Nur, was wollen die Gangster, was ist ihr Ziel?
Der Plot geht weit über das übliche Geplauder eines Regionalkrimis hinaus. Er ist handfest, mit einem beeindruckenden Kommissar, einer wunderschönen, aber durch dunkle Machenschaften beschädigten Landschaft. Diese sechste Folge um Leander Lost gehört unbedingt ins Reisegepäck.
2.
Frauke Scheunemann: „Mord am Haff“ – Ein Usedom-Krimi, der zweite Fall für die Radioreporterin Franziska Mai. Fischerverlag, 16 Euro.
Teaser:
Eine Einbrecherbande mischt die Ostseeinsel Usedom auf, führt die hiesige Polizei gehörig an der Nase herum. Autorin Frauke Scheunemann, selbst einst Radioreporterin auf der Insel, lässt ihre Protagonistin in gleicher Rolle ermitteln. Rauer Gegenwind garantiert.
Wer auf der Ostseeinsel Usedom seine Ferien verbringt, ist nicht auf Rummel aus. Hiesige Urlauber suchen vielmehr Beschaulichkeit, Meeresrauschen. Über das, was hier sonst noch so geschieht, informiert sie das Bäderland-Radio. Jedenfalls in dem neuesten Krimi der Hamburger Juristin Frauke Scheunemann – „Mord im Haff“. Dort arbeitet die Journalistin Franziska Mai. Und hat plötzlich einen ganz dicken Fisch an der Angel.
Die üppig und kostbar ausgestatteten Ferienhäuser am Haff werden seit kurzem von einer Diebesbande heimgesucht. Ihr Ziel: wertvolle Kunstobjekte. Ein Galerist stattet die Häuser mit Gemälden und Skulpturen eines renommierten Künstlers aus. Und genau auf dessen Werke scheinen es die Räuber abgesehen zu haben. Die Polizei tappt im Dunkeln, die Einbrecher gehen professionell vor. Bald schon kommt es zum Äußersten: Eine ältere Frau wird erschlagen, während sie auf die Kinder eines Urlauberehepaares aufpasst.
Die Sache eskaliert, die ersten beunruhigten Feriengäste reisen ab. Und so sehr Kommissar Kay Lorenz sich zunächst sträubt, mit Reporterin Franziska Mai zusammen zu arbeiten – zu guter Letzt bleibt ihm nichts anderes übrig.
Usedom mal nicht nur beschaulich, sondern blutig, korrupt und hinterhältig. Geeignet zum wohligen Kuscheln am Kamin des Ferienhauses, in dem hoffentlich keine wertvollen Kunstgegenstände herumstehen. Sonst sollte man aufpassen, und zwar höllisch.
3.
Andrea Bonetto (Pseudonym) : „Abschied auf Italienisch“, – ein Ligurien-Krimi, Droemer 4/2022, 16,99 Euro. Commissario Vito Grassis Premiere.
Der von Rom nach Ligurien versetzte Kommissar Vito Grassi kann sich nicht satt sehen an dem tollen Panorama seiner neuen Heimat. Aber mit seiner Mordermittlung tut er sich schwer. Andrea Bonetto ist das Pseudonym eines deutschen Lektors, dem es gelingt, seinem Urlaubsziel literarisch nah zu kommen.
Der mit allen Wassern gewaschene, ausgefuchste Commissario Vito Grassi hat die Schnauze voll von Rom. Zu viele familiäre Konflikte, zu viel Stress. Da fällt ihm eine Entscheidung leicht, die sein Leben komplett umkrempeln wird. Sein Vater ist gestorben, hinterlässt ihm sein im malerischen Ligurien gelegenes Haus. Kurzentschlossen beantragt er seine Versetzung dorthin aufs Land, ans Meer. Nach La Spezia, wo er gleich am ersten Arbeitstag rein zufällig über eine Leiche stolpert. Und zwar während eines Spaziergangs am Meer, von dessen Anblick sich der Commissario gar nicht losreißen kann, so wild, so romantisch, so umwerfend schön ist es hier.
Doch der Autor belässt es nicht bei seiner durchaus nachvollziehbaren Begeisterung für die Landschaft. Sein Plot, seine Figuren, die Geschichte der beiden Mordopfer, die immer wieder seine Ermittlungen blockierende korrupte Regierung aus Rom, die Kolleginnen, die Vito Grassi genügend Stoff zur Selbstreflexion geben – dies alles wurde mit flotter Feder zu einer faszinierenden Lektüre gemischt.
Ein Erstling und Beginn einer vielversprechenden Reihe. Auch wenn Ligurien im Mittelpunkt steht, so ist die Geschichte weit über regionale Aspekte hinaus von Interesse. Und ließe sich selbst in einem Strandkorb auf einer Nordseeinsel mit Genuss inhalieren.
E N D E