WDR5, Neugier genügt, Kameras im Gerichtssaal, 24.1.2011

Redaktion Dr. Ingrid König

Fernsehkameras im Gerichtssaal – eine unendliche Debatte

Sollen Fernsehkameras während laufender Prozesse im Gerichtssaal zugelassen werden oder nicht – eine seit Jahren immer wieder geführte Debatte. Prozessbeteiligte sind meist vehement dagegen, Fernsender aus eigenem Interesse verständlicherweise dafür, kämpfen für dieses Recht auch schonmal vor Gericht. Dieses Mal jedoch kam der Vorstoß überraschenderweise aus einer ganz anderen Ecke. Und der Eindruck entsteht, dass die nachmittags auf mehreren Fernsehkanälen ausgestrahlten Gerichtsshows selbst gestandene Juristen in Zugzwang bringen.  

 

 

 

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Sprecher: Wenn man nicht möchte, dass die Darstellung von Geschworenenprozessen in amerikanischen Anwaltsserien und Gerichtsshows à la „Barbara Salesch“ das Bild der Bürger von der deutschen Justiz prägen, dann muss man die Möglichkeit eröffnen, bei realen Prozessen ‚mit dabei“ zu sein.

 

Atmo kurze Szene aus Gericht oder Show

 

O-Ton Quoirin 0:58: Alle Jahre wieder kommt ja dieser Vorschlag, immer von anderer Stelle. Meistens haben die Fernsehanstalten die Initiative übernommen, ZDF und ntv waren da immer führend.

Autorin: Marianne Quoirin, seit Jahren als Gerichtsreporterin für den Kölner Stadt-Anzeiger tätig, hätte nicht damit gerechnet, dass es diesmal der ranghöchste Richter dieser Republik sein würde, der für die Freigabe von Fernsehkameras in laufenden Prozessen plädiert. Er tat dies an einem Novembertag des vergangenen Jahres während der offiziellen Verabschiedung des ARD-Rechtsexperten Karl-Dieter Möller  in den Ruhestand. Bei der Gelegenheit dachte Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, laut darüber nach, ob man nicht Fernsehkameras in  öffentlichen Prozessen zulassen solle. Denn, so Voßkuhle, der Macht der Bilder von fiktiven Gerichtsverhandlungen im Fernsehen könne die Justiz mittelfristig nur mit der Macht der Bilder echter Verfahren vor deutschen Gerichten entgegentreten. Seitdem wird hiergegen heftig protestiert. Das stimme nun gar nicht, meint auch Klaus Haller, Vorsitzender Richter beim Landgericht Bonn – und wundert sich über Voßkuhles Vorstoß.

 

O-Ton Richter-Haller 0:54:  Er hat das nach meinem Kenntnisstand damit begründet, dass die Gerichtsshows, die man im Fernsehen verfolgen kann, nicht die Realität abbilden und dass deshalb aus Gründen der Volkserziehung es sinnvoll sei, Strafverhandlungen oder Gerichtsverhandlungen, Instanzgerichte generell im Fernsehen oder im Radio zu übertragen. Ich halte da nichts von. Der Professor Vosskuhle ist sicher ein kluger Mann und versteht viel von Verwaltungsrecht und Umweltrecht, aber von den Belangen jetzt insbesonders des Strafverfahrens scheint er nicht allzu viel zu verstehen, wenn er einen solchen Vorschlag macht.

 

 

Autorin:  Gerne hätten wir Voßkuhles Meinung hierzu eingeholt. Doch seit jener Feierstunde, in der seine ketzerischen Überlegungen öffentlich kundtat, will er sich Journalisten gegenüber hierzu nicht mehr äußern.

 

O-Ton Richter-Haller 26:12:  Es ist ja so, dass der Vosskuhle wohl allein auf weiter Flur da steht. Vielleicht wird das eine oder  andere Medienunternehmen da in die Kerbe hauen, aber der Präsident des Bundesgerichtshofs, Prof. Tolksdorf, sehr kluger Mann,  der sich im Strafrecht hervorragend auskennt, hat sich schon dagegen ausgesprochen. Also ich denke, da sind die Widerstände auf lange Sicht so groß, dass keine wirkliche Gefahr droht. Bei ‚nem Politiker hätt‘ ich gedacht er will das Sommerloch füllen. Ich weiß nicht was den Herrn Voßkuhle da geritten hat, sich jetzt mit der Öffentlichkeit in Gerichtsverhandlungen zu befassen. 

 

 

O-Ton Anwalt-Nagler 1:38: Meine erste Reaktion war die, dass ich gedacht habe, gut das Bundesverfassungsgericht kann das machen. Vielleicht auch das Bundesverwaltungsgericht.

 

Autorin: Der Essener Strafverteidiger Axel Nagler ist ein erfahrener Rechtsanwalt. Sein Spezialgebiet sind Strafprozesse. Seine Mandanten variieren, vom Ladendieb über den Räuber, Erpresser oder Sexualstraftäter.

 

O-Ton Anwalt-Nagler 1:40: Für die Strafsachen, in denen ich tätig bin, kann ich mir das nicht vorstellen. Auch für die Asyl- und Ausländersachen kann ich´s mir nicht vorstellen. Vielleicht dann, wenn eine Revision verhandelt wird, beim Bundesverwaltungsgericht, wo´s um reine Rechtsfragen geht. Ich erlebe nur tagtäglich, dass meine Mandanten auf keinen Fall irgendwo abgebildet werden möchten.  2.12 Die werden oftmals kleinerer, mittlerer oder gar schwerer Straftaten beschuldigt und möchten mit dieser Beschuldigung nicht in der Öffentlichkeit dargestellt werden. 

 

 

O-Ton-Quoirin 2:44: Wenn man sich vorstellt, unter welchem Druck ein Angeklagter, gleich welcher Vorwurf gegen ihn erhoben wird, unter welchem seelischen Druck er da sitzt. Er ist sowieso schon aufgeregt. Er weiß nicht, was ihn erwartet. Die meisten Menschen, denen zum ersten Mal der Prozess gemacht wird, wissen ja gar nicht, was da vor sich geht. Sie haben Angst vor dem Gericht. Vielleicht hat der Verteidiger den Angeklagten vorher auch nicht gut informiert. Und dann sitzen da noch die Kameras. Ich glaube eine Ausnahme wäre da der Herr Kachelmann, der es ja gewohnt ist, locker, flockig das Wetter vorher zu sagen und sich vor der Kamera zu bewegen.

Autorin: Die meisten Prozesse sind sowieso öffentlich, interessierte Zuschauern oder Gerichtsberichterstatter der lokalen oder überregionalen Presse sitzen im Zuschauerraum. Am nächsten Tag kann, wer will, in der Zeitung nachlesen, was in der Hauptverhandlung passiert ist.

 

O-Ton Quoirin1:20: Die Öffentlichkeit vor Gericht ist ja eingeführt worden zum Schutz von Angeklagten vor staatlicher Willkür.1:55 Die Angeklagten wünschen sich heute wieder einen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nicht wegen der paar Zuschauer, die da im Saal sitzen und zuhören. Auch nicht wegen der Berichterstattung von den beiden Lokalreportern, die da meistens sitzen. Sondern wegen der verzerrten Darstellung in der Öffentlichkeit schon vor einem Prozess und zum Teil während eines Prozesses. Die Journalisten aus überregionalen Zeitungen erscheinen ja meistens nur am ersten und am letzten Tag.

 

 

Autorin: Man kennt die Bilder: Angeklagte, die sich unter einer Kapuze oder hinter Ordnern verstecken, bis die Kameras mit Beginn der Hauptverhandlung den Saal verlassen müssen. Das Recht am eigenen Bild – es ist genauso zu respektieren, wie die Unschuldsvermutung bis zum Urteilsspruch.

 

 

O-Ton-Anwalt-Nagler 2:32: Die Bildberichterstattung die hat nochmal eine ganz andere Qualität auch für meine Mandanten, wenn sie ihr Bild irgendwo in der Zeitung oder im Fernsehen gar sehen. Und jedermann kann sehen, aha das ist mein Nachbar oder der Kumpel aus dem Sportverein oder was auch immer.  Das hat auch Nachwirkungen. Lange, lange nach dem Urteil. Wenn man sich jetzt mal vorstellt, diese Leute, die jetzt entlassen worden sind aus der Sicherungsverwahrung, weil es rechtliche Probleme gibt. Wenn nun jeder mit deren Bild in der Tasche  irgendwo rumliefe und auf der Straße ständig auf die zeigen würde, das ist eigentlich für mich unvorstellbar. 

 

 

 

 

O-Ton Richter-Haller 7:37: Mit Öffentlichkeit meinen wir zunächst mal, dass Personen, die selbst persönlich da sind, anwesend sind, den Gang der Hauptverhandlung, die Atmosphäre usw. verfolgen können. Damit ist nicht gemeint, ne mediale Öffentlichkeit. Ne Hauptverhandlung in Strafsachen ist keine Castingshow. Sondern es geht um verfassungsrechtlich verbürgte Dinge. Nämlich die Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips. Das bedeutet, wir müssen schauen, ob ein Tatvorwurf zutrifft. Und dann gegebenenfalls, wenn eine Verurteilung im Raum steht, ne angemessene Sanktion finden. Und die Aufklärung, die sachliche Aufklärung, in einer ruhigen Gesprächsatmosphäre. In der sich auch so etwas wie Gespräch aufbauen kann. Die wäre meines Erachtens extrem gefährdet, wenn man eine mediale Öffentlichkeit während der Hauptverhandlung zulassen würde. 

 

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O-Ton Quoirin 5:30: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man etwas Vergleichbares hat wie court-tv in Amerika. Wo von der ersten Sekunde des Verfahrens bis zum Hammerschlag berichtet wird. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Fernsehsender ein Interesse haben, so Highlights sich herauszupicken, die zwar den ganzen Tag da sind, aber dann hinterher wie bei einem Fußballspiel in der Zusammenfassung nur die Tore zeigen, und das würde das Bild sehr verzerren.

 

 

Autorin: Der Fernsehsender ntv sieht das anders, wie sein Chefredakteur Volker Wasmuth wissen lässt:

 

O-Ton ntv 0:53: Es macht bei den wirklich großen Prozessen einfach Sinn, dass unsere Zuschauer live und unmittelbar mit dabei sein können. So sind sie einfach in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden.

 

O-Ton Richter-Haller 14:28: Warum steht die Kamera da? Der Sender, der so ne Kamera da hin stellt, mit nem Fernsehteam, der will´s natürlich verbreiten. Und diese Verbreitung geht zu Lasten der Leute, die da gefilmt und aufgezeichnet werden. Als Berufsrichter sind sie kein Schauspieler. Die Schöffen müssen keineswegs freiwillig an der Hauptverhandlung teilnehmen. Die üben ein Ehrenamt aus. Mit welchem Recht können wir denn in deren Persönlichkeitsrechte eingreifen und sagen, ihr müsst euch jetzt filmen lassen. Ihr müsst damit leben, dass ihr möglicherweise ein Leben lang im Internet wiederzufinden  seid. Das gleiche bei Zeugen, nochmal sehr viel dramatischer. 

 

O-Ton Quoirin17:15 Man muss sie ja sowieso verbannen bei allen Familienrechtsverfahren. Aber da hätten ja schon die TV-Anstalten ein großes Interesse, also z.B. ein Scheidungsverfahren von einem großen Prominenten von A bis Z zu verfolgen. Das geht nicht. Sie können nicht in den Gerichtssaal einmal wenn Jugendliche angeklagt sind, zweitens, wenn sowieso die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird mit Rücksicht auf die Angeklagten oder die Zeugen oder auch des Opfers. Und ich glaube, es bleiben verhältnismäßig wenig Strafverfahren übrig, in denen die TV-Anstalten auf ihre Kosten kämen.

 

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Autorin: Ob  Richter oder Strafverteidiger, Gerichtsreporter oder Staatsanwälte – sie alle sind so gut wie flächendeckend dagegen, während eines laufenden Strafverfahrens vor Gericht gefilmt zu werden. Nur die Fernsehsender hätten dies gerne. Der private Nachrichtensender n-tv ist da federführend, hat schon mehrfach gegen das seiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäße, vielmehr „archaische Verbot von Kameras im Gerichtssaal“ Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt – bislang erfolglos. Denn seiner Meinung nach ist die Öffentlichkeit im Gerichtssaal inzwischen gleichbedeutend mit Fernsehöffentlichkeit. Für ein Interview mit WDR5 hatte ntv-Chefredakteur Volker Wasmuth wochenlang zwar keine Zeit. Aber so ganz wollte er seine Position nun doch nicht ungehört lassen und hat uns folgendes Statement zukommen lassen:

 

O-Ton-Wasmuth 000: Wir möchten unsere Zuschauer aus erster Hand informieren. Einfach direkt, unmittelbar und nah. So kann sich der Zuschauer ein eigenes Bild machen. Ein Musterbeispiel für eine solche Berichterstattung, wie ich finde, war unsere Live-Übertragung bei den Schlichtungsverhandlungen zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Wir haben da einfach über mehrere Stunden lang die Argumente der Befürworter und der Gegner, auch die Reden des Schlichters live gezeigt. Der Zuschauer war also bei uns immer  live dabei. Und genau so kann ich mir auch das Vorgehen bei Prozessen mit ja erheblichem Öffentlichkeitswert vorstellen. Eine Übertragung der Plädoyers von Staatsanwaltschaft und von Verteidigung.

 

Autorin: Wie könnte so eine Fernsehberichterstattung aus dem Gerichtssaal aussehen, die eins zu eins das wiedergibt, was sich da abspielt?

 

O-Ton Anwalt-Nagler 34:10: Die Leute würden das Gähnen bekommen. Wenn sie 35 Tage lang mit verfolgen müssten, wie irgendwelche abgehörten Telefonate wieder vorgespielt, von einem Dolmetscher in die Deutsche Sprache übersetzt werden. Und wie dann darüber gestritten wird, ob die Übersetzung richtig ist oder falsch ist. Da würden die Leute nach ner Stunde schreiend weglaufen. 38:54 Strafprozess besteht in der Realität im Wesentlichen aus Warten. Aus Pausen, in denen überhaupt nichts passiert. Da versammelt sich die gesamte Mannschaft aus Richtern und Staatsanwälten und Verteidigern morgens um 9 Uhr. Und der für 9 Uhr bestellte Zeuge kommt nicht. Ohne irgendeine Nachricht. Dann wird eine Maschinerie in Gang gesetzt, um diesen Zeugen möglichweise noch zu erreichen. Da wird angerufen. Wenn er am Telefon nicht erreichbar ist, das macht der Richter hinten, dann wird die Polizei losgeschickt, den zu suchen. Während der ganzen Zeit passiert im Gerichtssaal gar nichts. 44:15 Man darf nicht vergessen, dass der Alltag in den Gerichtssälen halt unglaublich langstielig und manchmal sehr sehr kleinzeilig ist. Und das, was man da an Sensationen erwartet, das passiert einmal in 20 Jahren.

 

O-Ton Richter Haller: 30:10 Um es jetzt ins Fernsehen zu bringen wird die Motivation sein, Quote zu machen. Ne Alternative zu den Gerichtsshows, die sich irgendwann auch totgelaufen haben. Vom Interesse her.

 

O-Ton Anwalt Nagler 40:00:  Jetzt komme ich gerade aus einem Prozess, den könnte man auch den Winterprozess nennen. Weil der Anfang dieses Verfahrens, sich jedes Mal um ein, eineinhalb, 2 Stunden verzögerte, wegen der Verkehrsverhältnisse. Da steckte eine Dolmetscherin im Schnee und kam nicht. Dann musste ein Ersatzdolmetscher irgendwie beschafft werden. Die Anwälte waren sonstwo irgendwo eingeschneit. Und es ging und ging nicht weiter. Ganz alltägliche Szene. Ein Anwalt stellt einen Beweisantrag. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Und kommt zwei Stunden nicht wieder, weil sie sich mit Rechtsfragen beschäftigen müssen. In der Zeit spielt sich im Gerichtssaal überhaupt nichts ab. Deswegen sage ich, das ist für die Zuschauer völlig öde.

 

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Autorin: Wenn Kameras im Gerichtssaal somit vornehmlich Ödnis und Langeweile filmen würden, dann könnte sich das Problem doch eigentlich von selbst lösen. Welcher Sender würde seinen Zuschauern einen solchen Quotenkiller zumuten? Selbst gerafft und zusammengefasst würde eine reale Berichterstattung aus Gerichtssälen wohl kaum mit den reißerisch aufgemachten fiktiven Shows im Fernsehen konkurrieren können.

 

O-Ton Quoirin: 10:04 Den Gerichtsshows im Fernsehen kann man wahrscheinlich gar nichts entgegensetzen. Die sind ja völlig abseitig, haben mit der Realität im Gericht überhaupt nichts zu tun. Das sind Unterhaltungsveranstaltungen. Und damit kann ein Gericht, das z.B. ja bei der Beweisaufnahme sehr pingelig sein muss, und versucht, sich der Wahrheit anzunähern, überhaupt nicht dienen. Ich kann mir höchstens vorstellen, wenn wirklich alles aufgezeichnet wird, die Zuschauerquote gleich Null ist.

 

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Autorin: Nicht jeder Fernsehzuschauer realisiert, dass die nachmittäglich ausgestrahlte Gerichtsshow lediglich eine Inszenierung ist und mit dem, was tatsächlich während eines Prozesses passiert, so gut wie nichts zu tun hat. Manch einer wundert sich dann, wenn er mit der Realität konfrontiert wird.

 

 

O-Ton Anwalt Nagler: 35:18 Ja. Die Mandanten oder Zeugen erwarten von uns, dass es in ihrem Strafprozess genau so zugeht, wie bei Barbara Salesch, dass nämlich der Hauptbelastungszeuge nach 10 Minuten weinend zusammenbricht und gesteht, dass alles falsch war, was er bisher gesagt hat und dass er sich so schlecht fühlt. Das passiert im Gerichtsalltag natürlich niemals. Wie jeder weiß, der sich damit auskennt. Aber die Leute sind natürlich auf diese Weise davon beeinflusst. 35:51 Die sagen natürlich nicht, dass sie das vom Fernsehen haben oder von Barbara Salesch. Aber sie haben diese stereotypen Erwartungen, die ich von daher kenne.

 

Atmo kurze Szene aus TV-Gerichtsshow

 

O-Ton Richter-Haller: 2:07 Es ist absolut virtuell. Es sind erfundene Geschichten. Es sind schauspielerisch vorgetragene Emotionen und Aktionen. Und wenn man sieht, dass etwa Barbara Salesch ein Schwurgerichtsverfahren als Einzelrichterin absolviert in einer viertel Stunde oder in 20 Minuten abwickelt, dann sieht man schon, dass das nur Fiktion sein kann.

 

Autorin: Eine Fiktion, die bis in die Gerichtsatmosphäre hineinwirkt.  

 

O-Ton Quoirin: 12:25 Doch das hat sich sehr verändert. Zum Teil klatschen Zuschauer lauthals Beifall, wenn ihnen ein Argument des Staatsanwalts, des Richters oder auch der Verteidigung gefällt. Und das ist z. T. sehr peinlich, weil sie mitunter ja auch das falsch verstehen. Und dann, es gibt einen großen Unterschied im Auftreten der Zeugen. 13:25 Es liegt z.T. daran, weil die gesehen haben, wie man sich darstellen kann. Es gibt Zeuginnen, grell geschminkt, Ausschnitt bis zum Bauchnabel und sich z.T. auch aufspielen, wie in einer Gerichtsshow.

 

O-Ton Richter-Haller 2:50 Ich habe von den Sachverständigen, die aussagepsychologische Gutachten machen, erzählt bekommen, dass die Gerichtsshows gewisserweise der Tod der Aussagebewertung seien, weil viele Zeugen jetzt ne Vorstellung davon haben, wie ne Zeugin vor Gericht oder ein Sachverständiger sich einlässt. Das muss ja nicht mit der Realität übereinstimmen aber mir wurde da so berichtet, dass das die Aussagebewertung für die Sachverständigen schwieriger mache. 

 

Autorin: Wenn jetzt noch Kameras dies alles filmten, würden sich Prozessbeteiligte  womöglich noch mehr aufplustern.  

 

 

O-Ton Anwalt Nagler 6:38: Ich fürchte, dass in solchen Fällen Verfahrensbeteiligte, ich will jetzt keine Berufsgruppe besonders ansprechen, sich bemühen würden, sich besonders zu spreizen. Um in der Öffentlichkeit irgendwie gut da zu stehen.

 

O-Ton Richter Haller 25:23 Ich würd sagen durch die Bank wären die Verfahren anders gewesen. Der Staatsanwalt kann sich bemüßigt fühlen, wenn er weiß, das Fernsehen ist jetzt da, ne besonders hohe Strafe zu beantragen. Der Verteidiger kann sich bemüßigt fühlen, nen besonders eloquenten oder radikalen Auftritt hinzulegen, weil er weiß, mein Name wird da vielleicht eingeblendet. Das ist Marketing für meine Kanzlei. Der Richter, der vielleicht noch irgendwie Karriere machen will, kann sich bemüßigt fühlen, in ner bestimmten Art und Weise zu agieren, weil er denkt, meine Dienstvorgesetzten oder wer auch immer verfolgt das, was ich da tue und findet mich da ganz toll. Also. Das was ich sagen will, die Befangenheit, die würde Einzug in den Gerichtssaal halten und das ist der Feind der Tataufklärung. 

 

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Autorin: Es gibt allerdings Verfahren, in denen könnten sich selbst die entschiedendsten Gegner von Kameras in Gerichtssälen Filmaufnahmen während laufender Prozesse  vorstellen.

 

O-Ton-Quoirin: 8:58:  Meiner Ansicht nach sollte man die Fernsehleute in andere Prozesse lassen. Heutzutage wird ja schon bei wichtigen Urteilen das Bundesverfassungsgericht es zulassen, dass die ganze Urteilsbegründung gefilmt wird und jeder der Lust hat, kann sich das von A bis Z anhören. Ich kann mir auch gut vorstellen bei wichtigen Verfahren, zum Beispiel über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, Vorratsdatenspeicherung, der europäische Haftbefehl, das Gentechnikgesetz, dass da auch schon bei der Anhörung die Fernsehkameras dabei sind. Das sind Fachleute, die Argumente austauschen. Und Zeugen werden gehört, die alle Volljuristen sind. Das ist etwas anderes, wie ein normales Strafverfahren.

 

 

O-Ton Anwalt-Nagler: 26:… Und ich hätte auch nichts dagegen, dass solche Dinge, wenn sie von besonderer Bedeutung sind wie so ein Eichmannprozess, oder so was, wenn die auch filmisch aufgezeichnet würden, aber bitte nicht um eine gleichzeitige Medienöffentlichkeit über diesen Prozess herzustellen. Aus historischer, für historische Dokumentationen hab ich überhaupt kein Problem. Eichmannprozess oder vielleicht auch Prozesse gegen die ehemaligen Verantwortlichen der DDR, genauso wie gegen die Verantwortlichen des Naziregimes, die zu dokumentieren, und das im Nachhinein sich zu Gemüte zu führen und nochmal analysieren zu können, halte ich für wertvoll. Aber nicht eine begleitende Court-TV-Veranstaltung in der Form, dass irgendwie jetzt neue Spiele veranstaltet werden.

 

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Autorin: Vor allem die Angeklagten, so die Befürchtungen von Richter Haller, Rechtsanwalt Nagler und Gerichtsreporterin Marinna Quoirin, würden unter den Konsequenzen von Filmberichten aus Gerichtssälen leiden. Genau deshalb sind sie so strikt dagegen.

 

O-Ton Richter-Haller 13:30: Man muss ja nur an die Möglichkeiten von Internet denken. Was einmal im Internet drin ist, kriegt man nie wieder raus. Das heißt also, sie hätten Liveaufzeichnungen von Vernehmungen von Tatopfern, von Einlassungen des Angeklagten, die den sein ganzes Leben lang weiter verfolgen würden. Weil keiner dafür die Garantie übernehmen kann, wo nachher solche Aufzeichnungen tatsächlich landen. Die Mitschnitte werden ja auch von Fernsehsendern heute über´s Internet verbreitet. Sie können ja über Livestream im Internet Fernsehsendungen verfolgen. Das kann jeder mitschneiden. Und was danach damit passiert, bei youtube oder auf welchen Plattformen auch immer, da hat kein Mensch Kontrolle drüber. Und das würd ich sagen ist unzumutbar.

E N D E