Zwei Welten – Protokolle aus einer Stadt im Wandel, Emons-Verlag 2009

Die Entstehungsgeschichte: Ein lauer Sommerabend. Auf den Wiesen des Kurparks chillen Schüler eines Bad Godesberger Gymnasiums bei Bier und Smalltalk. Plötzlich fahren VW-Bullies vor. Jugendliche Migranten,  mit Messern, Baseball-Schlägern und Eisenstangen bewaffnet, springen aus den Fahrzeugen, drängen sich in Pulks unter die Feiernden, provozieren, schlagen, erpressen Handy’s und Geld. Kurz nur dauert der Spuk. Zurückbleiben aufgeschreckte Abiturienten,  reichlich blaue Flecken, verängstigte Jugendliche mit  seelischen und körperlichen Blessuren.Der Überfall auf den Kurparkwiesen war in Bad Godesberg kein Einzelfall. Deshalb wollte die Leitung des Theaters Bonn wissen: Was geht hier eigentlich vor? Wer steckt hinter der Aggression? Warum findet sie statt? Was ist aus dem einst beschaulichen Bad Godesberg seit dem Wegzug der Bundesregierung vor etwa zehn Jahren geworden?

 Ich wurde damit beauftragt, in Bad Godesberg und Umgebung nach Antworten zu suchen – und machte mich auf den Weg. An die 60 Interviewpartner stellten sich im Verlauf mehrerer Monate zur Verfügung. Manche bereitwillig, andere inoffiziell, einige haben sich ausbedungen, dass nur ja ihr Name nicht erwähnt werden darf. Wieder andere waren heilfroh, dass sich endlich einmal jemand dieses schwelenden Konflikts in Bad Godesberg annahm.

Polizeibeamte sprachen mit mir, offiziell und unter der Hand. Ich erkundigte mich bei der Integrationsbeauftragten der Stadt Bonn ebenso wie bei einem mit Bad Godesberger Vorfällen befassten Jugendrichter, sprach mit einer Fußballtrainerin, mit Pfarrern, Arbeitsvermittlern der Arge, Kollegen der Lokalpresse, war bei Geschäftsleuten, einem Kinobesitzer, Anwohnern des Villenviertels, Lokalpolitikern, Rektoren von Haupt- und Realschulen, Sozialarbeitern von Jugend- und Kindereinrichtungen in sozialen Brennpunkten, bei Vertretern des Marokkanischen Kulturvereins ebenso wie des Integrationsrates der Stadt Bonn, beim städtischen Jugendintegrations- und Jugendmigrationsdienst ebenso wie dem freier Träger,  bei Jugendreferenten, dem Sprecher der Bad Godesberger Anti-Gewalt-Initiative „Go Respect“, beim Verein Stadtmarketing. Ich nahm an Veranstaltungen zur Integration von Migrantenjugendlichen teil, besuchte Diskussionen und Führungen in der König-Fahd-Akademie, aß Döner über Döner in einem Imbiss, der direkt gegenüber der Bushaltestelle an der Koblenzer Straße lag.

 Einige wenige verweigerten jeglichen Kontakt. So gewährte mir der Rektor des Aloisiuskollegs (Ako genannt) zwar ein inoffizielles Gespräch. Lehnte jedoch eine Stellungnahme ab, als ich ihn mit Aussagen seiner Schüler konfrontieren wollte und bat, seine Antworten für mein Theaterstück verwenden zu dürfen. Einer der Lehrer des Pädagogiums (Päda genannt) sprach dagegen ausführlich mit mir. Er war sich der Problematik und der Dynamik des geschilderten Problems durchaus bewusst und versucht seit langem, in einer Bürgerinitiative für ein besseres Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten zu werben. 

 Erste Kontakte mit Jugendlichen knüpfte ich dank der Mundpropaganda vieler  Erwachsener, die das Vertrauen der von mir interviewten Jugendlichen haben. Ihnen danke ich dafür, dass sie offenbar die Parole ausgaben: Mit der Frau kannst Du ruhig sprechen! Und so gelang es mir denn, mit Mussa, Andrea und Alexander, Georg, Mehmet, Jenny, Diana, Margret und vielen vielen mehr ins Gespräch zu kommen.

 Herausgekommen ist eine Collage über das Leben junger Migranten und erfolgsversprechender Gymnasiasten in und um Bad Godesberg. Meine Recherche gewährte mir einen Einblick in zwei Parallelwelten, die ich mir so krass unterschiedlich nun doch nicht  vorgestellt hätte. Jedenfalls nicht in Bad Godesberg. Parallelwelten, die es inzwischen in fast allen deutschen Großstädten gibt. Der Unterschied zu Bad Godesberg besteht nur darin, dass hier erst seit zehn Jahren – also seit dem Wegzug der Bundesregierung nach Berlin – dieser sonst übliche Alltag, diese Sozialarbeitern längst vertraute Problematik Einzug hielt.

 Das Ergebnis meiner Recherche lässt sich durch den Titel dieses Buches, aber auch des Theaterstückes, das hieraus entstand, zusammenfassen : Ich stieß, das ist unübersehbar, auf „Zwei Welten“ in einer Stadt. 

 

 

 

 

 

 

Zwei Welten

Protokolle aus einer Stadt im Wandel

Von

Ingrid Müller-Münch

Die Entstehungsgeschichte:

 

Ein lauer Sommerabend in Bonn-Bad Godesberg. Auf den Wiesen des Kurparks chillen Schüler eines Bad Godesberger Gymnasiums bei Bier und Smalltalk. Plötzlich fahren VW-Bullys vor. Jugendliche Migranten, mit Messern, Baseball-Schlägern und Eisenstangen bewaffnet, springen aus den Fahrzeugen, drängen sich in Pulks unter die Feiernden, provozieren, schlagen, rauben Handys und Geld. Kurz nur dauert der Spuk. Zurückbleiben  verängstigte Abiturienten mit  reichlich blauen Flecken.

 Der Überfall auf den Kurparkwiesen ist in Bad Godesberg kein Einzelfall. Immer wieder werden seit einiger Zeit Vorabifeten regelrecht gestürmt und aufgemischt.  Gymnasiasten trauen sich kaum noch öffentlich zu ihren Festen einzuladen. Sie haben berechtigte Angst davor, dass sich der Party-Ort herumspricht und es zu  Überfällen kommt.

 Deshalb wollte die Leitung des Theaters Bonn wissen: Was geht hier eigentlich vor? Was ist aus dem einst beschaulichen Bad Godesberg seit dem Wegzug der Bundesregierung vor etwa zehn Jahren geworden? Woher kommt diese  Aggression?

 Ich wurde damit beauftragt, in Bad Godesberg und Umgebung nach Antworten auf diese Fragen zu suchen. An die 60 Personen habe ich im Verlauf mehrerer Monate interviewt. Die meisten gaben bereitwillig Auskunft, ganz offiziell. Einige wiederum bestanden darauf,  dass nur ja ihr Name nicht erwähnt werde. Durchweg  alle waren heilfroh, dass sich endlich einmal jemand dieses schwelenden Konflikts in Bad Godesberg annimmt.

 Ich sprach mit Polizeibeamten, der Integrationsbeauftragten der Stadt Bonn, mit  einem Jugendrichter,  einer Fußballtrainerin, mit Pfarrern,  Berufsberatern, Kollegen der Lokalpresse. Ich war bei  Geschäftsleuten, einem Kinobesitzer,  Anwohnern des Villenviertels, Lokalpolitikern, Rektoren von Haupt- und Realschulen, Gymnasiallehreren, Jugendpflegern, Sozialarbeitern von Jugend- und Kindereinrichtungen in sozialen Brennpunkten, bei Vertretern des Marokkanischen Kulturvereins ebenso wie des Integrationsrates der Stadt Bonn, beim städtischen Jugendintegrations- und Jugendmigrationsdienst  sowie dem freier Träger, dem Sprecher der Bad Godesberger Anti-Gewalt-Initiative „Go Respect“, beim Verein Stadtmarketing. Ich nahm an Veranstaltungen zur Integration von Migrantenjugendlichen teil, besuchte Diskussionen und Führungen in der mit saudi-arabischer Unterstützung finanzierten König-Fahd-Akademie, aß Döner über Döner in einem Imbiss, der damals noch existierte und direkt gegenüber der Bushaltestelle an der Koblenzer Straße lag.

 Einige wenige, die ich sehr gerne interviewt hätte, verweigerten jeglichen Kontakt. Der Rektor des Aloisiuskollegs (Ako) willigte zwar in ein inoffizielles Gespräch ein, lehnte jedoch eine Stellungnahme ab, als ich ihn mit Aussagen seiner Schüler konfrontieren wollte und ihn bat, seine Antworten für mein Theaterstück verwenden zu dürfen. Einer der Lehrer des Pädagogiums (Päda) sprach dagegen ausführlich mit mir. Er versucht seit langem, in einer Bürgerinitiative für ein besseres Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten zu werben. 

 Erste Kontakte mit Jugendlichen knüpfte ich dank der Empfehlungen vieler  Erwachsener, die das Vertrauen der von mir interviewten Jugendlichen haben. So gelang es mir, mit Mussa, Andrea und Alexander, Georg, Mehmet, Jenny, Diana, Margret und vielen anderen ins Gespräch zu kommen. Ihnen allen danke ich dafür, dass sie mir einen Einblick in ihr Leben, in ihre Welt gewährt haben.

 Für die Protokolle habe ich die Namen der Protagonisten entweder geändert oder ganz weggelassen. Um die Interviews lesbarer zu machen, habe ich sie an wenigen Stellen korrigiert.  Ansonsten habe ich aus Gründen der Authentizität auf eine weitreichende Überarbeitung der Texte verzichtet. In diesem Buch sind nur Ausschnitte aus den Gesamtinterviews wiedergegeben. Viele Gespräche führte ich nur, um mich über die verschiedenen Lebenswelten erst einmal zu informieren. Ein Teil der abgedruckten Interviews bildet  die Grundlage des Dokumentations-Theaterstücks „Zwei Welten“, das am 30. Oktober 2009 Premiere in den Bad Godesberger Kammerspielen hat. 

 Meine Recherche gewährte mir einen Einblick in zwei nebeneinander existierende Welten, die kaum gemeinsame Berührungspunkte haben und die man gemeinhin in dem einst so beschaulichen Bad Godesberg nicht erwarten würde. Noch immer zieht dieser so romantisch am Rhein gelegene Bonner Stadtteil mit seinem noblen Villenviertel eine gut situierte Bevölkerungsschicht an. Deren Kinder gehen meist  auf zwei der renommiertesten deutschen Gymnasien, dem Ako und dem Päda. Demgegenüber stehen immer mehr Migrantenjugendliche, die als verkrachte Hauptschüler auch zukünftig in dieser Gesellschaft keine Chance haben werden.

 Diese beiden Welten, die sich mir bei meinen Recherchen offenbarten, sind vielen Sozialarbeitern, Polizisten und Politikern bundesweit als Problematik längst vertraut. Die Besonderheit von Bad Godesberg besteht allerdings darin, dass diese Entwicklung nicht langsam vonstatten ging, sondern vor zehn Jahren erst, mit dem Wegzug der Bundesregierung nach Berlin, begann.  Dennoch ist „Zwei Welten“ als Collage über das Leben junger Menschen in einer Parallelgesellschaft paradigmatisch für die gesellschaftliche Entwicklung in vielen deutschen Städten.