Dov Alfon: Unit 8200 bei Rowohlt-Polaris = ein Knaller /vorgestellt bei Scala / WDR5

Krimis-Service 26.3.2019.

Dov Alfon: „Unit 8200“, Achtzweihundert, Rowohlt-Polaris, Übersetzung zunächst vom Hebräischen ins Englische, von dort ins Deutsche durch Gottfried Röckelein, März 2019, 478 Seiten, 16 Euro

Teaser: Spionage als Wettlauf mit der Zeit, in einem korrupten Umfeld, in dem man der Politik schon gar nicht, seinen Chefs und Kollegen kaum mehr trauen kann. Ein in den Bann ziehender Insiderblick in die Elitetruppe Unit 8200 des israelischen Geheimdienstes, der als der Beste der Welt gilt.

 

Autorin: 10:40 Uhr am Montag, dem 16. April. Ort des Geschehens: der Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle kurz nach der Ankunft des El-Al-Fluges 319 aus Israel. Unter den Wartenden befindet sich eine atemberaubende Blondine in einer roten Hoteluniform. Sie hält, wie viele der Umstehenden, ein Schild in die Höhe. Niemand beachtet sie. Außer ein junger Israeli namens Yaniv Meidan, der direkt auf sie zugeht. Danach wurde er nicht mehr gesehen.

 Sprecher: Neun Personen wurden Zeugen der Entführung von Yaniv Meidan auf dem Flughafen Paris Charles-de-Gaulle, dazu jene Hunderttausende, die sich die Aufnahmen der Überwachungskameras ansahen, nachdem sie online gestellt worden waren. Im Erstbericht der französischen Polizei wurde er als „ungefähr zwanzig Jahre alter israelischer Passagier“ beschrieben, obwohl er eine Woche zuvor seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag begangen hatte. Seine Arbeitskollegen beschrieben ihn als „Schlawiner“, manche nannten ihn einen „Kindskopf“. Alle charakterisierten ihn übereinstimmend als „lebenslustig“. Er ging sichtbar fröhlicher Stimmung von Bord des El-Al-Fluges 319.

 Autorin: Seine Kollegen, die mit Meidan wegen eines Kongresses nach Paris gekommen sind, melden ihn als vermisst. Sofort klingeln beim israelischen Geheimdienst ebenso wie bei der französischen Polizei sämtliche Alarmglocken. Ein Israeli, in einen Hinterhalt gelockt? Wer ist dieser Yanif Meidan? Ist er Terrorist, Spion, Drogendealer?

Sprecher: Die Lage im Terminal 2 des Flughafens Charles-de-Gaulle geriet immer mehr außer Kontrolle und Kriminalrat Jules Léger von der Police Judiciaire wünschte sich das Ende des Tages herbei. Erstens war da die schlichte und unbestreitbare Tatsache, dass von einem der sichersten Orte Frankreichs ein Passagier verschwunden war, und das keine halbe Stunde nach der Landung. Zweitens war – und dabei handelte es sich um eine blanke Ungerechtigkeit – der Tatort aus reinem Zufall in seinen Zuständigkeitsbereich geraten. Drittens, und ganz oben auf der Liste der Gründe für seine Malaise, waren plötzlich zwei israelische Zivilpolizisten am Tatort aufgetaucht, die nun vor ihm standen und verlangten, an der Einvernahme der Zeugen teilnehmen zu dürfen.

 Autorin: Als würde das noch nicht reichen, des Kommissar Légers Kopfschmerzen ins Unerträgliche zu steigern, befindet sich – angeblich rein zufällig – justamente der neue Leiter der israelischen Eliteeinheit Unit 8200, Oberst Abadi, ebenfalls am Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle.

Sprecher: Er ist hochgewachsen, trug enge schwarze Jeans und ein weißes Anzugshemd, das nach Légers Schätzung mehr als das Monatsgehalt eines französischen Kriminalrats gekostet hatte. Blaue Augen stachen unter einem schwarzen Haarschopf hervor, in dem sich vereinzelt weiße Strähnen zeigten, konterkariert durch eine waagerechte Narbe am Kinn, die verhinderte, dass sein Gesicht insgesamt zu weich und zu unmännlich wirkte.

 Autorin: Ein Beau also, dieser israelische Hauptmann. Eine so makellose Figur, zunächst so überzeichnet, dass sie die Gefahr birgt, diesen Agententhriller in einem abgenutzten Klischee verschwinden zu lassen. Denn sind in der Fiktion Spione nicht stets bildschön, taff, unerschrocken? So wie auch Abadis Untergebene, Oriana Talmor, die – selbst von makelloser Gestalt – von Tel Aviv aus das sich rasant entwickelnde Geschehen mit lenkt.

Sprecher: In Wirklichkeit sind Spione oftmals einfältiger Natur und von biederer Erscheinung, wie sich damals, Anfang der 90er Jahre zeigte, als vor westdeutschen Gerichten die Agenten des Kalten Krieges zwischen Ost- und Westdeutschland als Angeklagte oder Zeugen auftraten. Da entpuppten sich die strammen Kerle, mit denen man gerechnet hatte, als brave Bürger, deren ausgeleierte Socken sich um die Schuhe kringelten. Und die ihren kargen Agentenlohn durch Kochparties für Damen aufbesserten, an die sie die zur Aufbewahrung von Essensresten so beliebte Tupperware verscherbelten.

Autorin: Von derlei Mief bleibt dieser Agentenkrimi verschont. Seine beiden Protagonisten sind Gott-sei-Dank gewieft und ausgebufft. Denn sonst würden sie untergehen, in dem Chaos dieser Spitzentruppe Unit 8200, in der Dov Alfon, der Autor, einst selbst als Geheimdienstoffizier diente. Hauptmann Abadi und Lieutnant Orianna Talmor werden durch ihn zu einer Art Bonnie und Clyde in staatlicher Mission. Hin und her pendelnd zwischen einer aufgebrachten aber ratlosen Pariser Polizei und einer Unit in Tel-Aviv, die sich zwar für ein Spitzengremium hält, in Wirklichkeit aber im hausgemachten Chaos versinkt.

Ausgerüstet für jegliche Eventualität, hochtechnisiert und mit allen Schikanen ausstaffiert, steht das weltbeste Equipment menschlichem Versagen, Karrieresucht und Duckmäusertum gegenüber. Eine Unit, die eigentlich geschaffen wurde, um das israelische Volk vor Angriffen von außen zu schützen. Man mag es kaum glauben! Statt Staatsschutz dominiert hier Speichelleckerei. Äußerungen der obersten Generalität können stets auf zwei Arten interpretiert werden. Eine ist die offizielle, tatsächlich ausgesprochene. Eine die andere, die unterschwellige, deren Code man kennen muss, um sie zu verstehen. Lieutenant Oriana kennt diese Codes.

 Sprecher: Auf den ersten Blick handelte es sich um eine inhaltsleere, nichtssagende Feststellung. Doch in der Art und Weise, wie sie vorgetragen wurde, stach sie aus der Geheimdienstlandschaft heraus wie eine Schlange, die in dem Kibbuz übers Herbstlaub glitt, in dem Oriana als Kinder immer vor dem Abendessen draußen gespielt hatte.

.Autorin: Je weiter das gefährliche Spiel zwischen Israel und Paris ausgetragen wird, je verbissener das Schicksal des israelischen Flugzeugpassagiers Yaniv Meidan für die eigenen Zwecke instrumentalisiert wird, desto deutlicher zeigt sich, dass hier nicht jemand in Wildwest-Manier ein Schießgestöber fantasiert hat. Sondern hier entwickelt ein Autor einen Plot vor einem überaus bedrohlichen, durchaus realistischen Hintergrund.

Wenn der Wirklichkeit entspricht was sich dank des Insiderblicks in die „Unit 8200“ als gnadenloses Politgeschäft herausstellt, dann gnade Gott Israel, dann gnade Gott der Welt.

Dov Alfons Agententhriller ist eine aktualisierte Version der klassischen Spionagekrimis eines Eric Ambler, ja sogar eines John le Carré. Hinter vorgetäuschter Leichtigkeit immer bedrohlicher werdend, voller Fallstricke und politischer Ungeheuerlichkeiten.

In Israel ist „Unit 8200“ ein Megaerfolg. Das deutsche Publikum wird gleichermaßen fassungslos und begeistert sein.

E N D E