Pierre Cardin, der Herrscher über Lacoste, WDR5, Neugier genügt

La Coste ist eines der schönsten Bergdörfer der Provence mit einem ganz besonderen Schmankerl: Oben auf der Dorfspitze liegt das ehemalige Schloss des Marquis de Sade. Lange lange Jahre war dieses Schloss eine einzige Ruine. Ein Realschullehrer aus dem benachbarten Apt hatte diesen Trümmerhaufen für einen Appel und ein Ei gekauft und im wahrsten Sinne mit seiner Hände Arbeit versucht wieder auf zu bauen. Ist ihm natürlich nicht gelungen. Seine Schüler, denen er Englisch unterrichtete, kannten allerdings sämtliche englischen Begriffe für Mörtel, Hammer und was es sonst noch für Bauutensilien gab. Dieser gute Mann verstarb vor einigen Jahren. Kurz darauf habe ich ein Gespräch mit seiner Witwe geführt, einer exzentrischen Exilrussin, die gerade dabei war, Pierre Cardin und Jeanne Moreau (die damals noch mit dem Modeschöpfer zusammen lebte) das Schloß  zu verkaufen. Inzwischen hat Pierre Cardin nicht nur das Schloß erworben sondern kauft so nach und nach ein Haus nach dem anderen in diesem schönen Ort. Über 30 Häuser gehören ihm schon. Nun formiert sich Widerstand.

O-Ton Atmo Zikaden übergehend langsam in Baulärm

 Autorin: Im Haus von Genevieve Recubert kracht es im Gebälk. Und das nicht zu knapp. Seit Jahren werden in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft –  fast die gesamte Hauptstrassse von Lacoste entlang – Hausfassaden neu verputzt, Wände rausgerissen, Dächer abgedeckt und Anwohner genervt. Die sich verwinkelt durch den Ort schlängelnde Rue Basse mit ihrem grob-mittelalterlichen Straßenpflaster, mit blühendem Oleander vor schamhaft in putzige Ecken geschmiegte Haustüren ist längst nicht mehr die Idylle, deretwegen sich die Lehrerin vor 40 Jahren in dieses  Dorf verliebte. Statt des mittäglichen Balzgesangs der Zikaden begleitet Baulärm die herumschlendernden Touristen:

O-Ton Atmo Baulärm

 O-Ton Recubert 27:20

Sprecherin: Ich fühle mich in Lacoste nicht mehr wohl.  In den vergangenen zwei Sommern konnte ich nachmittags keine Siesta mehr halten. Und eines Tages waren die vier Etagen meines Hauses vier Zentimeter dick mit weißem Staub bedeckt. Ich musste einige Tage in ein Hotel flüchten! Das muss man sich mal vorstellen: Ich übernachtete an meinem eigenen Wohnort in einem Hotel.

 Autorin: Vor acht Jahren erkor der französische Modeschöpfer Pierre Cardin Lacoste zum Alterssitz für sich und seine ehrgeizigen Pläne, erwarb  das oberhalb des Ortes liegende ehemalige Schloss des Marquis de Sade und dann immer mehr Häuser. Seitdem  ist es in dem provenzalischen Dorf   vorbei mit Ruhe und Harmonie. Cardin habe – so erzählen es Lacoster – nur so mit den Geldscheinen gewedelt. Da konnte kaum ein Hausbesitzer einem Kaufangebot widerstehen. Die Eigentümerinnen  des Café de France allerdings haben sich strikt geweigert, ihr gutgehendes Restaurant mit Terrasse und Bar an Cardin zu verkaufen.  Hier sitzt Bruno Pierret bei einem café noir. Er ist Rentner, war einst Jurist bei der Banque de France, ein Mann, der sich zu wehren weiß. Und: ein entschiedener Gegner von Pierre Cardin.

 O-Ton Atmo Café de France.   

O-Ton Bruno Pierret Lacasso 29:35 Lacoste etait un beau village

Sprecher: Lacoste war einmal ein sehr schönes Dorf. Die Rue Basse, die inzwischen von einigen Immobilienhändlern als „Champs Elysées von Lacoste“ bezeichnet wird, gehört inzwischen fast komplett Monsieur Cardin.  Inzwischen wurde die Rue Basse mehr oder weniger  zur Rue Cardin! Ich finde sie wirkt jetzt ausgestorben und hässlich.  

17:00 Les chantier partout c’est Cardin (hochziehen)

Sprecher: Die Baustellen hier überall, die sind Cardins Werk. Cardin soll an die 42 Häuser in der unmittelbaren Umgebung gekauft haben. In Lacoste sind es sicher um die 20.

O-Ton Atmo Café de France

Autorin: Auch die in Lacoste seit 25 Jahren lebende Schriftstellerin Anne Denois trifft man häufig im Café de France:

 O-Ton Anne 15

Sprecherin: Ich habe mitbekommen, wie sich das alles hier durch Pierre Cardin  verändert hat. Eines Tages ist er mir auf der Straße begegnet. Da hab ich ihn gefragt, Monsieur Cardin, warum kaufen sie eigentlich all diese Häuser? Pour mon plaisir, sagte er, weil es ihm Spaß mache!  Er kauft Häuser und Hotels wie beim Monopol-Spiel. Genau so ist es. Denn die Häuser stehen leer. Er will sie nicht vermieten.  Gut – einige der Häuser, die er gekauft hat, waren vorher schon seit langem nicht mehr bewohnt. Für die Leute aber, die ihm die von ihnen bewohnten Häuser verkauft haben, war das schon sehr reizvoll. Er hat teilweise den offiziellen Marktpreis um das dreifache überboten. Deshalb haben die Leute verkauft.

Autorin: Pierre Cardins Pariser Presseattaché erklärte auf unsere Bitte um ein Interview, sein Chef äußere sich zur Zeit nicht zum Thema Lacoste und seiner Bewohner. Er scheint der Sache überdrüssig zu sein, sich zurückzuziehen. In früheren Gesprächen mit Journalisten erläuterte Cardin allerdings, welche Pläne er für den Ort hatte:

 

Sprecher : Ich habe vor, dieses Dorf in ein Saint-Tropez der Kultur zu verwandeln, ohne die Showbiz Größe. Ich möchte seinen authentischen Glanz, sein wahres Gesicht bewahren. Ich kann die Leute ja nicht zwingen, mir ihr Haus zu verkaufen. Sie verkaufen es, weil sie dazu Lust haben.

O-Ton Atmo Zikaden

 Autorin: Lacoste ist eines der schönsten „villages perchés“, wie die Dörfer heißen,  die wie angeklammert am Nordhang des Luberon liegen. Dem inzwischen 87jährigen Pariser Modeschöpfer hatte es vor allem sein Panoramablick  angetan: über das Tal des Calavon mit Weinfeldern und Kirschbaumplantagen, linker Hand  der Bergzug der Alpilles, schräg dahinter die Silhouette des Mont Ventoux, rechts die Konturen von Bonnieux.  Wie früher so mancher Feudalherr wollte Cardin seine Vorstellung von Kunst und Kultur den Lacostern regelrecht aufdrücken, sich selbst in Lacoste verwirklichen. Koste es was es wolle.

Sprecher Cardin: Ich habe hier mehr als 22 Millionen Euro investiert, ein halbes Dutzend Firmen eingespannt, Arbeitsplätze geschaffen.

Autorin: rechtfertigte er sich. Zu einer Zeit, als er zu dem Thema Lacoste noch Stellung nahm. Doch die Sache ging irgendwie schief, denn überraschenderweise  bestehen die Lacoster entschieden darauf, eine eigene Kultur zu haben. Wie die aussieht kann sicherlich am besten Dédé Devaux erklären, einer der Kirschbauern aus dem zwischen Bonnieux und Lacoste liegenden Tal.

O-Ton Dede12:03 Il est arrivé 00:12:03-4

Sprecher: Wie viele Pariser oder Leute, die aus der ganzen Welt hierher gekommen sind, ist auch Pierre Cardin sozusagen mit einem Konzept eines kulturellen Neokolonialisten hier angekommen.  So kommen die alle hier bei den Bauern an. Bei uns, die wir angeblich von nichts was verstehen. Bei den Dummen sozusagen. Doch mit der Zeit haben die meisten gemerkt, dass Kultur nicht nur aus Literatur besteht. Nicht nur Philosophie beinhaltet. Kultur bedeutet auch, die Spuren eines Fuchses oder eines Hasen erkennen, Wildschweine ausmachen zu können. Zu wissen, wann genau Bohnen gepflanzt werden müssen. Auch das nennt man Kultur.  Die Bauern wissen das alles. Die anderen nicht. All jene, die so voller Selbstbewusstsein hier ankommen, mit einem Haufen Bücher, die Victor Hugo kennen, die wissen nichts über die einfachen Dinge des Lebens.

Autorin: Außer Lebenskünstlern wie dem seit Generationen hier ansässigen Bauern Dédé Devaux haben sich in und um Lacoste seit langem schon Maler, Bildhauer, Schriftsteller aus aller Welt hier niedergelassen. Das war schon immer das Besondere an diesem Dorf in der Provence. Gabriel Sobin’s Eltern gehören zu jenen Künstlern, die in den 60er Jahren nach Lacoste kamen. Er selbst ist Bildhauer und hat sich in einem verschwiegenen Eckchen von Lacoste, mit Blick auf den Mont Ventoux, eine japanisch angehauchte Gartenenklave angelegt, eine Idylle, wie geschaffen für  seine Skulpturen und Objekte.

O-Ton  Sobin4 Alors donc je suis Gabriel Sobin,

Sprecher: Ich heiße Gabriel Sobin, bin 1971 hier in Lacoste geboren. Meine Mutter war Engländerin, mein Vater Amerikaner. Er war Schriftsteller, sie Malerin. Beide haben sich 1964 in Lacoste kennengelernt. Ich bin hier zur Schule gegangen, bin mit zwei Kulturen hier aufgewachsen. Bin sozusagen von klein an in einem Künstlermilieu aufgewachsen.

37 Je suis très attaché au pays

Sprecher: Ich hänge aus vielerlei Gründen sehr an dieser Gegend. Einer davon ist sicher die unglaubliche Schönheit dieser Landschaft.

1:46 Ca c’est quelquechose qui dure…

Sprecher: Ich habe Glück, etwas außerhalb des Dorfes zu wohnen. Daher musste ich nicht den Lärm der Umbauarbeiten ertragen. Aber auch die schrecklichen und schwierigen Konflikte bekomme ich nicht hautnah mit. Ich versuche die ganze Zeit, mich ein bisschen aus allem rauszuhalten. Denn eins steht fest: die Häuser sind verkauft. Anfangs hat man vor Cardin den roten Teppich ausgerollt. Das hat sich verändert.

O- Ton Inge (auf deutsch) 2/56 Ich heiße Inge Boesken Kanold, lebe in Lacoste seit 1982 und wir sind das ganze Jahr über hier.  2/-06 Dies ist mein Atelier. Ich arbeite mit Purpur, mit Schneckenpurpur. Und das ist Schneckenpurpur, was sie hier sehen. Schnecken, die man hier isst, les escargot de mer, man findet sie an Austernständen. Und ich kaufe sie am Freitagmorgen, dann leben sie noch, geh nach Hause, mach sie auf, auf soner Art Amboss, hole die Drüse raus und mache Purpur.  Und das sind entweder die Flecken von den offenen Schnecken auf weichem Tuch, oder das gleichmäßige ist dann das Pigment.

Autorin: Inge Boesken-Kanold ist oberhalb des Schlosses direkte Nachbarin von Pierre Cardin. Ein Teil ihres Gartens gehört zu den Steinbrüchen, in denen der Modeschöpfer in diesem Jahr wieder einmal vier Wochen lang sein Festival abhielt.

O-Ton Video France Cultur 05

Sprecher Cardin

Wir haben dieses Festival vor acht Jahren ins Leben gerufen. Haben große Opernaufführungen gehabt, große Stars hierhingeholt. In dieser Richtung wollen wir weiter machen, auch mit anderen Musikarten, mit Theater und Tanz. Zuerst einmal macht es mir Spaß, es soll aber auch anderen Spaß machen.

Autorin:  sagte er in einem Interview mit France Culture. Die Eintrittspreise variieren zwischen mindestens 40 und bis zu 140 Euro pro Person. Für manchen Ortsansässigen unerschwinglich. Im Juli, während der Aufführungen,  boomte es auch in diesem Jahr wieder in Lacoste, fand man keinen Parkplatz, nirgendwo, kamen Gäste aus aller Welt. Einige von ihnen wurden von Cardin in den aufgekauften Dorfhäusern untergebracht. Für kurze Zeit. Danach, ab Anfang August kehrte wieder Ruhe ein. Im Winter dann, so die Befürchtungen der Dorfbewohner,  wird Lacoste gespenstisch leer sein, denn die vielen Cardin-Häuser sind den Rest des Jahres unbewohnt.  Seine Galerien, die die Rue Basse zwar aufmotzen, die aber dennoch wie Fremdkörper in diesem gewachsenen Ort wirken,  stellten bislang kein einziges Werk der hier so zahlreich lebenden Künstler aus.

 O-Ton Inge  (auf deutsch) 2/ 1:27 Es sind Künstler in den 50er Jahren hergekommen, die haben ihr Werk hier geschaffen, zusammen mit den Einheimischen und es lief gut. Man konnte hier günstig leben, die Sonne schien oft, wenn nicht immer, und es war alles nicht so teuer. Sie hatten sich Ruinen besorgt, die sie aufgebaut haben, und konnten darin leben. Und natürlich hat sich alles entwickelt. Nicht nur in Lacoste. 1:56 In den 80er Jahren gab‘s noch wenig Bücher über die Provence. Das kann man jetzt nicht mehr sagen. Es war noch nicht soviel Touristen. Es war ein unbekannter Ort sozusagen. Aber letztlich ist ja doch diese Gegend durch die Künstler geprägt worden. Mit Cezanne angefangen, Van Gogh sowieso, und andere. Das hat auch Künstler aus aller Welt hergezogen. Wir hatten einmal ein atelier ouvert und es waren Künstler hier am Tisch im Garten, der eine kam aus Lappland und der andere aus Australien. Und das sagt so ein bisschen, was hier eigentlich los ist.

Autorin: Seit 30 Jahren gibt es in dem Ort eine amerikanische Kunstschule. Der gehört zwar auch ein großer Teil der Häuser, doch mit den Studenten dort kommen die Dorfbewohner gut aus. Sie haben sich in das Dorfleben integriert. Mit ihnen gibt es einen regen Austausch, man feiert zusammen, lädt sich gegenseitig ein. Mit Pierre Cardin ist das anders.  Offenbar hat er bislang kaum den Kontakt mit den Dorfbewohnern gesucht. Und was die meisten wirklich ärgerte ist, dass er kürzlich in einem Interview die Lacoster als „petits gens“ bezeichnete, als Kleingeister, die sein Kunstverständnis wegen ihres begrenzten Hintergrundes einfach nicht teilen könnten. So jedenfalls erzählen es sich die Leute. Und tatsächlich, auf die Frage, ob er sich je für ihre Arbeiten interessiert hat, die hier lebenden Künstler ernst nahm,  antwortet Inge Boesken Kanold:

O-Ton Inge (auf deutsch) 1/12:08  Nein, und das ist die ganz große Enttäuschung. Wir hatten zu Ostern eine große Ausstellung. Das haben wir mit Absicht gemacht,

2/14:24  Als er mich begrüßte, weil ich die Hauptmitarbeiterin war bei der Organisation, da sagt er, ich hab ja gar nicht gewusst, dass hier soviel Künstler sind. Er ist nun seit 2.002 hier, es ist 2009, und ist niemals in einem Atelier gewesen.

O-Ton Atmo Zikaden

 Autorin:  Olivier Mazel, Hotelier und Abgeordneter im hiesigen Gemeinderat, erinnert sich noch genau, wie Pierre Cardin nach  Lacoste kam.

O-Ton Pro1:05

Sprecher:  Als Cardin das Schloss der Familie meines Cousins abkaufte, gab es keinerlei Diskussionen. Es hieß nur immer, dieser Herr kauft das Schloss und wird tolle Konzerte organisieren.

Autorin:  Mazels Cousin Andre Brouer, der ehemalige Schlossbesitzer, war Englischlehrer in Apt, und hatte sich von Kindesbeinen an in den Haufen Schutt und Rest-Schlossmauern verliebt. Vergeblich hatte er versucht, mit seiner Hände Arbeit das Bauwerk vor dem Verfall zu retten. Seine Schüler lernten auf englisch vor allem Begriffe wie Schlosszinnen, Turmfenster oder Ritterrüstungen. Und wer sich daneben benahm, musste ihm zur Strafe des nachmittags auf der Baustelle helfen. Genevieve Recubert  war damals mit dabei:

 O-Ton Recubert 5.  Sprecherin: Ich bin mit 18 zum ersten Mal in den Schulferien nach Lacoste gekommen. Ich wollte mit helfen, das Schloss des Marquis de Sade zu restaurieren. Gemeinsam mit André Brouer, dem damaligen Besitzer. Das hat uns viel Spaß gemacht. Morgens haben wir mit Schaufel und Schubkarren den Schutt abgetragen. Abends wurde häufig gefeiert, bis spät in die Nacht hinein. Am nächsten Tag dann fiel es uns oft schwer aufzustehen. Manchmal ist eine der Schubkarren  mitsamt Inhalt umgekippt. Wir haben uns darum nicht weiter gekümmert, haben sie liegengelassen. Und an ihrer Stelle ein kleines Kreuz zum Andenken an diese Schubkarre in den Boden gesteckt und einfach weiter gearbeitet,  so als wäre nichts geschehen.  (lacht)

Autorin: Als Andre Brouer 1994 starb, bot seine Witwe das Schloss regionalen Verbänden zum Kauf an. Doch daraus wurde nichts. So fasste sie eines Tages allen Mut zusammen. Und da sie um das kulturelle Engagement Pierre Cardins als Mäzen wusste, fragte sie in einem Brief an,  ob er nicht Lust habe, die Ruine des Marquis de Sade Schlosses zu erwerben.

 

Sprecherin: „Ich wollte nicht, dass die Arbeit meines Mannes einfach verkommt“,

 Autorin: begründete sie dies kurz vor ihrem Tod. Pierre Cardin kam damals tatsächlich  angereist. In Begleitung der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau wurden die Vertragsverhandlungen auf der Terrasse der Witwe Brouer gehalten. Gerne erinnerte sich die alte Dame später an die  locker leichte Atmosphäre. Doch von Leichtigkeit ist in Lacoste seitdem nichts mehr zu spüren, nur von Wut, von Zwist und gegenseitigen Vorwürfen.

 

O-Ton Inge 1/14:44 Er ist übers Dorf hergefallen. Zunächst einmal hier oben mit dem Bau ohne Erlaubnis. Er wollte einen Parkplatz vor dem Schloss für 515 Autos haben. Und Wir hatten einen kleinen Verein gegründet, um einander zu helfen. Und wir haben mithilfe dieses Vereins das verhindern können.

O-Ton Lacasso 9:09 BP: Alors en quelques mots

Sprecher: „Verein für eine harmonische Entwicklung von Lacoste“ nannten sich die Anwohner der Chemin du Chateau. In den hinter dem Schloss liegenden Steinbrüchen, die er mit gekauft hatte, begann Cardin damals ohne Genehmigung mit großen Umbauten. Einen Antrag für eine Baugenehmigung reichte er nach. Im Juli 2001 hat er sein erstes Festival veranstaltet. Die Genehmigung dafür hat er ebenfalls erst nachträglich bekommen. Das war der Auslöser für unsere Vereinsgründung. Damit, wie Cardin in Lacoste jegliche gesetzlichen Vorschriften missachtete, waren wir nicht einverstanden.

O-ton Atmo oder musik

Autorin: Aber es gibt auch Leute, die die ganze Aufregung über Cardins überbordendes Engagement in Lacoste überhaupt nicht verstehen. Einer von ihnen ist der Hotelier Olivier Mazel.

O-Ton pro 3:45 Moi je fais parti

Sprecher: Immerhin gab es ja auch viel Positives. Diese wunderbaren Konzerte zum Beispiel, die seit einigen Jahren veranstaltet werden. Ich  bin nun schon seit 25 Jahren Hotelier. Die Leute wussten nicht,  wo Lacoste eigentlich liegt. Erst seit einigen Jahren rufen Gäste hier an und sagen, das ist doch das Lacoste, in dem Monsieur Cardin das Schloss gekauft hat.

Autorin: Mazel ärgert sich am meisten darüber, wie sich seine Nachbarn dem neuen Schlossherrn gegenüber benehmen:

 O-Ton Hotelier Pro17:48 Moi j_ai vue

Sprecher: Ich habe schon sehr beschämende Situationen erlebt. Zum Beispiel anlässlich eines Aperitifs, zu dem die Gemeindeverwaltung eingeladen hatte. Das ganze Dorf war versammelt. Cardin ist außen vorbei gegangen. Ganz alleine. Mit seinem Stock. Und niemand hat ihn gebeten, mit anzustoßen.

O-Ton Atmo oder Musik

Autorin: Wie nur konnte einem Mann wie Pierre Cardin, umgeben von Ratgebern und Medienprofis,  ein solch plumpes Eindringen in eine Dorfgemeinschaft passieren? Dass er sich dazu derzeit nicht mehr äußern will, kann man verstehen. Denn mittlerweile fällt alle Welt über ihn her: Bis zur New York Times ist der Zwist von Lacoste  durchgedrungen,  Le Monde berichtete ebenso wie japanische, schwedische, südkoreanische Journalisten.

Wer dennoch wissen will, was Cardin nach Lacoste geführt hat, kann das in dem Hochglanzmagazin eines großen Immobilienunternehmens nachlesen. Dort wirbt Cardin für den Kauf von Häusern in der Provence und schwärmt von der Magie die diese Gegend auf ihn ausübe.  Eine Magie die, so sagen seine Gegner, dazu führte, dass Vermögende wie er, Reiche aus aller Welt, sich die schönsten Stücke aus dem Kuchen des Luberon herausschneiden und für ihre Zwecke benutzen. Für die Ortsansässigen bleibe dann nichts mehr übrig.

O-Ton Pro Mazel 11:43 Alors on vous dit

Sprecher: Manche beklagen sich darüber, dass die jungen Leute im Dorf keinen Wohnraum mehr finden. Aber wenn Cardin diese Häuser nicht aufgekauft hätte, dann hätten es andere getan. So ist das nun mal hier in der Gegend. Von denen kenne ich genug hier in der Gegend, die heißen Monsieur Schweiz, Monsieur Deutschland, Monsieur England. Hier unten zum Beispiel hat einer der neuen Besitzer gerade 400 Olivenbäume gepflanzt. Das hat ein Vermögen gekostet. Das wird einfach so hingenommen, darüber spricht niemand.

Autorin: Der Ausverkauf des Luberon findet schon seit fast zwei Jahrzehnten statt. Wie es hierzu kommen konnte und was letztlich dann aus den verkauften Gehöften oder Häusern wird, weiß Lebenskünstler und Bauer Dédé Devaux ganz genau.

 

O-Ton Dede2:02 j’ai une soeur

Sprecher: Ich habe eine Schwester. Und als anstand, das Erbe zu teilen, musste ich meinen Hof hier verkaufen. Ein englischer Banker der mit einer amerikanischen Erbin verheiratet ist, hat es gekauft.

Autorin: Als erstes haben damals die neuen Besitzer von Dedes Elternhaus alle Oberleitungen, die ihnen den Blick auf das Schloss des Marquis de Sade in Lacoste versperrten, unterirdisch verlegen lassen, berichtet er weiter. Sie ließen das Haus aufwendig renovieren, jedes Zimmer mit antiken Kaminen ausstatten, einen Zypressenhain  anpflanzen.

 

O-Ton Dede 3:30

Sprecher: Elf Monate im Jahr steht das Haus nun leer, bleibt unbewohnt. Die Handwerker aus der Gegend haben mir erzählt, dass der neue Besitzer das Haus für etwa zwei Millionen Euro restaurieren ließ.  Hin und wieder kommen zwei seiner Angestellten. Damit alles parat ist, wenn  die Herrschaften selbst  anreisen. Überall hier gibt es inzwischen solche Zweit-, Dritt- oder Viertwohnsitze reicher Leute aus aller Herren Länder.  Die Bauern hier haben entweder ihre Landarbeit völlig aufgegeben, nachdem sie ihr Elternhaus an so jemanden verkauft haben. Oder aber sie wurden von den Neukäufern ihrer Häuser angestellt, um das umliegende Land in Ordnung zu halten.

Autorin: Dass der Großteils eines Dorfes von einer Person aufgekauft wird, das ist auch im Luberon etwas Besonderes. Dass sich die Bewohner ängstigen, dass sie sich fragen, was wird aus all dem nach dem Tod ihres inzwischen 87jährigen Mäzens, ist nur allzu verständlich.  Werden die vielen Cardin-Häuser dann in den Besitz nur an Rendite orientierter Investoren übergehen? Gerüchte darüber,  die Witwe Brouer habe seinerzeit im Kaufvertrag festlegen lassen, dass nach Cardins Tod zumindest das Schloss einer großen Kulturstiftung übertragen werden soll, dem Institut de France, halten sich zwar. Doch Genevieve Recubert kann sie nach eigenen Recherchen nicht bestätigen:

O-Ton Recubert14:00 Institut de France? Non c’est pas

Sprecherin: Das ist nicht im Verkaufsvertrag festgehalten. Wir hatten Einblick in eine Kopie dieses Vertrages, und da steht nichts darüber drin

Autorin Inzwischen ist das Dorf erneut aufgewühlt. Denn seit Anfang September hat Cardin  die ersten seiner Angestellten wieder entlassen. Den Bäcker zum Beispiel oder einige Mitarbeiter seines  Café de Sade.

 O-Ton Inge10:10 Das beunruhigt uns. Was wird aus all dem? Das Dorf lebt im Moment, weil viel gearbeitet wird und noch Touristen da sind. Aber wie wird das im Winter?11:11  Das Dorf ist durch Cardin gespalten worden. Das hat er nicht mit Absicht gemacht, aber es ist geschehen. Und es hat viel für und viel wider gegeben. Und das Dorf ist heillos zerstritten. Und was ich mir wünschte, dass das Dorf wieder zusammenkommt.

O-Ton Atmo Baulärm übergehend in Zikaden