WDR5, Neugier genügt, 25.05.2009 Feature 18 Minuten Die unerträgliche Ungewissheit

Wenn Kinder dauerhaft verschwinden

Etwa 100.000 Vermisstenanzeigen, die sich auf Kinder und Jugendliche beziehen, gehen jährlich bei der Polizei ein. Die meisten sind schnell wieder da – das sind klassische Ausreißer, die sich nach Stunden oder Tagen wieder bei ihren Eltern melden. Doch rund 1.600 Kinder und junge Erwachsene bleiben dauerhaft vermisst. Zum Internationalen Tag des vermissten Kindes sollen Eltern zu Wort kommen, die – seit vielen Monaten oder Jahren – nicht wissen, wo sich ihr Sohne oder ihre Tochter aufhält. Der Schmerz dieser Eltern hat viel mit Ungewissheit zu tun. Mit der bohrenden Frage, wie es ihrem Kind gehen mag, ob es noch lebt. Der individuelle Schmeerz dieser Eltern läss ich nicht relativieren, der Hintergrund jedes einzelnen Falles bleibt möglicherweise immer im Dunkeln. Auch die Mitarbeiter der Initiative Vermisste Kinder können nicht die jeweiligen Entstehungsgeschichten der Fälle, die an die herantragen werden, recherchieren.  Ingrid Müller-Münch sprach mit zwei Eltern und dem Sprecher einer Initiative, die Eltern bei der Suche nach ihren Kindern unterstützt.

Atmo Klang, unterlegt unter 1. O-Ton und am Schluss hochgezogen

 

 

O-Ton Mandy’ s Mutter :

1/28:58 Also Mandy. Ich bitte dich. Wenn du dies jetzt hörst. Kind melde dich. Du brauchst doch keine Angst zu haben. Und ich bitte auch die Familien. Wer weiß, wo Mandy is oder Mandy sich bei aufhält, meldet euch. Wir wollen nur wissen, dass sie noch lebt.

 

Atmo Klang hochgezogen

Sprecherin:

Am 14. September 2008, heute vor über acht Monaten, begann für die Eltern der damals 18jährigen Mandy  eine neue Zeitrechnung:

 

O-Ton Mandy’s Mutter:

2/7:25 Bis zum 14. September, Sonnabend, war für uns ja die Welt noch in Ordnung.  1/3:14 Wir waren eine sehr glückliche Familie. Und meine Tochter war immer pünktlich, zuverlässig, und sie hat sehr viel mit ihrem kleinen Bruder unternommen.  Hat dann auch ne Ausbildung angefangen als Bürokauffrau. Da war sie auch begeistert von. Das war ihr Traumjob. Und letztes Jahr im Sommer, so Juni Juli, hatte sie jemanden kennen gelernt aus Celle.  Und die ham sich wohl sehr gut verstanden. Und eines Tages sind sich die beiden wohl auch näher gekommen.  Und  auf nem Samstagmorgen wollten die beide nach Celle. Sind sie auch gefahren.  Und ich habe auch den Tag mehrfach mit meiner Tochter telefoniert. Sie war glücklich und wie immer. Habe dann auch noch abends  halb neun mit ihr telefoniert. Und dann sag ich, Maus tschüss, bis morgen zu Mittag. Sie wollten Vormittag wieder nach Hause kommen. Sagte sie ja Mama, tschüss bis morgen. So.

 

Sprecherin:

Seitdem haben Mandy’s Eltern nichts mehr von ihrer Tochter gehört. Als Mandys Freund ihnen am Sonntagvormittag mitteilte, Mandy sei des Nachts ohne sein Wissen einfach aus dem Bett verschwunden, reagieren sie fassungslos: 

 

O-Ton Mandy’s Mutter:

1:6:50 Und da hab ich gesagt das gibt es nicht. Das glaub ich nicht. Da stimmt was nicht. Da ham wir uns sofort ins Auto gesetzt, sind nach Celle gefahren, haben die Familie auch aufgesucht, haben auch mit dem Jungen gesprochen, und er meinte, er hätte nichts bemerkt. Gut, den Tag war ich ein bisschen durcheinander. Habe gespürt, da stimmt irgendwas nicht.

 

Sprecherin:

Hilfesuchend wenden sich Mandys Eltern zunächst an die Polizei, geben eine Vermißtenanzeige auf, werden enttäuscht. Ihre Tochter sei volljährig, da dürfe sie tun und lassen was sie wolle, wird ihnen beschieden. a) Doch Mandys Eltern haben das sichere gefühl, dass irgendetwas geschehen sein muss.  Tage, Wochen und Monate verstreichen, ohne ein Lebenszeichen von ihrer Tochter. In ihrer immer größer werdenden Verzweiflung suchen die Eltern nach Hilfe.

 

O-Ton Mandys Vater:

1:13:22 Im Internet sind wir auf die Initiative vermisste Kinder gestoßen. Haben uns da sofort mit in Verbindung gesetzt.  

 

Sprecherin:

Jurist Lars Bruhns ist ehrenamtlicher Vorsitzender dieser international vernetzten Selbsthilfegruppe:

 

 

O-Ton Lars Bruhns:

1:29 Die Initiative vermisste Kinder wurde im Jahr 1997 gegründet  1/8:12samt in den vergangenen zwölf Jahren konnten 58 Kinder durch unsere Mithilfe wiedergefunden werden, die sind natürlich ganz unterschiedlich gelagert. Es gibt spektakuläre und weniger spektakuläre Fälle.   

 

Sprecher:

Die Mitglieder der Selbsthilfegruppe placieren Anzeigen, verteilen Flyer, holen sich die Unterstützung der größten Aussenwerberfirma dieser Republik. 

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/5:08 Stellen über 300.000 Werbeflächen in der Bundesrepublik zur Verfügung. Und wir können punktuell auf diese Medien zurückgreifen. Dass wir auf grossen Flächen, auf klassischen Bahnhofsplakaten, das sind etwa 9qm- solche Vermisstenmeldungen aufbringen können. Wenn man auf grossen Ausfallsstrassen ganz gezielt mit der Polizei besprechen kann, hier macht es Sinn, hier plakatieren wir, dass man hier auch die Menschen gezielt erreichen kann. Und wir haben auch Erfolge auf diese Weise gehabt. Wir hatten einen Vermisstenfall im vergangenen Jahr – ein 13 j. Mädchen- aus Lübeck war verschwunden.  Offensichtlich spurlos. Es gab keine Hinweise, dass sie eigentlich von zu Hause weg wollte. Dann hat eine handy-Ortung durch die Polizei eine erste Spur im Raum Düsseldorf gegeben. Zum dortigen Bahnhof. Dort konnte das handy zum letzten Mal geortet werden. Und dann haben wir  drum gebeten, im Bereich Düsseldorf Plakate aufbringen zu lassen. Und das zeigte, nach zwei Wochen etwa, den ersten Erfolg, dass sich eine Dame bei uns gemeldet hat und gesagt hat, sie ist der Meinung, sie hat dieses Mädchen gesehen. Wir sind der Sache nachgegangen gemeinsam mit der Polizei und haben dann auch die Plakatierung entsprechend in diesen Bereich verlegt. Und da kam dann nach etwa fünf Wochen der entscheidende Hinweis, dass eine Nachbarin einen jungen Mann und dieses vermisste Mädchen gemeinsam gesehen hatte. Die machten wohl den Anschein eines jungen glücklichen Pärchens, was dort in dieser Ortschaft lebte. Und die Polizei hat darauf hin sehr rasch zugegriffen, weil es sich bei dem jungen Mann um einen vorbestraften Sexualstraftäter gehandelt hat.

 

 

Sprecherin:

Auch nach Mandy Müller wurde entsprechend aufwendig gesucht:

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/14:04 Bei Mandy Müller wars der Fall, dass sich die Eltern relativ frisch an uns gewandt hatten. Gemeinsam mit ihrem Sohn hatten sie bei uns angerufen und gesagt, ihre Tochter wär verschwunden und das unter etwas unklaren Umständen. Wir haben dann einfach entschieden, gemeinsam mit den Eltern, dass wir eine öffentliche Suche, zumindest in dem Bereich, wo sie sein könnte, starten werden. Haben da auch über diese digitalen Medien die Suchmeldung von Mandy Müller ausgestrahlt.  Wir hatten einen Hinweis von einem Bahnmitarbeiter, der sich relativ sicher war, Mandy Müller an einem Freitagabend in der S-Bahn dort gesehen zu haben. Weil er als Kontrolleur da unterwegs war. Und er hat das Bild am darauf folgenden Abend im Frankfurter Hauptbahnhof auf seinem digitalen Medium gesehen und uns sofort angerufen. Wir haben das natürlich an die Polizei weitergegeben und an die Eltern. War natürlich entsprechend schwer nach einem Tag zu rekonstruieren, wo ist das Mädchen hingefahren? War es tatsächlich Mandy Müller? Und so bleibt dieser Fall tatsächlich seit geraumer Zeit ja doch mittlerweile ungeklärt.

 

Atmo  Klänge

 

Sprecherin:

Vermisste Kinder und Jugendliche. Verzweifelte Eltern.  Lars Bruhns und seine ehrenamtlichen Helfer werden tagtäglich damit konfrontiert.

 

O.Ton Lars Bruhns:

1/47:00 Es ist natürlich so, dass wir auch teilweise nachts Anrufe bekommen. Von Eltern, War grad im Frühjahr ein Fall. Wir machen es da so, wir wechseln uns oftmals ab, dass unsere Nummer. dann umgeleitet wird. Aufs Mobiltelefon des einen oder des anderen, die Nacht lang sein Ohr offen halten kann.  Und da war  es auch so, dass uns eine Mutter angerufen hat, in dem Fall mich, und wo die Tochter nicht nach Hause gekommen ist. Und wo dann lange gesprochen wurde. Ich glaube um eins hat sie das erste mal angerufen. Bis um drei waren wir in telefonischem Kontakt. Und haben diese Suchmassnahmen eingeleitet. Und am nächsten Morgen hatte sich das relativ schnell aufgeklärt. Das Mädchen war nicht mitgenommen worden vom Busfahrer, weil sie keine Fahrkarte hatte und dort am Abend kein weiterer Busverkehr fuhr. Und ist dann zu einer Freundin gegangen. 

 

Sprecherin:

Ein glücklicher Ausgang. Doch nicht immer endet die Suche derart erfreulich. Und nur dann, wenn Eltern rechtszeitig Hilfe suchen, kann überhaupt geholfen werden.

 

O-.Ton Lars Bruhn:

1/18:49 Je mehr Zeit vergeht, gerade auch im Hintergrund des heutigen Europas, des Schengener Abkommens, der Offenheit der Grenzen, kann man natürlich überall hin innerhalb kürzester Zeit und nach einem Tag könnten sie eine Suchmeldung über mehrere Länder verteilen und würden ein diffuses Wirrwarr an Informationen und an Hinweisen erhalten, Man könnte diesen gar nicht mehr gezielt nachgehen.

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/17:17 Es gehen pro Jahr bei der Polizei bis zu 100.000 Vermisstenanzeigen ein. Die Kinder und Jugendliche betreffen.  Der Grossteil davon ist der klassische Ausreißer-Fall. Also bis zu 98% sind Fälle, wo die Kinder nach wenigen Minuten wenigen Stunden max. 1-2 Tagen wieder zu Hause sind. Was gleichzeitig natürlich auch für uns und für viele Eltern ne gewisse Poblematik entwickelt hat. Gerade bei den Fällen, wo es sich um Kinder bzw. Jugendliche handelt, die 14, 15, 16 sind. Natürlich dann auch bei jungen Erwachsenen über 18. Das ist häufig so, dass  die Polizei sagt, so einen Fall hatten wir schon 100 mal, das ist en klassischer Ausreißsser-Fall, der Junge, das Mädchen hat den ersten Freund, die erste Freundin, die sind morgen schon wieder da. Und da sind natürlich die Fälle, wenn sich dann im Nachhinein herausstellt, das Kind ist nicht wieder da am nächsten Tag, wo einfach wertvolle Zeit vergangen is, die man nicht mehr einholen kann. Man kann im Nachhinein nach dem Verschwinden eines Kindes oder eines Menschen im Allgemeinen nie wieder das einholen, egal wieviel Suchmaßnahmen man auch in die Wege leiten möchte, was man in den ersten Stunden versäumt hat. Die ersten zwei Stunden sind eigentlich so der Rahmen, der am allerwichtigsten ist.

Atmo Klänge

 

Sprecherin:

Eltern, deren Kinder plötzlich verschwinden,  befinden sich von Anfang an in einer Art Ausnahmezustand.

 

O-Ton Marians Eltern:

1/26 Mein Name ist Petra Hidle-Iffländer. 40 Mein Name ist Klaus Iffländer. 

1/ 2:28 Sie: Unser 21jähriger Sohn Marian wird seit 20.6.2004  auf See vermisst. Er hat eine Ausbildung gemacht als Schiffsmechaniker und war bereits ein halbes Jahr auf See, als wir erfahren haben, von der Reederei, dass er vermisst wird. Ich war an diesem Tag nicht zu Hause. Und als ich wieder kam, waren mehrere Anrufe auf dem Anrufbeantworter, ich möchte mich mit der Reederei in Verbindung setzen. Es war Sonntag. Und ich hab dann bei der Reederei angerufen und die Dame sagte mir dann, sie weiß überhaupt nicht, wie sie mir das erzählen soll, mein Sohn würde vermisst werden. Und ich hab in dem Moment überhaupt nicht reagiert. Ich konnte mir überhaupt nichts drunter vorstellen, wie wird er vermisst, die müssen einfach mal gucken auf dem Schiff, wo er ist. Und dann finden die den auch. Ja, es gäbe also ne große Suchaktion, in der Ostsee war das, war zwischen Gotland und Dänemark irgendwo. Da wären also verschiedene Schiffe beteiligt, Flugzeuge, Hubschrauber, alles was in der Nähe unterwegs ist, ist aufgefordert, bei der Suche zu helfen. 

 

Atmo Töne, Klänge

 

O-Ton Frau Marians Mutter:

1/ 4:57 Am nächsten Morgen haben mein Mann und ich eine völlig abnormale Reaktion gezeigt. Wir hatten uns krank gemeldet bei uns bei der Arbeit und wir sind dann erst  mal losgefahren und haben unsere ausgeliehenen Bücher in die Bücherei gebracht. Wir waren so völlig ratlos. Es gab nichts zu tun. Mit uns hat niemand gesprochen und mit uns hat niemand Kontakt aufgenommen. Und wir sind dann zur Bücherei gefahren und haben die Bücher zurück gebracht. Und erst als wir dann wieder zurück kamen, wurde uns das eher so bewusst, was eigentlich passiert sein könnte.

 

 

Sprecherin:

Die Phasen der Verzweiflung, der Trauer, der Ungewissheit und der Spekulationen machen alle Eltern durch, deren Kinder plötzlich verschwinden. Die Reaktionen von Mandy’s und Marian’s Eltern ähneln sich.

 

O-Ton Mandys Mutter:

1/20:17 Ob Mandys Verlobter ihr was angetan hat? Das hab ich irgendwie im Kopf vom ersten Tag und ich kriegs einfach nicht raus. Es macht mich krank. Dann gibt es Tage, da denke ich, sie ist verschleppt worden. Sie wird verkauft. Jetzt, seit ein paar Tagen hab ich den Gedanken, sie sitzt unter Drogen. Und sie will sich melden und kann nicht. Es wechselt. 1/18:04 Ich habe zu Gott gebetet, dass mein Kind mit nem anderen Jungen durchgebrannt ist. Und ich hoffe auch, dass es so ist.

 

O-Ton Marians Mutter:

1/11:09 Für den Verstand ist es recht schnell klar. Also es hat etwa 3-4 Tage gedauert, dass wir gesagt haben: Ok, wenns jetzt kein Lebenszeichen gibt, dann müssen wir davon ausgehen, dass er tot ist. Aber dadurch, dass es keine Zeugen an Bord gab und keine Leiche, keine Hinweise, war es für uns so, dass wir uns vom Gefühl her selbst überzeugen mussten, dass er wirklich tot ist. Und es gab ja nichts. Wir hatten ja nichts in der Hand. Und bei mir hat es wirklich Monate lang gedauert.  Ich war auch ziemlich lange krank geschrieben und  meine Gedanken haben sich nur im Kreis gedreht . Ich hab nur überlegt, was könnte passiert sein. Gibt natürlich auch viel Phantasie. Die Phantasie ist ja teilweise schlimmer als die Tatsachen. Man glaubt dann, dass vielleicht doch Mord im Spiel sein könnte. Dass er zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen ist. Man versucht dann in die Richtung zu gehen, dass man sagt OK, es gibt ja auch Piraten-, Containerkriminalität, Flüchtlingskriminalität auf den Schiffen. Es waren alles so Dinge, die uns in Gedanken sehr beschäftigt haben. Man sucht ja dann auch einen Schuldigen, der dafür verantwortlich ist für diese Geschichte.

 

O-Ton Marians Vater:

1/18:55 Oder es kann einfach nur – wir wissen es eben nicht- einfach nur ein Unfall gewesen sein. Eine verkehrte ungeschickte Bewegung oder sonst irgendwas. Das wissen wir einfach nicht. Das macht einen fertig. Das macht mich fertig.  00:19:15-7

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/ 27:47 Es ist einfach so, wenn Kinder langzeit vermisst werden, also grad bei den Fällen wo die Eltern seit über 10 J. vielleicht immer noch auf der Suche nach ihrem Kind sind, ganz viele Höhen und Tiefen mitgemacht haben, teilweise gab es dann Neuigkeiten in dem Fall, wurden Spuren entdeckt. Also sah es so aus, als ob man noch Hinweise auf den Verbleib des Kindes erhält und da ist es ab einem gewissen Zeitpunkt doch so, dass uns viele Eltern gesagt haben, ihnen wäre es lieber, sie würden dann eine endgültige Nachricht erhalten, dass sie wüssten, ihr Kind ist nicht mehr am Leben, als ständig mit dieser Ungewissheit jeden Tag aufwachen zu müssen. Jeden Tag sich damit auseinander zu setzen. Und damit leben zu müssen, dass sie einfach nicht wissen, ob es ihrem Kind gut geht, obs ihm schlecht geht, obs gequält wird, was mit ihm passiert. Das ist einfach so, dass doch dieser Wunsch nach ner gewissen Ruhe doch irgendwie da is, ohne dass es negativ bewerten zu wollen. Das muss man auch ganz klar sehen.

 

O-Ton Marians Vater:

1/9:19 Für uns war ja denn der Punkt erreicht, dass wir keine Informationen mehr hatten, nur die, dass er eben vermisst war. Und denn war für uns die grosse Leere. Das Leben ging zwar weiter, aber was wir so machen, weiss ich nicht.  Wir haben immer auf irgend einen Anruf gelauert, weil die Ermittler auch zu uns gesagt haben, jeder der über Bord geht  wird nach 4-6 Wochen wieder irgend wo gefunden. Also das war dann diese Aussage der Bundespolizei,  dass er dann wenn er mal gefunden und identifiziert worden wäre auch durch DNA-Analyse, dass wir dann eine Nachricht bekommen haben. Aber wie wir jetzt sehen, haben wir bis heute noch gar nichts bekommen. Es wurde uns mitgeteilt, dass es wird ja bei Vermisstenunfällen oder Seeunfall diese Akte ja nicht geschlossen. Es ist dann bei der Staatsanwaltschaft bleibt diese Akte weiterhin offen. Aber das war dann so die letzte Information, die wir denn von dort bekommen haben, und mehr kam dann nicht. und der Rest war denn , dass wir beide mit der Situation klar kommen mussten. Alleine.

 

Atmo Klänge

 

 

O-Ton Lars Bruhns:

1 / 2:06 Im Prinzip ist es so, dass Vermisstenmeldung von 2 Seiten an uns ran getragen werden. Zum einen von der Polizei und zum anderen von den betroffenen Eltern selber. Die Polizei ist die Ermittlungsbehörde und sucht natürlich auch vor Ort. Dennoch  weiss die Polizei auf Grund unserer langjährigen Arbeit was wir leisten können, was wir Zusätzliches leisten können. Nicht nur bei Suchmaßnahmen, dass wir Plakate bundesweit kostenlos zur Verfügung stellen können, die Suchmeldung auf digitalen Medien in Grossstädten innerhalb weniger Stunden aufbringen können, sondern auch dass wir die Betreuung der Eltern über einen sehr langen Zeitraum weiter leisten können. Gerade in den langzeit vermissten Fällen gibt es einige Fälle. die wir tatsächlich auch seit dem Jahr 1997 betreuen und wo wir auch heute immer noch den sehr intensiven Kontakt zu den Eltern haben.  Und das ist ein Bereich den die Polizei nicht so abdecken könnte, personell nicht, von den Kosten her nicht, und da ist die Polizei natürlich auch sehr froh, dass es eine Institution wie die unsrige gibt. 

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/22:34 Die Zahl der andauernd vermissten Kinder, also der sozusagen langzeitvermissten Kinder, die tendiert seit langer Zeit so ungefähr bei 1500/1600 Kinder und Jugendlichen. Nimmt natürlich immer ab oder zu. Je nach dem, ob Fälle aufgeklärt werden, dass neue hinzukommen. Das ist so die Zahl, die man für Deutschland bundesweit festsetzen kann. Ungefähr 1600 andauernd vermisste Kinder.

1/23:11 Mandy Müller gilt als eindeutig andauernd vermisst.

 

Atmo Klänge

 

Sprecherin:

Wenn ein Kind spurlos verschwindet, dann hinterlässt es Trauer, Unsicherheit, Verzweiflung, manchmal auch Wut.

 

O-Ton Lars Bruhns:

1:30:04  Also es betrifft natürlich auch nicht nur die Eltern. Obwohl sie im ersten Augenblick natürlich immer in den Fokus treten. So muss man auch immer an die Geschwister denken, an die Grosseltern, die da auch eine Rolle spielen. Natürlich auch die Freunde. Das ist ganz klar. Und so verhält sich das auch in vielen Familien. Ganz unterschiedlich.

 

O-Ton Mandys Mutter:

1/26:50 Ja also. Unser Sohn ist 13. Der wird jetzt  wird er 14. Und er hofft und betet, schon seit Wochen, dass Mandy sich an dem Tag meldet. Und er hat es mir gestern wieder gesagt. Mama, ich glaube, dass sie sich dann meldet. Und ihm geht es ganz schlecht. Ich war mit ihm schon beim Kinderpsychologen. Aber momentan kommen wir da nicht weiter, weil er muss es irgend wie selbst verarbeiten. Er weint sehr viel. Manchmal spricht er überhaupt nicht. Und wenn er was sagt, dann weint er. 

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/32:56 Ja haben wir häufig den Fall, dass Beziehungen von Eltern daran zerbrechen. Allgemein Familien zerrüttet werden. Wir hatten auch schon dramatische Fälle, wo nach dem Verschwinden eines Kindes sich ein weiteres Kind das Leben genommen hat. Aufgrund dieser ganzen Situation, die sich dort in der Familie abgespielt hat. Da ist der Schmerz kaum mehr erfassbar, den die Eltern da durchleben müssen. Und so sinds auch ganz persönliche Tragödien, die sich da teilweise abspielen.

 

O-Ton Mandys Mutter:

1/17:20 Es gibt kein Alltag mehr. Es gab kein Weihnachten, kein Ostern. Jeder Tag besteht nur aus Warten und Hoffen. Ob Tag oder Nacht. Es macht einfach nichts. Es ist nicht mehr das wie vorher. Wir sitzen nur und warten, Mandy zu finden. Momentan gibt es bei uns nicht mehr.

 

Atmo Töne

 

O-Ton Marians Vater:

1/17:04 Wenn sie eine Leiche haben oder einen Grund haben, was passiert ist, dann können sie Abschied nehmen, sie können sagen OK, ich weiß warum, und dann hat es das Schicksal so gewollt oder wer auch immer. Also ich kann Abschied nehmen. Ich weiß ungefähr was passiert ist. Und dann geht das Leben für mich weiter. Ich bin in einem anderen Lebensabschnitt mit anderen Voraussetzungen. Aber in diese Situation, ich sags immer auch heute noch, für mich ist es das Leben auf der Rasierklinge. Weil es reicht schon, wenn vor der Tür ein Polizeiauto vorbei fährt, ganz langsam oder auch noch vor Feiertagen, dann jetzt müssen sie nicht mehr kommen. Die Normalität, das Leben meistern ist dann höchstgradig in Gefahr. Es bleibt einfach offen. Sie haben nichts, mit dem sie abschließen können.

 

O-Ton Marians Mutter:

2/0:00 Bei mir war das so, dass ich dann in dieser Trauerzeit schon versucht habe Hilfe zu bekommen. Allerdings war das total schwierig. Weil richtig hingehört haben wir ja nirgendwo. Wir waren nicht verwaist in dem Sinne. Ich hab dann zwar auch mal versucht mit verschiedenen Gruppen Kontakt aufzunehmen. Das hat aber leider nicht gut geklappt. Als ich dann so einigermaßen so weit war, dass ich gesagt hab, es muss was getan werden, man muss wirklich den Leuten behilflich sein, die in so eine Situation kommen, also nicht nur in Bezug auf vermisst, sondern auch verstorbene Kinder, hab ich für mich dann entschieden, dass ich ne Trauerbegleiterausbildung mache. Und die dauerte so etwa 1 1/2 J. Es war eine sehr gute Therapie für mich. Weil man alles, was man am Patienten macht, das macht man natürlich auch für sich selber. Das war ne sehr gut Zeit damals. Und danach hab ich auch Kontakt über die verwaisten Eltern in Berlin bekommen. Und seither arbeite ich da als ehrenamtliche Mitarbeiterin. Also ich leite Gruppen. Ich mache Einzelberatung. Wir haben sehr viel Kontakt mit verwaisten Eltern Deutschland.

 

O-Ton Marians Vater:

3/0:00  Die Kommunikation mit anderen Menschen. In der Situation mit einem vermissten Kind, wie auch immer, wie es einem geht. Ist unheimlich schwer das anderen mitzuteilen. Was da in einem vorgeht. Das ist sehr schwer. Oder wie ich mich fühle. Wie ich damit umgehe. Wir versuchen ja unser Leben zu meistern. Und auf Außenstehende kann es natürlich so wirken, die sind zur Normalität zurückgekehrt. Was wir ja nie sind. Bloß es wirkt natürlich, weil wir unser Leben versuchen so zu stemmen und zu meistern und auch wieder Lebensfreude zu haben sieht das nach außen für Unbeteiligte so aus, na ja was machen die denn da eigentlich. Die sind doch schon wieder ganz normal und wieder im richtigen Fahrwasser drin. Und das ist das große Problem.

Atmo Klänge

 

Sprecherin:

Marians Eltern hielten die Ungewissheit irgendwann nicht mehr aus.

 

O-Ton Marians Mutter:

1/10:54 Also bei mir selber war das so, dass ich sehr viel Zeit gebraucht habe, um zu realisieren, dass mein Sohn tot ist.

2/2:00  Ich denke auch der Schritt, ein vermisstes Kind für tot zu erklären, das wird nicht so einfach sein. Wenn ein Kind auch lang vermisst ist, dann werden die Eltern oft auch lange Zeit sich vor diesem Schritt scheuen. Wir haben den Marian im Jahre 2006 tot erklären lassen. Das war ein sehr schwerer Schritt. Da den Startschuss zu geben. Ja bitte jetzt machen wir das. Aber es war einfach ein vernünftiger Grund. Es kam immer noch Post für ihn. Es kamen Lohnsteuerkarten von der Gemeinde. Die Bundeswehr hat ständig angefragt. Und es war für mich sehr belastend immer wieder erklären zu müssen, dass mein Sohn vermisst ist.

1/20:30 Nachdem wir wirklich realisiert haben, dass Marion tot sein muss, haben wir gesagt, wir wollen ihn so nicht gehen lassen. Wir wollen, dass er ne schöne Trauerfeier bekommt. Das war hauptsächlich auf meine Veranlassung. Und dann haben wir alles so gemacht wie bei einer normalen Beerdigung eben auch, bis auf das, dass wir halt keinen Sarg hatten. 

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Lars Bruhns:

1/40:00 Es gibt natürlich auch Fälle, wenn Kinder verschwinden, wo ein Unglück dahinter stehen kann. Oder zum Teil auch Fälle, wo einfach das Kind verloren gegangen ist. So komisch das klingen mag, dass man sein Kind verlieren kann. Aber es passiert. Wir hatten auch einen Fall, wo auch ein junges Kind vermisst wurde, die Polizei natürlich entsprechend- gerade bei jüngeren Kindern- ist es so, dass die Polizei alles aufbringt, was dort möglich ist, um Leib und Leben des Kindes zu schützen. Und es vor Gefahren zu schützen. Und dort hat eine große Suchaktion keinerlei Hinweise ergeben um plötzlich hörte jemand das Wimmern eines Kindes unter der Haustreppe, wo sie im Prinzip so in einer hölzernen Treppe durch den untersten Schlitz gerutscht ist und sich in dieser Treppe aufgehalten hat, und alle waren natürlich im Endeffekt froh und glücklich, dass es dort aufgefunden werden konnte. Aber das sind natürlich so Schreckmomente, wo natürlich Eltern auch viele Bilder durch den Kopf gehen, was es in der Vergangenheit gab, dass sich Menschen an Kindern vergehen, dass Kinder ermordet werden, und das sind natürlich schlimme Stunden, die die Eltern dort durchleben müssen. 

 

Atmo Klänge

 

O-ton Marians Vater:

1/14:30 Jeder Mensch wünscht ja, in einer so extremen Situation, dass die geregelten Verhältnisse wieder einkehren.  1/18:04 Es bleibt einfach offen. Sie haben nichts, mit dem sie abschließen können 2/5:49 Es wird mich lebenslang verfolgen.

 

Atmo Klänge

 

O-Ton Mandys Mutter:

2/32 Also Mandy, ich bete zu Gott, dass du das auch jetzt hörst. Oder jemand, wo du dich bei aufhältst. Kind erinner dich dran. Du hast mir vor über sieben Monaten en Strauß Rosen gekauft. Den  habe ich immer noch. Und jeden Tag sitze ich davor und hoffe, dass du dich doch meldest…….

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