Lucie Flebbe + Ashley Elston auf Scala am 26.03.2024

Folgende zwei Krimis habe ich vorgestellt:

Lucie Flebbe: „Bad Business – Deal mit dem Tod“, grafit-Verlag, erscheint am 29.2.2024, 15 Euro, TB 422 Seiten + Ashley Elston: „Wer zuerst lügt“, Thriller, Knaur, Erscheinungsdatum 1.3.2024, Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Anke Kreutzer, 16,99 Euro, 400 Seiten

 

Heute treten zwei unterschiedliche Autorinnen gegeneinander an: Eine aus dem Ruhrpott, die andere aus den Südstaaten der USA. Sie verbindet rein gar nichts: Außer einer ausgeklügelten Spannung. Und das reicht.

 

 Der Ruhrpott ist Thema der Autorin Lucie Flebbe. Vor allem aber Bochum, mit seinem VFL und seinen Arbeiterkneipen. Genau hier begann sie 2008 ihre Karriere als kriminalistische Ruhrgebiets-Expertin und bekam dafür direkt den Glauser-Preis.  Auch diesmal ist sie wieder mittenmang, nur das Ambiente hat gewechselt.

 Manchmal, da deutet sie ihre Spannung stakkatohaft an. Dann wieder wirbelt sie herum, wie Milonga-Tänzer bei einem Tangoauftritt. Immer aber bespielt sie das gegnerische Tor, so wie der VFL, der selten nur den Ball flach halten muss. Mit dergleichen Verve grätscht Lucie Flebbe in ihrem neuesten Krimi namens „Bad Business“, der – wie könnte es bei dieser Autorin anders sein – in Bochum spielt. Das Thema hört sich diesmal auf den ersten Blick eher dröge an. Es geht um Privatisierungen im Krankenhausbereich, um Korruption auf den Chefetagen der Rentenversicherung, um Beschiss und Betrug. Alles hochaktuell.

Sprecher: Ihre Aufgabe ist es, alle zwölf Kliniken potenziellen Investoren als attraktives Kaufobjekt zu präsentieren,

 wird die schon jahrzehntelang bei der Rentenversicherung angestellte Mieke Jentsch von ihrem Chef angeblafft.

Sprecher: Ein erster Investor hat bereits Interesse angemeldet. Der Klinikkonzern Medica betreibt deutschlandweit über fünfzig Krankenhäuser und möchte sein Reha-Angebot ausbauen.

: Mieke Jentsch, die ihre Unsicherheit hinter Arroganz und Designeroutfit verbirgt, hält dagegen.  Wer hätte das gedacht:

 Sprecherin: Ich halte es für realistisch, unsere Rehazentren weiterhin unter dem Dach der deutschen Rentenversicherung zu betreiben. Als öffentliche Einrichtungen. Mit dem Ziel, die Menschen wieder fit zu machen. Nicht, um Profit zu erwirtschaften, wiederholt sie die Worte, die sie mittlerweile mehrmals aufgesagt hatte, Dieses Mal überzeugt sie nicht mal sich selbst.

Mieke Jentsch steht vor einem Dilemma.  Kaum hat ihr höchster Chef ihr attestiert, dass es – dank ihrer Selbstzweifel, ihres unsicheren
Auftretens – nicht zu einem Karriereschub reicht, da kommt es zum Eklat:

 Sprecher: Am Montagmorgen wurde auf dem Parkplatz der Rentenversicherung Ruhr ein Mitarbeiter der Behörde (63J.) tot aufgefunden. Aufgrund einer Schnittverletzung ging die Polizei zuerst von einem Gewaltverbrechen aus. Die Ermittlungen ergaben allerdings keinen Hinweis auf Fremdeinwirkung. Die Art der Verletzung ähnelt einem laienhaft durchgeführten rituellen japanischen Selbstmord.

 Der Tote ist Miekes direkter Vorgesetzter. Und Mieke, die ihn gut kannte, gibt sich mit der Einschätzung der Kripo nicht zufrieden. Gut, der Kollege lebte in Scheidung, hatte offenbar nicht immer korrekt seinen Job ausgeführt, stank nach Alkohol. Aber zum Selbstmord reichte das denn doch nicht.

Was aber viel schlimmer ist, Mieke Jentsch soll nun seinen Posten übernehmen und, auf Weisung von ganz oben, die von der Rentenversicherung getragen Krankenhäuser an einen heuschreckenartig auftretenden Medizinkonzern verscherbeln. Ein Milliardengeschäft, an dem, das wird Mieke Jentsch immer klarer, sich so Einige bislang schon ein goldenes Händchen verdient haben. Illegal und im Hintergrund verdeckt agierend.

 Die Rentenversicherung Ruhr will zwölf Rehakliniken verkaufen, Und es sieht so aus, als würde der Geschäftsführer versuchen, ein ordentliches Stück vom Kuchen in seine eigene Tupperwaredose zu packen.

Mieke Jentsch soll dabei das Püppchen fürs Protokoll, die Marionette an den von oben gezogenen Fäden spielen, die die unseriösen Privatisierungswünsche aus der Chefetage umsetzt. Und dort will man auf gar keinen Fall, dass so eine neugierige, vorwitzige Person wie Mieke den Coup vermasselt. Das Resultat:

Ein toter Rentenversicherungsmanager, ein Autounfall mit Fahrerflucht, ein Einbruch von einem Junkie und die Messerattacke einer Krankenschwester. An Zufall glaubt niemand mehr.

 Autorin: Je mehr Mieke bedrängt wird, je häufiger sie brenzlichen Situation nur knapp lebend entkommt, desto klarer wird ihr: Der Tod ihres Kollegen war kein Selbstmord. Während ihr eigenes Leben immer deutlicher nur noch an einem seidenen Faden hängt.

Lucie Flebbe gelingt es, aus einem eher trockenen, aber politisch hochaktuellen Thema, einen unterhaltsamen Krimi zu entwerfen, der mit allem punktet, was nur denkbar ist: Lebensgefahr, Mord, zwielichtige Charaktere an brisanten Schlüsselpositionen, träge Polizisten die von Mieke zum Ermitteln getragen werden müssen. Und ganz zuletzt, als eigentlich alles durch ist, alles gesagt und ausgeblutet wurde, da findet Lucie Flebbe noch einen unerwarteten Dreh. Grandios und mutig.

Zwischentöne

 Autorin: Die Protagonistin im ersten Krimi der US-Amerikanerin Ashley Elston: „Wer zuerst lügt“ lebt scheinbar glücklich mit einem attraktiven Mann in einem Haus mit großem Garten, einem gepflasterten Weg zur Haustüre und einer Veranda. Alles soweit perfekt. Wenn nur Evie Porter tatsächlich die wäre, als die sie zu sein vorgibt. Tatsächlich erfüllt sie gerade nur einen ihrer zahlreichen Aufträge, die ihr der geheimnisvolle Mr. Smith zukommen lässt. Verklausuliert. Eine wichtige Voraussetzung für ihren Job ist: lügen, lügen, lügen. Das beherrscht sie aus dem Effeff. Das ist ihre Chance auf ein besseres Leben, raus aus dem schäbigen Wohnwagenpark, in dem sie ihre Kindheit verbrachte. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre Evie Porter dies gelungen.

Sprecherin: Eine alte Volksweisheit lautet: Wer zuerst lügt, gewinnt. Der Spruch bezieht sich nicht auf die kleinen Notlügen, die uns leicht über die Zunge gehen, sondern auf die eine, große. Die Lüge, die für alles, was danach kommt, unweigerlich die Richtung vorgibt. Ist sie erst einmal in der Welt, halten sie die meisten Menschen für wahr. Die erste Lüge muss folglich die überzeugendste sein. Es ist die, auf die es ankommt.

 Spezialisiert ist Evie Porter auf das Aufspüren versteckter Konten, Kunstwerke, Schmuck und Schwarzgelder. Sie ist eine Trickbetrügerin, bislang noch nicht aufgeflogen. Doch dieser Job ist ihre letzte Chance. Den Auftrag davor hat sie leider in den Sand gesetzt. Mr. Smith war nicht amused, drohte ihr. Sie weiß, dass Smith nicht lange fackeln wird. Und so versucht sie ihr Bestes an der Seite des attraktiven Ryan, in diesem schicken Südstaatenhaus, mit einem Freundeskreis, der gut situiert aber kreuzlangweilig daherkommt.

Es könnte alles gut gehen, sie könnte Ryans Geschäftsgebaren ausspionieren und dafür sorgen, dass er pleitegeht – so jedenfalls lautet ihr Auftrag. Doch dann läuft alles schief. Als erstes stellt sich ihr bei einem Cocktailempfang eine junge Frau vor, die ihr nicht nur äußerlich gleicht, sondern die auch noch Lucca Marino heißt. Was gar nicht geht. Denn Lucca Marino, das ist Evie Porters richtiger Name. Einen Tag später stirbt die Frau, die ihren Namen trug. Und Evie Porter weiß, dass es auch ihr an den Kragen gehen wird. Sie muss also höllisch aufpassen. Obwohl sie keine Ahnung hat warum eigentlich. Was hat der geheimnisvolle Mr. Smith mit ihr vor?  Hat sie etwas falsch gemacht? Hat er fragwürdige Fotos von ihr in der Hand? Es ist ihr zwar verboten, doch in der Not ruft sie ihn an.

Mr. Smith wartet einen Moment, dann sagt er: „Diese Nummer ist tot, sobald der Anruf beendet ist. Sie wissen ja, wie das läuft. Wenn Sie sich nicht zur vereinbarten Zeit mit meinem Mitarbeiter in der Hotellobby treffen, sehe ich mich gezwungen, der Polizei von Altlanta alles zu geben, was ich habe. Diese Bilder sind nur ein Vorgeschmack. Sie können zwar immer noch weglaufen, aber ein Gespenst sind sie nicht mehr“. Bevor er das Gespräch beendet, fügt er noch hinzu: „Und die Cops werden nicht die Einzigen sein, die sie jagen.“ Dann ist die Leitung tot. Ich versuche nicht zurückzurufen, denn er macht keine leeren Drohungen.

Autorin: Sie wird kämpfen, mit allem, was sie in den vergangenen Jahren unser Mr. Smith‘ Obhut gelernt hat. Sie windet sich, späht aus, trickst herum und erfindet eine neue Identität nach der anderen. Immer im Schatten der Drohung, sie zu vernichten.

Ashley Elston hat mit Evie Porter alias Lucca Marino, alias Wendy Wallace, alias, alias, alias eine Figur geschaffen, so anpassungsfähig wie ein Chamäleon, so geschmeidig wie eine Schlange, so hinterhältig und verschlagen wie ein Gangsterboss. Dabei liebenswürdig genug, damit Leser und Leserinnen ihrem Charme, ihrer lügendurchtränkten Aufrichtigkeit und ihrem trotz alledem durchaus guten Herzen mit angehaltenem Atem folgen.

In dem Krimi-Debut der in Louisiana lebenden einstigen Hochzeitsfotografin Elston wird geschmeidig die Welt auf den Kopf gestellt. Geradezu perfekt getrickst und gepokert. Geschickt, amusant, unterhaltsam. Ein Debut, dass geradezu nach einer Fortsetzung ruft.